Uncategorized

NAGEL-Redaktion – Züchtigung von Kindern 1 (Alice Miller)

Warum brauchen wir unbedingt ein gesetzliches Verbot der Kinderzüchtigung?

Von Alice Miller

In einem langen Leserbrief an eine der größten deutschen Zeitungen, der im Dezember 1991 publiziert wurde, schreibt ein Dr. theol. unter dem Titel „Pauschalverbot von Körperstrafe bibelwidrig“ unter anderem folgendes:

„Als evangelischer Christ, Theologe und Vater von sechs Kindern sehe ich mich veranlasst, gegen die jüngste Gesetzesinitiative im Bundestag zum Verbot von ‚Prügeln, Ohrfeigen und Liebesentzug‘ entschieden Widerspruch anzumelden. … Wer jede Form von Körperstrafe unterschiedslos unter Strafe stellt, nivelliert den pädagogisch fundamentalen Unterschied zwischen Kindesmisshandlung und einer von klaren erzieherischen Grundsätzen geleiteten maßvollen körperlichen Züchtigung, die auf das Beste des Kindes zielt und nicht vom Affekt bestimmt ist. … Die Gesetzesinitiative der Kinderkommission greift in eklatanter Weise in das grundrechtlich geschützte elterliche Erziehungsrecht ein. … In der Sicht der christlichen Ethik ist der Vorstoß der Kinderkommission vollends verwerflich. Niemand kann bestreiten, dass das biblische Ethos aus grundsätzlichen Gründen körperliche Züchtigung bejaht, solange sie maßvoll ist und im Dienst erzieherischer Liebe steht (z.B. Hebräer 12, 6 – 11 und Sprüche Salomon 13, 24). Ein Staat, der christlichen Eltern jede Form von Körperstrafe verbietet, greift ein von Gott gegebenes, vorstaatliches Recht an und schränkt nicht nur das elterliche Erziehungsrecht, sondern auch die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit ein!“ 

Der ungekürzte Text dieses Briefes wurde mir von einigen Lesern zugeschickt, die empört und beunruhigt darüber waren, dass die „Schwarze Pädagogik“ in dieser krassen und extremen Form heute immer noch öffentlich in einem angesehenen Blatt propagiert werden kann. Eine der Leserinnen stellte sich die Frage, wie es wohl möglich sei, dass dieser Vater von keinem seiner sechs Kinder etwas über Erziehung hätte lernen können, das über die Weisheit Salomos hinausginge. Ich meine, dass der vorliegende Text selbst die Antwort auf diese Frage enthält und uns auch indirekt zu verstehen hilft, weshalb sich ohne ein gesetzliches Verbot der Züchtigung kaum etwas Entscheidendes im Bewusstsein der breiten Bevölkerung ändern wird. Ich will meine Behauptungen im folgenden erläutern.

Ein von einem Auto tödlich verletzter Fußgänger ist tot, ganz unabhängig davon, wer ihn überfahren hat. Er wird nicht auferstehen, wenn es sich herausstellt, dass er nicht von einem fahrlässigen Betrunkenen oder einem gefährlichen Verbrecher, sondern von einer freundlichen kurzsichtigen Dame, ganz ohne böse Absicht, überfahren wurde oder gar von einem Philosophen oder Religionsfanatiker, der sich das Recht herausnimmt, die Rotlichter in der Stadt nach eigenem Gutdünken zu befolgen, und das Gebot, sie zu respektieren, als Meinungsdiktatur bezeichnet. Die Gefahr des verantwortungslosen Philosophierens und Handelns, gepaart mit schönklingenden Worten, besteht auch auf dem Gebiet der Erziehung. Das Verbot, Kinder zu schlagen, muss daher endlich, wie ein warnendes Rotlicht, zum Schutz unserer Kinder und der nachfolgenden Generationen eingeführt werden. Es besteht nämlich absolut kein Unterschied zwischen einer Züchtigung und einer Misshandlung. Jede Züchtigung ist nichts anderes als eine Misshandlung, weil sie die Integrität eines wachsenden Organismus verletzt und dadurch lebenslängliche, oft katastrophale Folgen hat. Dieser nachhaltige Schaden wird nicht dadurch vermindert, dass die Eltern nach ihrem „besten Wissen und Gewissen“ gehandelt haben, angesehen davon, dass dieses „Wissen“ sehr häufig hoffnungslos und unentschuldbar veraltet ist. Der Schaden bleibt bestehen, und die wohlmeinende Ahnungslosigkeit der Eltern wird daran ebenso wenig etwas ändern können wie die Philosophie des Autofahrers am Tod des Fußgängers. Daher ist es höchste Zeit, dass Eltern sich heute richtig informieren, statt im Namen der „erzieherischen Liebe“ die Bibel zu zitieren und sich auf unsere Vorfahren vor 3000 Jahren berufen, die unser heutiges Wissen über die Konsequenzen des Kinderschlagens und verbalen Demütigens leider noch nicht besaßen.

