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NAGEL-Redaktion – ABA Fachverband empfiehlt

Karl Giebeler, Steffi Kreuzinger, Marion Loewenfeld, Elke Winterer-Scheidt (Hg.)
Aufstand für eine lebenswerte Zukunft. Ökologische Kinderrechte: Bestandsaufnahme – Ermutigung – Wege zum Handeln. Verlag Ökologie und Pädagogik (ISBN 3-9803197-7-6), München 1996. Bezug: MobilSpiel e.V., Ökoprojekt, Welserstraße 15, 81373 München.

Ökologische Kinderrechte sind eine neue soziale Bewegung. Sie stehen für das Recht eines jeden Kindes, in einer intakten Umwelt aufzuwachsen, ein gesundes Leben zu führen und positive Zukunftsperspektiven zu entwickeln.

Dieses Buch gibt den Ökologischen Kinderrechten Raum, sich zu definieren, es fordert zu Brückenschlägen zwischen den Disziplinen Gesundheit/Medizin, Psychologie, Pädagogik, Recht und Politik auf, zeigt in „Models of Good Practice“, wie Ökologische Kinderrechte umgesetzt werden, und ermutigt, neue Wege zum Handeln zu finden.

Verfasst und herausgegeben wurde dieses Buch von Menschen, die aus ihrer täglichen Arbeit mit Kindern heraus wissen, wovon sie reden. Sie ergreifen die Initiative, um Kindern zu ermöglichen, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. In der Darstellung dieser Aspekte kommen unter anderem folgende Experten zu Wort: Der in der Kinder- und Jugendpsychiatrie tätige Psychoanalytiker Prof. Dr. Horst Petri (Schwerpunkt Umwelt- und Zukunftsängste von Kindern und Jugendlichen), der Rechtsanwalt Dr. K. Peter Merk (Schwerpunkte Kinderpolitik, Kinderpartizipation und Kinderrechte) und die Pädagogin Dr. Ulrike Unterbruner, deren Schwerpunkte Umwelterziehung sowie ganzheitliches Lehren und Lernen sind.

NAGEL-Redaktion – ABA Fachverband empfiehlt

Matthias Bartscher
Partizipation von Kindern in der Kommunalpolitik, Lambertus Verlag 1998, Freiburg
Von Rainer Deimel

Ende 1998 hat Matthias Bartscher ein irritierendes Buch mit dem Titel „Partizipation von Kindern in der Kommunalpolitik“ vorgelegt, irritierend insofern, dass es anscheinend ein Mainstream-Thema aufgreift und sich andererseits angenehm abhebt: Das Buch ist in der Lage, auch Fachleuten, die sich nicht erst seit gestern mit dem Komplex der Partizipation befassen, neue und erweiternde Sichtweisen zu vermitteln. Gleichzeitig ist es kein opportunes Buch. Im Gegenteil bewahrt es durchgehend eine kritische Sichtweise aus dem vermutbaren Erleben von Kindern heraus.
Matthias Bartscher ist es gelungen, eine große inhaltliche Bandbreite fundiert zu skizzieren. Er zieht einen Bogen über grundlegende Beschreibungen und Definitionen und greift ferner in geeigneter Theorie-Praxis-Mischung die diversen Themenkomplexe auf, die die Materie in irgendeiner Weise tangieren. 
In einem einleitenden Text behandelt er bilanzierend die Grundlagen von Politik für Kinder und mit Kindern. Umfassend nähert er sich dem Thema „Partizipation“ und greift alle wesentlichen Aspekte intensiv auf. Dabei kommen selbst vermeintlich „nicht so wichtige“ Perspektiven wie „Politik und Sprache“, „Kinder, Politiker und Medien“ deutlich zum Zuge. Ohne anzugreifen oder sich in destruktiver Kritik zu verlieren, werden hinterfragende Positionen vertreten und aufgezeigt, Grenzen gewürdigt und gleichzeitig Hinweise geliefert, wie Grenzen peu à peu modifiziert sowie Barrieren überwindbarer gestaltet werden können.
Neben der politischen Dimension des Themas widmet Matthias Bartscher den entwicklungspsychologischen Aspekten der politischen Partizipation ein weiteres Kapitel. Auch in diesem Zusammenhang untersucht er die unterschiedlichsten inhaltlichen Stränge. Zum Beispiel greift er die differenzierte Raumaneignung und Raumnutzung aus geschlechtsspezifischer Sicht auf. Erwähnenswert erscheint mir in diesem Kontext der Ansatz einer systemisch-konstruktivistischen Weltsicht, der sich in anderen Kapiteln ebenfalls Raum verschafft.
Ausgehend von der These „Politik mit Kindern ist Pädagogik“ findet auch die Pädagogik den ihr an-gemessenen Platz. In diesem Kapitel wendet Matthias Bartscher erfreulicherweise den diversen päd-agogischen Sichtweisen und Methoden zu. So fehlen ebensowenig Aspekte zur traditionellen wie der antiautoritären Erziehung wie auch die Antipädagogik ihren Platz findet. Er schafft darüber hinaus einen plausiblen Zusammenhang zum Recht des Kindes. Gleichermaßen skizziert er Dimensionen professionellen Tätigwerdens. Sehr deutlich wird die Rolle der Erwachsenen im Zusammenhang mit Kindern und Kinderpolitik erläutert.
Das Buch schließt mit einer Reihe von methodischen Grundlagen und dokumentierten Praxisbeispie-len aus ganz verschiedenen Zusammenhängen, denen manche Anregung für die eigene Praxis ent-nommen werden kann. Zuvor wird in einem weiteren Kapitel die kommunale Selbstverwaltung aufge-griffen. Hürden in der Verwaltung werden aufgezeigt, Konflikte nachvollziehbar geschildert und Hin-weise geliefert, mit Konfliktpotential konstruktiv umzugehen. Auch hier wird in wertschätzender Weise auf unsachgemäße Kritik verzichtet und vielmehr der Versuch unternommen, für ein höheres Maß an Akzeptanz für alle Beteiligten zu werben.
Alles in allem erscheint mir der Versuch, die Subjektrolle von Kindern nicht aus den Augen zu verlie-ren, als sehr gelungen. So ist das Buch als Einsteigerliteratur, aber auch als Handbuch für kurzfristig erforderliche Hinweise und handhabbare Methoden für InsiderInnen verwendbar. Es sei allen, die sich haupt-, neben- und ehrenamtlichen mit Kindern befassen, als Lektüre empfohlen. Auch als Fachbuch für Berufskollegs, Fachhochschulen und Universitäten dürfte es gut geeignet sein. Ebenso sollte es in jeder Einrichtung, die mit Kindern arbeitet, als Handreichung vorhanden sein.

NAGEL-Redaktion – ABA Fachverband empfiehlt

Bayerischer Jugendring
Mitwirkung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den Gemeinden. Informationen, Praxisbeispiele, Handlungstipps, München 1997

Diese 75 Seiten umfassende Broschüre versteht sich als Leitfaden für die vielfältigen Möglichkeiten von Mitwirkung und Beteiligung für Kinder und Jugendliche in den Gemeinden. Sie beschreibt Hintergründe und Notwendigkeiten für die Suche nach einem Mehr an politischer Partizipation von jungen Menschen. Sie zeigt die Fülle von unterschiedlichen Beteiligungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche auf. Ferner benennt sie Kriterien für ernstgemeinte Beteiligung und gibt praktische Tipps und Empfehlungen für den Aufbau von Jugendforen, Jugendparlamenten, örtlichen Arbeitsgemeinschaften und weiteren Beteiligungsformen.

Die Broschüre wendet sich an engagierte KommunalpolitikerInnen, die die Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen an den Belangen ihrer Gemeinde verbessern wollen, an Kinder- und Jugendbeauftragte, die Chancen und Möglichkeiten einer aktiven Zusammenarbeit mit jungen Menschen in ihrer Kommune nutzen möchten, aber auch an junge Menschen und an ehrenamtliche MitarbeiterInnen der Kinder- und Jugendarbeit als Anregung zur Kooperation mit den politischen Gremien in der Gemeinde. Und nicht zuletzt wendet sie sich selbstverständlich an die hauptberuflichen Fachkräfte in der Kinder- und Jugendarbeit.

Die Broschüre kann zuzüglich der Versandgebühr über den ABA Fachverband bezogen werden.

NAGEL-Redaktion – ABA Fachverband empfiehlt

Peter Apel/Reinhard Pach
Kinder planen mit. Stadtplanung unter Einbeziehung von Kindern. Herausgeber: Gesellschaft Freie Sozialarbeit. LKD-Verlag, Unna 1997

Spätestens seit Kinder politisch Konjunktur haben, ist auch die kinderfreundliche Stadtplanung in aller Munde. Während das Ziel allerdings kaum noch strittig ist, besteht über die Methoden und Verfahren der Beteiligung von Kindern an Stadtplanung weithin noch Unklarheit. Hier knüpft die vorliegende Veröffentlichung an. Einem theoretischen Teil, der Begriff, Entstehungsgeschichte, Ziele und Funktionsweisen kinderfreundlicher Stadtplanung behandelt, folgt die Vorstellung ausgewählter Praxisprojekte. Diese spiegeln die ganze Breite eines Handlungsfeldes wider, in dessen Mittelpunkt die Partizipation steht.

Aus eigener Praxiserfahrung berichten die Autoren anschaulich, wie sich Kinderfreundlichkeit schrittweise im kommunalen Umfeld realisieren lässt: vom Spielplatz zur Siedlung, vom Straßenzug zur Stadt. Die Lektüre provoziert zur Nachahmung. Sie inspiriert die planerische und pädagogische Praxis, die im Buch dargestellten Planungsansätze weiterzuentwickeln. Gleichzeitig benennt sie Knotenpunkte, an denen sich der Stadtplanung neue und wegweisende Kooperationsformen erschließen: Schulen, Offene Kinder- und Jugendarbeit, Kulturelle Bildung, Jugendverbände, Sportvereine und Initiativen sind die Partner einer nutzergerechteren Planungskultur.

Ein Praxishandbuch für StadtplanerInnen und PädagogInnen sowie für alle, die gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen die verlorenen Spielflächen in der Stadt zurückerobern und sich dabei aufs Abenteuer der Planungsbeteiligung einlassen wollen.

Das Buch kann zuzüglich der Versandgebühr über den ABA Fachverband bezogen werden.

NAGEL-Redaktion – ABA Fachverband empfiehlt

Thomas Armstrong

Das Märchen vom ADHS-Kind. 50 sanfte Möglichkeiten, das Verhalten Ihres Kindes zu verbessern ? ohne Zwang und ohne Pharmaka

Kartoniert, 315 Seiten, 17 x 21 cm, ISBN 3-87387-494-6. Paderborn: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung 2002. ? 22.50 / sFr 39.50 / Best.Nr. 446

 

Über Maßnahmen zur Stärkung der Selbstachtung, zur Förderung von Vitalität und Kreativität, Checklisten zum Herausfinden der besten Interventionen sowie Hinweise auf eine Fülle von Ressourcen, Büchern und Organisationen, die für die Anwendung der fünfzig beschriebenen Strategien eintreten. Vorwort von Vera F. Birkenbihl, aus dem Amerikanischen original von 1995 übersetzt von Theo Kierdorf & Hildegard Höhr (Informationsseite des Peter-Lehmann-Versandbuchhandels).

Original-Verlagsinfo

?Das Märchen vom ADHS-Kind? stellt die fälschliche Diagnostizierung von Millionen von Kindern mit der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und den übermäßigen Gebrauch psychoaktiver Medikamente zur Behandlung von Hyperaktivität in Frage. Nach Auffassung des Autors sind viele der Verhaltensweisen, die als ADHS bezeichnet werden, in Wahrheit aktive Reaktionen eines Kindes auf komplexe soziale, emotionale und erzieherische Einflüsse. Wenn Eltern an den Ursachen der Probleme arbeiten, statt Symptome mit potentiell schädlichen Medikamenten und durch Verhaltensveränderungsprogramme nur zu überdecken, können sie ihren Kindern zu mehr Lebensqualität verhelfen.

Zu den vom Autor empfohlenen fünfzig ?drogenfreien? Strategien zur Überwindung der Aufmerksamkeits- und Verhaltensprobleme von Kindern zählen Maßnahmen zur Stärkung der Selbstachtung und zur optimalen Förderung von Vitalität und Kreativität. Außerdem enthält sein Buch Checklisten, mit deren Hilfe Leser die für ein bestimmtes Kind besten Interventionen finden können sowie Hinweise auf eine Fülle von Ressourcen, Büchern und Organisationen, die für die Anwendung der fünfzig beschriebenen Strategien eintreten.

»Das vor Ihnen liegende Buch hat eine generell positive Sichtweise über Kinder und das Lernen. Es vertritt die These, dass Kinder, die unter Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen leiden, in ihrem Kern völlignormale und gesunde menschliche Wesen sind, die nicht unter einer medizinischen Störung leiden. Der Leser sollte jedoch wissen, dass ich in meinem Buch nicht behaupte, es gäbe keine unkonzentrierten, hyperaktiven oder impulsiven Kinder. Es geht mir vielmehr darum, dass das ADHS-Konzept nicht sehr hilfreich dafür ist, solche Verhaltensweisen zu verstehen; es hindert uns nämlich daran, ein Kind in seiner Ganzheit zu wahrzunehmen. Ich bin auch nicht grundsätzlich dagegen, Kindern unter bestimmten Voraussetzungen Medikamente zu geben. Ich denke jedoch, dass Eltern ein Recht darauf haben, über alle Alternativen Bescheid zu wissen, die ihren ?auffälligen? Kindern helfen können, im Leben erfolgreich zu sein.« ? Thomas Armstrong

Über den Autor

Thomas Armstrong, Ph.D., ist Autor mehrerer Bücher. Er war früher Sonderschullehrer und hat zahlreiche Beiträge zum Themenbereich Kindererziehung für Zeitschriften wie Ladies‘ Home Journal und Family Circle geschrieben. Er hält Vorträge und Seminare in vielen Ländern und berät zahlreiche Institutionen und Einrichtungen, wie z.B. die »Sesamstraße« oder das »European Council of International Schools«. Er lebt in Sonoma County, Californien.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Vera F. Birkenbihl

Vorwort zur Paperback-Ausgabe

Vorwort

      • ENTMYSTIFIZIERUNG DES ADHS-MÄRCHEN
        • Amerikas neue Lernstörung
        • ADHS: Jetzt ist es da, jetzt ist es weg
        • Warum ADHS eine vereinfachende Antwort auf die Probleme einer komplizierten Welt ist
        • Was an der »guten Pille« gut (und was weniger gut)ist
        • Beherrschen oder Befähigen, das ist die Frage!
      • 50 STRATEGIEN, DIE VERHALTEN UND AUFMERKSAMKEITSSPANNE IHRES KINDES VERBESSERN
        Einleitung

        • Sorgen Sie für ein ausgewogenes Frühstück
        • Denken Sie über einen Versuch mit der Feingold-Diät nach
        • Beschränken Sie die Zeit für Fernsehen und Videospiele
        • Die heilsame Wirkung der Selbstinstruktion
        • Stellen Sie fest, was Ihr Kind interessiert
        • Setzen Sie sich für ein gutes Körpererziehungsprogramm in der Schule Ihres Kindes ein
        • Melden Sie Ihr Kind für einen Kurs in einem asiatischen Kampfsport an
        • Stellen Sie fest, welchen Lernstil Ihr Kind bevorzugt
        • Benutzen Sie Hintergrundmusik zur Förderung der Konzentration und zur Beruhigung
        • Benutzen Sie Farben zur Hervorhebung von Informationen
        • Bringen Sie Ihrem Kind bei zu visualisieren
        • Entfernen Sie Allergene aus dem Speiseplan
        • Geben Sie Ihrem Kind ausreichend Gelegenheit zur körperlicher Bewegung
        • Stärken Sie das Selbstwertgefühl Ihres Kindes
        • Stellen Sie fest, wann Ihr Kind am aufmerksamsten ist
        • Geben Sie Anweisungen so, dass die Aufmerksamkeit Ihres Kindes gefesselt wird
        • Bieten Sie Ihrem Kind eine Vielfalt anregender Lernaktivitäten an
        • Denken Sie über ein Biofeedback-Training nach
        • Fördern Sie aufkeimende Berufsinteressen Ihres Kindes
        • Bringen Sie Ihrem Kind Techniken körperlicher Entspannung bei
        • Nutzen Sie das beiläufige Lernen
        • Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind als vollwertiges Mitglied in eine reguläre Klasse aufgenommen wird
        • Sorgen Sie für positive Rollenmodelle
        • Denken Sie über die Nutzung alternativer Schulangebote nach
        • Ermöglichen Sie den Ausdruck kreativer Energie in Form künstlerischer Aktivitäten
        • Geben Sie Ihrem Kind Gelegenheit zu praktischen Aktivitäten
        • Nehmen Sie sich die Zeit, mit Ihrem Kind in einer positiven Atmosphäre zusammen zu sein
        • Stellen Sie Ihrem Kind adäquaten Raum zum Lernen zur Verfügung
        • Denken Sie darüber nach, ob Ihrem Kind eine psychotherapeutische Einzelbehandlung helfen könnte
        • Nutzen Sie Berührung zur Beruhigung
        • Helfen Sie Ihrem Kind, organisatorische Fähigkeiten zu entwickeln
        • Helfen Sie Ihrem Kind, den Wert persönlicher Anstrengung schätzen zu lernen
        • Sorgen Sie für sich selbst
        • Bringen Sie Ihrem Kind Fokussierungstechniken bei
        • Geben Sie sofort Feedback
        • Ermöglichen Sie Ihrem Kind die Nutzung eines Computers
        • Denken Sie über eine Familientherapie nach
        • Bringen Sie Ihrem Kind bei, Probleme zu lösen
        • Ermöglichen Sie Ihrem Kind, echte Verantwortung zu übernehmen
        • Setzen Sie Auszeiten auf positive Weise ein
        • Helfen Sie Ihrem Kind, soziale Kompetenz zu entwickeln
        • Treffen Sie mit Ihrem Kind Vereinbarungen
        • Nutzen Sie effektive Kommunikationsmethoden
        • Ermöglichen Sie Ihrem Kind echte Entscheidungen
        • Erkennen Sie die vier Arten von Fehlverhalten, und gehen Sie darauf ein
        • Legen Sie konsistente Regeln, Verfahrensweisen und Übergänge fest
        • Halten Sie Familienversammlungen ab
        • Lassen Sie Ihr Kind einem jüngeren Kind etwas beibringen
        • Setzen Sie auf die Wirkung natürlicher und logischer Folgen
        • Behalten Sie stets ein positives Bild von Ihrem Kind

Anmerkungen

Personen- und Stichwortverzeichnis

Aus dem Vorwort von Vera F. Birkenbihl

ICH FREUE MICH, dass dieses wichtige Werk jetzt bei Junfermann auf deutsch erscheint, denn auch bei uns wächst das Bewusstsein, dass es nicht angehen kann, wenn wir ein stetig wachsendes »Heer« an kleinen braven »Ritalin-Soldaten« heranziehen.

Das haben inzwischen auch die Eltern erkannt, aber diese erhielten in der Vergangenheit vorwiegend »Informationen« aus der Pharma-Ecke. Zum Beispiel habe ich mindestens fünf Sendungen im Fernsehen gesehen, bei denen das Zappelphilipp-Phänomen einziges (bzw. Haupt-)Thema war und jedes Mal bekamen diejenigen, die sich für Ritalin aussprachen, drei viertel oder vier fünftel der Sendezeit. Zwar durfte die eine oder andere Kinder-Ärztin oder Therapeutin erwähnen, dass es auch ohne ginge, woraufhin jedoch, rechtzeitig zum Ende der Sendung, wieder ein Pillen-Befürworter das letzte Wort ergriff. Letzte Eindrücke sind bekanntlich bleibende und so kann es uns nicht verwundern, wenn völlig verunsicherte Eltern sich durch solche »bleibenden« Eindrücke beeinflussen lassen.

Aber es gibt inzwischen eindeutige Erfahrungen aus dem »anderen Lager«. Zum Beispiel berichtet die prominente Harvard-Professorin Ellen J. Langer, die sich seit fast drei Jahrzehnten durch brillante Studien (Konzeption und Durchführung) auszeichnet, über ein ADHS-Experiment. Stellen Sie sich vor: Kinder in einem Raum mit einem Fernseher, in den (per Video aus dem Nachbarraum) eine »Sendung« eingespielt wird, die die Kinder bitte ansehen sollen. In einem Fall liegen eine Menge Spielsachen herum, im anderen Fall nicht. In beiden Durchgängen besteht eine Hälfte der Kinder aus ADHS-Kindern, die andere Hälfte aus »nicht verhaltens-auffälligen« Schul- und SpielkameradInnen. Nun passiert folgendes: Wenn Spielsachen herumliegen, lenken die ADHS-Kinder sich selbst von der »Sendung« ab, weil sie andauernd mit irgendeinem Toy herumspielen (und zwar in weit größerem Maß, als die Kinder der Kontrollgruppe). Aber, und das ist das Wesentliche: Ohne Spielsachen verfolgten die ADHS-Kinder diese »Sendung« genau so aufmerksam wie die anderen. Im Klartext: ADHS-Betroffene lassen sich leichter »ablenken«, aber nur, wenn das Angebot zu groß ist, bzw. wenn es weitere, interessantere Ziele gibt, auf die sie ihre Aufmerksamkeit lenken können.

Nun gibt es zwar offiziell ein sogenanntes ADHS-Syndrom, aber »es« ist genau so diffus wie »die sogenannte Legasthenie« (unterschiedliche Bundesländer »entdecken« unterschiedlich hohe Prozentsätze an ihren Schulen!). Ähnlich hier! Es gibt kein eindeutiges »einziges« ADHS-Geschehen, und in der Aufklärung dieses Sachverhaltes liegt ein Teil des hohen Wertes des vorliegenden Buches (auf den anderen Teil kommen wir gleich).

Thomas Armstrong wendet sich an Elternhaus und Schule gleichermaßen. Er hat das ADHS-Syndrom mit zunehmender Sorge wachsen und gedeihen gesehen, das jedoch aus ganz unterschiedlichen Gründen auftreten bzw. das aus unterschiedlichsten Blickwinkeln heraus diagnostiziert werden kann. So wie Sie vielleicht ständig niesen, weil Sie eine Erkältung haben oder weil jemand Niespulver verstreut hat oder weil Sie allergisch auf Pollen reagieren, so gibt es unterschiedliche Hintergründe, aus welchen ähnliche Symptome »sprießen« können. All das erklärt Armstrong in einfacher klarer Sprache, weil er einer jener Menschen ist, die wirklich helfen und heilen wollen.

