Kinder brauchen Platz. Sie brauchen Raum und Zeit zum Spielen und zum eigenen Handeln, und sie brauchen Erwachsene, die für sie diese Rechte einfordern und ihnen Räume bieten. Die erste Bonner Kinderstadt „Mini-Beuel“ ermöglichte rund 400 Kindern zwei Wochen lang im Juli 2009 genau dies.
Um aus dem Konzept zu zitieren: „Die Kinderstadt Mini-Beuel ist ein Kooperationsprojekt von Offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen im Beueler Raum, der Kirche und der Stadt Bonn, ein Sommerferienangebot für Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren, ein erlebnisorientiertes Planspiel, das die Partizipation der Kinder in den Mittelpunkt stellt, eine Spielstadt von Kindern und für Kinder, in der die alltäglichen Abläufe einer Stadt spielerisch erfahren und gelebt werden.“
Dies beschreibt sehr genau, worum es in Mini-Beuel, der „Stadt der Kinder“ des Bonner Stadtteils Beuel, eigentlich ging. Innerhalb des Stadtteilarbeitskreises Offener Türen, in dem sich die Leiter der Offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen in regelmäßigen Abständen austauschen, entstand im Jahr 2007 der Wunsch, das Ferienprojekt „Kinderstadt“ nach Bonn zu holen, das ja in anderen Städten schon seit einigen Jahren erfolgreich durchgeführt wird. Zu diesem Zweck haben sich einige Träger zu einer Projektgruppe zusammengeschlossen, die den Wunsch hatte, sich der Herausforderung eines solch faszinierenden, innovativen und pädagogisch fundierten Projektes zu stellen. Nach rund zwei Jahren Vorbereitungszeit gelang es nun, in zwei Sommerferienwochen im Juli dieses Jahres eine erfolgreiche und spannende Kinderstadt durchzuführen.
Verantwortung, Selbstbestimmung und Demokratie
Hier regieren wir! Die Bürgerinnen und Bürger von Mini-Beuel waren selbstbestimmt. Den Kindern wurde nicht dazwischengefunkt, wenn es um ihre Stadt ging. Und sie bewiesen es allen mit erstaunlicher Schnelligkeit und Einfallsreichtum, wie kompetent Kinder wirklich sind, wenn sie die Möglichkeit und den Freiraum bekommen.
Schon ab dem ersten Tag ging das Konzept der Kinderstadt auf und bildete die Abläufe einer Stadt bestens ab. Von Wahlplakaten über Werbung einzelner Betriebe an Taxis bis hin zu alltäglichen Problemen wie Materialbesorgung für die Produktion und langen Schlangen bei der Arbeitsagentur: alles war „geboten“. Während der beiden Wochen verwandelten sich das Gelände der Bonner Jugendfarm und der gegenüberliegende und für die Kinderstadt eigens umzäunte städtische Bolzplatz mehr und mehr in eine Stadt mit Eigenleben. Die Kinder hatten Freiraum, um selbst zu denken und zu entwickeln, für Auseinandersetzungen mit Konflikten, für die selbstständige Erarbeitung eigener Kommunikationsprozesse und für eigenes Erfahren von Demokratie. Sie erlebten Gerechtigkeiten und Ungerechtigkeiten und die Veränderbarkeit der letzteren durch das Erarbeiten von Regeln und Normen.
Einschränkungen sollte es nach Möglichkeit nicht geben. Voraussetzung waren Anmeldung am Morgen und Abmeldung am Abend. Betreut wurden die Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren von vorab geschulten Jugendlichen zwischen 16 und 21 Jahren, die die Kinder in den insgesamt 55 Bereichen, „Betriebe“ genannt, unterstützten. Wichtig hierbei waren primär zwei Dinge: Kinder in ihrem eigenen Handeln zu begleiten und für Sicherheit zu sorgen.
Wann greift man ein, wann lässt man es laufen, und wer ist überhaupt zuständig?
Mini-Beuel bot unendlich viele Möglichkeiten zum Lernen sowohl für die Kinder als auch für die Jugendlichen und für das Projektteam. Auf verschiedenen organisatorischen Ebenen konnten wichtige Erfahrungen gemacht werden, die sich als über Mini-Beuel hinaus nutzbringend und als auf andere Felder übertragbar erwiesen.
Die Kinder selbst lernten, wie es ist, vollständig eigene Verantwortung über einen bestimmten Bereich (= Betrieb) zu haben, und was es heißt, ein vollwertiger und wichtiger Teil einer Gesellschaft (= als Bürger/-in der eigenen Stadt) zu sein.
