NAGEL-Redaktion – Spielplatz Finkenweg, Bonn: Handwerk fördert Jugend


Foto: Jugendfarm Bonn

Der betreute Spielplatz Finkenweg ist seit seinem Bestehen Mitglied im ABA Fachverband und befindet sich in Trägerschaft des Vereins Jugendfarm Bonn e.V. Nachfolgend wird ein nachahmenswertes Projekt dokumentiert, das gemeinsam mit der Kreishandwerkerschaft Bonn • Rhein-Sieg durchgeführt wurde.


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Handwerk fördert Jugend: Der langersehnte Umbruch

Alte Bahnwaggons mit Holzöfen als Heizung haben ihren Charme – auch noch nach acht Jahren intensivster Nutzung unter jeder Wetterbedingung. Dennoch reicht dies leider langfristig bei weitem nicht aus, um ein nachhaltiges und adäquates pädagogisches Angebot als offener Jugendtreff für den sehr hohen Bedarf zu stellen. Der Jugendtreff des Spielplatzes Finkenweg hat daher in einem beispielhaften Projekt seinen Treff um ein festes Gebäude erweitert.


Foto: Jugendfarm Bonn

Abdallah und Denis kuscheln sich in ihre Jacken und halten ihren heißen, süßen Apfeltee ganz nah – es ist nämlich besonders kalt heute im Jugendtreff. Besser gesagt, im Bahnwaggon. Der Offene Treff des Spielplatzes Finkenweg in Bonn-Holzlar besteht nämlich seit seiner Gründung im Jahre 2001 aus zwei alten, gespendeten Bahnwaggons. Diese dienen seither als Offener Jugendtreff, der hier entstanden ist, um dem dringenden Bedarf entsprechen zu können.

In den Jahren hat sich dort so einiges getan, und viele Besucherhände haben ihren Treff gestaltet und erweitert – so kamen Wege und Beete, Gartengestaltung und eine Werkstatt, zuletzt eine Beach-Area und Basketballfeld dazu. Im Sommer wird immer intensiv der Außenbereich genutzt, im Winter rücken alle näher zusammen, um die Wärme zu halten. Die Waggons werden mit einfachen Holzöfen geheizt – um den Holzbestand kümmern sich die Jugendlichen natürlich auch. Fließendes Wasser gibt es nicht, das wird vom 400 Meter weiter vorne gelegenen Kindertreff geholt, dort werden auch bei Bedarf die Toiletten genutzt.

Die Besucherinnen und Besucher des Treffs haben zu 80 Prozent Migrationshintergrund. Sie wohnen meist in der näheren Umgebung und den umliegenden Stadtteilen – der Treff ist absichtlich mitten im bevölkerungsreichen Stadtteil Holzlar an einem allgemeinen Platz angesiedelt und der einzige Anlaufpunkt mit Angeboten für die Jugendlichen. Delinquenz, Gewalt und Cliquenrivalitäten sind für die Jugendlichen Alltag, neben Zukunftsängsten, Lethargie und Schulmüdigkeit sowie der Dauerberieselung verschiedenster neuen Medien bewegen sie sich in ihren eingeschworenen Gruppierungen, in der Sicherheit des ihnen Vertrauten.

Verantwortung übernehmen und Gestaltungsmöglichkeiten durch Selbstbestimmung 

Jugendliche haben ein Recht auf Raum und Platz, in dem sie ihre Freizeit ausleben können und sich – sowohl in der Gruppe als auch individuell – geschützt und bei Bedarf angeleitet entwickeln und entfalten dürfen. Der Jugendtreff ist nach den Bedürfnissen der Besucherinnen und Besucher ausgerichtet – das Programm wird nach ihren Wünschen und Ideen gestaltet und mit ihnen zusammen durchgeführt.


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Der Offene Treff baut auf erlebnis-, natur-, bewegungs- und freizeitpädagogischen Ansätzen. Gerade die Bahnwaggons und eben auch die Tatsache, dass die Bedingungen in ihnen jahrelang mangelhaft waren, haben doch auch ihren Charme und sind wichtiger Bestandteil der pädagogischen Arbeit. In einer Welt, in der die Jugendlichen (ob sie nun wirklich wollen oder nicht) sich dauerhaft mit verschiedensten neuen Medien auseinander setzen müssen, sich ihnen anpassen, von ihnen berieselt und beherrscht werden, stellt der Jugendtreff einen ruhigen Ort dar, der in starkem Kontrast zu dieser Welt steht. Hier wird auf Natur sowie auf ein ehrliches, offenes und respektvolles Miteinander gebaut, in der einer auf den anderen achtet.

All diese sinnvollen und guten Vorsätze, Konzepte und alltägliche Praktiken können aber sehr erschwert werden – so vor allem durch chronische räumliche Enge, fehlende räumliche Alternativen, die je nach pädagogischem Bedarf genutzt werden könnten. Auch die Jugendlichen selbst bemerkten die Mängel –  nicht der marode Zustand der Waggons selbst war ihnen ein Dorn im Auge – sie äußerten vielmehr das Bedürfnis nach mehr Platz, um mehr schaffen, initiieren und gemeinsam erreichen zu können. 

