NAGEL-Redaktion – ABA Fachverband empfiehlt

Thomas Armstrong

Das Märchen vom ADHS-Kind. 50 sanfte Möglichkeiten, das Verhalten Ihres Kindes zu verbessern ? ohne Zwang und ohne Pharmaka

Kartoniert, 315 Seiten, 17 x 21 cm, ISBN 3-87387-494-6. Paderborn: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung 2002. ? 22.50 / sFr 39.50 / Best.Nr. 446

 

Über Maßnahmen zur Stärkung der Selbstachtung, zur Förderung von Vitalität und Kreativität, Checklisten zum Herausfinden der besten Interventionen sowie Hinweise auf eine Fülle von Ressourcen, Büchern und Organisationen, die für die Anwendung der fünfzig beschriebenen Strategien eintreten. Vorwort von Vera F. Birkenbihl, aus dem Amerikanischen original von 1995 übersetzt von Theo Kierdorf & Hildegard Höhr (Informationsseite des Peter-Lehmann-Versandbuchhandels).

Original-Verlagsinfo

?Das Märchen vom ADHS-Kind? stellt die fälschliche Diagnostizierung von Millionen von Kindern mit der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und den übermäßigen Gebrauch psychoaktiver Medikamente zur Behandlung von Hyperaktivität in Frage. Nach Auffassung des Autors sind viele der Verhaltensweisen, die als ADHS bezeichnet werden, in Wahrheit aktive Reaktionen eines Kindes auf komplexe soziale, emotionale und erzieherische Einflüsse. Wenn Eltern an den Ursachen der Probleme arbeiten, statt Symptome mit potentiell schädlichen Medikamenten und durch Verhaltensveränderungsprogramme nur zu überdecken, können sie ihren Kindern zu mehr Lebensqualität verhelfen.

Zu den vom Autor empfohlenen fünfzig ?drogenfreien? Strategien zur Überwindung der Aufmerksamkeits- und Verhaltensprobleme von Kindern zählen Maßnahmen zur Stärkung der Selbstachtung und zur optimalen Förderung von Vitalität und Kreativität. Außerdem enthält sein Buch Checklisten, mit deren Hilfe Leser die für ein bestimmtes Kind besten Interventionen finden können sowie Hinweise auf eine Fülle von Ressourcen, Büchern und Organisationen, die für die Anwendung der fünfzig beschriebenen Strategien eintreten.

»Das vor Ihnen liegende Buch hat eine generell positive Sichtweise über Kinder und das Lernen. Es vertritt die These, dass Kinder, die unter Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen leiden, in ihrem Kern völlignormale und gesunde menschliche Wesen sind, die nicht unter einer medizinischen Störung leiden. Der Leser sollte jedoch wissen, dass ich in meinem Buch nicht behaupte, es gäbe keine unkonzentrierten, hyperaktiven oder impulsiven Kinder. Es geht mir vielmehr darum, dass das ADHS-Konzept nicht sehr hilfreich dafür ist, solche Verhaltensweisen zu verstehen; es hindert uns nämlich daran, ein Kind in seiner Ganzheit zu wahrzunehmen. Ich bin auch nicht grundsätzlich dagegen, Kindern unter bestimmten Voraussetzungen Medikamente zu geben. Ich denke jedoch, dass Eltern ein Recht darauf haben, über alle Alternativen Bescheid zu wissen, die ihren ?auffälligen? Kindern helfen können, im Leben erfolgreich zu sein.« ? Thomas Armstrong

Über den Autor

Thomas Armstrong, Ph.D., ist Autor mehrerer Bücher. Er war früher Sonderschullehrer und hat zahlreiche Beiträge zum Themenbereich Kindererziehung für Zeitschriften wie Ladies‘ Home Journal und Family Circle geschrieben. Er hält Vorträge und Seminare in vielen Ländern und berät zahlreiche Institutionen und Einrichtungen, wie z.B. die »Sesamstraße« oder das »European Council of International Schools«. Er lebt in Sonoma County, Californien.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Vera F. Birkenbihl