Ein Teil des ADHS-Syndroms besteht nämlich aus Missverständnissen überforderter bzw. falsch beratener Eltern, ein Teil aus realen Verhaltens-Problemen, zu denen es jedoch unterschiedliche Zugänge gibt. Und, Armstrong hilft, die Unklarheiten von einem Teil der Nebelschwaden zu befreien, denn: Mit Hilfe eines Fragebogens mit einfachen Fragen (z.B. ob das Kind eher vor oder nach Nahrungsaufnahme unruhig wird) können Eltern Zugang zur Situation ihres Kindes bekommen und können einschätzen lernen, welche »Art« von ADHS in diesem Falle wohl zutrifft.

Jetzt kommen wir zu dem zweiten Grund, warum dieses Buch so genial ist. Nach den Erklärungen über die Sachlage (in den ersten Kapiteln) folgt die Schatztruhe dieses Buches: 50 medikamentenfreie Strategien, wobei die Ergebnisse des Fragebogens Ihnen helfen, diejenigen Strategien einzukreisen, die in Ihrem Fall wohl die größte Erleichterung verschaffen können.

Gerade jetzt zeigen neuere Studien auf, dass jahrelange Ritalin-Einnahme möglicherweise zu großen Schäden bei Twens (jungen Erwachsenen) führen könnte. Solange wir noch nicht wissen, ob das stimmt, sollten wir jedes Kind ohne Ritalin aufwachsen lassen, bei dem das geht. Dass bei einer Minderheit ein Medikament vielleicht der letzte Strohhalm ist, mag ja sein, aber man müsste halt wissen, dass es wirklich der allerletzte ist. Wer dieses Buch kennt, hat völlig andere Möglichkeiten einer intelligenten, liebevollen und verantwortungsvollen Entscheidung als zuvor! Deshalb müsste dieses Buch betroffenen Eltern per Rezept »verordnet« werden, aber es wäre auch sinnvoll, es LehrerInnen zur Pflichtlektüre zu machen, damit sie diejenigen Eltern beraten können, die das in diesem Buch beschriebene Insider-Wissen noch nicht besitzen.

Aus dem Vorwort zur Paperbackausgabe

SEIT DER VERÖFFENTLICHUNG der Hardcover-Ausgabe dieses Buches im Jahre 1995 hat sich das ADHS-Phänomen weiter entfaltet, und Anzeichen für ein Abnehmen dieser Tendenz sind nicht zu erkennen. Kürzlich hieß es in einem Artikel des Washington Post Magazine: »Um ADHS ist eine ganze Subkultur entstanden … eine Welt, in der Wissenschaft und Medizin so gründlich mit dem Kapitalismus und der 12-Schritte-Nostalgie verquickt sind, dass man zwischen diesen Bereichen kaum noch unterscheiden kann.« Tatsächlich hat diese Bewegung mit ihren ADHS-Cyberspace-Chat-rooms bei Prodigy und anderen Online-Diensten, ihrem landesweiten Netzwerk von Unterstützungsgruppen und »Coaches« (Menschen, die von ADHS-Geschädigten beauftragt werden, sie an Verabredungen zu erinnern, für sie Terminpläne zu erstellen und dergleichen) und mit ihrem üppigen Wildwuchs an immer neuen Büchern, Systemen, Programmen, Medikamenten und Maschinen zur Behandlung von ADHS eine Technomythologie entwickelt, die mit allem, was Steven Spielberg oder George Lucas je auf die Leinwand gebracht haben, mühelos zu konkurrieren vermag.

Diese Mythologie wird nach wie vor durch Studien genährt, die zu beweisen versuchen, dass ADHS eine medizinische Störung und genetisch bedingt ist. Kürzlich wurde in Zeitungen ein Zusammenhang zwischen ADHS und einem Thrill seeking(»Erregung suchenden«) Gen hergestellt, wobei der Neurotransmitter Dopamin eine Rolle spielt (ein chemischer Botenstoff, der unter anderem bei Belohnungen eine wichtige Funktion hat). Einige Monate später wurde in der gleichen Zeitung berichtet, da man im Rahmen einer in Finnland durchgeführten Studie keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem mit Dopamin in Verbindung stehenden Gen und der Suche nach anregenden neuen Reizen gefunden habe, sei die Validität der Hypothese des »Erregung suchenden« Gens in Frage gestellt. Diese ganze Angelegenheit lenkt den Blick auf ein umfassenderes Problem: dass Wissenschaftler und Medien mit vereinten Kräften komplexe menschliche Verhaltensweisen auf einzelne Gene oder Gruppen von Genen zu reduzieren versuchen. Bei dem Bemühen, menschliches Verhalten mit der Beschaffenheit bestimmter Gene zu erklären, bleibt nur zu oft außer Acht, dass auch die persönliche Erfahrung eines Menschen genetische Strukturen beeinflussen kann. An der McGill University wurde nachgewiesen, dass die für bestimmte Gehirnrezeptoren zuständigen Gene sich bei neugeborenen Ratten verändern lassen, indem man die Babys sechs Stunden täglich von ihrer Mutter trennt, was sie unter starken Stress setzt. Obwohl solche Studien natürlich aus ethischen Gründen nicht an Menschen durchgeführt werden können, wurde eine positive Korrelation zwischen ADHS-Diagnosen und problematischen familiären Situationen (beispielweise in Form ehelicher Zwistigkeiten, psychischer Störungen bei den Eltern, Einweisung eines Kindes in eine Pflegefamilie und besonders große Familien) nachgewiesen. Solche Erkenntnisse befinden sich im Einklang mit der Auffassung, dass frühe Traumaerlebnisse innerhalb der Familie die biochemischen Muster eines Kindes signifikant beeinträchtigen können. Einfach zu sagen, ADHS sei genetisch bedingt, lässt Umweltfaktoren außer Acht und könnte Eltern und alle, die beruflich mit Kindern zu tun haben, dazu verleiten, Möglichkeiten der positiven Einflussnahme auf die Umwelt von Kindern zu unterlassen, die sich positiv auf biochemische und genetische Strukturen auswirken können.

Leseprobe

Der ADHS-Mythos: Falls Ihnen eines der vielen von Ärzten, Psychologen oder besorgten Eltern geschriebenen neuen Büchern über ADHS in die Hände fällt, werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass darin versucht wird, Sie zum Glauben an das ADHS-Märchen zu bekehren. Man drängt Sie zur Annahme, bestimmter Überzeugungen bezüglich der Verhaltens- und Aufmerksamkeitsprobleme einer spezifischen Gruppe von Kindern. Bevor wir einige der mit dieser Perspektive verbundenen Probleme untersuchen, möchte ich diesen Mythos kurz beschreiben:

ADHS ist eine neurologische Störung, wahrscheinlich genetischen Ursprungs, die 3-5 Prozent aller amerikanischen Kinder (insgesamt etwa zwei Millionen Kinder) befällt. Die Zahl der Jungen, die unter dieser Störung leiden, ist signifikant höher als die der Mädchen, doch da das Problem heute immer häufiger auch bei Mädchen entdeckt wird, basiert die bisherige Annahme, ADHS trete bei Mädchen seltener auf, wohl teilweise darauf, dass das Problem bei ihnen nicht entdeckt wurde. ADHS hat drei charakteristische Merkmale: Hyperaktivität (z.B. Herumzappeln, übermäßiges Laufen und Klettern, Verlassen des Arbeitsplatzes im Klassenraum), Impulsivität (z.B. ungefragtes Herausplatzen mit Antworten während des Unterrichts, Unterbrechen anderer Schüler, nicht abwarten können, bis man an der Reihe ist), und Unaufmerksamkeit (z.B. Vergesslichkeit, Desorganisiertheit, Verlieren von Gegenständen, Flüchtigkeitsfehler). Zur Zeit unterscheidet man bei Kindern drei Arten von ADHS-Fällen: eine Gruppe, die in stärkerem Maße hyperaktiv/impulsiv ist, eine zweite, bei der die Unaufmerksamkeit dominiert, und eine dritte, bei der alle drei genannten Charakteristika miteinander verbunden sind. Es gibt keine Laboruntersuchungen zur Diagnose dieser Störung. Die Beurteilung erfolgt aufgrund eines Interviews mit Eltern, Kindern und Lehrern, einer gründlichen medizinischen Untersuchung und des Einsatzes spezieller Messverfahren zur Verhaltensbeurteilung sowie durch Leistungstests.

Eine Methode zur definitiven Heilung von ADHS ist bisher nicht bekannt, doch lässt sich das Problem meist erfolgreich mit psychoaktiven Medikamenten behandeln (gewöhnlich Methylphenidat-hydrochlorid, allgemein unter dem Namen Ritalin bekannt, jedoch auch mit anderen Mitteln, darunter Psychostimulanzien, Antidepressiva und Antikonvulsiva), sowie durch Verhaltensmodifikation, eine speziell strukturierte Klassensituation, spezielle Instruktion der Eltern sowie nötigenfalls Beratungssitzungen. Eine konkrete Ursache für ADHS ist nicht bekannt, doch vermutet man zur Zeit, dass biochemische Unregelmäßigkeiten in den für Aufmerksamkeit, Planung und motorische Aktivität zuständigen Hirnbereichen das Auftreten der Störung beeinflussen.

Kinder, die unter ADHS leiden, können in der Schule große Schwierigkeiten haben, unter einem schwachen Selbstwertgefühl leiden, sich im Umgang mit Gleichaltrigen schwer tun und zu Hause Probleme mit der Anpassung an Regeln haben, was oft Konflikte mit den Eltern nach sich zieht. Einige ADHS-Kinder leiden außerdem unter Lernstörungen, Verhaltensstörungen (destruktivem und/oder antisozialem Verhalten), Tourette-Syndrom (einer Störung, für die unkontrollierbare verbale »Tics« charakteristisch sind) und oder starken Stimmungsschwankungen einschließlich Depression und Angst. Bei manchen Kindern scheint ADHS um die Zeit der Pubertät zu verschwinden, doch besteht bei der Hälfte der Diagnostizierten die Gefahr, dass die Störung lebenslang bestehen bleibt.

Das Buch Das Märchen vom ADHS-Kind besteht aus zwei Hauptteilen. Im ersten versuche ich, den Geist des Lesers von den verhexenden Wirkungen des (von mir so genannten) ADHS-Märchens zu befreien. In Kapitel 1 arbeite ich heraus, worum es sich bei dem ADHS genannten Phänomen tatsächlich handelt: um ein Resultat des Zusammenwirkens der Einflüsse von Elterninteressengruppen, gesetzgeberischen Bestrebungen, psychologischen Untersuchungen, Fortschritten der pharmakologischen Forschung und psychiatrischen Diagnosen. ADHS ist kein Virus, das jahrhundertelang in den Gehirnen unserer Kinder »gelauert« hat und auf seine Chance, aktiv zu werden, gewartet hat, sondern eine Erfindung, die hauptsächlich in den Laboratorien für kognitive Psychologie der Universitäten unseres Landes (und Kanadas) entstanden ist und anschließend durch die American Psychiatric Assiciation, das U.S. Department of Education und die chemischen Laboratorien großer pharmazeutischer Unternehmen auf der ganzen Welt verbreitet und zum Leben erweckt wurde.

Kapitel 2 untersucht das schemenhafte Wesen dieser sogenannten Störung- die einem UFO gleich hier und da im Kreis ihrer Verfechter auftaucht, sich jedoch nie als eine definitiv nachweisbare Krankheit wie Polio, Herzbeschwerden oder andere bekannte gesundheitliche Probleme manifestiert.

In Kapitel 3 werden verschiedene Erklärungen für jene heute bei Kindern auftretenden Verhaltens- und Aufmerksamkeitsprobleme beschrieben, die gewisse »Experten« einer von ihnen als ADHS genannten Störung zuschreiben. Einer der problematischsten Aspekte der Diagnose ADHS ist, dass die Heilige Dreifaltigkeit der Symptome Hyperaktivität, Ablenkbarkeit und Impulsivität schier allgegenwärtig ist und durch eine Vielzahl von Ursachen entstehen kann.

Beispielsweise kann ein Kind unter Aufmerksamkeits- oder Verhaltensproblemen leiden, weil es sich in der Schule langweilt, weil seine Familie sich in einer Krise befindet, weil seine bevorzugte Art zu lernen in seiner Schule nicht zu ihrem Recht kommt, weil es eine Milchallergie hat, weil sein Temperament nicht dem Temperament seiner Eltern entspricht oder weil es ängstlich oder depressiv ist. In Kapitel 3 beschäftige ich mich mit diesen und weiteren Möglichkeiten, die Ursachen der ADHS-Symptome zu erklären, und beschreibe, weshalb die selbsternannten ADHS-Experten uns keine genaue Auskunft darüber geben, wo die Wirkung der von mir genannten Faktoren endet und wo ADHS beginnt.

Kapitel 4 beschäftigt sich mit der medikamentösen Behandlung von ADHS: was gut daran ist und welche Probleme damit verbunden sein können. Obwohl mir klar ist, dass ich die Erwartungen einiger enttäuschen werde, trete ich nicht dafür ein, bei der Behandlung von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen generell völlig auf den Einsatz von Medikamenten zu verzichten. Dem steht entgegen, dass ich von Eltern und Lehrern zahlreiche Berichte über die positive Wirkung eines maßvollen Einsatzes solcher Mittel gehört habe. Andererseits beunruhigt mich, dass und in welchem Maße psychoaktive Medikamente in unserer Gesellschaft zur bevorzugten Methode der Behandlung von Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen geworden sind. Je mehr Eltern versuchen, solche Probleme, wenn sie bei Kindern auftreten, mit Hilfe von Psychopharmaka zu lösen, um so wahrscheinlicher wird, dass sie sich mit Interventionsmöglichkeiten anderer Art auch nur auseinandersetzen. Genau dies gab mir den entscheidenden Anstoß für den Beginn der Arbeit am vorliegenden Buch. Als ich 1989 auf der Bühne eines Highschool-Auditoriums im Staate New York sagte: »Ich bin mir nicht sicher, ob sich das Gros der betroffenen Eltern darüber im klaren ist, wie viele nichtmedikamentöse Ansätze zur Behandlung solcher Probleme es gibt«, wurde ich durch Buh-Rufe gezwungen, meinen Vortrag abzubrechen. Nachdem ich in jener Situation »in Deckung« gegangen war, erkannte ich die Notwendigkeit, in einem Buch über die zahlreichen nichtmedikamentösen Möglichkeiten zur Verbesserung der Aufmerksamkeit und des Verhaltens von Kindern zu informieren.

Kapitel 5 untersucht die von ADHS-»Experten« empfohlenen nichtmedikamentösen Alternativen. Angesichts der Kürze dieser Liste ist mir heute klar, weshalb jene New Yorker Eltern so heftig auf meine Äußerung reagierten: Ihre Kenntnisse beschränkten sich auf die Empfehlungen, die ADHS-Experten in der einschlägigen Ratgeberliteratur geben. Und die Dürftigkeit der dort gutgeheißenen Möglichkeiten ist wahrlich verblüffend. Offenbar wird jede Behandlungsmethode, deren Wirksamkeit sich nicht durch eine plazebo-kontrollierte Doppelbind-Studie »beweisen« lässt, von vielen dieser »Fachleute« abgelehnt. Doch dies ist nur einer der Gründe, aus denen letztendlich nur zwei Behandlungsarten, nämlich Medikamente und Verhaltensmodifikation, generell empfohlen werden.

Das Märchen vom ADHS-Kind ist als Gegengift zum Konservatismus der Weltanschauung von ADHS-Gläubigen gedacht. Sie finden in diesem Buch reichhaltige und vielfältige Sammlung von Strategien, Ressourcen, Aktivitäten und Übungen, die unter Verhaltens- und Aufmerksamkeitsproblemen leidenden Menschen helfen können, mit ihren zahlreichen Problemen fertig zu werden. Ich möchte Sie dazu anregen, die in Ihrem Kind schlummernden unermesslichern Schätze zu heben und ihm bei der Erschließung und Nutzung seiner kreativen Energien zu helfen. Die Existenz momentaner Hindernisse auf dem Weg dorthin streite ich keineswegs ab, doch halte ich jene einschränkenden Überzeugungen, die Verfechter des ADHS-Märchens über das wahre Wesen Ihres Kindes und seine Chancen im Leben verbreiten, für eines der größten temporären Hindernisse.

Pressestimmen

»Thomas Armstrong erinnert mich mit seinem Buch The myth of the ADD-Child an den tapferen Menschen, der enthüllte, dass der Kaiser keine Kleider trug.« ? Jeffrey Freed in: »Zappelphilipp und Störenfrieda lernen anders« (Campus-Verlag)

»Die Enthüllung, dass es ADHS als deutlich unterscheidbare nachweisbare Erkrankung nicht gibt, ist der eine ? kürzere ? Teil des Buches (60 Seiten). Wesentlich größeren Raum nimmt die Darstellung der Strategien ein, die nützlich sein könnten, um »Verhalten und Aufmerksamkeitsspanne Ihres Kindes (zu) verbessern«. Das macht deutlich, dass es Thomas Armstrong in erster Linie um Hilfestellung und Unterstützung für die Eltern geht, die unter dem Verhalten ihrer Kinder und mit ihren Kindern leiden. Aber auch für TherapeutInnen ist die Lektüre zu empfehlen. Was den Autor am Phänomen ADHS am meisten stört, ist die Betonung des Defizitären, die Abstempelung von sehr vielen Kindern durch ein psychiatrisches Krankheitsbild. Hinzu kommt eine Behandlung, die auf »die gute Pille« plus Verhaltenstherapie plus evtl. Eltern-Training standardisiert wurde ? und im schlechtesten Fall auf Medikation reduziert wird. Demgegenüber orientiert sich Armstrong an der Lebendigkeit und den Fähigkeiten der Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen und auf verschiedenem Hintergrund in ihrem Verhalten als Kinder mit ADHS-Symptomatik auffällig werden. Durch Querverbindungen zu allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen und Themen macht der Autor deutlich, dass es beim Umgang mit den Problemen, die ADHS-Kinder machen und haben, auf eine persönliche Entscheidung hinausläuft, ob Veränderung über Beherrschen oder Befähigen gesucht wird ? der Autor plädiert für Letzteres.« ? Systhema

»Eine revolutionäre neue ADHS-Konzeption.« ? Thomas Gordon, Autor des Bestsellers »Familienkonferenz«

»Dieses Mut machende, vielfältige und weise Buch wird mehr Gutes bewirken als ein ganzer Schrank voller ungeeigneter Rezepturen.« ? Shari Lewis

»Armstrong tut mehr, als dem Leser nur zu erklären, was an der Diagnose ADHS nicht stimmt. Er beschreibt innovative Lösungen von Verhaltensproblemen, die allesamt ohne Pharmaka auskommen. Dieses Buch ist Pflichtlektüre für Eltern, die nach ungefährlichen Lösungen für den Umgang mit einem schwierigen Kind suchen.« ? Prof. Diane McGuiness

NAGEL-Redaktion – Gedenk- und Aktionstage

Gedenktage werden von diversen Organisationen, etwa der UNO, der UNESCO, den Kirchen, Staatsregierungen, aber auch von Interessengruppen ausgerufen. Eine Auswahl solcher Tage finden Sie hier veröffentlicht. Möglicherweise können Sie die Hinweise als Anregungen für Projekte oder Aktionen verwenden, die in Ihrer Einrichtung stattfinden.

Seitens des ABA Fachverbandes ist geplant, künftig einen nordrhein-westfälischen „Tag der Spielplatzpaten“ einzuführen. Hierzu werden wir zu gegebener Zeit berichten.

ABA Fachverband

Januar

27. Januar: Holocaust-Gedenktag (Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus) – In Deutschland eingeführt 1996, international seit 2005 (UNO).

Februar

6. Februar: Internationaler Tag gegen MädchenbeschneidungMehr Info

12. Februar: Internationaler Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten – Eingeführt 2002, ausgerufen durch die „International Coalition to Stop the Use of Child Soldiers“.

20. Februar: Welttag für soziale Gerechtigkeit – 2009 ausgerufen von der UNO

21. Februar: Internationaler Tag der Muttersprache – Eingeführt 2002 durch die UNESCO.

März

8. März: Internationaler Frauentag (Weltfrauentag) – Seit 1910 (Initiatorin: Clara Zetkin), 1997 durch die UNO ausgerufen.

21. März: Internationaler Tag für die Beseitigung von Rassendiskriminierung – 1967 von der UNO ausgerufen. Gleichzeitig beginnt an diesem Tag die jährliche Woche gegen Rassismus und Rassendiskriminierung.

22. März: Weltwassertag (Tag für sauberes Wasser und Gewässerschutz) – 1993 von der UN-Vollversammlung ausgerufen.

April

Letzter Donnerstag im April: Mädchen-Zukunftstag (früher veralbernd „Girl’s Day“ genannt) – 2001 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung eingeführt.
Parallel dazu findet – auf Initiative des Paritätischen Bildungswerks – der Soziale Tag für Jungen statt.

2. April: Internationaler Kinderbuchtag – 1967 auf Initiative des IBBY (International Board on Books for Young People) eingeführt.

16. April: Tag gegen Lärm (International Noise Awareness Day) – In Deutschland organisiert von der Deutschen Gesellschaft für Akustik e.V. (DEGA)

30. April: Internationaler Tag für gewaltfreie Erziehung – 2003 erstmalig vom Deutschen Kinderschutzbund ausgerufen

Mai

1. Mai: Tag der Arbeit – 1889 vom Gründungskongress der 2. Internationale eingeführt, seit 1919 in Deutschland gesetzlicher Feiertag.

3. Mai: Internationaler Tag der Pressefreiheit – 1991 von der UNESCO angeregt, 1992 von der UNO eingeführt.

5. Mai: Europatag – Jahrestag der Gründung des Europarats (1949).

15. Mai: Internationaler Tag der Familie – 1994 von der UNO eingeführt.

23. Mai: Tag des Grundgesetzes – Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.

28. Mai: Weltspieltag – 2008 ausgerufen vom Bündnis Recht auf Spiel.

Juni

1. Juni: Internationaler Kindertag – Tradition in China, den USA und früher (seit 1950) in der DDR. Der Weltkindertag wird gegenwärtig am 20. September begangen.

4. Juni: Internationaler Tag der Kinder, die unschuldig zu Aggressionsopfern wurden – Von der UN-Vollversammlung 1982 beschlossen.

12. Juni: Welttag gegen Kinderarbeit – Seit 2002, ausgerufen von der ILO (International Labour Organization – Internationale Arbeitsorganisation).

16. Juni: Tag des afrikanischen Kindes (Youth Day) – 1991 von der OAU (Organisation für Afrikanische Einheit) ausgerufen, inzwischen UNICEF-Gedenktag.

20. Juni: Weltflüchtlingstag – 1995 von der UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) ausgerufen, bis 2000 Tag des afrikanischen Flüchtlings.