Handwerk fördert Jugend – Jugend fordert Handwerk!

Im Sommer 2008 schrieb die Kreishandwerkerschaft einen Wettbewerb aus: „Handwerk fördert Jugend“. Im Rahmen dieses Projektes sollte gemeinsam mit Jugendlichen etwas erbaut, saniert, erweitert werden, eingebettet in Nachwuchsförderung für die beteiligten Innungen. Der Bereich „Offene Arbeit Spielplatz Finkenweg“ der Jugendfarm Bonn e.V. sah seine einmalige Chance und bewarb sich – aber direkt auch mit einer eigenen Rückforderung: Jugend fordert Handwerk!


Foto: Jugendfarm Bonn

Mit diesem Konzept, das nicht nur die Sanierung unserer inzwischen maroden, vollkommen überholten und lange nicht mehr dem Bedarf und der Nachfrage entsprechenden Waggons vorsah, sondern vor allem auch die Verknüpfung mit einer Berufsförderung der Besucherinnen und Besucher vorsah, stachen wir heraus. Im Laufe der Bewerbungsphase kristallisierte sich heraus, dass sich eine Sanierung allein nicht lohne – eine Erweiterung der Räumlichkeiten musste notwenig hinzugefügt werden. Der ursprüngliche Antrag wurde dementsprechend verändert und angepasst.


Foto: Jugendfarm Bonn

Am Ende überzeugte das Konzept, das mit den ungewöhnlichen örtlichen und baulichen Begebenheiten durchaus auch für die Handwerkerinnungen eine Herausforderung darstellte, und der gesamte Bereich Offene Arbeit Spielplatz Finkenweg jubelte im Herbst 2008, als die Nachricht kam, dass die Ausschreibung mit 100.000 Euro in Sach- und Dienstleistungen gewonnen worden war – ohne die Kooperation mit der Kreishandwerkerschaft wäre das gemeinsame Projekt aufgrund der knappen finanziellen Ressourcen nicht durchführbar gewesen. Wie damals schon im Anschreiben so schön formuliert wurde: „Der Spielplatz Finkenweg möchte die Träume der Jugendlichen wahrmachen!“

Folgend sind auszugweise die pädagogischen Ziele des Projektes, welche im Mittelpunkt stehen, dargestellt:

•    Unterstützung bei der Entwicklung einer selbstbewussten Identität
•    Förderung der Verständigung zwischen Jugendlichen unterschiedlicher kultureller Hintergründe
•    Verbesserung der sozialen Kompetenz
•    Initiierung und Begleitung von Gruppenprozessen zur Förderung von Kommunikationskultur, Solidarität, emotionaler Verbundenheit und Konfliktfähigkeit
•    Vertrauen auf eigene Gefühle 
•    Auseinandersetzung mit traditionellen Geschlechterrollen, Erweiterung des persönlichen Horizontes und Unterstützung von Chancengleichheit
•    Einblicke in unterschiedliche handwerkliche Berufsfelder
•    Praktische Erfahrungen im Handwerk, Freude am Handwerk
•    Kreative Gestaltung der Räumlichkeiten
•    Berufliche Perspektiven entwickeln
•    Öffentlichkeitsarbeit

 


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Höhen und Tiefen – wie Theorie und Praxis aneinandergeraten

Nun ging es an die eigentliche Arbeit: mit den Jugendlichen gemeinsam begann im Januar 2009 die Planungsphase. Es gab vieles zu besprechen, denn schließlich waren auch etliche Innungen beteiligt – von Hoch- und Tiefbau über Elektrik, Kfz und vielen weiteren bis hin zu den Frisör-, Goldschmiede-, Fleischerei- und Informationstechnik-Innungen – alles war mit im Boot.

Gemeinsam wurde nicht nur erörtert, wie die Bauarbeiten selbst vor Ort ablaufen könnten, was alles ansteht und was für Vorstellungen, Wünsche und Möglichkeiten die Jugendlichen selbst haben; wichtig war auch die Arbeit „hinter den Kulissen“, allem voran der Bauantrag an die Stadt und der politische Prozess, der damit verbunden war, den Antrag bewilligt zu bekommen.


Foto: Jugendfarm Bonn

Ein wichtiger und langer Prozess war es vor allem auch im Hinblick auf den Naturschutz. Das neue Gebäude sollte auf einem Teilstück der großen Wiese des Geländes erbaut werden, die als Ausgleichsfläche dient. Hintergrund war hierbei nicht primär ein pädagogischer, sondern vielmehr einer dem Naturschutz verbundener – die optimale und sinnvolle Nutzung eines großen, weitgehend nicht gepflegten Geländes zu erreichen; durch die Erweiterung des Jugendtreffs konnte ein großes Stück sowohl der brachliegenden Wiese als auch des Naturstückes entlang des benachbarten Teiches für den Treff gewonnen werden. Diese offenen, frei zugänglichen Flächen wurden bisher zwar immer intensiv von Kindern, Jugendlichen und Familien in ihrer Freizeit genutzt, jedoch kaum gepflegt und gewartet.