Keines der sechs Kinder konnte seinem Vater, dem Autor des oben zitierten Textes, helfen, die Wahrheit zu erkennen, weil alle, so steht zu vermuten, nach den von ihm so klar geschilderten Prinzipien erzogen wurden. Kinder, die gezüchtigt werden, können die Meinung ihrer Eltern nicht in Frage stellen, sie können sie nicht korrigieren, ohne die größten Gefahren oder gar das Leben zu riskieren. Sie sind daher zum Schweigen und zum Nicht-Merken verdammt. Sollten sie „ausfällig“ werden, drohen ihnen noch grausamere Strafen, also bleibt den meisten von ihnen nichts anderes übrig als Folgsamkeit und Anpassung, auf Kosten ihrer eigenen Kinder später und auf Kosten ihrer Gesundheit ? wenn ihnen nicht rechtzeitig „wissende Zeugen“ zu Hilfe kommen.

Das ist der Grund, weshalb die Überzeugung, dass körperliche und verbale Züchtigungen unschädlich und segensreich seien, immer noch so stark verbreitet ist: Sie wurde den meisten Menschen in den frühesten Jahren eingeimpft. Die Wahrheit zu realisieren, ist ohne Schmerzen kaum möglich, weil man zugleich realisieren müsste, dass man unnötig gequält und geschädigt wurde. Um diesen Schmerz nicht fühlen zu müssen, ziehen es viele Menschen vor, diese Wahrheit zu leugnen und weiter zu behaupten, die Züchtigung diene dem Wohle des Kindes und hätte auch ihnen selbst gute Dienste erwiesen. Sie berufen sich dabei auf die Bibel und ignorieren, was die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten entdeckt hat. Wollte man heute bei einer bakteriellen Entzündung die Entdeckung Pasteurs ignorieren, würde das als verantwortungslos gelten, aber Kinder zu schädigen, weil man sie getreu den Sprüchen Salomos erzieht und alles andere als bibelwidrig ablehnt, weil man sich nicht informieren will, ist immer noch erlaubt. Dieser Zustand muss sich so schnell wie möglich ändern. Nicht die Meinung, sondern die Information muss wie die Verkehrsregeln jedem Bürger mit Hilfe des Gesetzes aufgezwungen werden, weil die Weigerung, sich zu informieren, zerstörerische Folgen für die Mitmenschen hat.

Es ist nicht wahr, dass eine affektlose Züchtigung, angeblich zum Wohle des Kindes, weniger Schaden anrichtet als das Schlagen im Affekt. Zum körperlichen und seelischen Schmerz über die Demütigung kommt im ersten Fall die langzeitige, verheerende Wirkung der Heuchelei hinzu, die das Kind meistens nicht durchschauen kann, weil es die Eltern liebt und ihnen vertraut. Sie hinterlässt beim Opfer das absurde, aber sehr hartnäckige Gefühl, dass es an der Misshandlung selber schuldig gewesen sei und dass sein Verfolger ihm aus edelsten Gründen, aus „erzieherischer Liebe“, nichts anderes als ein Massaker bescherte. Diese verhängnisvolle Verwirrung, die eine spezifische Blindheit für offensichtliche Tatsachen erzeugt, lässt sich später kaum ohne tiefgreifende, aufdeckende Therapie auflösen und wird den Erwachsenen, das ehemalige Kind, dazu treiben, das Erfahrene zu legitimieren und es an Unschuldigen abzureagieren, ebenfalls mit der heuchlerischen Versicherung, dies geschehe ja nur zum Besten des Kindes. Natürlich kann sich der verdrängte latente Hass auch in verschiedenen nationalistischen Ideologien, in der Kriminalität, in Kriegen oder anderen Perversionen Luft machen, erneut versehen mit der Etikette der „Erlösung“ des anderen durch Unterdrückung und Zerstörung. Bei allen Diktatoren ist diese heuchlerische Etikette vorzufinden. Sie dient unter anderem der Tarnung der eigenen wahren Geschichte.