Vorwort zur Paperback-Ausgabe

Vorwort

      • ENTMYSTIFIZIERUNG DES ADHS-MÄRCHEN
        • Amerikas neue Lernstörung
        • ADHS: Jetzt ist es da, jetzt ist es weg
        • Warum ADHS eine vereinfachende Antwort auf die Probleme einer komplizierten Welt ist
        • Was an der »guten Pille« gut (und was weniger gut)ist
        • Beherrschen oder Befähigen, das ist die Frage!
      • 50 STRATEGIEN, DIE VERHALTEN UND AUFMERKSAMKEITSSPANNE IHRES KINDES VERBESSERN
        Einleitung

        • Sorgen Sie für ein ausgewogenes Frühstück
        • Denken Sie über einen Versuch mit der Feingold-Diät nach
        • Beschränken Sie die Zeit für Fernsehen und Videospiele
        • Die heilsame Wirkung der Selbstinstruktion
        • Stellen Sie fest, was Ihr Kind interessiert
        • Setzen Sie sich für ein gutes Körpererziehungsprogramm in der Schule Ihres Kindes ein
        • Melden Sie Ihr Kind für einen Kurs in einem asiatischen Kampfsport an
        • Stellen Sie fest, welchen Lernstil Ihr Kind bevorzugt
        • Benutzen Sie Hintergrundmusik zur Förderung der Konzentration und zur Beruhigung
        • Benutzen Sie Farben zur Hervorhebung von Informationen
        • Bringen Sie Ihrem Kind bei zu visualisieren
        • Entfernen Sie Allergene aus dem Speiseplan
        • Geben Sie Ihrem Kind ausreichend Gelegenheit zur körperlicher Bewegung
        • Stärken Sie das Selbstwertgefühl Ihres Kindes
        • Stellen Sie fest, wann Ihr Kind am aufmerksamsten ist
        • Geben Sie Anweisungen so, dass die Aufmerksamkeit Ihres Kindes gefesselt wird
        • Bieten Sie Ihrem Kind eine Vielfalt anregender Lernaktivitäten an
        • Denken Sie über ein Biofeedback-Training nach
        • Fördern Sie aufkeimende Berufsinteressen Ihres Kindes
        • Bringen Sie Ihrem Kind Techniken körperlicher Entspannung bei
        • Nutzen Sie das beiläufige Lernen
        • Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind als vollwertiges Mitglied in eine reguläre Klasse aufgenommen wird
        • Sorgen Sie für positive Rollenmodelle
        • Denken Sie über die Nutzung alternativer Schulangebote nach
        • Ermöglichen Sie den Ausdruck kreativer Energie in Form künstlerischer Aktivitäten
        • Geben Sie Ihrem Kind Gelegenheit zu praktischen Aktivitäten
        • Nehmen Sie sich die Zeit, mit Ihrem Kind in einer positiven Atmosphäre zusammen zu sein
        • Stellen Sie Ihrem Kind adäquaten Raum zum Lernen zur Verfügung
        • Denken Sie darüber nach, ob Ihrem Kind eine psychotherapeutische Einzelbehandlung helfen könnte
        • Nutzen Sie Berührung zur Beruhigung
        • Helfen Sie Ihrem Kind, organisatorische Fähigkeiten zu entwickeln
        • Helfen Sie Ihrem Kind, den Wert persönlicher Anstrengung schätzen zu lernen
        • Sorgen Sie für sich selbst
        • Bringen Sie Ihrem Kind Fokussierungstechniken bei
        • Geben Sie sofort Feedback
        • Ermöglichen Sie Ihrem Kind die Nutzung eines Computers
        • Denken Sie über eine Familientherapie nach
        • Bringen Sie Ihrem Kind bei, Probleme zu lösen
        • Ermöglichen Sie Ihrem Kind, echte Verantwortung zu übernehmen
        • Setzen Sie Auszeiten auf positive Weise ein
        • Helfen Sie Ihrem Kind, soziale Kompetenz zu entwickeln
        • Treffen Sie mit Ihrem Kind Vereinbarungen
        • Nutzen Sie effektive Kommunikationsmethoden
        • Ermöglichen Sie Ihrem Kind echte Entscheidungen
        • Erkennen Sie die vier Arten von Fehlverhalten, und gehen Sie darauf ein
        • Legen Sie konsistente Regeln, Verfahrensweisen und Übergänge fest
        • Halten Sie Familienversammlungen ab
        • Lassen Sie Ihr Kind einem jüngeren Kind etwas beibringen
        • Setzen Sie auf die Wirkung natürlicher und logischer Folgen
        • Behalten Sie stets ein positives Bild von Ihrem Kind