26. Juni: Internationaler Tag zur Unterstützung der Folteropfer – 1998 von der UNO ausgerufen.

Juli

1. Juli: Intact Day (Gedenktag gegen Genitalverstümmelung von Kindern)

August

12. August: Internationaler Tag der Jugend (Weltjugendtag) – ausgerufen von der UNO

September

2. Samstag im September: Tag der deutschen Sprache – seit 2001, unter anderem ausgerufen vom Verein Deutsche Sprache.

1. September: Antikriegstag – 1985 unter anderem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) eingeführt.

8. September: Weltbildungstag – 1967 von der UNESCO eingeführt.

12. September: Tag der deutschen Sprache

20. September: Weltkindertag (in Deutschland), international am 1. Juni bzw. am 20. November.

21. September: Weltfriedenstag – eingeführt anlässlich des früheren Eröffnungsdatums der UN-Generalversammlung.

26. September: Europäischer Tag der Sprachen – eingeführt von der WTO (Welthandelsorganisation).

Oktober

3. Oktober: Tag der Deutschen Einheit – seit 1990 gesetzlicher Feiertag in Deutschland.

7. Oktober: Welttag für menschenwürdige Arbeit – ausgerufen vom Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB), erstmalig begangen 2008.

10. Oktober: Internationaler Tag gegen die Todesstrafe – 2008 zum ersten Mal u.a. von der EU begangen, von der 2002 gegründeten „World Coalition against Death Penalty“ (WCADP) ins Leben gerufen wird er in Form einer internationalen Koalitition unterstützt u.a. von „amnesty international“, Anwaltskammern, Gewerkschaften, lokalen und regionalen Behörden sowie vielen Nichtregierungsorganisationen. „amnesty international“ beging ihn erstmals 2003.

17. Oktober: Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut – 1992 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen proklamiert, initiiert 1987 von Joseph Wresinski.

November

3. November: Weltmännertag

9. November: Gedenken an die Reichsprogromnacht

20. November: Weltkindertag (international) – von der UNICEF ausgerufen (auch 20. September in Deutschland und 1. Juni).

25. November: Internationaler Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen – von der UNO 1960 ausgerufen.

Dezember

5. Dezember: Internationaler Tag des Ehrenamts – seit 1986 (früher am 2. Dezember), von der UNO 1985 proklamiert .

10. Dezember: Internationaler Tag der Menschenrechte – 1947 von der UNO ausgerufen zur Erinnerung an die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.


UN-Menschenrechtserklärung

18. Dezember: Internationaler Tag der Migranten – von der UNO deklariert.

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NAGEL-Redaktion – Wir leben vom Judentum und vom Griechentum

„Seit ein Gespräch wir sind …“ (Hölderlin) 

Die Besinnung auf die Herkunft unserer Kultur anhand einiger Fragen an das Labyrinth von Knossos in Kreta, das für die pädagogische Umsetzung im Erfahrungspark des SJC Hövelriege Verwendung fand, ist Teil eines größeren Werkes über „Produktionsfaktoren und Lernen“ von Prof. Willy Bretschneider. Die Bilder sind von Nikolaus Vollmer


Mit Lévinas können wir sagen: Wir leben vom Judentum, und wir leben von den Griechen, und das Leben von beiden ist unser Genuss.

Es ist unser Genuss nicht erst, wenn wir ihre Schriften studieren und ihre Sprachen beherrschen, wenn wir also die antiken Lern- und Lehrstoffe in uns aufgenommen haben. Wir leben vielmehr jederzeit von den jüdischen und griechischen Kulturen; und das kann nur heißen: Wir atmen jüdischen und griechischen Geist in einer Atmosphäre, die durch und durch von ihren Bemühungen, die Welt zu verstehen, getränkt ist. Das Weltverständnis der Griechen und Juden ist unser Milieu. Ob wir es eingestehen wollen oder nicht, ob es uns bewusst ist oder wir nur unbewusst in ihrem Geist dahindämmern, ob wir besondere Anstrengungen unternehmen, ihre Gedanken zu erschließen, oder nur Opfer ihrer schlimmsten Auswirkungen sind, wir leben von ihnen, von ihren Geschichten und Mythen, von ihren Ideen und der Art ihres Denkens, von ihren Worten und Begriffen und von der Art, sie miteinander zu kombinieren. „All dies sind keine Gegenstände der Vorstellung. Wir leben davon.“ (1) 

Das, was wir uns von beiden Denkansätzen vorstellen und vorstellen könnten, wenn wir ihre Texte lesen und studieren, ist bei allem ernsthaften Bemühen um Wiederholung ihres Weltverständnisses wenig im Verhältnis zu dem, wovon wir leben. Jede Geschichtsepoche erschließt Anderes und Neues und sorgt so für immer radikalere Renaissancen der vorchristlichen Kulturen, Renaissancen von Tiefenschichten, die dem alltäglichen Bewusstsein unbekannt waren und sind. 

Anders ausgedrückt: Es gibt Tiefenschichten im geistigen Leben der Juden und Griechen, die unserem bewussten Umgang mit ihnen verborgen sind, die aber erschlossen werden können oder müssen, wenn wir deren Potentiale für die Bewältigung der gegenwärtigen Krisen nutzen wollen. 
Wir leben vom Judentum und von den Griechen in einer Weise, die über das hinaus geht, was bei der bewussten Übernahme ihrer Gedanken in der abendländischen Geschichte angestoßen worden ist. Aus beiden Kulturbereichen hat sich das christliche Abendland so gebildet, dass es sich mit seinen Erkenntnissen von dem, was ist, und mit seinen Vorschriften für ein ideales Leben noch längst nicht all dem genähert hat, was im Judentum und in der griechischen Philosophie angefangen wurde und deren Entwicklung in der Zukunft noch möglich ist. Die unterschwelligen Potentiale aus beiden Kulturkreisen müssen und können in der Gegenwart erschlossen werden, wenn die Isolation des Menschen im elementaren Lebensbereich, der in der Gegenwart vor allem durch die Herrschaft des Geldes angezeigt ist, aufgehoben werden soll.

Judentum und Griechentum beginnen in ihrer wesentlichen, die spätere Geschichte prägenden Form mit alltäglichen Gesprächen, und deshalb kann die Dimension dessen, was für die Gegenwart aus ihrem Denken neu geschöpft werden kann, nur durch Alltagsgespräche erreicht werden. Alles studierende Umgehen mit antiken Texten muss aus den akademischen Gefilden in die Alltagsgespräche der Straßen und Plätze und Märkte verlagert werden und muss in verständlichen Formen den Mann und die Frau auf der Straße erreichen. Schließlich ist die Kategorienlehre des Aristoteles auf der Agora, dem Marktplatz der Städte, vor allem Athens, entstanden.

Dort hat Sokrates die Jugend der Polis mit seinen rhetorischen Disputen erreicht und sie durch Vorbild und Ermahnung vom übermäßigen Alkoholkonsum befreit, ohne nüchtern zu werden. Er hat sie gelehrt, auf philosophische Fragen Antworten zu geben, die ihrem Leben Sinn verleihen. Für die Juden geben die Rabbiner ihren Schülern Rede und Antwort, damit ein ethisch geregeltes Leben in Israel möglich ist. In beiden religiös-politischen Bereichen sind es die Lehrer im Gespräch mit Schülern, die aus unmittelbarer Nähe die Kulturen stiften und sich nicht in Elfenbeintürmen verbarrikadieren. Es muss heute an den Schulen eine Lernatmosphäre entstehen, von der ethische Einflüsse auf die Gestaltung des alltäglichen Lebens ausgehen. Nicht die Forschungsergebnisse der Universitäten und Institute, die über Fachleute und Medien, vermittelt durch die Werbung, in die Straßen und Wohnungen der Menschen gelangen, dürfen die Lebensgewohnheiten der Menschen beeinflussen, sondern das Lernen an Schulen und außerschulischen Instituten, z. B. in Vereinen, muss sich auf jüdische und griechische Themen so konzentrieren, dass die politischen Verhältnisse aus deren verborgenen Schätzen leben. 

In der Zweite(n) Lektion, Asylstädte (2) tritt E. Lévinas mit einer selten geäußerten Radikalität für kollektive Gespräche ein, indem er ebenso radikale Texte der Rabbiner zitiert: „Das wahre Denken ist kein ‚stiller Dialog der Seele mit sich selbst‘, sondern Diskussion zwischen Denkern. … ‚ Schwert über (oder Krieg gegen) die Lügenhändler (Geschichtenerfinder), sie verlieren den Kopf‘“ (3). Die Einzelgänger werden verurteilt und mit dem Schwert bestraft; wer für sich alleine studiert, wird ein Feind Israels genannt oder, schlimmer noch, als töricht und närrisch entlarvt. Als Lügenhändler und Geschichtenerfinder, Eigenbrötler und Lügner werden die Einzelgänger bezeichnet. Und dann wird ein Vers formuliert, der wie ein Schwert niedersaust: „Hütet euch vor den Verstiegenheiten der für sich Bleibenden, die ihre ‚genialen‘ Ideen nicht durch Diskussionen mit anderen überprüfen!“ Lévinas fügt hinzu: „Vorsicht vor dem Stumpfsinn des Isolierten und vor seinem sündhaften Hochmut!“ (4) 

Denken ist nur als Dialog möglich. Auch wenn wir keine Gesprächspartner haben, formulieren wir unsere Gedanken in Sätzen und Aussagen, die Antworten und Gesprächspartner suchen. Denken ist nie sprachlos, und Sprache ist immer Gespräch. Deshalb muss das studierende Lernen in Gesprächen stattfinden und nicht in Bachelor- und Masterkursen. 

Weil wir von den Griechen und Juden leben, leben wir von Gesprächen, und wenn wir nicht sprechen, leben wir nicht und zerstören das Leben der Anderen. Wir leben vom jüdischen und griechischen Denken, und wenn wir uns deren Denken nicht im Gespräch erschließen, verspielen wir ein gutes Stück unseres gemeinsamen Lebens, das eben jüdisch und griechisch ist. 

Darum müssen sichtbare Monumente in allernächster Umwelt geschaffen werden, die zu Gesprächen anregen und die alle Sinne der Kinder und Jugendlichen ansprechen und sie darauf stoßen, was jüdisch und griechisch in unserem Leben ist. Es müssen Räume gestaltet werden, deren Herstellung und Gebrauch griechisches und jüdisches Leben erschließen. Durch die Arbeit an den kulturellen Zyklen der Geschichte wird sowohl der antike Hintergrund als auch der Untergrund des gegenwärtigen Lebens erschlossen. Der Umgang mit Geschichte ist nicht nur in den Schulen zu pflegen, sondern muss auf jedem Kinderspielplatz selbstverständlich sein, damit er in den Gesprächen präsent wird und die Schulwirklichkeit verändert. Die Schulen müssen sich wandeln und statt des lehrer- und datenzentrierten Unterrichts kollektives Erarbeiten von Sinnzusammenhängen durch Schüler ermöglichen.

Für den Unterricht in griechischer Kultur könnte das folgendermaßen aussehen:

Minoische Kultur ist von mykenischer, mykenische von klassischer Kultur zu unterscheiden. Deren Merkmale, Geschichten und Namen sind von den Schülern zu erarbeiten und zu benennen, so dass für das unterschiedliche Wesen dieser Epochen Verständigungsweisen zu wecken sind. Alle Ergebnisse können von den Schülern im Unterricht selbständig vorgetragen, bildlich dargestellt und in Gebäuden errichtet werden. Die Schüler haben die Möglichkeit, in dem, was sie von den Griechen lernen, umher zu gehen, es zu bestaunen und zu verändern. Schüler sind dann wieder Peripatetiker im griechisch-aristotelischen Sinn (5). Solche Lerngänge (6) können zur Produktion von Wissen und Einsicht vorbereitet werden. 

Das Labyrinth des Dädalus und seine mögliche Bedeutung für die Pädagogik 

Durch einen Exkurs über das, was die Griechen mit der Vorstellung vom Labyrinth und der Euklidischen Geometrie für das abendländische Denken entworfen haben, soll erklärt werden, was solche Lerngänge bewirken können, wenn sie in die Gebiete vordringen, von denen wir leben. 

„Alle drei Formen des L(abyrinths) lit.(erarisch); visuell; tänzerisch gehen wahrscheinlich auf eine bisher nicht erklärte Urform des L(abyrinths) zurück, die nach unterschiedlichen Deutungen den menschlichen Körper, insbesondere den weiblichen Uterus, die Unterwelt (verbunden mit initiatorischen Riten) oder die stilisierte Form eines Stadtplans oder gar eine Nachbildung der Laufbahn von Himmelskörpern darstelle.“ (7) 

Die bisher nicht erklärte Urform des Labyrinths muss eine Nachbildung der Irrwege in die Natur sein, die ein Irren als Verirren in Urwäldern und Wüsten kennt, aus denen Rückwege schwer zu finden sind. Die Ableitung von Labrys, Streit- oder Doppelaxt, muss ja nicht erst kriegerischen Ursprungs sein, sondern kann auf ein bahnendes Werkzeug in die undurchdringlichen Waldbestände in einer lange vergangenen Urzeit verweisen.

Der Verweis auf den weiblichen Uterusdie Unterwelt oder in anderen Zusammenhängen die Vorstellung eines weitverzweigten Bergwerks oder von unterirdischen Höhlen erhärtet die These vom Ursprung des Labyrinths aus der primären Begegnung des Menschen mit der menschlichen und außermenschlichen Natur. Die stilisierte Form eines Stadtplans oder gar eine Nachbildung der Laufbahn von Himmelskörpern lassen auf einen Zusammenhang mit der minoischen Kultur schließen, die vom Marktplatz oder vom unregelmäßigen Grundriss der Städte aus die Vorstellung eines Labyrinths entwickelt haben. Beides sind Bauformen, die keinem von oben (von den Burgen aus) entworfenem Plan folgen, sondern agglutinierender (verklumpender)  Bauweise folgend Stand an Stand und Haus an Haus fügen und so ein Zurechtfinden im Wirrwarr von Angeboten äußerst erschweren. 

Das Labyrinth des Dädalus in Knossos, dem Mittelpunkt der Minoischen Kultur, kann als Anfang des geordneten geometrischen Denkens, das von oben (den Burgen) oder von den Sternen aus Orientierungshilfen geschaffen hat, deutlich gemacht werden. Wenn es auch nicht das erste Labyrinth ist, von dem Spuren gefunden worden sind, so erfahren wir doch durch den Mythos das Wesentliche von ihm: Zunächst sind es weit verzweigte Gänge, die wie Höhlen von Dädalus, dem kundigen Baumeister, in den Fels gebaut wurden, damit in seinem Mittelpunkt ein Gefängnis für den Minotaurus entstand. Der Minotaurus konnte nicht entkommen, weil er den Weg zum Ausgang nicht fand. Die Ausweglosigkeit des Labyrinths erinnert an die Schwierigkeit, der Natur zu entkommen, wenn man sich in ihr in einer Zeit verlief, in der noch kein Orientierungssystem gefunden war, das sicheres Weiterkommen garantierte. 

Der Gesichtspunkt von oben, von der Burg oder von den Himmelskörpern aus, ist die Voraussetzung dafür, dass Landkarten oder geometrische Zeichnungen für die Orientierung zu Wasser und zu Land oder für das Bauen entworfen werden konnten. Die Handelsbeziehungen mit Babylonien und Ägypten sprechen dafür, dass deren astronomische Erfahrungen Einfluss genommen hatten auf die Kenntnisse der Kreter. 

Durch beides: die ausweglose Ordnung des Labyrinths und die Entwicklung des geometrischen Denkens als Orientierungshilfe, für das Euklids more geometrico eine entscheidende Wegmarke bedeutete, kommt die Natur in den vermessenen Griff. 

Vom Irrgarten, der die tatsächlichen Irrgänge in der menschlichen und außermenschlichen Natur beschreibt, zum Labyrinth, das die Irrgänge mythologisch überhöht oder geometrisch vermisst, geht die Entwicklung, nicht umgekehrt. Die zahlreich im 16. Jahrhundert entstandenen Irrgärten zur Unterhaltung der reicheren Bürger und des Adels könnten das Gegenteil nahelegen. Das irrende Gehen im Garten verbindet das Herumirren in fremder Natur, das zum Unterhalt des Lebens und zur Sicherung der Lebensbedingungen notwendig war, mit dem Lustwandeln in einem verwandelten Stück Land zur riskanten und aufregenden Unterhaltung von Menschen, die sonst in gesicherten Verhältnissen leben. Das Risiko des zu verpassenden Ausweges ist die Bedingung für das prickelnde Abenteuer der Bürger, das darin besteht, nicht zu wissen, wo es lang geht (8). Ein raffiniertes System aus Hecken und Zäunen schafft immer wieder neue Möglichkeiten zu entscheiden, welche Richtung man gehen will. Das lebt von der Erinnerung an ursprüngliche Natur, in der das Irren tödlich enden konnte, und an die Labyrinthe der frühen Geschichte, in denen die im Labyrinth irrenden Gefangenen aus Theben vom Minotaurus gefressen werden konnten. Doch das ist schon Mythos. 

Die Berichte unter dem Stichwort Labyrinth im Kleinen und Neuen Pauly und in Wikipedia schildern das Wesen der Labyrinthe in Analogie zur menschlichen, unter- oder überweltlichen oder menschlich gestalteten Natur: drei Formen des Labyrinths gibt es: literarisch, visuell, tänzerisch. Sie stellen den menschlichen Körper, insbesondere den weiblichen Uterus, die Unterwelt oder die stilisierte Form eines Stadtplans oder gar eine Nachbildung der Laufbahn von Himmelskörpern dar. 

Literarisch sind die Texte selber, die vom Labyrinth in Knossos u.a. in mythologischer Sprache berichtet werden. Visuell sind die Labyrinthe auf den Fußböden der Tempel und Kathedralen, der Fürsten- und Geschäftshäuser des Adels, und tänzerisch sind die zur Beschwörung der Geister, wie der „Jungfrauentanz in Trojaburgen“ oder „Labyrinthtanz zum Ostersonntag von Geistlichen in den mittelalterlichen Kathedralen“ (Wikipedia). Auch der „von Theseus gestiftete Kranichtanz der Delier“ (Der Kleine Pauly) hat kultischen Charakter. 

Wenn der menschliche Körper, insbesondere der weibliche Uterus, als Labyrinth bezeichnet wird, spiegelt das die Angst der vor allem männlichen Interpreten vor dem Inneren des Menschen und dem Uterus der Frau wieder, in das einzudringen Wissenschaft und Empirie sich lange Zeit nicht trauten, obwohl ihre Praxis ebenso lange schon eine andere war. 

Die Unterwelt kann man nicht kennen, man stellt sie sich vor als Labyrinth von Höhlen und Bergwerken, die unterirdische Schätze verbargen, zu deren Bergung und Erkundung erfahrene Bergleute und Ärzte die geheimen Wege kennen lernen mussten.

Die verschlungenen Straßen und Wege der Städte waren solange ein schwer zu durchdringendes Labyrinth, wie noch keine Stadtpläne und Karten zur Orientierung in ihnen vorhanden waren. Auch die Vorstellung der Laufbahnen der Himmelskörper als labyrinthisches Durcheinander zeigt die Ohnmacht der frühen Menschen, das Durcheinander zu durchschauen, bis es auch als magische Bezeichnung (Labyrinth) oder später als Zeichnung (der Sterne) der Beginn des Sichzurechtfindens am Himmel, auf den Meeren und bei Wanderungen auf der Erde war. 

Das Finden des Namens Labyrinth ist, wie die Götternamen für Kräfte der Natur im Mythos, der Anfang von wissenschaftlichen Enthüllungen der Geheimnisse der Natur. Wenn ein Wort gefunden ist für das, was man fürchtet, ist schon der Schrecken gebannt und der Weg gefunden, der weiteres Forschen möglich macht.

Vom Irrgarten zum Labyrinth schildern die mythologischen Berichte einen Umgang des Menschen in und mit der Natur, der die Not des Menschen, die Natur zu bewältigen, nachempfinden lässt: Im Irrgarten bleibt die Ausweglosigkeit des Menschen angesichts von unüberwindbaren Hindernissen der Naturbewältigung noch erhalten. Der Mensch, der sich in der Natur verirrt, weiß nicht, nach Hause zu kommen und braucht begehbare Wege für Füße und Augen, damit das Wissen sich einstellt, wo der Ausweg gefunden werden kann. Hier herrscht die tatsächliche Not des rastlosen Sammlers und forschenden Jägers noch vor, der Natur die Mittel zum Leben durch Praxis und Wissenschaft abzuringen und sie nach Hause zu bringen.

Sobald der Mensch sesshaft geworden ist, muss er für sein Bauen und Wohnen die ungeregelte Natur in ein parzelliertes Land verwandeln, das eben und gleichmäßig ist. Der Irrgarten wird zum Labyrinth, das Labyrinth wird zur Karte und die Natur zu ebenen Flächen auf den Böden, den Wänden und auf dem Papier. So sind die Landkarten und Stadtpläne entstanden. Das Labyrinth kann als in Fläche oder Ebene gewandelte Natur betrachtet werden. Wege in die Natur werden zu Linien und Strecken mit Winkeln und Proportionen, die fürs Berechnen und Planen der Wissenschaftler und Bauherren Voraussetzung sind. Die Höhen und Tiefen der Natur werden zur ebenen Fläche auf dem Papier. Flüsse und Wege werden zu Linien. Das umherirrende, aussichtslose vorwärts Drängen durch Wüsten und Wälder, Ebenen und Gebirge erleichtert eine Aufsicht von Oben, die jede Einzelheit der Natur auf Landkarten registriert und einer sofortigen Orientierung die Wege weist, die den Fortschritt ermöglichen. 

Es ist so, als ob vor zigtausenden von Jahren die Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Natur umgekippt wären – oder verflacht worden sind – auf eine Fläche, die im Labyrinth ihren frühen Ausdruck fand. Das Umklappen der Ausbuchtungen der Natur in eine ebene Fläche hat magischen Charakter, der vor allem in der Höhlenmalerei zum Ausdruck kommt. Die Wände in Höhlen und Grotten waren vielleicht die ersten glatten Flächen, auf denen die Menschen der Urzeit malen konnten. Der magische Charakter dieser Zeichnungen hatte einen Bezug zur Jagd und diente dazu, die Tiere in ein Bild zu bannen und zum Stillstand zu bringen, wenn man es erlegen will. 