Es tauchten viele Fragen auf, deren Antworten sich den Kindern durch das Spiel häufig von selbst erschlossen: Wie kann mein Betrieb erfolgreich laufen, und wovon hängt das ab? Welche internen und externen Faktoren spielen eine Rolle? Welche Verantwortung habe ich innerhalb meiner Stadt, meinem Stadtteils – habe ich überhaupt welche? Was passiert sonst noch in der Stadt? Gehe ich wählen oder nicht? Habe ich zu Polizeigewalt, rasenden Taxis oder einem teilweise chaotischen Bastel- und Baustoffladen etwas zu sagen, und wenn ja, was?
Lange, komplexe Handlungsabläufe gab es zur Genüge – und die Kinder konnten mit den unterschiedlichsten Situationen durchaus umgehen, da sie unterstützt vom Planspiel diese leichter nachvollziehen konnten. Sie hatten die Ressourcen, Sicherheiten und den Freiraum bekommen, wodurch sie sich ausreichend unterstützt wussten. Dabei zeigte sich Tag für Tag der hohe Bildungswert des freien gemeinsamen Spielens von Kindern in Natur und in offener, anregender Umgebung.
Auch die Arbeit mit den Jugendlichen hatte für alle viel Erfahrungswert. Zwei Wochen lang für jeweils 250 Kinder verantwortlich zu sein, war eine große pädagogische und gute Nerven erfordernde Aufgabe, die die Jugendlichen sehr erfolgreich meisterten. Die abendlichen Besprechungsrunden zeigten die jeweils aktuellen Brennpunkte auf: Welcher Betrieb läuft erfolgreich und warum? Liegt es an dem Material, den pädagogischen Ideen, den Kindern, oder vielleicht dem Standort, der Nachfrage? Klappt es, dass alle eine Mittagspause haben? Wie funktioniert die Zusammenarbeit innerhalb des Teams von Betreuern und Betreuerinnen?
Die größte Herausforderung aber war sicherlich, dass sich sechs Einrichtungen der Offenen Arbeit zusammenfanden zu einer gemeinsame Planung und Durchführung durch die Einsetzung eines gemeinsamen Projektteams. Die durchaus anstrengende gemeinsame Arbeit zeigte jedoch wieder sehr klar, wie viele Vorteile Kooperation für jeden einzelnen und somit auch die Offene Arbeit insgesamt hat. Der Pool an Ressourcen konnte effektiv genutzt werden; der gemeinsame Nenner „Offene Kinder- und Jugendarbeit“ verband die durchaus unterschiedlichen Einrichtungen, und durch die damit gegebene Vielfalt konnten viele Ideen und Inputs in maximalem Nutzen für die Teilnehmer/-innen umgewandelt werden.
Alles Gold, was glänzt?
Die Reaktion der Öffentlichkeit und der Medien zeigte deutlich, dass Mini-Beuel und damit das Konzept einer Kinderstadt durchweg positiv auf- und angenommen wurde. Ob nun Lokalzeitung, Radio und Fernsehen oder die lokale Politik und Fachkollegen und -kolleginnen, alle begleiteten das Projekt mit Freude. Die Unterstützung durch zahlreicher Sponsoren, Firmen und Privatpersonen sind ebenso Belege dafür, dass die Wichtigkeit und Besonderheit dieses Projektes allgemein anerkannt wurde.
Aber ist das auch alles? Natürlich nicht, es gibt einige Baustellen, an denen man noch nachbessern kann. In der Organisation und Aufgabenverteilung innerhalb des Projektteams können in Zukunft Aufgaben noch genauer und spezifischer verteilt werden, um die Arbeitskraft optimal über die mit Auf- und Abbau insgesamt vier Umsetzungswochen hinweg zu verteilen.
Im Nachhinein kann man feststellen, dass die Vorbereitung durch das Projektteam geprägt war von einer einzigen Leitfrage, nämlich der, welcher Grad an Durchplanung für das Projekt optimal sein würde: Was wird vorab festgelegt, was wird geplant? Wieviel soll vorgegeben sein, und wieviel sollen bzw. können die Kinder selbst innerhalb der beiden Wochen entwickeln? Was kann ihnen zugetraut werden? Mit wieviel Verantwortung können die jugendlichen Betreuer/-innen umgehen? Und was möchten wir überhaupt, dass die Kinder erleben? Chaos, Unklarheiten und Unsicherheiten gehören schließlich auch zu dem Aufbau einer Stadt dazu, und auch damit muss man umgehen lernen (können).