Anmerkungen

Personen- und Stichwortverzeichnis

Aus dem Vorwort von Vera F. Birkenbihl

ICH FREUE MICH, dass dieses wichtige Werk jetzt bei Junfermann auf deutsch erscheint, denn auch bei uns wächst das Bewusstsein, dass es nicht angehen kann, wenn wir ein stetig wachsendes »Heer« an kleinen braven »Ritalin-Soldaten« heranziehen.

Das haben inzwischen auch die Eltern erkannt, aber diese erhielten in der Vergangenheit vorwiegend »Informationen« aus der Pharma-Ecke. Zum Beispiel habe ich mindestens fünf Sendungen im Fernsehen gesehen, bei denen das Zappelphilipp-Phänomen einziges (bzw. Haupt-)Thema war und jedes Mal bekamen diejenigen, die sich für Ritalin aussprachen, drei viertel oder vier fünftel der Sendezeit. Zwar durfte die eine oder andere Kinder-Ärztin oder Therapeutin erwähnen, dass es auch ohne ginge, woraufhin jedoch, rechtzeitig zum Ende der Sendung, wieder ein Pillen-Befürworter das letzte Wort ergriff. Letzte Eindrücke sind bekanntlich bleibende und so kann es uns nicht verwundern, wenn völlig verunsicherte Eltern sich durch solche »bleibenden« Eindrücke beeinflussen lassen.

Aber es gibt inzwischen eindeutige Erfahrungen aus dem »anderen Lager«. Zum Beispiel berichtet die prominente Harvard-Professorin Ellen J. Langer, die sich seit fast drei Jahrzehnten durch brillante Studien (Konzeption und Durchführung) auszeichnet, über ein ADHS-Experiment. Stellen Sie sich vor: Kinder in einem Raum mit einem Fernseher, in den (per Video aus dem Nachbarraum) eine »Sendung« eingespielt wird, die die Kinder bitte ansehen sollen. In einem Fall liegen eine Menge Spielsachen herum, im anderen Fall nicht. In beiden Durchgängen besteht eine Hälfte der Kinder aus ADHS-Kindern, die andere Hälfte aus »nicht verhaltens-auffälligen« Schul- und SpielkameradInnen. Nun passiert folgendes: Wenn Spielsachen herumliegen, lenken die ADHS-Kinder sich selbst von der »Sendung« ab, weil sie andauernd mit irgendeinem Toy herumspielen (und zwar in weit größerem Maß, als die Kinder der Kontrollgruppe). Aber, und das ist das Wesentliche: Ohne Spielsachen verfolgten die ADHS-Kinder diese »Sendung« genau so aufmerksam wie die anderen. Im Klartext: ADHS-Betroffene lassen sich leichter »ablenken«, aber nur, wenn das Angebot zu groß ist, bzw. wenn es weitere, interessantere Ziele gibt, auf die sie ihre Aufmerksamkeit lenken können.

Nun gibt es zwar offiziell ein sogenanntes ADHS-Syndrom, aber »es« ist genau so diffus wie »die sogenannte Legasthenie« (unterschiedliche Bundesländer »entdecken« unterschiedlich hohe Prozentsätze an ihren Schulen!). Ähnlich hier! Es gibt kein eindeutiges »einziges« ADHS-Geschehen, und in der Aufklärung dieses Sachverhaltes liegt ein Teil des hohen Wertes des vorliegenden Buches (auf den anderen Teil kommen wir gleich).