Deutlich hat die Malerei in Höhlen einen Bezug zur übernatürlichen Welt:

„Die Menschen haben damals aufgrund ihres Glaubens in Höhlen gemalt und graviert. Höchstwahrscheinlich glaubten sie einfach, dass die unterirdische Welt eine übernatürliche Welt ist. In den Grotten glaubten sie Geistern, Göttern, ihren Vorfahren, Verstorbenen zu begegnen. Die Bilder sollten als Mittler zwischen der hiesigen und der jenseitigen Welt dienen.“ (9) 

So kann das Labyrinth dazu dienen, Macht über die Unterwelt zu bekommen, oder die übernatürliche Welt zu beschwören oder allgemein, die Natur zu bewältigen, indem man sie auf Linien reduziert: Flüsse werden zu Linien (z. B. im Mäander), Berge je nach Höhe zu mehrfachen Parallelgebilden, Städte und verabredete Treffen zu Punkten, Landschaften in verschiedenen Farben dargestellt, und, viel später vielleicht, verabredete Grenzen zur Trennung der Nationen. Die gewohnten Wege, die zu Geraden geworden sind, erscheinen im Labyrinth so verschlungen, weil die Natur eben verschlungen ist. Die Ausweglosigkeit erinnert daran, dass jeder Weg in die Natur ein Ziel und einen Ausgangspunkt hat, den es (wieder) zu erreichen gilt, die manchmal schwer und manchmal überhaupt nicht zu finden sind.

Vom Labyrinth als Fläche ist die Entwicklung nicht weit zur Vermessung der Welt: 

„Manchmal war ihm, als hätte er den Landstrich nicht bloß vermessen, sondern erfunden, als wäre er erst durch ihn Wirklichkeit geworden. Wo nur Bäume, Moos, Steine und Graskuppen gewesen waren, spannte sich jetzt ein Netz aus Geraden, Winkeln und Zahlen. Nichts, was einmal jemand vermessen hatte, war noch oder konnte je sein wie zuvor. Gauß fragte sich, ob Humboldt das begreifen würde.“(10) 

Man muss begreifen, dass die Geometrie, die mit Geraden, Winkeln und Zahlen operiert, nichts Natürliches begreifen lässt, sondern die Natur überzieht mit geometrischen Daten, die in sich stimmig sind. Sie suchen vergeblich, die Natur in den Griff zu bekommen. Die Euklidische Geometrie ist ein Vermessen der Erde, das wie das Labyrinth eine Ebene voraussetzt. Schon Gauß wusste, dass die Summe der Winkel eines Dreiecks nur 180° in einer planen Ebene bilden. Wenn man die Krümmung der Erde berücksichtigt, stimmt diese Rechnung nicht. Es ist die abstrakte Bestimmung einer ebenen Fläche, die mit Punkten, Geraden, Längen, Winkeln, Kongruenzen, Ähnlichkeiten auszumessen ist. Die Geometrie ist die notwendige Voraussetzung für das Bauen der Städte und deren Zivilisation. Sie ist aber auch eine Vergewaltigung der Natur, die Schaden anrichtet. 

Zur angestrebten Messbarkeit der zu berechnenden Fläche musste die Natur auf eine gleichmäßige Ebene reduziert werden. Wie das Leben der Stadt sich auf der Agora zentriert und in den Kategorien des Aristoteles seinen Ausdruck im Denken gefunden hat, kann das Labyrinth die Irrwege in der Natur symbolisieren, so dass es als Ornament oder als künstlerische Zeichnung erscheint. Die Kategorien beschwören das Denken beim Erfassen des Seins, das Labyrinth die realen Wege des Menschen in der Natur und die Höhlenmalerei die guten und bösen Geister der Unter- und Oberwelt. Das eine ist Logik in der Metaphysik, das zweite ist Geometrie in der Mathematik und das dritte Magie im Mythos.

Das Labyrinth war die Reduktion der Natur auf Irrgänge und verschlungene Wege, in denen der Mensch sich verlaufen konnte, weil er keine Auswege fand. Es kann als ein Versuch verstanden werden, eine menschlich verständliche Ordnung in die Naturerfahrung zu bringen, eine Ordnung, in der das Irren auf die Dimension der Fläche beschränkt ist. Wenn es im Labyrinth schwierig ist, den Ausweg zu finden, ist das eine Schwierigkeit, die in der Natur tausendfach größer ist. So muss man vom Ausgeliefertsein an die Natur über das beschwerliche Irren im Garten und über die Ausweglosigkeit der labyrinthischen Wege bis zum Faden der Ariadne eine Wegfindung erkennen, die in der Euklidischen Geometrie ihre für das Abendland typische Berechenbarkeit gefunden hat. Schon die Geometrie der Ebene und des dreidimensionalen Raumes, also das Wesen dieser Euklidischen Geometrie, sind Maße nach Regelmäßigkeiten, die es so in der Natur nicht gibt. 

Das Labyrinth ist der Versuch, die unübersichtlichen natürlichen Räume durchsichtig, begehbar und verstehbar zu machen, und zwar durch ein Bild, dessen Ausgang auch auf dem Papier schwer zu finden ist. Das Labyrinth in seinem Wechsel von Irrgarten und ornamentaler Zeichnung kann als Vorstufe der Ebene und der Fläche, die von Linien durchzogen sind, verstanden werden. Da Labyrinthe zunächst höhlenartige Räume zum Gehen und Kriechen gewesen sind, mussten sie, um Übersichtlichkeit herzustellen, in Flächen auf Fußböden der Herrenhäuser reduziert werden. Dort erst erfüllten sie den Zweck, Übersicht für die Augen zu schaffen. Die Labyrinthe wurden auf einen Sinn, den Sinn des Sehens, beschränkt. Um Messbarkeit, Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit zu garantieren, mussten die Flächen, den Linien gemäß, in Quadrate und Rechtecke, in Kreise und in die dritte Dimension der perspektivischen Räume erweitert werden. 

Was vor zigtausenden von Jahren den Fortschritt von Wissenschaft und Forschung ermöglichte, das Verflachen der undurchsichtigen Natur auf eine Ebene und eine Fläche und damit aufs Papier, muss heute umgekehrt werden, damit das entwickelte Lernen wieder ein Fortschreiten mit den Füßen wird. Warum spricht man vom Fortschritt? Warum gibt es Lehrgänge? (11) Warum spricht man von Erfahrung, wo doch das Fahren nur ein beschleunigtes Gehen und Wandern ist? Man muss in die Natur hineingehen, wenn man sie erfahren will. Wenn das Lernen in Verbindung mit gehen und schreiten, mit fahren und wandern verbunden würde, würde es Erfolg und Freude sichern. Es ist nicht die Frage, welche Formen von Labyrinth zu welchen Zeiten es gegeben hat und was sie im Zusammenhang der jeweiligen Kulturepochen bedeutet haben, sondern wie durch ihre neue Sichtweise bahnbrechendes und Sinnlichkeit veränderndes Verstehen der Natur sich durchgesetzt hat. Wenn es den Schülern vermittelt werden könnte, wenn sie konkret erfahren würden, dass es ein Riesenschritt auf unsere abendländische Vorstellungen und Erfahrungen hin gewesen sein muss, auf Papier schreiben zu können, dass riesige Gebäude aus Mauern und Kellern, Zimmern und Dächern in den winzigen Buchstaben h a u s auf Tafeln und Heftseiten dargestellt werden können, würden sie nichts mehr selbstverständlich hinnehmen, was ihnen in den ersten Schuljahren angeboten wird. Sie würden in ihrer nächsten Umgebung das Wundern und Staunen wieder lernen, dass man Schriftliches entziffern kann. Im Labyrinth können auch Erwachsene wieder lernen, dass es ein Riesenfortschritt ist, Natur auf Papier zu bringen. Doch ist das Labyrinth nicht das einzige Beispiel für den Wechsel und Wandel der menschlichen Sicht auf die Welt.

Im Labyrinth des Minos, das Dädalus in Knossos gebaut hat, wird in der Zeit der minoischen Kultur die Verstrickung in die Irrwege der Natur und die Folgen der Inzucht von Tieren und Göttern (Minotaurus) durch den Faden der Vernunft von Theseus und Ariadne, die in Liebe vereint sind, aufgehoben. Im Palast des Agamemnon in Mykene wird das Blut der Familien in stammesgeschichtlicher Verblendung vergossen und aus blutsverwandtschaftlicher Irre auf dem Areopag in Athen durch Rechtsprechung befreit, und auf der Agora des Perikles in Athen werden die Kategorien des Denkens aus verschlungener Sophistik zum Sokratischen Ethos des Abendlandes erhoben. In allen drei Kulturen wandelt sich die Bewältigung des vergangenen gesellschaftlichen Zustandes mithilfe von ethischen Grundsätzen zu einer Durchdringung der Welt mithilfe rationeller Vernunft, und jede Stufe der Entwicklung ist eine andere Weise, das politische Leben ethisch zu gestalten. 

Naturbewältigung durch Vernunft und Sprache, Überwindung des Blutzusammen-hanges durch gerichtliches Handeln und Befreiung des sophistischen Rationalisierens durch kategoriales Denken sind die Stufen einer Zivilisierung, von der wir heute noch leben, und von der wir immer wieder feststellen, dass sie noch längst nicht gelungen ist. 

Der Faden der Vernunft führt Theseus und Ariadne zurück zur Heimkehr an den Ausgangspunkt der Reisen von Theben ins Innere des Labyrinths. Die Sehnsucht des Odysseus treibt ihn nach den Irrfahrten in die Fremde durch die Abenteuer zurück in die Heimat. Das von Orest vergossene Blut findet Versöhnung vor der Göttin Athene am Gerichtshof in Athen, dem Areopag. Das geordnete Denken in kategorialen Bahnen durch Aristoteles begründet die Philosophie und die Wissenschaft. 

Befreiung durch die Euklidische Geometrie aus der ungeregelten Natur, Befreiung aus stammesgeschichtlichen Blutsverhältnissen durch Vernunft und Richterspruch und Befreiung aus zu nichts verpflichtender bloßer sophistischer Kasuistik, führen zu Naturerforschung, Jurisprudenz und zu geordnetem Denken in der Philosophie. Sie führen zum Abendland, das immer noch nicht genug von diesen Befreiungen lebt. 

Solche oder ähnliche Sinnzusammenhänge zu lernen, ist den Schülern möglich, wenn sie selber diese in mühevoller, selbstständiger Forschungsarbeit mit Freude und Begeisterung erschließen. Durch Lehrervortrag und Schülernacharbeit bleibt alles Vermitteln von Stoffen bloße Kenntnisnahme, bloßes auswendig lernen ohne inwendige Veränderung der Voraussetzungen für eigene Erfahrung. Schüler, die nur paukendes Lernen in der Schule kennen gelernt haben, bleiben willen- und vernunftlose Opfer der Medienkultur. Sie bewältigen keine Ansprüche, die freiwillige Anstrengung erfordern und durch Gespräche zu meistern sind. 

Sie kennen den Genuss nicht, der sich einstellt, wenn plötzlich ein neuer Sinn sich offenbart. Die erhellende Erkenntnis z. B., dass der Mythos ein Wort ist, das der Natur eine Stimme verleiht, mit der der Mensch sprechen kann und dass damit der Mythos der Anfang der Wissenschaft ist und nicht ein Glaube an Vielgötterei, ist ein Sprung des Denkens, der Flügel verleiht und der den Genuss bereitet, der zum weiteren Lernen anspornt. 

Nicht die Chronologie von Jahreszahlen muss auswendig gelernt werden, sondern dem Sinn von historischen Epochen muss der Schüler auf der Spur sein. Es muss Hand und Fuß haben, was den Sinn ergreifen will und muss in Gesprächen zuhause sein. Durch selbstständiges freiwilliges Arbeiten mit Hand und Hirn (12) sind Lernprozesse des Schülers möglich, die den Geschichtsepochen ähnlich verlaufen, wenn sie grundsätzlich ethisch und politisch sind. Die kulturellen Wandlungen im Denkhaushalt der Völker, von deren Gedankengut wir heute noch leben, lösen im Schüler ähnliche Sinneswandlungen aus, die ihn auf immer höhere Denk- und Verhaltensstufen katapultieren. 

Im Griechischen hieß es noch anthropos zoon logon echon, der Mensch ist ein (Lebe)Wesen, das verständige Sprache oder sprachliches Denkvermögen hat. Logos ist das Wesen der Welt, in das der Mensch sich denkend versenken kann oder an dem er Teilhabe gewinnt, indem er sich durch arbeitendes Lernen dem Logos gemäß macht. Aber wenn das im Lateinischen nur noch heißt animal rationale, ist der Logos zur Vernunft und zur Eigenschaft des Lebewesens Mensch geworden, die im Kopf  jedes einzelnen Menschen zuhause sind. Die Schulen wandeln sich demgemäß zu reinen Kopfschulen, in deren Mittelpunkt vor allem theoretisches Wissen vermittelt wird, anstatt dass der Logos den ganzen Menschen ergreift. 

 Man kann besser davon ausgehen, dass das, was bei den Elementen Vorgänge, Vollzüge und Kräfte sind, sich in den Lernprozessen der Schüler wiederholt. Dann muss man ein didaktisches Lehren entwerfen, das dem Logos der Welt entspricht: Ein sinnengemäßes Produzieren kann sich mit dem verbinden, was der Logos den Epochen zu sagen versprach. 

Wenn Karl Marx in den Frühschriften geschrieben hat: „Die Bildung der fünf Sinne ist eine Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte.“ (13), lässt sich in unserem Zusammenhang hinzufügen: „Die Bildung in jeder Generation muss die Bildung der bisherigen Weltgeschichte wiederholen, um sie weiterzubilden.“ Das ist die Arbeit von Schulen und Kindergärten, aber auch die von Erwachseneninstitutionen, die nicht für den Nachwuchs an Industriearbeitern und Büroangestellten sorgt. Sie gibt jedem Menschen die Chance, an der Bildung der Sinne ein Leben lang weiter zu arbeiten. In einem solchen Prozess werden Lernen und Arbeiten austauschbare Begriffe, die als Tätigkeiten austauschbar sind. 

Lernen ist ein Eingraben in das Wesen einer Epoche, ein Hervorbringen dessen, was Logos genannt werden kann. Der Logos wiederholt sich im arbeitenden und lernenden Sprechen der Menschen, die so menschliche Fortsetzungsformen der Kräfte und Mächte, der Elemente, sind. Arbeiten und Lernen im Medium des Sprechens sind elemental, weil sie uns mit den Epochen verbinden, von denen wir leben, und weil das Verbinden Genuss ist und Glück. 

Das Aus- und Zueinander des Wirkens der Elemente kehrt in den Auseinandersetzungen der Menschen als lebendiges Sprechen wieder, das durch kein noch so geniales Denken ersetzt werden kann. Sprechen ist wie das Blut in den Adern oder das Wasser in den Röhren, wie der Boden unter den Füßen oder die Luft in den Kapillaren, vor allem aber wie das brennende Feuer in den Zellen das wichtigste Element, von dem das Kollektiv der Menschen lebt. Wenn wir nicht sprechen, herrscht in unseren Begegnungen das Schwert der Gewalt, die stumm und stumpf am schlimmsten ist. 

Das Gespräch ist das Erste, das im Miteinander der Menschen oder im Leben von … jüdischem und griechischem Denken in der abendländischen Geschichte nur noch als Untergrund präsent ist. Seit die Gespräche des Sokrates, seine philosophischen Dialoge, ihre Unruhe im Ideenhimmel Platons und in den Vorlesungen des Aristoteles verloren haben, und seit das Gespräch nur noch mit Gott die Unterhaltungen der Gläubigen in den Kirchen dominierte, ist der Mensch schweigsam und sein kulturelles Verhalten ist still oder schriftlich geworden. Der Mensch ist eine schweigende Monade, die zum Gespräch immer wieder angestoßen werden muss. Wenn er redet, kommen nur Monologe aus seinem Mund. Monologisieren für Prüfungen und Noten lernen die Schüler schon früh in der Schule. Sonst müssen sie in den Klassen still sitzen und schweigen. In der Freizeit unterhalten sie sich nur noch mit Geräten. 

Ein gelungenes Gespräch ist wie das Atmen der Luft und wie das Brennen des Feuers ein Hin und Her des Geistes, der von Einem zum Anderen (über-)springt und der beide inspiriert. Gute, vom Geist und vom Geist des Miteinander beflügelte Gespräche sind schon ein Kunstwerk zwischen Meister und Lehrling, zwischen Lehrer und Schüler, mehr noch als Gespräch zwischen Kollegen, aber am meisten, wenn der Lehrer lernend mit seinen Schülern spricht. 

So Lévinas: „Ravina erklärte: ‚Wer gerne unter Vielen studiert, fährt die Ernte ein.‘ Das hat auch Rabbi gesagt: ‚Ich habe viel Tora von meinen Lehrern gelernt, mehr noch von meinen Kollegen, am meisten aber von meinen Schülern.‘“ 

Er fügt hinzu: 

„Der Pluralismus besteht also nicht nur im Lehren unter Gleichen. Noch besser als ein Kollege befruchtet der Schüler die Gedanken des Meisters. Lehren ist eine Art Forschen. Es gibt das Wort von Rabbi Jehuda HaNasi, Rabbenu HaKadosch, unserem Heiligen Lehrer, dem Redakteur der Mischna: ‚Ich habe viel von meinen Lehrern gelernt, mehr von meinen Kollegen, am meisten von meinen Schülern.‘“ (14)

Warum lernt der Lehrer am meisten von seinen Schülern? Warum ist Lehren eine Art Forschen? 

Der Rabbi ist davon überzeugt, dass er viel von seinen Lehrern gelernt hat, und auch Lévinas hat als Schüler viel von seinen Lehrern gelernt. Und so lernen alle Schüler zu allen Zeiten viel von ihren Lehrern. Das ist der normale Vorgang des Lernens, der in den Schulen vor sich geht: 

Die Schüler lernen von den Lehrern zunächst durch Rezipieren des Stoffes, den der Lehrer präsentiert. Das Dargebotene des Lehrers fällt mit seiner ganzen neuartigen Schwere in ein passives und nicht immer lernbereites Gemüt, das wenig anzubieten hat, mit dem sich das Neue verknüpfen kann. Im Schüler finden sich wenige Voraussetzungen für neue Unterrichtsstoffe und deswegen ist das, was die Schüler von den Lehrern lernen: viel, aber eben nicht das Meiste. 

Mehr lernt der Lehrer von seinen Kollegen:

Das kollegiale Gespräch ist selten und nur auf Tagungen üblich. Darum muss der Lehrer aus den Schülern Kollegen machen.

Dem Geschick des Lehrers ist es überlassen, Anknüpfungspunkte zu finden und Aufnahmebereitschaften zu schaffen, damit das zu lernende Neue sich mit Altem verbindet und nicht wieder verloren geht. Dabei ist jede mitgebrachte Initiative des Schülers, selber lernen zu wollen, wertvoller als das erzwungene Lernen, für das der Lehrer die Motivation erst noch schaffen muss. Wenn der Schüler immer mehr vom Lehrer lernen kann, muss er immer mehr Initiativen ergreifen, das heißt, selber lernen wollen: vom Lehrer, aus Büchern und aus Gesprächen über die Bücher. 

Das ist die Stufe des Lernens durch Kollegen oder durch kollegiales Verhalten, wie es in wenigen neuen Schulversuchen schon gestartet ist: Das Lehrer-Schüler-Verhältnis wird durch das Ergreifen der Initiative des Schülers aus der vertikalen Unterordnung zur horizontalen Nebenordnung befreit. Lehrer und Schüler sind als Kollegen dem Stoff gegenüber in der gleichen hochinteressierten Haltung des Fragens und Forschens, des Wissen- und Verstehenwollens, und deshalb lernen die Schüler und die Lehrer, ebenso wie die Rabbiner, mehr, wenn sie Kollegen sind. 

Aber Lévinas sagt mit den Rabbinern noch mehr: Er habe zwar viel von den Lehrern, mehr von den Kollegen, aber das Meiste von den Schülern gelernt. Das kann nur heißen, dass das Lehren die allerbeste Form des Lernens ist. 

Der Lehrer stellt sich, wenn er den Unterricht vorbereitet, auf die Schüler ein und präpariert das zu Lernende so, dass es der Fassungskraft der Schüler entspricht. Er muss den Lernstoff unter vielerlei Hin- und Rücksichten so durchdenken, dass er dem unterschiedlichen Verständigungshorizont jeden Schülers entgegen kommt. Dadurch hat der Lehrer die Chance, viele neue Perspektiven im Stoff zu entdecken, die das Lernen der Schüler erleichtern, aber auch das eigene Verständnis des Stoffes um eine Vielzahl von Aspekten erweitern. Immer wieder, Jahr für Jahr, muss der Lehrer, neue Seiten an den Stoffen entdecken, damit der Unterricht nicht unfruchtbar und langweilig wird. Das ist echte Forschertätigkeit, die das noch berücksichtigen kann, von dem wir im Umgang mit dem Lehrmaterial leben und von dessen Aneignung der Lehrer das Meiste profitiert. Weil er immer mehr Aspekte des Stoffes kennt und erarbeitet und sie mit den Verständnismöglichkeiten des Schülers vermittelt, lernt der Lehrer im Umgang mit seinen Schülern am meisten, von den Schülern, die noch Schüler und nicht schon Kollegen sind. 
 

Weil Jugend Zukunft bedeutet, und sich das Neue der Zukunft, wenn es nicht modediktiert beeinträchtigt ist, im Verhalten der Jugendlichen konzentriert, ist auch die Jugend ein Forschungsprojekt, das sich durch Lehren erschließt. Lehren heißt, Erschließen der Vorstellungswelt der Jugendlichen für die Vermittlung des Stoffes, in dem sich das verbirgt, wovon wir leben. 

Schulen könnten wieder Orte revolutionierender Gedanken werden, wenn sie nicht nur traditionelle Stoffe vermitteln, sondern mehr noch die Vermittlung der Stoffe mit den Schülern bedenken; schärfer formuliert heißt das, wenn das Lernen der Stoffe selber Gegenstand des Lernens als Fragen und Forschen mit den Schülern ist. Das Lernen und nicht nur der Stoff muss der Gegenstand der Aufmerksamkeit von Lehrern und Schülern in der Schule sein, wenn die Schulen sich öffnen sollen für den politischen Raum. Die Schüler können sich mit und ohne den Lehrer durch eigenes Arbeiten die Fragen stellen, die der Lehrer sonst während der Vorbereitung auf den Unterricht als Anknüpfungsmöglichkeit bei den Schülern vermutet. 

Warum sollen die Schüler nicht die Fragen an die Stoffe stellen, die ihrer eigenen Aufnahmebereitschaft entsprechen? Warum sollen sie nicht die Fragen stellen dürfen, die den Stoff infrage stellen: Was hab ich davon, wenn ich das lerne? Was hat der Stoff mit dem, was ich schon weiß, zu tun? Wie kann ich es schaffen, dass ich den Stoff verstehe und ihn besser behalte? Wenn das, was gelernt werden soll, lernenswert ist, fallen die Antworten schon richtig aus. Schüler sollten fragen dürfen mit der Konsequenz, dass der Zeitpunkt, die Reihenfolge und auch die Priorität der Stoffauswahl ihren Antworten anheimgestellt ist. 