Wenn Eltern ihr Recht auf die Züchtigung ihrer Kinder reklamieren, dann reklamieren sie im Grunde, meistens unbewusst, das Recht, sich für das zu rächen, was ihnen einst angetan wurde, und was sie niemals als Verbrechen zu sehen wagen. Ein neues Gesetz würde das Verbrecherische der vergangenen Taten, an denen unsere Tradition reich ist, entlarven. Aber auch das wollen seine Kritiker nicht. Doch einmal muss die Kette der Gewalt endgültig durchbrochen werden. Wir leben in einer Tradition der Kindesmisshandlungen, doch die Mehrheit ist sich dessen noch kaum bewusst. Es ist ja noch gar nicht so lange her, dass Kindermord verboten ist. Wir müssen das zerstörerische Handeln als das, was es ist, erkennen und uns davon distanzieren, statt es zu verharmlosen und zu perpetuieren ? wenn wir nicht am Unglück unserer Kinder und Kindeskinder aus purer Unwissenheit schuldig werden wollen. Wir sind nicht mehr wie im Mittelalter zur Ignoranz verdammt. Wir können sie zwar wählen, aber wir können sie auch ablehnen. Unsere Ignoranz wird unsere Schuld jedenfalls nicht vermindern.

Das neue Gesetz kann all den vielen Millionen Menschen, die einst lernen mussten, Grausamkeit und Brutalität als normal zu bezeichnen, und die ihre Kinder daher nicht achten können, wie ein Rotlicht helfen, sich zu orientieren und die Gefahr wahrzunehmen. Es kann ihnen signalisieren: „Halt! Was Du jetzt so leicht, so ’spontan‘, so ‚automatisch‘ tun willst, ist absolut unzulässig, weil es erwiesenermaßen lebenslange Schäden bewirkt, weil es Dein Kind zum seelischen Krüppel macht. Du zerstörst lebenswichtige Funktionen eines sich im Wachstum befindenden Menschen: seine Gefühle, seine Fähigkeit, sich aufgrund seiner Gefühle zu orientieren, sein Bewusstsein, sein Vertrauen zu anderen und zu seinen Wahrnehmungen, seine Lebensfreude. Du zerstörst oder pervertierst seinen gesunden Sinn für das, was richtig und gut ist, seine Fähigkeit, sich einzufühlen, Schwächere (d.h. später seine Kinder) zu achten und zu beschützen – all die Fähigkeiten, die er seinem biologischen Auftrag verdankt. Denn dieser heißt, zu leben und das Leben zu beschützen, es nicht zu zerstören.“

Glücklicherweise wächst heute die Zahl der Eltern, die diesem Auftrag gerecht werden wollen und ihre Verantwortung wahrnehmen, indem sie sich informieren. Auch sie werden Fehler nicht immer vermeiden können. Aber sie sind entschlossen, sich für diese bei ihrem Kind zu entschuldigen, um es nicht zu verwirren, d.h. es niemals nach dem Muster der „Schwarzen Pädagogik“ glauben zu machen, dass die eigenen Fehler für das Kind „gut seien“. Ihnen wird das neue Gesetz ebenfalls helfen, ihre Wahrnehmungen und Ahnungen ernst zu nehmen und ihren Kindern beizustehen. Es wird die Bedingungen für eine besser aufgeklärte und daher humanere und friedlichere Welt schaffen.

aus: DER NAGEL 54/1992

 

NAGEL-Redaktion: Der Artikel wurde uns 1992 vom Suhrkamp Verlag und Alice Miller zur Veröffentlichung im NAGEL zur Verfügung gestellt.