Thomas Armstrong wendet sich an Elternhaus und Schule gleichermaßen. Er hat das ADHS-Syndrom mit zunehmender Sorge wachsen und gedeihen gesehen, das jedoch aus ganz unterschiedlichen Gründen auftreten bzw. das aus unterschiedlichsten Blickwinkeln heraus diagnostiziert werden kann. So wie Sie vielleicht ständig niesen, weil Sie eine Erkältung haben oder weil jemand Niespulver verstreut hat oder weil Sie allergisch auf Pollen reagieren, so gibt es unterschiedliche Hintergründe, aus welchen ähnliche Symptome »sprießen« können. All das erklärt Armstrong in einfacher klarer Sprache, weil er einer jener Menschen ist, die wirklich helfen und heilen wollen.

Ein Teil des ADHS-Syndroms besteht nämlich aus Missverständnissen überforderter bzw. falsch beratener Eltern, ein Teil aus realen Verhaltens-Problemen, zu denen es jedoch unterschiedliche Zugänge gibt. Und, Armstrong hilft, die Unklarheiten von einem Teil der Nebelschwaden zu befreien, denn: Mit Hilfe eines Fragebogens mit einfachen Fragen (z.B. ob das Kind eher vor oder nach Nahrungsaufnahme unruhig wird) können Eltern Zugang zur Situation ihres Kindes bekommen und können einschätzen lernen, welche »Art« von ADHS in diesem Falle wohl zutrifft.

Jetzt kommen wir zu dem zweiten Grund, warum dieses Buch so genial ist. Nach den Erklärungen über die Sachlage (in den ersten Kapiteln) folgt die Schatztruhe dieses Buches: 50 medikamentenfreie Strategien, wobei die Ergebnisse des Fragebogens Ihnen helfen, diejenigen Strategien einzukreisen, die in Ihrem Fall wohl die größte Erleichterung verschaffen können.

Gerade jetzt zeigen neuere Studien auf, dass jahrelange Ritalin-Einnahme möglicherweise zu großen Schäden bei Twens (jungen Erwachsenen) führen könnte. Solange wir noch nicht wissen, ob das stimmt, sollten wir jedes Kind ohne Ritalin aufwachsen lassen, bei dem das geht. Dass bei einer Minderheit ein Medikament vielleicht der letzte Strohhalm ist, mag ja sein, aber man müsste halt wissen, dass es wirklich der allerletzte ist. Wer dieses Buch kennt, hat völlig andere Möglichkeiten einer intelligenten, liebevollen und verantwortungsvollen Entscheidung als zuvor! Deshalb müsste dieses Buch betroffenen Eltern per Rezept »verordnet« werden, aber es wäre auch sinnvoll, es LehrerInnen zur Pflichtlektüre zu machen, damit sie diejenigen Eltern beraten können, die das in diesem Buch beschriebene Insider-Wissen noch nicht besitzen.

Aus dem Vorwort zur Paperbackausgabe

SEIT DER VERÖFFENTLICHUNG der Hardcover-Ausgabe dieses Buches im Jahre 1995 hat sich das ADHS-Phänomen weiter entfaltet, und Anzeichen für ein Abnehmen dieser Tendenz sind nicht zu erkennen. Kürzlich hieß es in einem Artikel des Washington Post Magazine: »Um ADHS ist eine ganze Subkultur entstanden … eine Welt, in der Wissenschaft und Medizin so gründlich mit dem Kapitalismus und der 12-Schritte-Nostalgie verquickt sind, dass man zwischen diesen Bereichen kaum noch unterscheiden kann.« Tatsächlich hat diese Bewegung mit ihren ADHS-Cyberspace-Chat-rooms bei Prodigy und anderen Online-Diensten, ihrem landesweiten Netzwerk von Unterstützungsgruppen und »Coaches« (Menschen, die von ADHS-Geschädigten beauftragt werden, sie an Verabredungen zu erinnern, für sie Terminpläne zu erstellen und dergleichen) und mit ihrem üppigen Wildwuchs an immer neuen Büchern, Systemen, Programmen, Medikamenten und Maschinen zur Behandlung von ADHS eine Technomythologie entwickelt, die mit allem, was Steven Spielberg oder George Lucas je auf die Leinwand gebracht haben, mühelos zu konkurrieren vermag.