Sie müssen die Fragen stellen dürfen, die ihre Zukunft betreffen: Wie kann ich durch welchen Stoff das lernen, was meine Arbeitslosigkeit verhindert oder die Zeit der Arbeitslosigkeit sinnvoll macht? Das wäre nur eine der möglichen Fragen. 

Von den Zivilisationstechniken: Lesen, Schreiben, Rechnen in den Grundschulen bis zu den Themen der Atomphysik und den antiken Sprachen in den Oberstufen der Gymnasien muss es Schülern möglich gemacht werden, Auswahl zu treffen, Dringlichkeiten zu bestimmen und Vorlieben zu kreieren, wenn Lehren und Lernen Forschen und politisches Handeln möglich machen sollen. Zwang und Drill werden in den Schulen überflüssig, wenn der Eifer und die Begierde, die in der Vorschulzeit selbstverständlich sind, nicht durch die Praxis des Schulunterrichts vertrieben werden. Wenn nicht für die Schule, sondern für das Leben gelernt werden soll, dann muss das Leben in der Schule anwesend sein. Und das ist es nur, wenn die Schüler die Fragen in den Schulunterricht mitbringen dürfen, die ihnen das Leben stellt. 

Der Schulunterricht wird dann zu einem lebendigen Gespräch zwischen Schülern, wenn die Lehrer zugeben, dass sie nicht alles wissen, und dass durch die Schülerselbstarbeit Schüler mehr wissen können und dürfen als die Lehrer. Dann eben lernen die Lehrer das Meiste von ihren Schülern, weil Lehrer zugeben, dass in den Schülern das Leben pulsiert, das auch das Leben der Griechen und Juden ist, von dem wir immer noch leben. Wo sonst als in den Schulen können die Gespräche das Leben lebendig machen, das immer noch das Leben der Griechen und Juden ist?

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Fußnoten 
(1) E. Lévinas, Totalität und Unendlichkeit, … a. a. O. S. 152
(2) E. Lévinas, Jenseits des Buchstabens. Frankfurt am Main: Verl. Neue Kritik, 1996, S. 51ff
(3) E. Lévinas, Jenseits des Buchstabens, … a. a. O. S. 72
(4) E. Lévinas, Jenseits des Buchstabens, … a. a. O. S. 73
(5) „Bezeichnung für die Schüler des Aristoteles;“ Allerdings ist das Herumgehen des Aristoteles vor sitzenden Schülern eine Aufsehen erregende Sache gewesen, die neu und nicht üblich war. Vgl. Der Kleine Pauly unter Peripatetiker.
(6) Wenn es schon Lehrgänge gibt, warum sollte es nicht auch Lerngänge geben?
(7) Der Neue Pauly unter Labyrinth
(8) Alle Brettspiele: Mensch-ärgere-Dich-nicht und Malefiz, Mühle und Halma, selbst Dame und Schach, leben von den Abenteuern früher Geschichte, weil sie von Gängen und Wegen leben, deren Bewältigung vom Esprit der Spieler oder vom Zufall des Würfels abhängt. Ihr Reiz besteht, durch vielfältige Vermittlung hindurch, in der Erinnerung an urzeitliche Bewältigung der Wege in der Natur oder in die Wälder.
(9) Jean Clottes, Kunst im Morgenlicht der Menschheit. In: Reinhard Breuer u. a.: Moderne Archäologie (Spektrum der Wissenschaft Spezial, Jg 12, H2). Spektrum der Wissenschaft VG, Heidelberg 2003, S. 6 – 9. Vgl. Wikipedia
(10) Daniel Kehlmann, Die Vermessung der Welt. Rowohlt Verlag, Hamburg 2005, S. 268
(11) Interessant der Hinweis im Duden unter lehren: „Man geht von einer Grundbedeutung ‚gehen’ aus und vergleicht l.(ehren) lira ‚Furche’, doch ist diese Annahme in allen Punkten unsicher.“ Trotzdem gibt es Lehrgänge, das von lateinisch cursus (lat.: currere) abgeleitet ist. Kurse gibt es in Spezialgebieten des zu Lernenden. Aber oft kommt man vom Kurs ab.
(12) George Thomson, Frühgeschichte Griechenlands und der Ägäis. Forschungen zur Altgriechischen Gesellschaft I, deb verlag das europäische Buch 1974: „… nachdem sich die Hände einmal herausgebildet hatten, wurde dadurch das Gehirn vor neue Aufgaben und neue Möglichkeiten gestellt. Somit bestand von Anfang an zwischen Hand und Hirn eine innige Wechselbeziehung.“ S. 373
(13) Karl Marx, Die Frühschriften, hrg. von Siegfried Landshut, Stuttgart 1955, S. 242
(14) E. Lévinas, Jenseits des Buchstabens, … a. a. O. S. 73

Weiteres zum Thema „Jugend in Aktion“ auf den Seiten des SJC Hövelriege 

NAGEL-Redaktion – April 2005: Sport- und Jugendclub Hövelriege

Der Fußballverein Sport- und Jugendclub Hövelriege e. V. ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung des Sports (vorwiegend Fußball: 10 Kinder- und Jugend- und 6 Seniorenmannschaften, 1 Volleyballmannschaft und 3 Tanzgruppen) sowie zur Förderung der Jugend- und Altenhilfe (Abenteuerspielplatz, Kinder- und Jugendfreizeiten, Soziale Trainingskurse, Flexible Erziehungshilfe). Der SJC ist korporatives Mitglied der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Kreisverband Gütersloh sowie des ABA Fachverbandes Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen e.V. Eng mit dem Fußballclub verbunden arbeitet seit 13 Jahren der Verein „Jugendwohnheim Hövelriege e. V.“, der ein eigenes, familienorientiertes Heimerziehungsmodell entwickelt hat und 17 Kinder und Jugendliche in 5 Familiengruppen betreut. Das Jugendwohnheim Hövelriege unterhält in enger Kooperation mit dem Sportverein eine Auto- , eine Holz- und eine Kunstwerkstatt. In der Holzwerkstatt bildet ein Tischlermeister mittlerweile den ersten Lehrling aus und in der Kunstwerkstatt arbeitet halbtags eine Kunsttherapeutin.

Anliegen

In seiner Vereinssatzung hat der Sportverein unter „§ 2 Vereinszweck“ neben der Sportförderung ausdrücklich eine soziale und pädagogische Ausrichtung festgeschrieben: „Zweck des Vereins ist die sportliche Betätigung seiner Mitglieder und eine Jugendarbeit, die die Mitglieder befähigt, sich kritisch und selbstbewusst mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Die Fähigkeiten des Einzelnen, seine Bereitschaft zur Hilfestellung und die Verständigung der Mitglieder untereinander sollen gefördert werden.“

Ein besonderes Anliegen ist dem Verein, neue Formen sozialen Lernens zu entwickeln. Er versteht darunter mindestens zweierlei:

1. das Soziale lernen und

2. im sozialen Zusammenhang lernen.

Das Soziale Lernen bedeutet eine „neue Aufmerksamkeit“ für die Belange des täglichen Lebens, und im sozialen Zusammenhang lernen bedeutet, aus dem Zusammenhang von Lebensabschnitten und lebendigen Beschäftigungen das Mögliche und Beste machen, da, wo es sich anbietet. Das Beste und Mögliche machen, da, wo es sich anbietet! Hier hat der Sportverein mit unendlicher Geduld für die Kleinigkeiten am Rande und mit konsequentem Weiterverfolgen des einmal eingeschlagenen Weges in 30 Jahren ein anderes Vereinsleben, eine andere „Alltagskultur“ geschaffen, in dem das Lernen der erste Zweck aller produktiven Tätigkeit ist. So wurde aus einer Weihnachtfeier eine Weihnachtswoche, aus Pokalen bei den Vereins-Fußballturnieren Gutscheine oder Freikarten für Theater- oder Museumsbesuche, aus dem normalen Trainingsbetrieb eine Fußballschule und ein Sporthotel, aus Kinder- und Jugendfahrten ein internationales Begegnungszentrum in Griechenland und aus einem Blumenbeet im Vorgarten ein künstlerisch gestaltetes Sport- und Waldgelände (der Erfahrungspark).

Kontakt: Sport- und Jugendclub Hövelriege e. V., Alte Poststraße 113, 33161 Hövelhof, NRW, Kreis Paderborn
Telefon: +49 (0)5257-5693, Fax: 05207-923120

Vereinskennziffer 4606003 LSB, Amtsregister 0133 Amtsgericht Delbrück
Freistellungsbescheid: 13.11.2002 FA PB
Der Verein wurde 1973 gegründet und hat 450 Mitglieder.

Der ABA Fachverband vergibt für die Aktivitäten des Vereins SJC Hövelriege die Höchstanzahl von fünf Sternen (*****). Ein Besuch in Hövelhof kann äußerst lehrreich sein. [1]

April 2005

Nachtrag September 2006

Für den Erfahrungspark Hövelriege ist ein neues Kunstprojekt mit dem Namen „Drachen aus Holz und Plexiglas“ in Arbeit. Eine Jugendfußballmannschaft und eine bekannte Künstlerin bauen 10 bis 15 Drachen aus Holz und Plexiglas, die anschließend nach einem ästhetischen Plan in der „oberen Etage“ des Waldgeländes montiert werden sollen. Der SJC Hövelriege sucht zur Realisierung nach Mäzäne und Sponsoren. Interessierte können sich hier ein Beteiligungformular herunterladen. Der ABA Fachverband empfiehlt eine Unterstützung der vorbildlichen Arbeit des Vereins ausdrücklich.

Nachtrag Dezember 2010


Foto: SJC Hövelriege

In den letzten Jahren hat sich in Hövelriege traditionsgemäß eine Menge getan. Hätte der Verein nicht bereits 2005 bei Aufnahme in diese Rubrik fünf Sterne bekommen, wäre diese Höchstzahl jetzt auf jeden Fall fällig. Der SJC Hövelriege hat uns in diesem Jahr erneut überzeugendes Material zur Verfügung gestellt. Das wollen wir Interessierten nicht vorenthalten und haben uns dazu entschlossen, hier weitere Seite anzuhängen. Viel Spaß beim Stöbern, hilfreiche Erkenntnisse und hoffentlich animierende Inspirationen für die eigene Arbeit! Um auf die Seiten zu gelangen, bitte das Löwentor-Foto anklicken: Hereinspaziert!

Nachtrag 2012

Wir leben vom Judentum und vom Griechentum – „Seit ein Gespräch wir sind …“ (Hölderlin)

Wie die Kinder- und Jugendarbeit in Bezug auf Bildung und Lernen verortet werden kann

Veröffentlicht wird hier eine Position des SJC Hövelriege, Ausführungen, die auch für Schule relevant sein könnten/sollten. Unter anderem heißt es in dem Beitrag von Prof. Willy Bretschneider: „Schulen könnten wieder Orte revolutionierender Gedanken werden, wenn sie nicht nur traditionelle Stoffe vermitteln, sondern mehr noch die Vermittlung der Stoffe mit den Schülern bedenken; schärfer formuliert heißt das, wenn das Lernen der Stoffe selber Gegenstand des Lernens als Fragen und Forschen mit den Schülern ist. Das Lernen und nicht nur der Stoff muss der Gegenstand der Aufmerksamkeit von Lehrern und Schülern in der Schule sein, wenn die Schulen sich öffnen sollen für den politischen Raum. Die Schüler können sich mit und ohne den Lehrer durch eigenes Arbeiten die Fragen stellen, die der Lehrer sonst während der Vorbereitung auf den Unterricht als Anknüpfungsmöglichkeit bei den Schülern vermutet. Warum sollen die Schüler nicht die Fragen an die Stoffe stellen, die ihrer eigenen Aufnahmebereitschaft entsprechen? Warum sollen sie nicht die Fragen stellen dürfen, die den Stoff infrage stellen: Was hab ich davon, wenn ich das lerne? Was hat der Stoff mit dem, was ich schon weiß, zu tun? Wie kann ich es schaffen, dass ich den Stoff verstehe und ihn besser behalte? Wenn das, was gelernt werden soll, lernenswert ist, fallen die Antworten schon richtig aus. Schüler sollten fragen dürfen mit der Konsequenz, dass der Zeitpunkt, die Reihenfolge und auch die Priorität der Stoffauswahl ihren Antworten anheimgestellt ist.“

Die Seite ist mit eindrucksvollen Fotos aus der Arbeit des Sport- und Jugendclubs Hövelriege versehen. -> Zur Seite

NAGEL-Redaktion – Spielplatz Finkenweg, Bonn: Handwerk fördert Jugend


Foto: Jugendfarm Bonn

Der betreute Spielplatz Finkenweg ist seit seinem Bestehen Mitglied im ABA Fachverband und befindet sich in Trägerschaft des Vereins Jugendfarm Bonn e.V. Nachfolgend wird ein nachahmenswertes Projekt dokumentiert, das gemeinsam mit der Kreishandwerkerschaft Bonn • Rhein-Sieg durchgeführt wurde.


Foto: Jugendfarm Bonn

Handwerk fördert Jugend: Der langersehnte Umbruch

Alte Bahnwaggons mit Holzöfen als Heizung haben ihren Charme – auch noch nach acht Jahren intensivster Nutzung unter jeder Wetterbedingung. Dennoch reicht dies leider langfristig bei weitem nicht aus, um ein nachhaltiges und adäquates pädagogisches Angebot als offener Jugendtreff für den sehr hohen Bedarf zu stellen. Der Jugendtreff des Spielplatzes Finkenweg hat daher in einem beispielhaften Projekt seinen Treff um ein festes Gebäude erweitert.


Foto: Jugendfarm Bonn

Abdallah und Denis kuscheln sich in ihre Jacken und halten ihren heißen, süßen Apfeltee ganz nah – es ist nämlich besonders kalt heute im Jugendtreff. Besser gesagt, im Bahnwaggon. Der Offene Treff des Spielplatzes Finkenweg in Bonn-Holzlar besteht nämlich seit seiner Gründung im Jahre 2001 aus zwei alten, gespendeten Bahnwaggons. Diese dienen seither als Offener Jugendtreff, der hier entstanden ist, um dem dringenden Bedarf entsprechen zu können.

In den Jahren hat sich dort so einiges getan, und viele Besucherhände haben ihren Treff gestaltet und erweitert – so kamen Wege und Beete, Gartengestaltung und eine Werkstatt, zuletzt eine Beach-Area und Basketballfeld dazu. Im Sommer wird immer intensiv der Außenbereich genutzt, im Winter rücken alle näher zusammen, um die Wärme zu halten. Die Waggons werden mit einfachen Holzöfen geheizt – um den Holzbestand kümmern sich die Jugendlichen natürlich auch. Fließendes Wasser gibt es nicht, das wird vom 400 Meter weiter vorne gelegenen Kindertreff geholt, dort werden auch bei Bedarf die Toiletten genutzt.

Die Besucherinnen und Besucher des Treffs haben zu 80 Prozent Migrationshintergrund. Sie wohnen meist in der näheren Umgebung und den umliegenden Stadtteilen – der Treff ist absichtlich mitten im bevölkerungsreichen Stadtteil Holzlar an einem allgemeinen Platz angesiedelt und der einzige Anlaufpunkt mit Angeboten für die Jugendlichen. Delinquenz, Gewalt und Cliquenrivalitäten sind für die Jugendlichen Alltag, neben Zukunftsängsten, Lethargie und Schulmüdigkeit sowie der Dauerberieselung verschiedenster neuen Medien bewegen sie sich in ihren eingeschworenen Gruppierungen, in der Sicherheit des ihnen Vertrauten.

Verantwortung übernehmen und Gestaltungsmöglichkeiten durch Selbstbestimmung 

Jugendliche haben ein Recht auf Raum und Platz, in dem sie ihre Freizeit ausleben können und sich – sowohl in der Gruppe als auch individuell – geschützt und bei Bedarf angeleitet entwickeln und entfalten dürfen. Der Jugendtreff ist nach den Bedürfnissen der Besucherinnen und Besucher ausgerichtet – das Programm wird nach ihren Wünschen und Ideen gestaltet und mit ihnen zusammen durchgeführt.


Foto: Jugendfarm Bonn

Der Offene Treff baut auf erlebnis-, natur-, bewegungs- und freizeitpädagogischen Ansätzen. Gerade die Bahnwaggons und eben auch die Tatsache, dass die Bedingungen in ihnen jahrelang mangelhaft waren, haben doch auch ihren Charme und sind wichtiger Bestandteil der pädagogischen Arbeit. In einer Welt, in der die Jugendlichen (ob sie nun wirklich wollen oder nicht) sich dauerhaft mit verschiedensten neuen Medien auseinander setzen müssen, sich ihnen anpassen, von ihnen berieselt und beherrscht werden, stellt der Jugendtreff einen ruhigen Ort dar, der in starkem Kontrast zu dieser Welt steht. Hier wird auf Natur sowie auf ein ehrliches, offenes und respektvolles Miteinander gebaut, in der einer auf den anderen achtet.

All diese sinnvollen und guten Vorsätze, Konzepte und alltägliche Praktiken können aber sehr erschwert werden – so vor allem durch chronische räumliche Enge, fehlende räumliche Alternativen, die je nach pädagogischem Bedarf genutzt werden könnten. Auch die Jugendlichen selbst bemerkten die Mängel –  nicht der marode Zustand der Waggons selbst war ihnen ein Dorn im Auge – sie äußerten vielmehr das Bedürfnis nach mehr Platz, um mehr schaffen, initiieren und gemeinsam erreichen zu können. 

Handwerk fördert Jugend – Jugend fordert Handwerk!

Im Sommer 2008 schrieb die Kreishandwerkerschaft einen Wettbewerb aus: „Handwerk fördert Jugend“. Im Rahmen dieses Projektes sollte gemeinsam mit Jugendlichen etwas erbaut, saniert, erweitert werden, eingebettet in Nachwuchsförderung für die beteiligten Innungen. Der Bereich „Offene Arbeit Spielplatz Finkenweg“ der Jugendfarm Bonn e.V. sah seine einmalige Chance und bewarb sich – aber direkt auch mit einer eigenen Rückforderung: Jugend fordert Handwerk!


Foto: Jugendfarm Bonn

Mit diesem Konzept, das nicht nur die Sanierung unserer inzwischen maroden, vollkommen überholten und lange nicht mehr dem Bedarf und der Nachfrage entsprechenden Waggons vorsah, sondern vor allem auch die Verknüpfung mit einer Berufsförderung der Besucherinnen und Besucher vorsah, stachen wir heraus. Im Laufe der Bewerbungsphase kristallisierte sich heraus, dass sich eine Sanierung allein nicht lohne – eine Erweiterung der Räumlichkeiten musste notwenig hinzugefügt werden. Der ursprüngliche Antrag wurde dementsprechend verändert und angepasst.


Foto: Jugendfarm Bonn

Am Ende überzeugte das Konzept, das mit den ungewöhnlichen örtlichen und baulichen Begebenheiten durchaus auch für die Handwerkerinnungen eine Herausforderung darstellte, und der gesamte Bereich Offene Arbeit Spielplatz Finkenweg jubelte im Herbst 2008, als die Nachricht kam, dass die Ausschreibung mit 100.000 Euro in Sach- und Dienstleistungen gewonnen worden war – ohne die Kooperation mit der Kreishandwerkerschaft wäre das gemeinsame Projekt aufgrund der knappen finanziellen Ressourcen nicht durchführbar gewesen. Wie damals schon im Anschreiben so schön formuliert wurde: „Der Spielplatz Finkenweg möchte die Träume der Jugendlichen wahrmachen!“

Folgend sind auszugweise die pädagogischen Ziele des Projektes, welche im Mittelpunkt stehen, dargestellt:

•    Unterstützung bei der Entwicklung einer selbstbewussten Identität
•    Förderung der Verständigung zwischen Jugendlichen unterschiedlicher kultureller Hintergründe
•    Verbesserung der sozialen Kompetenz
•    Initiierung und Begleitung von Gruppenprozessen zur Förderung von Kommunikationskultur, Solidarität, emotionaler Verbundenheit und Konfliktfähigkeit
•    Vertrauen auf eigene Gefühle 
•    Auseinandersetzung mit traditionellen Geschlechterrollen, Erweiterung des persönlichen Horizontes und Unterstützung von Chancengleichheit
•    Einblicke in unterschiedliche handwerkliche Berufsfelder
•    Praktische Erfahrungen im Handwerk, Freude am Handwerk
•    Kreative Gestaltung der Räumlichkeiten
•    Berufliche Perspektiven entwickeln
•    Öffentlichkeitsarbeit

 


Foto: Jugendfarm Bonn


Höhen und Tiefen – wie Theorie und Praxis aneinandergeraten

Nun ging es an die eigentliche Arbeit: mit den Jugendlichen gemeinsam begann im Januar 2009 die Planungsphase. Es gab vieles zu besprechen, denn schließlich waren auch etliche Innungen beteiligt – von Hoch- und Tiefbau über Elektrik, Kfz und vielen weiteren bis hin zu den Frisör-, Goldschmiede-, Fleischerei- und Informationstechnik-Innungen – alles war mit im Boot.

Gemeinsam wurde nicht nur erörtert, wie die Bauarbeiten selbst vor Ort ablaufen könnten, was alles ansteht und was für Vorstellungen, Wünsche und Möglichkeiten die Jugendlichen selbst haben; wichtig war auch die Arbeit „hinter den Kulissen“, allem voran der Bauantrag an die Stadt und der politische Prozess, der damit verbunden war, den Antrag bewilligt zu bekommen.


Foto: Jugendfarm Bonn

Ein wichtiger und langer Prozess war es vor allem auch im Hinblick auf den Naturschutz. Das neue Gebäude sollte auf einem Teilstück der großen Wiese des Geländes erbaut werden, die als Ausgleichsfläche dient. Hintergrund war hierbei nicht primär ein pädagogischer, sondern vielmehr einer dem Naturschutz verbundener – die optimale und sinnvolle Nutzung eines großen, weitgehend nicht gepflegten Geländes zu erreichen; durch die Erweiterung des Jugendtreffs konnte ein großes Stück sowohl der brachliegenden Wiese als auch des Naturstückes entlang des benachbarten Teiches für den Treff gewonnen werden. Diese offenen, frei zugänglichen Flächen wurden bisher zwar immer intensiv von Kindern, Jugendlichen und Familien in ihrer Freizeit genutzt, jedoch kaum gepflegt und gewartet.

Nunmehr können innerhalb des Treffs im Rahmen regelmäßigen Naturangebotes Büsche und Bäume, Grünflächen und Wege sinnvoll gepflegt und von vielen gemeinsam und im Einklang mit der Natur selbst genutzt werden. Mit den Jugendlichen gemeinsam kann man den Fragen nach der gerechten Nutzung von Natur und Umwelt, von ökologischem Gleichgewicht und Naturschutz nachgehen sowie die Antworten und Ideale hautnah und praktisch anwenden und ausleben.