Nunmehr können innerhalb des Treffs im Rahmen regelmäßigen Naturangebotes Büsche und Bäume, Grünflächen und Wege sinnvoll gepflegt und von vielen gemeinsam und im Einklang mit der Natur selbst genutzt werden. Mit den Jugendlichen gemeinsam kann man den Fragen nach der gerechten Nutzung von Natur und Umwelt, von ökologischem Gleichgewicht und Naturschutz nachgehen sowie die Antworten und Ideale hautnah und praktisch anwenden und ausleben.


Foto: Jugendfarm Bonn

Im Juli 2009 kam nach etlichen Gesprächen, Besichtigungen und Absprachen endlich die langersehnte Bewilligung des Bauantrages. Ab Herbst war der Spielplatz Finkenweg dann auch von vorne bis hinten Baustelle, und bis in den kalten Winter hinein wurde unter ungünstigsten Wetterbedingungen geschuftet. Und, wie es leider bei vielen Bauvorhaben so ist, kamen immer wieder unvorhergesehene Hürden in den Weg, deren man sich – meist mit erhöhten Kosten – annehmen und die man bewältigen musste.

Vor allem in den aktiven Bauphasen kamen dann die Tücken eines gemeinsamen Projektes von Jugendlichen und Handwerkern zum Vorschein – alleine das zeitliche Arrangieren gestaltete sich schwierig. Die Jugendlichen gingen vormittags zur Schule, die Handwerker begannen meist um 7 oder 8 Uhr morgens und beide Seiten trafen sich meist nur im Vorübergehen am frühen Nachmittag – die Jugendlichen beim Ankommen, die Handwerker auf dem Weg in den Feierabend.

So wurde der Schwerpunkt mit den Jugendlichen auf die Nachbearbeitung und Nachbesprechung der Bauarbeiten gelegt. Und Kontakte gab es dennoch zu Genüge, denn die Neugierde der Jugendlichen, gerade der Älteren, war groß – mitten in der Suche danach, wie ihre Zukunft aussehen soll, was sie interessieren könnte und wo sie Chancen auf einen Ausbildungsplatz hätten,  war dieses Projekt – wie erhofft – eine hilfreiche Stütze für sie.

So konnte z.B. auch Daniel konkreter werden: „Ich weiß, dass ich eine Ausbildung machen möchte und dass ich auch eine machen muss, um eine Zukunft zu haben. Ich wusste aber nicht wirklich, was das für eine Ausbildung sein sollte – Handwerker ist ja ein sehr allgemeiner Begriff. Nun kann ich mir etwas unter den verschiedenen Möglichkeiten vorstellen und gezielter um Praktikumsplätze und einen Ausbildungsplatz kümmern.“

Und was kommt als nächstes?

Am 22. Januar 2010 war es endlich soweit – das neue Gebäude, leider bisher nur innen fertig und außen herum noch umgeben von Baustelle, konnte eröffnet werden. Im Rahmen der deutschlandweiten Imagekampagne des deutschen Handwerks kamen zahlreiche Interessierte, unter ihnen auch der Kölner Regierungspräsident, Hans Peter Lindlar, der Schirmherr unseres Projektes.

Fertig ist jedoch noch lange nicht alles: Vor allem der Außenbereich benötigt noch einiges an Arbeit – jedoch sind dies Arbeiten, die mit den Jugendlichen wieder gemeinsam angegangen werden können. Von Plattenverlegung über Grünanlagenpflege bis zur Verschönerung der Außenwände durch einen Graffiti- und Künstlerworkshop, – alles Dinge, die die Jugendlichen ohne Probleme „drauf haben“. Denn schließlich sind genau dieses die Dinge, die schon seit Jahren gemeinsam im Jugendtreff gemacht werden und bei denen die BesucherInnen ihren Treff gestalten, sich selbst verewigen und den Treff für die nächsten Generationen vorbereiten können.

Alles in allem sind wir alle sehr stolz auf unseren Mut, dieses Projekt gemeinsam anzugehen. Die vielen Hochs und Tiefs haben keinen davon abgehalten, ehrgeizig die gesetzten Ziele zu verfolgen und erfolgreich, gestärkt und mit einigem an neuem Wissen daraus hervorzugehen. Und die nächsten Ideen, wie der Stadtteil und vor allem seine BewohnerInnen, Eltern, Kinder und Jugendliche unterstützt werden können, gären schon.

In den nächsten Monaten widmen wir uns dem „Feinschliff“, um Ende Mai mit unserem gemeinsamen Finkenweg-Sommerfest einen gebührenden Abschluss des Projektes zu gestalten. Gemeinsam mit den Handwerkerinnungen, der Kreishandwerkerschaft und der Politik wird es einen Handwerkermarkt geben, Spiel und Spaß für Groß und Klein, ein Fußballturnier und ein allgemeines fröhliches Fest für alle BesucherInnen, Familien und Freunde und den gesamten Stadtteil.

Weitere Informationen und Kontakt 

Autorin: Elisabeth Koppitz

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