In der Zwischenzeit hat sich einiges geändert. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weist 2004 darauf hin, dass Züchtigungen in Familien deutlich zurückgegangen seien. Dazu hat gewiss nicht nur eine inzwischen geänderte Gesetzeslage beigetragen, sondern auch Menschen wie Alice Miller. Ein Treppenwitz der gesetzlichen Entwicklung soll hier allerdings festgehalten bleiben: Viele Jahre lang wurde zur Veränderung des BGB diskutiert. Kinderschutzbund und andere verlangten eine Präzisierung des Paragraphen 1631 in seinem zweiten Satz hieß es bis 1996: „Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind unzulässig.“ Quasi: „Schlechtes Wetter finden wir ziemlich blöd.“

Die seinerzeitige Kohl-Regierung brachte dann die Veränderung: „Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperliche und seelische Misshandlungen, sind unzulässig.“ Es besteht der Verdacht, dass Eltern möglicherweise durch eine solche Präzisierung unter das Kuratel ihrer Kinder geraten könnten. Von daher wurde noch ein dritter Absatz angehängt: „Das Familiengericht hat Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.“ Kinder bleiben außen vor! Sie haben nach wie vor allenfalls die Möglichkeit, über den Umweg des KJHG Möglichkeiten zu finden, sich unerträglichen Eltern zu entziehen. Ein langer Weg!

Und hier die Pointe des Treppenwitzes: Manche erinnern sich noch an Claudia Nolte, Kohls jüngste Ministerin, jünger als Angela Merkel in ihren Mädchen-Tagen, zuständig für das Ressort Familie und Kinder. Sie plapperte in der Presse am 30. Juni 1996, also einen Tag, bevor die Gesetzesnovelle in Kraft trat, sie würde trotzdem ihr Kind schlagen. Unter dem Thema „Die Hand ausrutschen“ gab sie an:: „Ich glaube, ein Klaps auf den Po muss schon mal sein. Aber niemals ins Gesicht, und niemals im Affekt!“ Wie Alice Miller schon sagte: Kühl kalkuliert und wohl geplant! Ein echtes Vorbild, gewissermaßen!

Die Schröder-Regierung hat dann eine erneute Präzisierung vorgenommen. Seit 2001, infolge des „Gesetzes zur Ächtung der Gewalt“ lautet der zweite Absatz des Paragraphen 1631 im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Endlich wurde auch erkannt, dass es „entwürdigende Erziehungsmaßnahmen“ gar nicht geben kann. Wenn wir schon nicht „antipädagogisch“ denken und, wie Gerichte es tun, der Pädagogik lediglich hehre Absichten unterstellen, kann Entwürdigung schlicht kein Programm sein, Frau Nolte, Sie Klapserin!

Aber auch Schröders Regierung hat nicht den Mumm ? vielleicht findet sie es auch nicht wichtig oder sie wurde von einer Clique von Psychotherapeuten bestochen, wer weiß es schon? ?, den dritten Absatz dahingehend zu nivellieren, dass das Familiengericht Eltern und Kinder zu unterstützen hat.

Für Nichtfachleute zitieren wir hier noch den ersten Absatz des Paragraphen 1631: „Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.“

Und abschließend: Die Schröder-Leute haben 2001 die „Pflicht“ vor das „Recht gestellt“.

NAGEL-Redaktion, im August 2004

NAGEL-Redaktion – 10. Kinder- und Jugendbericht

Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen 
in Deutschland (1998)

Von Rainer Deimel

Thema: „Kinder in der Kinder- und Jugendarbeit und in der Kinderkulturarbeit“

„Die sehr allgemein gehaltenen Empfehlungen richten sich im wesentlichen an die Kommunen … Der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung kommt … steigende Bedeutung zu … Die Bundesregierung sieht … als wünschenswert an, die kinderbezogenen Angebote wie unter anderem Abenteuer-, Bau- und Aktivspielplätze, musikalische Früherziehung, Kinder- und Jugendkunstschulen, Kinder- und Jugendtheater, Kinderkinos, Kindermuseen, Spielmobile flächendeckend zu verstärken … Die Bundesregierung stimmt der Kommission zu, wenn sie feststellt: ‚Im Stadtteil, in der Region ist es möglich, integrierte Gesamtkonzepte zu verwirklichen, die den unterschiedlichen Bedarf berücksichtigen und von den Bedürfnissen der Kinder ausgehen.'“