Foto: Jugendfarm Bonn

Im Juli 2009 kam nach etlichen Gesprächen, Besichtigungen und Absprachen endlich die langersehnte Bewilligung des Bauantrages. Ab Herbst war der Spielplatz Finkenweg dann auch von vorne bis hinten Baustelle, und bis in den kalten Winter hinein wurde unter ungünstigsten Wetterbedingungen geschuftet. Und, wie es leider bei vielen Bauvorhaben so ist, kamen immer wieder unvorhergesehene Hürden in den Weg, deren man sich – meist mit erhöhten Kosten – annehmen und die man bewältigen musste.

Vor allem in den aktiven Bauphasen kamen dann die Tücken eines gemeinsamen Projektes von Jugendlichen und Handwerkern zum Vorschein – alleine das zeitliche Arrangieren gestaltete sich schwierig. Die Jugendlichen gingen vormittags zur Schule, die Handwerker begannen meist um 7 oder 8 Uhr morgens und beide Seiten trafen sich meist nur im Vorübergehen am frühen Nachmittag – die Jugendlichen beim Ankommen, die Handwerker auf dem Weg in den Feierabend.

So wurde der Schwerpunkt mit den Jugendlichen auf die Nachbearbeitung und Nachbesprechung der Bauarbeiten gelegt. Und Kontakte gab es dennoch zu Genüge, denn die Neugierde der Jugendlichen, gerade der Älteren, war groß – mitten in der Suche danach, wie ihre Zukunft aussehen soll, was sie interessieren könnte und wo sie Chancen auf einen Ausbildungsplatz hätten,  war dieses Projekt – wie erhofft – eine hilfreiche Stütze für sie.

So konnte z.B. auch Daniel konkreter werden: „Ich weiß, dass ich eine Ausbildung machen möchte und dass ich auch eine machen muss, um eine Zukunft zu haben. Ich wusste aber nicht wirklich, was das für eine Ausbildung sein sollte – Handwerker ist ja ein sehr allgemeiner Begriff. Nun kann ich mir etwas unter den verschiedenen Möglichkeiten vorstellen und gezielter um Praktikumsplätze und einen Ausbildungsplatz kümmern.“

Und was kommt als nächstes?

Am 22. Januar 2010 war es endlich soweit – das neue Gebäude, leider bisher nur innen fertig und außen herum noch umgeben von Baustelle, konnte eröffnet werden. Im Rahmen der deutschlandweiten Imagekampagne des deutschen Handwerks kamen zahlreiche Interessierte, unter ihnen auch der Kölner Regierungspräsident, Hans Peter Lindlar, der Schirmherr unseres Projektes.

Fertig ist jedoch noch lange nicht alles: Vor allem der Außenbereich benötigt noch einiges an Arbeit – jedoch sind dies Arbeiten, die mit den Jugendlichen wieder gemeinsam angegangen werden können. Von Plattenverlegung über Grünanlagenpflege bis zur Verschönerung der Außenwände durch einen Graffiti- und Künstlerworkshop, – alles Dinge, die die Jugendlichen ohne Probleme „drauf haben“. Denn schließlich sind genau dieses die Dinge, die schon seit Jahren gemeinsam im Jugendtreff gemacht werden und bei denen die BesucherInnen ihren Treff gestalten, sich selbst verewigen und den Treff für die nächsten Generationen vorbereiten können.

Alles in allem sind wir alle sehr stolz auf unseren Mut, dieses Projekt gemeinsam anzugehen. Die vielen Hochs und Tiefs haben keinen davon abgehalten, ehrgeizig die gesetzten Ziele zu verfolgen und erfolgreich, gestärkt und mit einigem an neuem Wissen daraus hervorzugehen. Und die nächsten Ideen, wie der Stadtteil und vor allem seine BewohnerInnen, Eltern, Kinder und Jugendliche unterstützt werden können, gären schon.

In den nächsten Monaten widmen wir uns dem „Feinschliff“, um Ende Mai mit unserem gemeinsamen Finkenweg-Sommerfest einen gebührenden Abschluss des Projektes zu gestalten. Gemeinsam mit den Handwerkerinnungen, der Kreishandwerkerschaft und der Politik wird es einen Handwerkermarkt geben, Spiel und Spaß für Groß und Klein, ein Fußballturnier und ein allgemeines fröhliches Fest für alle BesucherInnen, Familien und Freunde und den gesamten Stadtteil.

Weitere Informationen und Kontakt 

Autorin: Elisabeth Koppitz

NAGEL-Redaktion – Großes Mini-Beuel, Filzblumen und jede Menge Freiraum

Kinder brauchen Platz. Sie brauchen Raum und Zeit zum Spielen und zum eigenen Handeln, und sie brauchen Erwachsene, die für sie diese Rechte einfordern und ihnen Räume bieten. Die erste Bonner Kinderstadt „Mini-Beuel“ ermöglichte rund 400 Kindern zwei Wochen lang im Juli 2009 genau dies.

Um aus dem Konzept zu zitieren: „Die Kinderstadt Mini-Beuel ist ein Kooperationsprojekt von Offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen im Beueler Raum, der Kirche und der Stadt Bonn, ein Sommerferienangebot für Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren, ein erlebnisorientiertes Planspiel, das die Partizipation der Kinder in den Mittelpunkt stellt, eine Spielstadt von Kindern und für Kinder, in der die alltäglichen Abläufe einer Stadt spielerisch erfahren und gelebt werden.“

Dies beschreibt sehr genau, worum es in Mini-Beuel, der „Stadt der Kinder“ des Bonner Stadtteils Beuel, eigentlich ging. Innerhalb des Stadtteilarbeitskreises Offener Türen, in dem sich die Leiter der Offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen in regelmäßigen Abständen austauschen, entstand im Jahr 2007 der Wunsch, das Ferienprojekt „Kinderstadt“ nach Bonn zu holen, das ja in anderen Städten schon seit einigen Jahren erfolgreich durchgeführt wird. Zu diesem Zweck haben sich einige Träger zu einer Projektgruppe zusammengeschlossen, die den Wunsch hatte, sich der Herausforderung eines solch faszinierenden, innovativen und pädagogisch fundierten Projektes zu stellen. Nach rund zwei Jahren Vorbereitungszeit gelang es nun, in zwei Sommerferienwochen im Juli dieses Jahres eine erfolgreiche und spannende Kinderstadt durchzuführen.

Verantwortung, Selbstbestimmung und Demokratie

Hier regieren wir! Die Bürgerinnen und Bürger von Mini-Beuel waren selbstbestimmt. Den Kindern wurde nicht dazwischengefunkt, wenn es um ihre Stadt ging. Und sie bewiesen es allen mit erstaunlicher Schnelligkeit und Einfallsreichtum, wie kompetent Kinder wirklich sind, wenn sie die Möglichkeit und den Freiraum bekommen.

Schon ab dem ersten Tag ging das Konzept der Kinderstadt auf und bildete die Abläufe einer Stadt bestens ab. Von Wahlplakaten über Werbung einzelner Betriebe an Taxis bis hin zu alltäglichen Problemen wie Materialbesorgung für die Produktion und langen Schlangen bei der Arbeitsagentur: alles war „geboten“. Während der beiden Wochen verwandelten sich das Gelände der Bonner Jugendfarm und der gegenüberliegende und für die Kinderstadt eigens umzäunte städtische Bolzplatz mehr und mehr in eine Stadt mit Eigenleben. Die Kinder hatten Freiraum, um selbst zu denken und zu entwickeln, für Auseinandersetzungen mit Konflikten, für die selbstständige Erarbeitung eigener Kommunikationsprozesse und für eigenes Erfahren von Demokratie. Sie erlebten Gerechtigkeiten und Ungerechtigkeiten und die Veränderbarkeit der letzteren durch das Erarbeiten von Regeln und Normen.

Einschränkungen sollte es nach Möglichkeit nicht geben. Voraussetzung waren Anmeldung am Morgen und Abmeldung am Abend. Betreut wurden die Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren von vorab geschulten Jugendlichen zwischen 16 und 21 Jahren, die die Kinder in den insgesamt 55 Bereichen, „Betriebe“ genannt, unterstützten. Wichtig hierbei waren primär zwei Dinge: Kinder in ihrem eigenen Handeln zu begleiten und für Sicherheit zu sorgen.

Wann greift man ein, wann lässt man es laufen, und wer ist überhaupt zuständig?

Mini-Beuel bot unendlich viele Möglichkeiten zum Lernen sowohl für die Kinder als auch für die Jugendlichen und für das Projektteam. Auf verschiedenen organisatorischen Ebenen konnten wichtige Erfahrungen gemacht werden, die sich als über Mini-Beuel hinaus nutzbringend und als auf andere Felder übertragbar erwiesen.

Die Kinder selbst lernten, wie es ist, vollständig eigene Verantwortung über einen bestimmten Bereich (= Betrieb) zu haben, und was es heißt, ein vollwertiger und wichtiger Teil einer Gesellschaft (= als Bürger/-in der eigenen Stadt) zu sein.

Es tauchten viele Fragen auf, deren Antworten sich den Kindern durch das Spiel häufig von selbst erschlossen: Wie kann mein Betrieb erfolgreich laufen, und wovon hängt das ab? Welche internen und externen Faktoren spielen eine Rolle? Welche Verantwortung habe ich innerhalb meiner Stadt, meinem Stadtteils – habe ich überhaupt welche? Was passiert sonst noch in der Stadt? Gehe ich wählen oder nicht? Habe ich zu Polizeigewalt, rasenden Taxis oder einem teilweise chaotischen Bastel- und Baustoffladen etwas zu sagen, und wenn ja, was?

Lange, komplexe Handlungsabläufe gab es zur Genüge – und die Kinder konnten mit den unterschiedlichsten Situationen durchaus umgehen, da sie unterstützt vom Planspiel diese leichter nachvollziehen konnten. Sie hatten die Ressourcen, Sicherheiten und den Freiraum bekommen, wodurch sie sich ausreichend unterstützt wussten. Dabei zeigte sich Tag für Tag der hohe Bildungswert des freien gemeinsamen Spielens von Kindern in Natur und in offener, anregender Umgebung.

Auch die Arbeit mit den Jugendlichen hatte für alle viel Erfahrungswert. Zwei Wochen lang für jeweils 250 Kinder verantwortlich zu sein, war eine große pädagogische und gute Nerven erfordernde Aufgabe, die die Jugendlichen sehr erfolgreich meisterten. Die abendlichen Besprechungsrunden zeigten die jeweils aktuellen Brennpunkte auf: Welcher Betrieb läuft erfolgreich und warum? Liegt es an dem Material, den pädagogischen Ideen, den Kindern, oder vielleicht dem Standort, der Nachfrage? Klappt es, dass alle eine Mittagspause haben? Wie funktioniert die Zusammenarbeit innerhalb des Teams von Betreuern und Betreuerinnen?

Die größte Herausforderung aber war sicherlich, dass sich sechs Einrichtungen der Offenen Arbeit zusammenfanden zu einer gemeinsame Planung und Durchführung durch die Einsetzung eines gemeinsamen Projektteams. Die durchaus anstrengende gemeinsame Arbeit zeigte jedoch wieder sehr klar, wie viele Vorteile Kooperation für jeden einzelnen und somit auch die Offene Arbeit insgesamt hat. Der Pool an Ressourcen konnte effektiv genutzt werden; der gemeinsame Nenner „Offene Kinder- und Jugendarbeit“ verband die durchaus unterschiedlichen Einrichtungen, und durch die damit gegebene Vielfalt konnten viele Ideen und Inputs in maximalem Nutzen für die Teilnehmer/-innen umgewandelt werden.

Alles Gold, was glänzt?

Die Reaktion der Öffentlichkeit und der Medien zeigte deutlich, dass Mini-Beuel und damit das Konzept einer Kinderstadt durchweg positiv auf- und angenommen wurde. Ob nun Lokalzeitung, Radio und Fernsehen oder die lokale Politik und Fachkollegen und -kolleginnen, alle begleiteten das Projekt mit Freude. Die Unterstützung durch zahlreicher Sponsoren, Firmen und Privatpersonen sind ebenso Belege dafür, dass die Wichtigkeit und Besonderheit dieses Projektes allgemein anerkannt wurde.

Aber ist das auch alles? Natürlich nicht, es gibt einige Baustellen, an denen man noch nachbessern kann. In der Organisation und Aufgabenverteilung innerhalb des Projektteams können in Zukunft Aufgaben noch genauer und spezifischer verteilt werden, um die Arbeitskraft optimal über die mit Auf- und Abbau insgesamt vier Umsetzungswochen hinweg zu verteilen.

Im Nachhinein kann man feststellen, dass die Vorbereitung durch das Projektteam geprägt war von einer einzigen Leitfrage, nämlich der, welcher Grad an Durchplanung für das Projekt optimal sein würde: Was wird vorab festgelegt, was wird geplant? Wieviel soll vorgegeben sein, und wieviel sollen bzw. können die Kinder selbst innerhalb der beiden Wochen entwickeln? Was kann ihnen zugetraut werden? Mit wieviel Verantwortung können die jugendlichen Betreuer/-innen umgehen? Und was möchten wir überhaupt, dass die Kinder erleben? Chaos, Unklarheiten und Unsicherheiten gehören schließlich auch zu dem Aufbau einer Stadt dazu, und auch damit muss man umgehen lernen (können).

Diese grundlegenden Fragen waren und sind schwer generell zu beantworten, und vieles zeigt sich wirklich erst in der Praxis. Es zeigte sich aber doch, dass, wenn bei der gemeinsamen Grundidee Konsens herrscht, es die Stadt der Kinder sein soll, man zu einer klaren gemeinsamen Linie findet.

Ein Beispiel: Den Abschluss jeder Woche bildete der gemeinsame Familiensamstag. Der Idee nach sollte dieser in der Woche davor von den Kindern selbst mit vorbereitet und präsentiert werden, vor allem auch dem Stadtrat. Wenn dieser Kinderstadt-Grundidee streng gefolgt wird, kann dies durchaus einen etwas unsortierten Samstag ergeben.

Ein weiteres Beispiel: Der Umgang mir Geld in der Kinderstadt. Wer setzt die Preise des Bastel- und Baustoffladens fest? Wie verläuft es mit der Preisfestlegung innerhalb der Stadt? Wie geht ein Projektteam damit um, wenn Preise sich nicht erhöhen, Kinder Geld horten, die Bank kein Geld mehr hat? Wo schreitet man ein und setzt Grenzen, und wo lässt man das Spiel „einfach mal laufen“?

Eine Stadt, die lebt

Unabhängig von den organisatorischen und pädagogischen Fragen – Mini-Beuel war voller Leben, Freude und Lust am Ausprobieren, Lernen und Entdecken. Die Betriebe liefen erfolgreich.

Eine tägliche Stadtzeitung wurde produziert, etliche stadtinterne Radio- und TV-Beiträge (= Stadtnachrichten, Werbung, Kundgebungen über den Radiosender „Big MB“ und den Mini-Beuel TV-Sender) entstanden. Viele engagierte Stadträte und höchst engagierte BürgermeisterInnen kümmerten sich voller Freude um Besuche aus der Außenwelt wie auch um Probleme der Innenwelt. Die Müllabfuhr prosperierte und der Zirkus boomte. Im Elterngarten gingen die von den Betrieben erstellten Produkte „weg wie warme Semmeln“. Die Bürgerinnen und Bürger von Mini-Beuel fanden ihre Nischen, und der Bürgerservice zeichnete mehr und mehr Meister in ihren Betrieben aus. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, angefangen mit Bankräubern bis zu den alltäglichen Kleinigkeiten, bei denen die Bürgerinnen und Bürger Unterstützung wollten oder benötigten. Die Universität erstellte mehrere erfolgreiche Umfragen, die Bank war vielbeschäftigt mit der Ausgabe von Sparbüchern und in der ökumenischen Kirche heirateten zahlreiche gemischt- und gleichgeschlechtliche Paare jeden Alters.

Ausblick

Das Ziel des Projektteams war, dass Kinder gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge einer Demokratie verstehen lernen, ihre eigenen Ideen und Gesellschaftsentwürfe umsetzen können, die von Arbeit, Geld und Konsum bestimmte „Erwachsenenwelt“ am einfachen Modell erfahren, sich selbstbestimmt handwerkliche und musisch-kreative Fähigkeiten aneignen, die Notwendigkeit von Regeln und Normen, aber auch ihre Veränderbarkeit erkennen, die Chance bekommen, ihr Freizeitangebot mit zu gestalten, weitgehend selbstständig handeln, ein ansprechendes und unvergessliches Ferienangebot erleben. All dies war und ist durch Mini-Beuel realisierbar!

Das Projektteam, die Jugendlichen und die Familien waren zufrieden – dies heißt für das Team, dass es in zwei Jahren wieder ein Mini-Beuel geben wird. Die Prämisse des Projektteams war und es bleibt auch dabei: Kinder an die Macht! Kinder haben ein Recht auf ihre Freiheit und Selbstbestimmung. Sie haben ihre eigenen Ideen, die genauso viel Wertigkeit haben wie die eines jeden anderen Menschen, ob groß oder klein. Sie haben und brauchen das Recht auf ihre eigene Meinung, ihre eigenen Ideen. Mit Unterstützung, Ressourcen, Raum und „Anwälten“ sind Kinder und Jugendliche imstande, Großes zu tun und die Erwachsenen „vom Hocker zu reißen“.

Der Schlüssel hierzu sind die Grundsätze der Offenen Arbeit sowie Kooperation. Nur in diesem Feld und durch diese Grundsätze sind solche Projekte wirklich durchführbar – und gemeinsam sind wir stark.

 

Quelle: Offizielles Konzept der Kinderstadt Mini-Beuel

Fotos: © Projektteam Mini-Beuel

 

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Autorin: Elisabeth Koppitz

NAGEL-Redaktion – Mehr Platz für wilde Spiele an der Schule


Hüttenstadt auf der Jugendfarm (Foto: Jugendfarm Bonn)

Schule und Jugendfarm, zwei Orte, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Letztendlich definiert die eine sich sogar in Abgrenzung zur anderen: Pflicht vs. Freiwilligkeit, Lehrplan vs. Freiraum, formelles Lernen vs. informelles Lernen … Auch zeitlich war diese Abgrenzung lange gegeben: Unterricht in der Schule am Vormittag und Spielen auf der Jugendfarm am Nachmittag!

Mit der Entwicklung der Ganztagsschule wird diese Grenze in Frage gestellt. Mit der Ganztagsschule beschränkt sich Schule nicht mehr nur auf den Vormittag. Und damit ist letztendlich auch die Aufgabe verbunden, Schule ganz neu zu denken, Schule interprofessionell zu denken. Schule ist aufgefordert, mit anderen Bildungspartnern zu kooperieren. Zu diesen Bildungspartnern gehören auch die Jugendfarmen.

Als Träger der freien Jugendhilfe haben Jugendfarmen und Aktivspielplätze den
gesetzlich verankerten Auftrag, an den Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche in ihrem Einzugsbereich positiv mitzuwirken und als so genannte „dritte Sozialisationsinstanz“ neben Elternhaus und Schule bei der Gestaltung der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen mitzuhelfen. Die Entwicklung von Ganztagsangeboten an Schulen gehört daher mit zu ihrem originären Auftrag.

Die Jugendfarm Bonn e.V. hat sich im Zuge der Entwicklung der Offenen Ganztagsgrundschule in Nordrhein-Westfahlen entschlossen, für interessierte Schulen ein verlässlicher, kompetenter, innovativer und verhandlungsstarker Partner bei der Einrichtung von ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangeboten zu sein. Die Jugendfarm Bonn ist längst keine Jugendfarm mehr, deren Angebot sich auf die Offene Arbeit auf einem Platz beschränkt. Sie ist zu einem Jugendhilfeträger geworden, der sich mit seinen Erziehungs-, Förderungs- und Bildungsanliegen stadtweit einmischen möchte. Dabei geht es der Jugendfarm Bonn um die (ganzheitliche) Gestaltung von Lebensräumen mit Hilfe der Vernetzung mit anderen Erziehungs- und Bildungspartnern. Sie übernimmt Lobby- und Anwaltsfunktionen für Kinder und Jugendliche.


Weltspieltag 2009 an der OGS Marktschule: Bau einer Kartonstadt (Foto: Jugendfarm Bonn)

Die Jugendfarm Bonn steht dem jetzigen Schulsystem in seiner Aufgliederung in Gymnasien, Real-, Haupt- und Förderschulen durchaus kritisch gegenüber und setzt sich für eine Integration der verschiedenen Schulformen und ein über die Grundschulzeit hinaus dauerndes, gemeinsames Lernen ein. Dieses Lernen beschränkt sich im Idealfall nicht auf einen vormittäglichen Unterricht, sondern verteilt sich im Rahmen eines Ganztagsangebotes für alle Kinder einer Schule über eine größere Zeitspanne bis in den Nachmittag hinein. Die Schule wird damit zum Lern- und Lebensort. Durch eine entsprechende Vernetzung mit umliegenden Einrichtungen gestaltet sich das Lernen sozialraumbezogen.

Ihr Jugendhilfeangebot, das ein verlässliches Betreuungsangebot einschließlich Mittagstisch, Hausaufgabenbetreuung und Raum für selbstbestimmtes Spiel und Kreativität sowie darüber hinausgehende Förderungs- und Erziehungshilfeangebote beinhaltet, versteht die Jugendfarm Bonn nicht als Teil einer schulpädagogischen Veranstaltung. Vielmehr ist es ihr Anliegen, das schulpädagogische Angebot um ein gleichberechtigtes sozialpädagogisches Angebot zu erweitern. Die Zusammenarbeit von Lehrer/innen, sozialpädagogischen Fachkräften (Erzieher/innen, Sozialpäda-gog/innen …) und ergänzendem pädagogisch tätigen Personal (vorrangig aus dem sportpädagogischen und musisch-kulturellen Bereich) ist multiprofessionell und auf Augenhöhe angelegt. Die Kooperation auf personeller Ebene geht einher mit dem Ziel einer langfristigen Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene. Die Offene Arbeit stellt insbesondere für die jugendlichen Schüler/innen einen Ansatz dar, der auch mit einer zunehmenden Ganztagsbetreuung an den Schulen nicht wegzudenken ist. Kein Schulgelände kann den jugendlichen Interessen weder zeitlich noch inhaltlich in dem Maße gerecht werden, wie es in der Offenen Arbeit vom Konzept her angelegt ist.

In diesem Sinne strebt die Jugendfarm Bonn die Zusammenarbeit vorrangig an Standorten an, an denen im Idealfall die Möglichkeit einer Kooperation der Schule mit ihren Einrichtungen bzw. Plätzen der Offenen Arbeit gegeben ist oder die räumlichen Voraussetzungen dafür bestehen, die Angebote der Offenen Arbeit langfristig an der Schule zu integrieren.