Diese Mythologie wird nach wie vor durch Studien genährt, die zu beweisen versuchen, dass ADHS eine medizinische Störung und genetisch bedingt ist. Kürzlich wurde in Zeitungen ein Zusammenhang zwischen ADHS und einem Thrill seeking(»Erregung suchenden«) Gen hergestellt, wobei der Neurotransmitter Dopamin eine Rolle spielt (ein chemischer Botenstoff, der unter anderem bei Belohnungen eine wichtige Funktion hat). Einige Monate später wurde in der gleichen Zeitung berichtet, da man im Rahmen einer in Finnland durchgeführten Studie keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem mit Dopamin in Verbindung stehenden Gen und der Suche nach anregenden neuen Reizen gefunden habe, sei die Validität der Hypothese des »Erregung suchenden« Gens in Frage gestellt. Diese ganze Angelegenheit lenkt den Blick auf ein umfassenderes Problem: dass Wissenschaftler und Medien mit vereinten Kräften komplexe menschliche Verhaltensweisen auf einzelne Gene oder Gruppen von Genen zu reduzieren versuchen. Bei dem Bemühen, menschliches Verhalten mit der Beschaffenheit bestimmter Gene zu erklären, bleibt nur zu oft außer Acht, dass auch die persönliche Erfahrung eines Menschen genetische Strukturen beeinflussen kann. An der McGill University wurde nachgewiesen, dass die für bestimmte Gehirnrezeptoren zuständigen Gene sich bei neugeborenen Ratten verändern lassen, indem man die Babys sechs Stunden täglich von ihrer Mutter trennt, was sie unter starken Stress setzt. Obwohl solche Studien natürlich aus ethischen Gründen nicht an Menschen durchgeführt werden können, wurde eine positive Korrelation zwischen ADHS-Diagnosen und problematischen familiären Situationen (beispielweise in Form ehelicher Zwistigkeiten, psychischer Störungen bei den Eltern, Einweisung eines Kindes in eine Pflegefamilie und besonders große Familien) nachgewiesen. Solche Erkenntnisse befinden sich im Einklang mit der Auffassung, dass frühe Traumaerlebnisse innerhalb der Familie die biochemischen Muster eines Kindes signifikant beeinträchtigen können. Einfach zu sagen, ADHS sei genetisch bedingt, lässt Umweltfaktoren außer Acht und könnte Eltern und alle, die beruflich mit Kindern zu tun haben, dazu verleiten, Möglichkeiten der positiven Einflussnahme auf die Umwelt von Kindern zu unterlassen, die sich positiv auf biochemische und genetische Strukturen auswirken können.

Leseprobe

Der ADHS-Mythos: Falls Ihnen eines der vielen von Ärzten, Psychologen oder besorgten Eltern geschriebenen neuen Büchern über ADHS in die Hände fällt, werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass darin versucht wird, Sie zum Glauben an das ADHS-Märchen zu bekehren. Man drängt Sie zur Annahme, bestimmter Überzeugungen bezüglich der Verhaltens- und Aufmerksamkeitsprobleme einer spezifischen Gruppe von Kindern. Bevor wir einige der mit dieser Perspektive verbundenen Probleme untersuchen, möchte ich diesen Mythos kurz beschreiben:

ADHS ist eine neurologische Störung, wahrscheinlich genetischen Ursprungs, die 3-5 Prozent aller amerikanischen Kinder (insgesamt etwa zwei Millionen Kinder) befällt. Die Zahl der Jungen, die unter dieser Störung leiden, ist signifikant höher als die der Mädchen, doch da das Problem heute immer häufiger auch bei Mädchen entdeckt wird, basiert die bisherige Annahme, ADHS trete bei Mädchen seltener auf, wohl teilweise darauf, dass das Problem bei ihnen nicht entdeckt wurde. ADHS hat drei charakteristische Merkmale: Hyperaktivität (z.B. Herumzappeln, übermäßiges Laufen und Klettern, Verlassen des Arbeitsplatzes im Klassenraum), Impulsivität (z.B. ungefragtes Herausplatzen mit Antworten während des Unterrichts, Unterbrechen anderer Schüler, nicht abwarten können, bis man an der Reihe ist), und Unaufmerksamkeit (z.B. Vergesslichkeit, Desorganisiertheit, Verlieren von Gegenständen, Flüchtigkeitsfehler). Zur Zeit unterscheidet man bei Kindern drei Arten von ADHS-Fällen: eine Gruppe, die in stärkerem Maße hyperaktiv/impulsiv ist, eine zweite, bei der die Unaufmerksamkeit dominiert, und eine dritte, bei der alle drei genannten Charakteristika miteinander verbunden sind. Es gibt keine Laboruntersuchungen zur Diagnose dieser Störung. Die Beurteilung erfolgt aufgrund eines Interviews mit Eltern, Kindern und Lehrern, einer gründlichen medizinischen Untersuchung und des Einsatzes spezieller Messverfahren zur Verhaltensbeurteilung sowie durch Leistungstests.

Eine Methode zur definitiven Heilung von ADHS ist bisher nicht bekannt, doch lässt sich das Problem meist erfolgreich mit psychoaktiven Medikamenten behandeln (gewöhnlich Methylphenidat-hydrochlorid, allgemein unter dem Namen Ritalin bekannt, jedoch auch mit anderen Mitteln, darunter Psychostimulanzien, Antidepressiva und Antikonvulsiva), sowie durch Verhaltensmodifikation, eine speziell strukturierte Klassensituation, spezielle Instruktion der Eltern sowie nötigenfalls Beratungssitzungen. Eine konkrete Ursache für ADHS ist nicht bekannt, doch vermutet man zur Zeit, dass biochemische Unregelmäßigkeiten in den für Aufmerksamkeit, Planung und motorische Aktivität zuständigen Hirnbereichen das Auftreten der Störung beeinflussen.

Kinder, die unter ADHS leiden, können in der Schule große Schwierigkeiten haben, unter einem schwachen Selbstwertgefühl leiden, sich im Umgang mit Gleichaltrigen schwer tun und zu Hause Probleme mit der Anpassung an Regeln haben, was oft Konflikte mit den Eltern nach sich zieht. Einige ADHS-Kinder leiden außerdem unter Lernstörungen, Verhaltensstörungen (destruktivem und/oder antisozialem Verhalten), Tourette-Syndrom (einer Störung, für die unkontrollierbare verbale »Tics« charakteristisch sind) und oder starken Stimmungsschwankungen einschließlich Depression und Angst. Bei manchen Kindern scheint ADHS um die Zeit der Pubertät zu verschwinden, doch besteht bei der Hälfte der Diagnostizierten die Gefahr, dass die Störung lebenslang bestehen bleibt.

Das Buch Das Märchen vom ADHS-Kind besteht aus zwei Hauptteilen. Im ersten versuche ich, den Geist des Lesers von den verhexenden Wirkungen des (von mir so genannten) ADHS-Märchens zu befreien. In Kapitel 1 arbeite ich heraus, worum es sich bei dem ADHS genannten Phänomen tatsächlich handelt: um ein Resultat des Zusammenwirkens der Einflüsse von Elterninteressengruppen, gesetzgeberischen Bestrebungen, psychologischen Untersuchungen, Fortschritten der pharmakologischen Forschung und psychiatrischen Diagnosen. ADHS ist kein Virus, das jahrhundertelang in den Gehirnen unserer Kinder »gelauert« hat und auf seine Chance, aktiv zu werden, gewartet hat, sondern eine Erfindung, die hauptsächlich in den Laboratorien für kognitive Psychologie der Universitäten unseres Landes (und Kanadas) entstanden ist und anschließend durch die American Psychiatric Assiciation, das U.S. Department of Education und die chemischen Laboratorien großer pharmazeutischer Unternehmen auf der ganzen Welt verbreitet und zum Leben erweckt wurde.