Vorstehende Auszüge sind der Stellungnahme der alten Bundesregierung entnommen, die diese zum Thema „Kinder in der Kinder- und Jugendarbeit und in der Kinderkulturarbeit“ abgegeben hat. Deutlich wird eine Argumentationslinie, die in den vergangenen Legislaturperioden bezüglich der Kinder- und Jugendpolitik kennzeichnend für die Kohl-Administration war: „Wir beschließen feine Gesetze, nur bezahlen müssen andere.“ So ist es denn auch Wunder, dass die Kommission immer wieder feststellen muss, dass in unzureichendem Maße Mittel bereitgestellt würden: Sie konstatiert, dass die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Mittel bei weitem nicht ausreichen (vgl. S. 230). Oder sie beruft sich auf THOLE (vgl. S. 224), der gar von einer „ökonomisch katastrophalen Gesamtlage“ spricht, die in ihrer Auswirkung dazu führe, dass die Kommunen darauf bedacht seien, ihre Haushalte dadurch zu entlasten, dass sie vor allem an jenen Leistungen zu sparen versuchten, welche gesetzlich nicht (detailliert) festgeschrieben, dementsprechend finanziell mangelhaft ausgestattet seien und von einer festen Etatisierung ausgegrenzt blieben. Wir erleben es auch in der Argumentationspraxis vor Ort: Trotz anderslautender Gesetzesgrundlage scheint den kommunal Verantwortlichen der wenig korrekte Begriff der „freiwilligen Leistungen“ nur allzu leicht über die Lippen zu gehen. Auch diese These findet ihre Bestätigung im 10. Kinder- und Jugendbericht (vgl. z.B. S. 223). Die Autoren des Kinder- und Jugendberichts bestätigen meine vorgetragene These, dass die Argumentation für die in den letzten 25 Jahren entwickelten Konzepte der Offenen Arbeit mit Kindern und der Kinderkulturarbeit insofern schwieriger geworden ist, als es kaum noch fachliche Reibungspunkte gibt, ein Diskurs somit nicht mehr stattfindet. PolitikerInnen jedweder Couleur stimmen genannten Konzepten unisono – zum Teil mit unübersehbarer Vehemenz – zu. Der 10. Kinder- und Jugendbericht spricht von „breiter Zustimmung zur Arbeit mit Kindern und zur Kinderkulturarbeit sowie zu ihren Leistungen für das Aufwachsen von Kindern.“ (vgl. S. 230) Diskursvermeidend ist der lapidare Verweis auf nicht vorhandene öffentliche Mittel, um sich die gesetzlich vorgeschriebenen – und, wie erwähnt, oft „freiwillig“ genannten – Leistungen noch „erlauben“ zu können. Hier schließt sich der Kreis. Eben jene Bundesregierung muss für die genannte Situation zumindest mitverantwortlich gemacht werden. Immerhin hat sie in keiner Weise dazu beitragen, ihren Teil zur Konsolidierung der Haushalte unterhalb der Bundesebene zu leisten; im Gegenteil hat sie solche Steuern abgebaut, an denen zuvor die kommunalen Haushalte partizipierten.
Diese Zusammenhänge sind möglicherweise komplizierter als die augenscheinlich zunehmende Verarmung von Kindern, die der Bericht ebenfalls aufzeigt. Die frühere Familienministerin Nolte war wohl deshalb auch bemüht, letztgenannte Zusammenhänge schönzureden, da diese immerhin im populistischen Sinne besser genutzt werden können, während die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe eher die Fachwelt berühren, auch wenn die EndverbraucherInnen, nämlich Kinder und Familien, ummittelbare Auswirkungen dieser kinder- und familienfeindlichen Politik zu spüren bekommen. Immerhin liegt mir ein Schreiben von Frau Noltes Vorgängerin, Angela Merkel, vor, in dem diese mitteilen lässt, dass die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe keineswegs als „freiwillig“ interpretierbar sind.
Die fachlichen Positionen, die die Verbände der Offenen Arbeit mit Kindern und der Kinderkulturarbeit in den letzten Jahren entwickelt und vertreten haben, finden z.T. auf breiter Ebene Bestätigung durch den Kinder- und Jugendbericht. Im nachfolgenden soll versucht werden, einige Inhalte, die die Kommission unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Lothar Krappmann (Berlin) und unter der Geschäftsführung des Deutschen Jugendinstituts (München), mit großer Akribie zusammengestellt hat, nachzuskizzieren.
Wie ein roter Faden zieht sich das Thema „Partizipation“ – auch im einfordernden Sinne – durch den Bericht. Das gilt auch für das hier zur Diskussion stehende Kapitel „Kinder in der Kinder- und Jugendarbeit und in der Kinderkulturarbeit“. Der Bericht beschreibt einmal mehr den Wandel der Kindheit in den letzten Jahr(zehnt)en: Aktivitäten von Kindern sind – auch – nach außen gerichtet. Dabei geht es weniger um das Außenspiel, wie es etwa vor zwanzig bis dreißig Jahren noch üblich war, als vielmehr um das Bedürfnis, sich in organisierten Zusammenhängen betätigen zu können. Man denke beispielsweise an das gern kolportierte (Vor-)Urteil, Kinder in ländlichen Gebieten brauchten keine organisierten Angebote; sie spielten im Wald. Vor diesem Hintergrund sind die Kinder- und Jugendarbeit wie die Kinderkulturarbeit in besonderem Maße gefordert, wenn „das Feld“ nicht ausschließlich dem Kommerz überlassen werden soll. Es gibt auch Kinder, die sich in mehr oder weniger festen Peergroups aufhalten und wechselnde Treff- und Betätigungsmöglichkeiten suchen. Differenziert werden muss auch nach Altersstufen: je älter die Kinder, um so größer der offenkundige Wunsch nach vielfältigen Aktionsradien; jüngere hingegen sind eher auf feste „Anlaufstationen“ angewiesen. Feststellbar ist allerdings auch, dass hier ein Wandel stattfindet. In zunehmendem Maße „kopieren“ jüngere Kinder die älteren, sprich, das „typische“ Freizeitverhalten der Postmoderne wird mit steigender Tendenz von jüngeren Kohorten übernommen; zumindest ist dieser Trend erkennbar. Auffallend ist auch, dass viele Kinder in Vereinen organisiert sind (in Westdeutschland 70 Prozent, in Ostdeutschland 50 Prozent bzw. 80 Prozent aller Kinder laut Deutschem Jugendinstitut). Daraus können allerdings keine Rückschlüsse auf ein tatsächliches Vereinsengagement gezogen werden; Kinder nutzen Vereine als Freizeitmöglichkeit. Auf das zunehmende Interesse an kommerziellen Angeboten wird in verschiedenen Zusammenhängen hingewiesen, auch auf deren Konkurrenzeffekte, Grenzen und ggf. Gefährdungen.