Ein Projekt, dem sich die Jugendfarm Bonn seit geraumer Zeit verschrieben hat, ist die Einrichtung eines Bauspielplatzes an der Schule. In anderen Kommunen in Nordrhein-Westfalen wie beispielsweise in Oberhausen ist dieses Konzept bereits erfolgreich umgesetztworden. Zusammen mit einer Mitarbeiterin des städtischen Gebäudemanagements hat sich die Jugendfarm Bonn dort Anregungen geholt, wie das Konzept mit den strengen Sicherheitsauflagen der Stadt Bonn auch in Bonn möglich gemacht werden könnte. Damit begann die Suche nach einem Platz, der vom öffentlichen Schulhof durch einen entsprechend hohen Zaun abgetrennt ist, keine direkte Nähe zu den anliegenden Nachbarn aufweist und zudem auch keinen unmittelbaren Einblick für vorbeiziehende Passanten bietet.


Robert-Koch-Schule, Bonn (Foto: Jugendfarm Bonn)

An der Robert-Koch-Schule in Bonn-Pennenfeld lag es aufgrund des bereits bestehenden Schulgartens auf der Hand, dieses Vorhaben zu realisieren. Die nötige Wiederinstandsetzung der bestehenden Umzäunung verzögert die Umsetzung aktuell noch auf unbestimmte Zeit. Anders sieht es an der Katholischen Grundschule in Bonn-Ippendorf aus. Dort hat das Städtische Gebäudemanagement den verwilderten Innenhof der Schule zur neuen Gestaltung freigegeben. Jetzt geht es darum, diesen Gestaltungsprozess mit allen beteiligten Partnern (Schule, Eltern, Kindern, Jugendfarm und Stadt) auszuhandeln.

Dort kann die Jugendfarm Bonn jetzt ihrem Anliegen entsprechend, die Grundgedanken der „Offenen Arbeit“ in die Schule zu tragen, tätig werden. Damit die Wirksamkeit eines Aktivspielplatzes in vollem Umfang gegeben ist, müsste der Innenhof der Schule im Idealfall folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. Er müsste ein Platz werden, auf dem junge Menschen sich in geschütztem und betreutem Rahmen frei bewegen können.
2. Kalkulierbare Gefahren müssten als wichtiges pädagogisches Lernmittel bei der Gestaltung des Platzes bewusst integriert werden.
3. Den Kindern dürfte kein festes Konzept vorgegeben werden.
4. Die freie Willensentscheidung wäre grundlegendes Prinzip.
5. Die Kinder würden durch selbstständiges Ausprobieren lernen. Eingriffe seitens der Aufsichtskräfte würden nur zur Abwendung offensichtlicher Gefahren erfolgen.
6. Eigeninitiative zur Förderung der Identifikation mit dem Platz wäre ein weiteres Grundprinzip.
7. Der Platz wäre ausschließlich Kindern vorbehalten. Erwachsenen (Aufsicht ausgenommen) würde nur zu besonderen Anlässen Zutritt gewährt.
8. Die Aufsichtsperson sollte nach Möglichkeit „großes Kind“, Jugendlicher und Erwachsener zugleich sein.
9. Selbstgestaltung bzw. Selbstverwaltung wäre als weitere Stufe einer Ausbaumöglichkeit bei dem Konzept direkt mitgedacht.
10. Die Freiwilligkeit der Kinder wäre grundsätzlich zu berücksichtigen.


Robert-Koch-Schule (Foto: Jugendfarm Bonn)

Diese Punkte sind mehrheitlich in Schule nicht selbstverständlich und werden auch in Schule nicht uneingeschränkt und kompromisslos berücksichtigt werden können. Es geht auch nicht darum, Schule in einen Bauspielplatz zu verwandeln. Vielmehr wird die Jugendfarm Bonn im anstehenden Aushandlungsprozess gemäß Karlheinz Thimm, Professor für Soziale Arbeit an der Evangelischen Fachhochschule Berlin, die Rolle eines „produktiven Fremdkörpers an Schule mit Strahleffekten“ übernehmen und damit „zur Überprüfung schulischer Üblichkeiten einladen: den Inhalten, den Zielen, den Methoden, dem Umgang mit Zeit, der Herrichtung von Räumen, der Gestaltung von Beziehungen.“

Der Aushandlungsprozess soll über drei Jahre von August 2010 bis Dezember 2013 professionell begleitet und im Sinne eines Modellprojektes unter dem Motto „Offene Arbeit gestaltet Räume in der kommunalen Bildungslandschaft“ besonders gefördert werden. Die dafür nötigen Ressourcen sind im Rahmen eines breit angelegten Projektes von der AGOT NRW beim Land beantragt worden.

Andrea Steuernagel, Dipl. Päd.
Fachbereichsleitung Jugendhilfe & Schule
Jugendfarm Bonn
Am Weidenbach 26
53229 Bonn
0228 629879-16

Der Beitrag wurde uns freundlicherweise von Andrea Steuernagel zur Verwendung zur Verfügung gestellt.

NAGEL-Redaktion – Gesunde Küche – direkt aus der Natur

Kinderrestaurant am 24. Oktober 2009

Die Eintrittskarte hilft Ihnen, bei Interesse zur Dokumentation des Projekts zu gelangen. Bitte anklicken!

Impressionen


Die Küche im Freien (Foto: Rainer Deimel)

Seit Ende Juli 2009 hat beim NaBeBa, dem Natur- und Begegnungsbauernhof für Kinder und Jugendliche in Waltrop an der Stadtgrenze zu Castrop-Rauxel, ein neues spannendes Projekt begonnen. Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung lernen aktiv, wie man unterschiedliche Nahrungsmittel anbaut, erntet und auf verschiedene Arten zubereiten und konservieren kann. Ebenso sollen Wald- und Wiesenexpeditionen durchgeführt werden, bei denen die Kinder und Jugendlichen lernen, welche wild wachsenden Pflanzen und Kräuter essbar sind und wie man diese schmackhaft zubereiten kann.


Frische Eier von glücklichen Hühnern (Foto: Rainer Deimel)

Durch Bodenanalysen sollen die jungen Leute erfahren, welche Pflanzen in welchen Böden am besten gedeihen und wie mithilfe natürlicher Düngung den Pflanzen gute Bodenverhältnisse geschaffen werden können.


Nix für Veganer: Leckere Eier (Foto: Rainer Deimel)

Bestandteil des Projektes ist darüber hinaus der Bau eines Steinofens auf dem Gelände. Der Ofen wird derzeit von den Kindern mit viel ehrenamtlicher Unterstützung errichtet. Hier sollen demnächst Brote und Pizzen gebacken werden.

Baumeister beim Werk: Der Steinofen entsteht (Foto: Ulrike Prauß)

Als Höhepunkt soll gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen Ende Oktober und in der Vorweihnachtszeit ein Jahreszeitenrestaurant veranstaltet werden. Mit Unterstützung eines bekannten Kochs werden die Kinder und Jugendlichen allen Gästen Speisen servieren, die aus selbst geerntetem Gemüse zubereitet wurden.


Mangold-Ernte (Foto: Rainer Deimel)

Das Projekt wurde gemeinsam mit dem ABA Fachverband geplant. Fachlich begleitet wird es ebenfalls vom Verband. Gefördert wird Konzept mit einem Anteil von 70 Prozent vom Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Projektinitiative „Pakt mit der Jugend“. Die Initiatoren hoffen noch, dass auch die „Aktion Mensch“ im Wege der Stiftungsinitiative „Die Gesellschafter“ einen Anteil der verbleibenden Restmittel übernimmt.


Die dicke Schale hat die Schnecke nicht geschafft! (Foto: Rainer Deimel)

Die Aktionen finden jeweils montag- und donnerstagnachmittags von 15 bis 18 Uhr statt. Die Angebote sind offen. Jeder, der Lust hat, kann gerne vorbeikommen und mitmachen. Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung oder anderen Handicaps sind immer besonders willkommen. Natürlich werden die selbst zubereiteten Speisen auch gemeinsam gegessen.


Allen hat es geschmeckt! (Foto: Rainer Deimel)

Die Einrichtung befindet sich in Waltrop im Stadtteil Leveringhausen/Ickersche Heide, dort am Ende der Straße „Am Rapensweg“. Weitere Informationen finden sich im Internet unter www.nabeba.de, Telefonisch kann man unter der Rufnummer 02309/78 38 89 Kontakt aufnehmen. Ansprechpartnerin für das Projekt vor Ort ist jeweils montags und donnerstags Susanne von Dewall.

Noch ein paar Eindrücke


Gesund, lecker und lehrreich: Essen machen! (Foto: Rainer Deimel)


Spannend zu beobachten und mitzumachen (Foto: Rainer Deimel)

Langeweile? Kennen wir nicht! (Foto: Rainer Deimel)


Gurken dürfen auch nicht fehlen! (Foto: Rainer Deimel)


Ganz schön flott, der Gast auf dem Kürbis! (Foto: Rainer Deimel)


Gewichtheber (Foto: Rainer Deimel)


Mais schälen (Foto: Rainer Deimel)


Und sich zwischendurch auch mal um andere wichtige Dinge kümmern! (Foto: Rainer Deimel)

Vorweihnachtliches Kinderrestaurant

Projektdokumentation

Das gesamte Projekt ist auf speziellen Seiten im ABA-Netz dokumentiert. Interesse? Vorstehendes Titelbild anklicken!

NAGEL-Redaktion – Klimaprojekt auf dem Abenteuerspielplatz Troisdorf 2007

Klimaprojekt auf dem Abenteuerspielplatz Troisdorf

25. bis 27. April 2007

Kontakt:

Abenteuerspielplatz Friedrich-Wilhelms-Hütte
Lahnstraße 16
53840 Troisdorf
02241/80 44 44

Klimakatastrophe auf dem Abenteuerspielplatz

Konzept und Reflexion

1. Kurzer Überblick

Auf dem Abenteuerspielplatz Friedrich-Wilhelms-Hütte e.V. in Troisdorf war für drei Tage vom 25. bis zum 27. April 2007 die Klimakatastrophe ausgebrochen. Der Spielalltag der Kinder war durch verschiedene, inszenierte Folgen des Klimawandels gestört. Große Bereiche des Platzes waren wegen Sturmgefahr abgesperrt und mit Trümmern übersäet, es gab kein fließendes Wasser und keinen Strom. Fotomontagen zeigten den Platz bei Extremhochwasser, Sandsäcke stapelten sich am Eingang des Platzes, wo ein großes Warnschild auf die Umstände hinwies. Immer wieder schallte eine Sirene über den Platz, die auch auf dem Tierartenfriedhof weiter hinten noch zu hören war. Es wurden viele Gespräche mit Kindern zu dem Thema geführt, die vor allem ihre Fragen, unterstützt durch selbst erstelltes Informationsmaterial, beantworteten. Am dritten Tag der Katastrophe wurde eine Kinder-Klimakonferenz einberufen. Hier wurden Klimaschutzmaßnahmen für den Abenteuerspielplatz beschlossen. Diese wurden im weiteren Verlauf umgesetzt, weitere Ideen werden gesammelt, um in nächster Zeit verwirklicht zu werden.

2. Situationsanalyse

2.1. Allgemein

Die Klimaproblematik beherrscht Anfang des Jahres die Medien, und es gibt ein reges öffentliches Interesse. In der Fachwelt ist die Existenz wie auch der Mensch als Hauptursache des Klimawandels nicht mehr umstritten. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Menschheit nur ein kleines Zeitfenster bleibt, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels aufzuhalten und den weltweiten Temperaturanstieg auf maximal 2°C zu begrenzen. Trotz der Dringlichkeit ist auf politischer Ebene bislang kaum ernstzunehmender Klimaschutz erfolgt.

2.2. Zielgruppe

Die (oft bildungsarmen) Besucher des Abenteuerspielplatzes, Kinder zwischen 4 und 14 Jahren, sind in der Regel bereits mit der Begrifflichkeit des Klimawandels nicht vertraut. Außerdem ist bei den Heranwachsenden ein unbewusster und oft verschwenderischer Umgang mit natürlichen Ressourcen festzustellen. Gebrauchsgüter, wie beispielsweise Fahrräder oder Schuhe, werden meist nicht gepflegt oder pfleglich behandelt. Sie gelten nach einem halben Jahr bereits als „alt“ und werden als „kaputt“ aussortiert. Für Unterhaltungselektronik, vom MP3-Player bis zum eigenen Fernseher, wird unbedacht Energie konsumiert. Müll wird bei vielen wie selbstverständlich auf der Straße oder in der Landschaft entsorgt, das Wasser laufen gelassen. Die Umweltthematik spielt weder bei Eltern noch bei Kindern eine Rolle. Das mag unter Berücksichtigung monetärer, sozialer und intellektueller Probleme verständlich sein, eine verstärkte Bewusstseinsbildung ist jedoch, insbesondere bei dieser Klientel, unter anderem aus oben genannten Gründen, dringend nötig. Letztlich kann mit einem bewussten Umgang mit Energie und Ressourcen auch eine Menge Geld gespart werden.

2.3. Institution

Der Abenteuerspielplatz bietet für die Thematisierung der Klimaproblematik gute Voraussetzungen. Die täglich durchschnittlich 60-90 Kinder und Jugendlichen kommen freiwillig und lernen somit auch freiwillig, anders als es oft in der Schule der Fall ist. Auf dem Platz ist (fast) alles möglich. Auf der Basis vorhandener Motivation und Kreativität können verschiedenste Veränderungen vorgenommen werden. Ausreichendes Material und Werkzeug ist meist vorhanden. Das Team der Hauptamtlichen ist der Thematik gegenüber sehr aufgeschlossen und sieht dringenden Handlungsbedarf. Dabei kann auf breites Wissen hinsichtlich der Klimaproblematik und möglicher (technischer) Lösungen zurückgegriffen werden. Erfahrungen in der Presse- und Umweltarbeit sind in ausreichendem Maße vorhanden.

3. Zielsetzung

Den Heranwachsenden soll die subtile und wenig greifbare Gefahr des Klimawandels bewusst gemacht werden, damit sie eventuelle Auswirkungen auf ihr Leben und auf ihren Abenteuerspielplatz realisieren. Die Kinder und Jugendlichen sollen umweltfreundliche, ‚Ressourcen schonende Handlungsalternativen kennen lernen und in ihren Alltag (auf dem Abenteuerspielplatz) integrieren, ebenso zu Hause sowie in der Schule Klimaschutzmaßnahmen thematisieren und anwenden. Über die Kinder können möglicherweise auch die Eltern erreicht werden. Die ernüchternde und vielleicht realistischere Zielsetzung ist, dass die Kinder die Klimaproblematik und eventuelle Gegenmaßnahmen kennen lernen und ihnen das Thema zumindest nicht fremd bleibt.

4. Didaktisch-methodische Überlegungen

Um unsere Klientel zu erreichen, brauchen wir einen Ansatz, der die globale und wenig fassbare Bedrohung des Klimawandels erlebbar macht und die Folgen ohne viele Worte veranschaulicht. Die Heranwachsenden sollen eventuelle Auswirkungen der Klimakatastrophe auf ihren Abenteuerspielplatz in ihrem Viertel erleben können. Die Abläufe auf dem Platz bleiben somit im Grunde gleich, allerdings unter „katastrophalen Umständen“. Die Spielabläufe der Kinder werden immer wieder gestört, sie werden an verschiedenen Stellen wiederholt mit der Thematik konfrontiert. Über die Tage soll sich ein Leidensdruck entwickeln, der die Besucher zum Nachfragen und Umdenken anregt und einen Willen zur Veränderung und Verhinderung schafft. Während der Katastrophentage stehen die Betreuer natürlich für Fragen der Kinder und Jugendlichen zu Verfügung. Am letzten Tag sollen in einer Kinder-Klimakonferenz Vorschläge zum Klimaschutz auf dem Abenteuerspielplatz gesammelt und zur Abstimmung gestellt werden. Zudem müssen themenbezogene Informationen kindgerecht gestaltet sein und auch die wenig gebildete Zielgruppe erreichen. Einfache und knappe, dafür bebilderte Texte sind nötig.

5. Vorbereitung und Projektaufbau

5.1. Vorbereitung

Zunächst ist es natürlich wichtig, dass die Pädagogen über den Klimawandel, die Auswirkungen und die möglichen Maßnahmen informiert sind, um Gespräche mit den Platzbesuchern führen zu können. Informationsmaterial muss beschafft und auf Eignung für die Kinder geprüft werden. Wir haben beschlossen, die Klima-Info für Kinder selbst zu erstellen (zum Herunterladen im Internet oder anzufordern auf dem ASP). Weitergehend haben wir überlegt, wie den Kindern der Klimawandel bewusst und erlebbar gemacht werden kann und wie wir sie damit konfrontieren können. Wir haben uns die Folgen des Klimawandels vorgenommen und Ideen gesammelt, in welcher Form diese auf dem Platz sichtbar umgesetzt werden können:

a) Hochwasser

(Extrem-)Hochwasser ist schlecht in der Realität umzusetzen. Aus Fotos vom Platz sollen mittels Hochwasserfotos aus dem Internet Fotomontagen des überfluteten Platzes erstellt werden. Diese werden in Postergröße am Eingang ausgestellt, begleitet von einer Sandsackbarriere, die die Kinder schon beim Ankommen über die Thematik stolpern lassen soll.

b) Stürme

Beim Orkan Kyrill hat es von einem der zwei großen Holztürme einige Dachbleche heruntergerissen. Deshalb nehmen wir die mitten auf dem Gelände stehenden Türme als sturmgefährdete Objekte an und sperren diese weiträumig mit Flatterband, Gittern und Pylonen ab. Dazwischen inszenieren wir ein Trümmerfeld, wie es ein Sturm anrichten könnte: Wellbleche, Balken und Bretter liegen verstreut, Fahrräder und Anhänger umgekippt herum. Die Absperrung soll dabei auch die „Hauptverkehrsader“ des Platzes trefffen, sodass die Kinder Umwege laufen und fahren müssen.

c) Stromausfall

Vielleicht keine direkte Folge des Klimawandels, aber wohl mögliche Folge von Hochwasser oder Sturm. Wir stellen auf dem gesamten Platz den Strom ab. Für eine Sirene, die die Katastrophe untermalen soll, wird hin und wieder ein Notstromaggregat angeworfen.

d) Wassermangel

Im ganzen Haus wird das Leitungswasser abgestellt. Die Toiletten werden mit Regenwasser aus nebenstehenden Gießkannen gespült, die Hände mit selbigem gewaschen.

e) Artensterben

15 Holzkreuze mit vermutlich auf Grund des Klimawandels aussterbenden Tierarten werden aufgestellt, mit Bildern der Tiere versehen und mit Grablichtern dekoriert. Zudem sind unsere Kaninchen und Meerschweinchen „(aus)gestorben“ und werden nachmittags im Stall versteckt.

f) Trockenheit/Wüstenbildung

Für Trockenheit müssen wir in dem ungewöhnlich trockenen April nicht sorgen. Es gibt die Idee, den Reitplatz (Sandboden) als Wüste umzugestalten. Davon sehen wir jedoch ab.

Die Kinder-Klimakonferenz wird in drei Teile gegliedert. Zunächst wird der Klimawandel kurz noch einmal erläutert und die gesamte Aktion erklärt. Dann sollen Vorschläge für Klimaschutzmaßnahmen auf dem Platz gesammelt und per Handzeichen mehrheitlich beschlossen werden. Am Schluss werden dann Energiesparpotenziale für daheim besprochen und Informationen verteilt. Außerdem muss die Presse informiert werden. Die Presseeinladung soll spätestens eine Woche vorher an regionale Zeitungen, Wochenblätter, Radio- und Fernsehsender geschickt werden.

5.2 Material

Es werden benötigt:

– jede Menge Bretter, Wellbleche, Äste, Gebrauchsgegenstände für das Trümmerfeld

– etwa 20 Dachlatten für die Holzkreuze

– einige Grablichter

– Gießkannen und ausreichend Regenwasser

– ca. 20 Sandsäcke (Feuerwehr) und Füllmaterial (Sand, Splitt, Erde …)

– Absperrband (100 m)

– Pylonen, Baustellenzaun

– Aufsteller (aus alten Tischtennisplatten) für Bilder und Informationen

– Recyclingpapier für die Klimainfos

– 60 Poster mit 33 Energiespartipps (kostenlos beim Greenpeace-Magazin)

– CD-Player, Verstärker, Box und Notstromaggregat für Sirene, CD mit Sirenen- und Katastrophensounds


6. Durchführung & Rückblick

Die Maßnahmen wurden wie oben erläutert umgesetzt und die Katastrophe an einem Vormittag aufgebaut und so für die Kinder inszeniert. Als wir am ersten Tag der Katastrophe das Tor öffneten, begegneten uns, neben Zeitungsreportern und einem Kameramann von RTL, Kinder mit fragenden Gesichtern. Häufigste Frage der jüngeren Kinder war: „Wann ist das passiert?“ Von den Älteren war eher ein „Was soll das?“ zu hören. Beides bot gute Möglichkeiten, mit den Kindern über die Thematik zu sprechen. Während der Katastrophentage haben wir etliche Male mit Kindern über Ursachen und Folgen des Klimawandels und über mögliche Handlungsweisen geredet. Die Kinder waren oft erstaunt, wenn sie erfuhren, wie real die Gefahren des Klimawandels bereits schon sind, wenn man ihnen als Beispiele etwa das Elbe-Hochwasser, den Orkan Kyrill oder den trockenen April nannte. Alle drei sind zwar nicht nachweisbar Folgen des Klimawandels, aber die Häufigkeit solcher Extremereignisse wird zunehmen und deshalb sind diese als Indikatoren tauglich. Dass die globale Erwärmung direkte Folgen auf ihr Umfeld und ihren „Abenteuer“ haben könnte, hat viele Kinder erstaunt und erschreckt. Mitunter mussten wir, bei einigen jüngeren Kindern, diffuse Ängste bearbeiten. Vor allem die Fotomontagen haben manche erschreckt, und wir haben anhand der grafischen Fehler gezeigt, dass das nicht real war und so schnell auch nicht sein wird. Im Laufe der drei Tage gewöhnten sich die Kindern recht schnell an die Situation, sodass wir die Situation gerne noch verschärft hätten, um den Handlungsbedarf der Kinder herauszukitzeln. Hierfür fehlten allerdings in kurzer Zeit umsetzbare Ideen.