Kapitel 2 untersucht das schemenhafte Wesen dieser sogenannten Störung- die einem UFO gleich hier und da im Kreis ihrer Verfechter auftaucht, sich jedoch nie als eine definitiv nachweisbare Krankheit wie Polio, Herzbeschwerden oder andere bekannte gesundheitliche Probleme manifestiert.

In Kapitel 3 werden verschiedene Erklärungen für jene heute bei Kindern auftretenden Verhaltens- und Aufmerksamkeitsprobleme beschrieben, die gewisse »Experten« einer von ihnen als ADHS genannten Störung zuschreiben. Einer der problematischsten Aspekte der Diagnose ADHS ist, dass die Heilige Dreifaltigkeit der Symptome Hyperaktivität, Ablenkbarkeit und Impulsivität schier allgegenwärtig ist und durch eine Vielzahl von Ursachen entstehen kann.

Beispielsweise kann ein Kind unter Aufmerksamkeits- oder Verhaltensproblemen leiden, weil es sich in der Schule langweilt, weil seine Familie sich in einer Krise befindet, weil seine bevorzugte Art zu lernen in seiner Schule nicht zu ihrem Recht kommt, weil es eine Milchallergie hat, weil sein Temperament nicht dem Temperament seiner Eltern entspricht oder weil es ängstlich oder depressiv ist. In Kapitel 3 beschäftige ich mich mit diesen und weiteren Möglichkeiten, die Ursachen der ADHS-Symptome zu erklären, und beschreibe, weshalb die selbsternannten ADHS-Experten uns keine genaue Auskunft darüber geben, wo die Wirkung der von mir genannten Faktoren endet und wo ADHS beginnt.

Kapitel 4 beschäftigt sich mit der medikamentösen Behandlung von ADHS: was gut daran ist und welche Probleme damit verbunden sein können. Obwohl mir klar ist, dass ich die Erwartungen einiger enttäuschen werde, trete ich nicht dafür ein, bei der Behandlung von Kindern mit Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen generell völlig auf den Einsatz von Medikamenten zu verzichten. Dem steht entgegen, dass ich von Eltern und Lehrern zahlreiche Berichte über die positive Wirkung eines maßvollen Einsatzes solcher Mittel gehört habe. Andererseits beunruhigt mich, dass und in welchem Maße psychoaktive Medikamente in unserer Gesellschaft zur bevorzugten Methode der Behandlung von Aufmerksamkeits- und Verhaltensproblemen geworden sind. Je mehr Eltern versuchen, solche Probleme, wenn sie bei Kindern auftreten, mit Hilfe von Psychopharmaka zu lösen, um so wahrscheinlicher wird, dass sie sich mit Interventionsmöglichkeiten anderer Art auch nur auseinandersetzen. Genau dies gab mir den entscheidenden Anstoß für den Beginn der Arbeit am vorliegenden Buch. Als ich 1989 auf der Bühne eines Highschool-Auditoriums im Staate New York sagte: »Ich bin mir nicht sicher, ob sich das Gros der betroffenen Eltern darüber im klaren ist, wie viele nichtmedikamentöse Ansätze zur Behandlung solcher Probleme es gibt«, wurde ich durch Buh-Rufe gezwungen, meinen Vortrag abzubrechen. Nachdem ich in jener Situation »in Deckung« gegangen war, erkannte ich die Notwendigkeit, in einem Buch über die zahlreichen nichtmedikamentösen Möglichkeiten zur Verbesserung der Aufmerksamkeit und des Verhaltens von Kindern zu informieren.

Kapitel 5 untersucht die von ADHS-»Experten« empfohlenen nichtmedikamentösen Alternativen. Angesichts der Kürze dieser Liste ist mir heute klar, weshalb jene New Yorker Eltern so heftig auf meine Äußerung reagierten: Ihre Kenntnisse beschränkten sich auf die Empfehlungen, die ADHS-Experten in der einschlägigen Ratgeberliteratur geben. Und die Dürftigkeit der dort gutgeheißenen Möglichkeiten ist wahrlich verblüffend. Offenbar wird jede Behandlungsmethode, deren Wirksamkeit sich nicht durch eine plazebo-kontrollierte Doppelbind-Studie »beweisen« lässt, von vielen dieser »Fachleute« abgelehnt. Doch dies ist nur einer der Gründe, aus denen letztendlich nur zwei Behandlungsarten, nämlich Medikamente und Verhaltensmodifikation, generell empfohlen werden.