Im institutionalisierten Rahmen lässt sich Arbeit mit Kindern innerhalb der Kinderverbandsarbeit, die oft ein Anhängsel der Jugendverbandsarbeit darstellt, der Offenen Arbeit und der Kinderkulturarbeit ausmachen. Der Bericht zeigt auf, dass Kindern in der Verbandsarbeit keine besondere Bedeutung zukommt und die Arbeit mit Kindern nur einen geringen Stellenwert hat. Beschrieben wird ferner, dass die Angebote der Verbandsarbeit vor allem für ältere Kinder wenig attraktiv seien. Dementsprechend wird gefordert, „ein den veränderten Anforderungen angepasstes pädagogisches Konzept für die praktische Arbeit zu entwickeln“ (S. 221). Dass dies nicht für alle Verbände gleichermaßen zutrifft, wird anhand der Beispiele der „Sozialistischen Jugend Deutschlands (SJD) – Die Falken“ und der „Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG)“ beschrieben. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass diese beiden genannten Verbände eine lange Tradition in der Arbeit mit Kindern haben und so in der Lage waren, sich den diversen Strömungen der pluralistischen Postmoderne zu stellen und ihre Konzepte anzupassen. Neben diesen – im Sinne der Kinder – positiven Beispielen wird allerdings darauf hingewiesen, dass eine Reihe von Verbänden Kinder weitgehend unberücksichtigt lässt. So ist es nicht erstaunlich sein, dass trotz genannter hoher Organisationsquote (Stichwort: punktuelle Freizeitbetätigung in einem Verein) die Mitgliederzahlen der Jugendverbände rückläufig sind; eine Ausnahme bilden die Sportvereine. Vermutlich sind es die Sportvereine, die im wesentlichen den hohen Durchschnitt kindlicher Präsenz innerhalb der Vereine bewirken. Unter dem Strich scheinen kleine, quartiersbezogene Jugendhilfeträger – z.B. solche aus dem Initiativenbereich unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes – gegenüber den traditionellen Verbänden deutlich an Attraktivität gewonnen zu haben. Jedenfalls bescheinigt ihnen der Bericht, sie bekämen eine immer größere Bedeutung. Ebenfalls wie ein roter Faden durchzieht den Bericht eine unübersehbare Disparität bezüglich der Teilhabe von ausländischen TeilnehmerInnen; dies gilt auch für die Arbeit zahlreicher Jugendverbände: interkulturelle Ansätze spielten kaum eine Rolle. In den Jugendverbänden gebe es zwar eine breite Diskussion über die veränderte multikulturelle Realität, es fehle jedoch noch die Umsetzung in die Praxis (vgl. S. 222).