Diese grundlegenden Fragen waren und sind schwer generell zu beantworten, und vieles zeigt sich wirklich erst in der Praxis. Es zeigte sich aber doch, dass, wenn bei der gemeinsamen Grundidee Konsens herrscht, es die Stadt der Kinder sein soll, man zu einer klaren gemeinsamen Linie findet.
Ein Beispiel: Den Abschluss jeder Woche bildete der gemeinsame Familiensamstag. Der Idee nach sollte dieser in der Woche davor von den Kindern selbst mit vorbereitet und präsentiert werden, vor allem auch dem Stadtrat. Wenn dieser Kinderstadt-Grundidee streng gefolgt wird, kann dies durchaus einen etwas unsortierten Samstag ergeben.
Ein weiteres Beispiel: Der Umgang mir Geld in der Kinderstadt. Wer setzt die Preise des Bastel- und Baustoffladens fest? Wie verläuft es mit der Preisfestlegung innerhalb der Stadt? Wie geht ein Projektteam damit um, wenn Preise sich nicht erhöhen, Kinder Geld horten, die Bank kein Geld mehr hat? Wo schreitet man ein und setzt Grenzen, und wo lässt man das Spiel „einfach mal laufen“?
Eine Stadt, die lebt
Unabhängig von den organisatorischen und pädagogischen Fragen – Mini-Beuel war voller Leben, Freude und Lust am Ausprobieren, Lernen und Entdecken. Die Betriebe liefen erfolgreich.
Eine tägliche Stadtzeitung wurde produziert, etliche stadtinterne Radio- und TV-Beiträge (= Stadtnachrichten, Werbung, Kundgebungen über den Radiosender „Big MB“ und den Mini-Beuel TV-Sender) entstanden. Viele engagierte Stadträte und höchst engagierte BürgermeisterInnen kümmerten sich voller Freude um Besuche aus der Außenwelt wie auch um Probleme der Innenwelt. Die Müllabfuhr prosperierte und der Zirkus boomte. Im Elterngarten gingen die von den Betrieben erstellten Produkte „weg wie warme Semmeln“. Die Bürgerinnen und Bürger von Mini-Beuel fanden ihre Nischen, und der Bürgerservice zeichnete mehr und mehr Meister in ihren Betrieben aus. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, angefangen mit Bankräubern bis zu den alltäglichen Kleinigkeiten, bei denen die Bürgerinnen und Bürger Unterstützung wollten oder benötigten. Die Universität erstellte mehrere erfolgreiche Umfragen, die Bank war vielbeschäftigt mit der Ausgabe von Sparbüchern und in der ökumenischen Kirche heirateten zahlreiche gemischt- und gleichgeschlechtliche Paare jeden Alters.
Ausblick
Das Ziel des Projektteams war, dass Kinder gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge einer Demokratie verstehen lernen, ihre eigenen Ideen und Gesellschaftsentwürfe umsetzen können, die von Arbeit, Geld und Konsum bestimmte „Erwachsenenwelt“ am einfachen Modell erfahren, sich selbstbestimmt handwerkliche und musisch-kreative Fähigkeiten aneignen, die Notwendigkeit von Regeln und Normen, aber auch ihre Veränderbarkeit erkennen, die Chance bekommen, ihr Freizeitangebot mit zu gestalten, weitgehend selbstständig handeln, ein ansprechendes und unvergessliches Ferienangebot erleben. All dies war und ist durch Mini-Beuel realisierbar!
Das Projektteam, die Jugendlichen und die Familien waren zufrieden – dies heißt für das Team, dass es in zwei Jahren wieder ein Mini-Beuel geben wird. Die Prämisse des Projektteams war und es bleibt auch dabei: Kinder an die Macht! Kinder haben ein Recht auf ihre Freiheit und Selbstbestimmung. Sie haben ihre eigenen Ideen, die genauso viel Wertigkeit haben wie die eines jeden anderen Menschen, ob groß oder klein. Sie haben und brauchen das Recht auf ihre eigene Meinung, ihre eigenen Ideen. Mit Unterstützung, Ressourcen, Raum und „Anwälten“ sind Kinder und Jugendliche imstande, Großes zu tun und die Erwachsenen „vom Hocker zu reißen“.
Der Schlüssel hierzu sind die Grundsätze der Offenen Arbeit sowie Kooperation. Nur in diesem Feld und durch diese Grundsätze sind solche Projekte wirklich durchführbar – und gemeinsam sind wir stark.
Quelle: Offizielles Konzept der Kinderstadt Mini-Beuel
Fotos: © Projektteam Mini-Beuel
Weitere Informationen und Kontakt
Autorin: Elisabeth Koppitz