Das Märchen vom ADHS-Kind ist als Gegengift zum Konservatismus der Weltanschauung von ADHS-Gläubigen gedacht. Sie finden in diesem Buch reichhaltige und vielfältige Sammlung von Strategien, Ressourcen, Aktivitäten und Übungen, die unter Verhaltens- und Aufmerksamkeitsproblemen leidenden Menschen helfen können, mit ihren zahlreichen Problemen fertig zu werden. Ich möchte Sie dazu anregen, die in Ihrem Kind schlummernden unermesslichern Schätze zu heben und ihm bei der Erschließung und Nutzung seiner kreativen Energien zu helfen. Die Existenz momentaner Hindernisse auf dem Weg dorthin streite ich keineswegs ab, doch halte ich jene einschränkenden Überzeugungen, die Verfechter des ADHS-Märchens über das wahre Wesen Ihres Kindes und seine Chancen im Leben verbreiten, für eines der größten temporären Hindernisse.

Pressestimmen

»Thomas Armstrong erinnert mich mit seinem Buch The myth of the ADD-Child an den tapferen Menschen, der enthüllte, dass der Kaiser keine Kleider trug.« ? Jeffrey Freed in: »Zappelphilipp und Störenfrieda lernen anders« (Campus-Verlag)

»Die Enthüllung, dass es ADHS als deutlich unterscheidbare nachweisbare Erkrankung nicht gibt, ist der eine ? kürzere ? Teil des Buches (60 Seiten). Wesentlich größeren Raum nimmt die Darstellung der Strategien ein, die nützlich sein könnten, um »Verhalten und Aufmerksamkeitsspanne Ihres Kindes (zu) verbessern«. Das macht deutlich, dass es Thomas Armstrong in erster Linie um Hilfestellung und Unterstützung für die Eltern geht, die unter dem Verhalten ihrer Kinder und mit ihren Kindern leiden. Aber auch für TherapeutInnen ist die Lektüre zu empfehlen. Was den Autor am Phänomen ADHS am meisten stört, ist die Betonung des Defizitären, die Abstempelung von sehr vielen Kindern durch ein psychiatrisches Krankheitsbild. Hinzu kommt eine Behandlung, die auf »die gute Pille« plus Verhaltenstherapie plus evtl. Eltern-Training standardisiert wurde ? und im schlechtesten Fall auf Medikation reduziert wird. Demgegenüber orientiert sich Armstrong an der Lebendigkeit und den Fähigkeiten der Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen und auf verschiedenem Hintergrund in ihrem Verhalten als Kinder mit ADHS-Symptomatik auffällig werden. Durch Querverbindungen zu allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen und Themen macht der Autor deutlich, dass es beim Umgang mit den Problemen, die ADHS-Kinder machen und haben, auf eine persönliche Entscheidung hinausläuft, ob Veränderung über Beherrschen oder Befähigen gesucht wird ? der Autor plädiert für Letzteres.« ? Systhema

»Eine revolutionäre neue ADHS-Konzeption.« ? Thomas Gordon, Autor des Bestsellers »Familienkonferenz«

»Dieses Mut machende, vielfältige und weise Buch wird mehr Gutes bewirken als ein ganzer Schrank voller ungeeigneter Rezepturen.« ? Shari Lewis

»Armstrong tut mehr, als dem Leser nur zu erklären, was an der Diagnose ADHS nicht stimmt. Er beschreibt innovative Lösungen von Verhaltensproblemen, die allesamt ohne Pharmaka auskommen. Dieses Buch ist Pflichtlektüre für Eltern, die nach ungefährlichen Lösungen für den Umgang mit einem schwierigen Kind suchen.« ? Prof. Diane McGuiness

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