Freitags gegen fünfzehn Uhr läuteten wir dann eine Kinder-Klimakonferenz ein, an der sich etwa 40 Kinder beteiligten. Zunächst wurde der Klimawandel noch einmal in einfachen Worten erklärt, anschließend suchten wir zusammen mit den Kindern nach Möglichkeiten, der Klimakatastrophe auf dem Platz (und zu Hause) entgegenzuwirken. In der eineinhalbstündigen Konferenz waren die Kinder zu einem großen Teil sehr aufmerksam und arbeiteten mit. Vielen fehlte jedoch das nötige Wissen, um Vorschläge zu machen. Wir waren sehr froh um ein älteres Mädchen, dass die Thematik bereits auf der Realschule behandelt hatte. Folgende Maßnahmen wurden von den Kindern der Konferenz mehrheitlich beschlossen:

a) Trecker

Der Trecker, mit dem die Kinder auf dem Platz fahren, wird weniger genutzt und zur Hälfte mit Salatöl betankt.

b) Kinder-PC

Der Kinder-Computerraum steht nur noch montags, mittwochs und freitags zum Spielen zur Verfügung, um Energie zu sparen. Somit werden zwei Tage gestrichen.

c) Solarzellen

Das Radlager (Fahrradwerkstatt und -ausleihe) wird zukünftig über Solarzellen mit Strom versorgt.

d) Toiletten

Um Wasser zu sparen, werden die Toiletten weiterhin mit Regenwasser gespült.

e) Energiesparlampen

Im ganzen Haus werden nur noch Leuchtstoffröhren und Energiesparlampen benutzt.

f) Radio

Das Radio in der Werkzeugausgabe läuft erst ab 15 Uhr, um Energie zu sparen. Zwei Stunden pro Öffnungstag werden damit eingespart.

g) Heizung

Im Winter wird die Heizung um 2°C heruntergedreht. Die Fenster werden nur kurz zum Stoßlüften geöffnet.

h) Handys

Auf dem Platz gilt ein Verbot von lauter Musik vom Handy.

Einige der Maßnahmen benötigen weitere Vorbereitungen (wie etwa die Solarzellen), andere wurden sofort umgesetzt und für die Kinder durch Schilder gekennzeichnet. Wir sammeln weitere Ideen mit den Kindern und auch im Team. Zwei ältere Kinder schrieben in diesem Zusammenhang einen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem sie von ihr Anstrengungen für den Klimaschutz fordern. Auf eine Antwort warten wir bislang noch. Zukünftig nutzen wir fast ausschließlich Recyclingpapier und überlegen, für die Kinder einen Energiepass einzuführen. Um den Kinder-PC oder den Ghettoblaster benutzen zu dürfen, müsste man dann eine bestimmte Anzahl Umweltpunkte vorweisen. Die würden etwa durch das Aufsammeln von Müll oder Erzeugung von elektrischem Strom gesammelt. Dieser könnte mit einem umgebauten Fahrrad, zusätzlich zur Solaranlage, für das Radlager produziert werden.

Das Projekt ist insgesamt auf einen längeren Zeitraum ausgelegt. Eine Info-Wand erinnert, neben Hinweisen der Mitarbeiter, die Kinder an klimafreundliches Verhalten. Informationen und Energiespartipps verteilen wir weiterhin. Sollte die Thematik bei den Kindern zu weit im Hinterkopf verschwinden, kann es auch sein, dass die Katastrophe nochmals den Platz heimsucht.

Die Presseresonanz war in Ordnung. Es erschienen zwei größere Artikel mit Fotos, einige kleinere Randnotizen und ein kurzer Beitrag in den RTL-Nachrichten für Nordrhein-Westfalen. Von einigen regionalen Medienvertretern (zwei Tageszeitungen, WDR) waren wir aufgrund des unverständlichen, aber offensichtlichen Desinteresses sehr enttäuscht. Die selbst erstellte Klimainformation beinhaltete für unsere Klientel offenbar noch zu viel Text. Dabei sind nur die allerwichtigsten Informationen enthalten, sodass unseres Erachtens weitere Kürzungen nicht möglich sind. Es besteht jedoch von externen Einrichtungen bereits Interesse, das Faltblatt (etwa im Unterricht) zu verwenden.

Auf dem Sommerfest der Einrichtung wurde ein Klimastand eingerichtet, wo Kinder an einer Aktion der BUNDjugend teilnehmen konnten, um mit einem Brief an den Bundesumweltminister wirksamen Klimaschutz zu fordern. Erwachsene Besucher konnten sich per Unterschrift an einer Klimaschutz-Petition von Greenpeace beteiligen, welche die Aufnahme des Klimaschutzes in die UN-Charta sowie die Verfassungen aller Länder fordert. Außerdem konnte Ökostrom auf einem umgebauten Fahrrad, der ein Radio speiste, produziert werden.

Presseberichte und Dokumente

Faltblatt des Abenteuerspielplatzes: Kinder-Klima-Kämpfer
Faltblatt herunterladen

Rhein-Sieg Rundschau vom 27. April 2007

Extra-Blatt vom 2. Mai 2007

Rundblick Troisdorf vom 8. Mai 2007
Rundblick.jpg

Die NAGEL-Redaktion bedankt sich bei Simon Sakowski und dem Team des Abenteuerspielplatzes Friedrich-Wilhelms-Hütte in Troisdorf für das freundlich gelieferte Material, das wir hier gern zur Verfügung stellen.

Dortmund, 4. September 2007

NAGEL-Redaktion – Kinder machen Kunst

Projekt „Kinder machen Kunst“ mit dem Spielbus Tummelhummel (Herne)

„Wir haben hier in einer Woche mehr gelernt als in einem Jahr in der Schule!“

In Zusammenarbeit mit dem ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen e.V. veranstaltete der Spielbus Tummelhummel des Jugendamtes Herne eine Kunstwoche im Stadtbezirk Sodingen. Das Projekt fand auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Teutoburgia statt; im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) wurde dieses zum „KunstWald“ umgestaltet. Der Spielbus hat hier einen regelmäßigen Standort.

Unterstützt wurde das Projekt durch das Land Nordrhein-Westfalen; dies im Rahmen einer Förderung „Besondere Maßnahmen/Innovative Projekte und Experimente“ durch den Landesjugendplan.

Ziele

Die Kinder sollten stärker für ihre örtliche Umgebung interessiert und sensibilisiert werden und somit die Chance bekommen, in ihrem Stadtteil eigeninitiativ tätig zu werden. Als „Nebeneffekt“ war beabsichtigt, den Schutz öffentlicher Räume gleichsam zu vergrößern.

Die Kinder sollten unter Anleitung professioneller Künstler selbst schöpferisch tätig und auf ganz praktische Art und Weise an die Kunst herangeführt werden, um somit auf lustvolle Weise ihre kreativen Kompetenzen erweitern zu können.

Engagiert wurden für das Projekt die beiden Kunstpädagogen und Bildhauer Catharina und Dieter Wagner.

Da die von den Kindern geschaffenen Kunstwerke im Park verbleiben sollten, war es erforderlich, ein spezielles Konzept zu entwickeln. Neben der Erweiterung durch die Kunst der Kinder ging es auch darum, die bereits im KunstWald vorhandenen Objekte respektvoll zu behandeln. Die Kunstwerke der Kinder sollten sich anpassen und nicht stören. Gleichzeitig war beabsichtigt, die von Künstlern in der Vergangenheit geschaffenen Achsen zu verlängern. So entstand ein Konzept aus einem Haupt- und mehreren Nebenpfaden. Unter Anleitung von Catharina und Dieter Wagner war vorgesehen, dass die Kinder Großskulpturen in Form von Findlingen aus Holz schufen. Während des Projekts sollten die Kinder die Möglichkeit haben, den KunstWald – wie er ist und wie er später sein könnte – zu erfassen. Als Nebenpfad sollten Bäume in dem anliegenden Wald gekälkt werden , um spannende Marken zu setzen. Für das gesamte Projekt war die Möglichkeit gegeben, in einer Holzwerkstatt Zwergwächter zu bauen, die während der Projektwoche als Windspiele in den Bäumen aufgehängt werden sollten. Aus einem großen Granitstein sollte eine Vogeltränke entstehen, um in einem anderen Teil des Waldes im Schutz eines selbstgebauten Nestes zu verbleiben. Kleinere Skulpturen sollten aus Speckstein geschaffen werden, die die Kinder direkt mit nach Hause nehmen konnten. Als Ausklang des Projekts war eine Vernissage geplant, zu der Politiker, Eltern, die Presse und alle Interessierten eingeladen werden sollten.

Bei der Planung zu berücksichtigen war neben der Altersgruppe der Kinder der offene Charakter des Angebots; es war nicht vorhersehbar, wie viele Kinder an dem Projekt teilnehmen würden. Unter Berücksichtigung der Jahreszeit (Herbst), ging es ferner darum, in der freien Natur Arbeitsplätze für die Kinder zu schaffen, die sowohl bei Regenwetter als auch bei freundlicher Witterung zu nutzen waren. So wurde ein Tag vor Projektbeginn am üblichen Spielbusstandort ein Dorf errichtet, bestehend aus einem Jurte-Zelt mit Feuerstelle und mehreren „Ruckzuck“-Pavillons. Zur Unterbringung der Werkzeuge, Materialien sowie der Tische und Bänke standen Anhänger zur Verfügung.

Unter dem Motto Kinder machen Kunst konnte es losgehen. Eingeladen waren alle Kinder im Alter von 5-12 Jahren. In der Zeit von 11.00 bis 16.00 Uhr sollten nun die Kinder über fünf Tage eine kreative, erlebnis- und erfahrungsreiche Woche verbringen können. Für das leibliche Wohl wurde mit belegten Brötchen und Getränken wie Tee und Wasser gesorgt.

Der erste Tag schien zunächst – meteorologisch betrachtet – nicht vielversprechend zu werden. Es regnete ununterbrochen. Doch ließen sich die Kinder nicht davon abhalten, in Scharen in den KunstWald zu strömen. Zum Versammlungsort wurde nun allmorgendlich das Jurte-Zelt, in dem sich täglich über 100 Kinder um das Feuer versammelten. Die Kinder waren zum größten Teil durch die reguläre Spielmobilarbeit an diesem Standort und durch unterschiedliche Aktionen im Stadtgebiet bekannt.

Nach dem täglichen Eröffnungsritual – Begrüßung und Klärung des Tagesablaufs – fanden sich die Kinder in den einzelnen Werkstätten ein.

1. Tag

Aktivitäten: Findlinge schnitzen, Specksteinwerkstatt, Holzwerkstatt

Die Befürchtung, durch die Menge der Kinder könne sich Chaos ausbreiten, bewahrheitete sich ganz und gar nicht. Vielmehr entwickelte sich eine angenehme schöpferische Arbeitsatmosphäre, zu der einerseits das pädagogische und organisatorische Engagement der MitarbeiterInnen beitrug; andererseits lieferten die Kinder einen eindrucksvollen Beweis ihrer wunderbaren Selbstorganisationskräfte. Gemeinsam mit jungen TeilnehmerInnen wurden die einzelnen Arbeitsbereiche aufgebaut und mit den dazugehörigen Materialien ausgestattet. Während die Anleitung der Findlings-Bearbeitung von den Künstlern übernommen wurde, unterstützten und begleiteten die Mitarbeiter des Teams die Kinder in der Holz- und Specksteinwerkstatt.. Das Vorhandensein von gut sortiertem Werkzeug, viele unterschiedliche Feilen, Hämmer und Schleifpapier, Öle und Wachse, verschiedene Holzarten in diversen Stärken., Nägel und Korken, aber auch die Beratung und Unterstützung seitens der MitarbeiterInnen, waren hilfreich. Die Kinder konnten sich so schnell in die unterschiedlichen Arbeitsbereiche einfinden. Die Phantasie der Kinder wurde vor allem durch die Beschaffenheit und die unterschiedlichen Formen des Materials stimuliert.

Mit unermüdlicher Ausdauer und großem Schaffensdrang wurden die Platanenfindlinge bearbeitet. Es herrschte ein geschäftiges Treiben, das nur durch den Aufruf zur Mittagspause und die knurrenden Mägen der Kinder unterbrochen werden konnte. Nach einer kleinen Stärkung nahmen die Aktivitäten bis zum Ausklingen des Nachmittags ihren Lauf. Zu beobachten war, dass dieser erste Tag vor allem auch ein Experimentieren mit Werkzeugen und Materialien war. So wurden etwa die Specksteine zu glatten, glänzenden Steinen bearbeitet, ohne ihre Form zu verändern; und in der Holzwerkstatt wurden Bretter gesägt, zusammengenagelt oder mit Heißklebepistole geklebt.

2. Tag

Aktivitäten: Bearbeiten der Findlinge, Speckstein, Figurenwerkstatt, Anmalen der Bäume

Unter Anleitung der Kunstpädagogin Catharina Wagner, fand das neue Angebot „Anmalen der Bäume“ statt. Zu diesem Zwecke rührten die Kinder eine weiße Grundfarbe, bestehend aus Kalk, Quark, Wasser und Hirschhornsalz (1) an. Anschließend suchten sich die jungen Künstler einen von der Art zu ihnen passenden Baum und grundierten diesen mit der vorbereiteten Farbe. Nach dem Antrocknen sollten die Bäume dann mit bunten Farben versehen werden. Offensichtlich machte diese Aktion den Kindern sehr großen Spaß und es war ein nachhaltiges Erlebnis, zu beobachten, wie sehr sich die Kinder mit „ihren“ Bäumen identifizierten. Manche umarmten gar „ihren“ Baum und bezeichneten ihn als „mein Freund“. So entstand im Wald ein von den Kindern geschaffener Pfad, durch den gleichzeitig der Aktionsradius erweitert wurde und neues “ Gebiet“ erobert werden konnte. Einige Platanenfindlinge konnten zum Ende des Nachmittags schon fertig gestellt werden, und die Speckstein- und Holzwerkstatt waren zum Ende des Nachmittags noch voll im Gange. Der ungebremste Ideenreichtum der Kinder führte in der Holzwerkstatt zu den ersten fertigen Holzfiguren(Wächterfiguren), die auch schon an diesem Tag teilweise mit Dispersionsfarbe angemalt wurden. Auch die Specksteine nahmen zunehmend mehr Gestalt an; dies in Form von Fischen, Seehunden und anderen Figuren.


3. Tag

Aktivitäten: Findlinge schnitzen, Figurenwerkstatt, Bäume anmalen, Nestbau

Das Schnitzen der Findlinge wurde inzwischen von einer Spielbusmitarbeiterin begleitet und unterstützt, sodass der Künstler Dieter Wagner den Nestbau beginnen konnte. Dazu begab er sich mit den Kindern in den Wald. Erst einmal wurde ein geeigneter Platz für das Projekt „Nest mit Ei“ ausgekundschaftet. Es fand sich ein zauberhafter Platz im direkt angrenzenden Gehölz, an dem es verblüffenderweise alte, hohe Weißdornbäume gab, die im Halbkreis gewachsen waren – der „perfekte Ort“ für dieses Vorhaben! Dieter Wagner erläuterte die mythologische Bedeutung des Weißdorns: Schutz vor bösen Zauberern und Hexen!

Derart eingestimmt, begannen die Kinder Äste und Reisig für die nun anstehende Arbeit zu suchen. Ergänzt wurden die Materialien durch angespitzte Tomatenpflöcke. Das Nest erhielt die Form einer Spirale, die mit den stabilen Pflöcken vorgesteckt und mit dem gesammelten Material durchwoben wurde. Die Arbeit ging schnell voran ,sodass nur noch die Fixierung mittels Draht und das Anmalen des Objekts innerhalb der nächsten beiden Tage zu besorgen war. Auch dieser Tag endete mit zufriedenen, glücklichen Kindern und MitarbeiterInnen. Einziger Kritikpunkt seitens der Kinder war das fehlende Specksteinangebot. Das Team hatte angenommen, dieses Angebot wäre bereits „ausgelaufen“ und wurde nun eines Besseren belehrt. Situations- und bedarfsentsprechend wurde für den nächsten Tag neues Specksteinmaterial besorgt.

4. Tag

Aktivitäten: Speckstein, Figurenwerkstatt/Holzwerkstatt, Fertigstellung des Nestes, Vogeltränke aus Granitstein

Neu auf dem Tagesplan war das (Bild-)Hauen einer Vogeltränke. Eigens dafür wurde ein großer Granitstein in Form eines Eis zur Bearbeitung ausgewählt, der schwer genug war, um zu verhindern, dass er unbefugterweise entfernt werden könnte.. Die Bearbeitung des Granitsteins war allerdings aufwendiger und schwieriger als die relativ einfach Umgang mit dem Speckstein. Die Arbeiten mit letztgenanntem allerdings waren eine hilfreiche „Vorabübung“ für diejenigen Kinder, die sich am Bildhauen an dem massiven Granit beteiligten. Aufgrund seiner massiven Beschaffenheit wurden Schutzbrillen benötigt, um zu verhindern, dass umherfliegende Splitter die Augen verletzen. Mittels einer Flex wurde eine Mulde auf der Oberfläche des Ei eingearbeitet. Anschließend wurde die Vogeltränke von den Kindern mit Hammer und Meißel fertiggestellt. Das Nest erhielt wie die Bäume eine Farbgestaltung in allen möglichen Grün- und Blautönen. In den anderen Bereichen waren eine Vielzahl an Skulpturen, Figuren und Bildern bereits gefertigt.


5. Tag

Aktivitäten: „Fertigstellung“ der einzelnen Kunstwerke, Gestaltung der Präsentation, Vernissage

„Auf goldenem Grund!“ (2) Unter diesem Motto stand der letzte Projekttag, der mit einer öffentlichen Vernissage endete: An diesem Ort, einer ehemaligen Kohlengrube (Zeche), wurde früher „schwarzes Gold“ gefördert – ein Ort der für viele schicksalhaft und lebensbestimmend war. Heute sind die Kinder, das „Gold“ , das gefördert werden will. Zahlreiche individuelle Fähigkeiten konnten in dieser Woche „zu Tage befördert“ (gefördert) werden. Die Vernissage wurde von Rainer Deimel, dem Referenten für Bildung und Öffentlichkeitsarbeit des ABA Fachverbandes, eröffnet. Auf außerordentliche Bestätigung durch die Kinder stieß unter anderem die geäußerte These, die Handlungsorientierung und die gleichzeitige Reflexion des einwöchigen Projekts hätte womöglich mehr an Bildungsarbeit geleistet, als die Schule innerhalb eines ganzen Schuljahres dazu imstande ist. Begrüßt werden konnten neben zahlreichen Eltern und Verwandten, die Vorsitzende des Ausschusses für Kinder, Jugend und Familie im nordrhein-westfälischen Landtag sowie etliche VertreterInnen aus der Herner Politik und anderen Organisationen. Die Vorsitzende der Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat ebenfalls angekündigt, den Kunstwerken der Kinder gelegentlich ihre Referenz zu erweisen. Schätzungsweise 250 Personen beteiligten sich an dem Abschlussrundgang; die Kinder erläuterten mit Dieter Wagner, die Kunstwerke und den Weg ihrer Entstehung. Großer Applaus bestätigte allen TeilnehmerInnen den Erfolg der einwöchigen Arbeit, der für das Wohnumfeld wunderbare – selbstgeschaffene – Kunstwerke zurücklässt. Die Identifikation der Kinder mit ihrer Umgebung konnte – wie gewollt – gesteigert werden. Das gilt auch für ihre Eltern.

Erwähnenswert auch die gewinnbringende Kooperation des Spielmobil-Teams mit den Künstlern: Neben dem erfolgreichen gemeinsamen Planen und Durchführen des Projekts konnten alle während dieser gemeinsamen Zusammenarbeit voneinander lernen und profitieren.

Das Projekt fügte sich hervorragend in den Park ein und berücksichtigte auf reflektierte Weise den kindlichen Schaffensdrang. Nicht „elitär künstlerisch“ wurden hier die Kinder eingesetzt, sondern eher wie auf einem Abenteuerspielplatz. Sie gingen mit Werkzeugen aller Art um, sie schleppten Steine, Holz und anderes Material – Leben auf einer Baustelle, umgeben von Kunst und Natur, selbst Kunst und Natur gestaltend.

Bericht: Margarete Germaine (3)
Fotos: Barbara Schorlemmer, Bochum (© ABA Fachverband)
Gestaltung dieser Seite: Rainer Deimel

(1) In früheren Zeiten wurden Bäume häufig mittels dieser Rezeptur geschützt. Diese Mischung verhindert, dass die Baumrinde bei Nachlassen des Frostes im Winter platzt.

(2) © ABA Fachverband

(3) Früher beim Spielbus Tummelhummel, seit 2005 beim Spielmobil Tobedüse und seit 2008 im Stadtteilzentrum Pluto der Stadt Herne beschäftigt.

Nachtrag: Die „Dorfbäckerei Frank“ aus Castrop-Rauxel, die an der Vellwigstraße in Herne eine Filiale betreibt, unterstützte das Projekt mit einer größeren Menge Kuchen und Gebäck. Herzlichen Dank!

NAGEL-Redaktion – Pakt mit der Jugend NRW

Beginn und Hintergrund

Die Landesregierung hat am 4. Juni 2008 mit den nordrhein-westfälischen Dachverbänden der Jugendorganisationen den „Pakt mit der Jugend“ geschlossen. Nach dem Abkommen wird das Land Nordrhein-Westfalen jährlich mehr als 80 Millionen Euro für die Jugendarbeit zur Verfügung stellen. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers: „Die nordrhein-westfälische Jugendpolitik ist durch den Pakt mit der Jugend einen großen Schritt weitergekommen. Er stellt sicher, dass die Interessen der jüngeren Generationen auch künftig gewahrt werden. Dies ist uns in enger Zusammenarbeit mit den Jugendlichen und ihren Organisationen gelungen – ein in unserem Land noch nie dagewesener Prozess, der deutlich macht, wofür Nordrhein-Westfalen steht: ein Klima des Miteinanders, das jüngeren Menschen neue Gestaltungs- und Entfaltungschancen bietet.“

Mehr zum Auftakt des „Pakts mit der Jugend“

Sind Sie an Projekten, die aktuell im ABA Fachverband organisiert werden? Dann klicken Sie auf vorstehenden Link!

Der ABA Fachverband im „Pakt mit der Jugend“ 2009/2010

Projektreihe „Tage der Spielplatzpaten NRW 2009


Foto: Rainer Deimel

Der ABA Fachverband führt innerhalb des Pakts mit der Jugend die Tage der Spielplatzpaten NRW 2009 durch. Mehr zum Thema gibt es auf speziellen Seiten im ABA-Netz. Weiter

Projekt „Gesunde Jahreszeitenküche direkt aus der Natur“


Foto: Rainer Deimel

Ein Projekt mit nehinderten und nichtbehinderten Jugendlichen auf dem Natur- und Begegnungsbauernhof (NaBeBa) in Waltrop. Die Einrichtung ist Mitglied im ABA Fachverband. Weiter

39. Internationaler Spielmobilkongress 2010 im Ruhrgebiet

Der 39. Internationale Spielmobilkongress fand vom 29. September bis 3. Oktober 2010 im Ruhrgebiet statt. Mehr dazu

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