Mit Blick auf die Offene Arbeit mit Kindern kann festgestellt werden, dass sie im Schatten der Jugendarbeit steht und sich bis heute als „ein eher randständiges Gebiet … mit wenig eigenständigen pädagogischen Elementen“ präsentiert (vgl. S. 222). Die Kommission zitiert von SPIEGEL (1997): „Spielen und Basteln, kulturelle Angebote, ein offener Bereich mit Kicker, Billard und Tischtennis, Kindercafé und Kinder- beziehungsweise Teeniedisco – alles wie gehabt.“ (S. 222 f, vgl. auch Originalquelle: Hiltrud von Spiegel: Offene Arbeit mit Kindern – (k)ein Kinderspiel, Münster 1997, S. 54). Im Original vertritt von SPIEGEL die Auffassung, die Struktur der Offenen Arbeit mit Kindern in den Jugendfreizeitstätten sei weitgehend identisch mit der der Offenen Jugendarbeit. Demgegenüber weist die Kommission auf „bemerkenswerte kinderbezogene Angebote“ hin (vgl. S.223); genannt werden Abenteuer-, Bau- und Aktivspielplätze sowie Kinderbauernhöfe. Allerdings, so wird einschränkend vermerkt, gebe es diese Angebote nicht flächendeckend. Vor diesem Hintergrund kann der einleitend zitierte Wunsch der Bundesregierung, diese kinderbezogenen Einrichtungen Abenteuer-, Bau- und Aktivspielplätze flächendeckend zu verstärken, eingeordnet werden. Eine vergleichbare „Kinderbezogenheit“ innerhalb der Offenen Arbeit wird den Ferienfreizeiten bescheinigt, die häufig als internationale Begegnungen konzipiert sind. Der Bericht führt wörtlich aus: „Bei Ferienangeboten und Abenteuerspielplätzen scheinen sich am ehesten originäre kinderspezifische Angebote entwickelt zu haben.“ (S. 223) Die Einrichtungen der Offenen Arbeit mit Kindern, vor allem solche im jeweiligen Stadtteil, werden als „notwendig“ klassifiziert; sie übernehmen eine Funktion als Anlauf- und Stützpunkte, „in denen Spiel- und kulturelle Gestaltungsmöglichkeiten, Gelegenheiten zum kommunikativen Austausch angeboten werden … unabhängig vom Elternhaus, formaler Organisiertheit und vom sozialen Milieu“ (S. 223). Die Kommission betont, dass auch Zuwanderer- und Aussiedlerkinder – im Gegensatz zu zahlreichen Jugendverbänden – in besonderem Maße Zugang zu den Offenen Einrichtungen fänden. Gleichwohl wird kritisch vermerkt, dass auch hier Nachbesserungsbedarf hinsichtlich der Konzeptionen einer interkulturellen Öffnung feststellbar sei. Dieses Konzept ginge nämlich dann nicht auf, wenn etwa aufgrund der Dominanz türkischer Jungen andere Kinder fortblieben.

Mit Blick auf die Kinderkulturarbeit muss gesehen werden, dass die kommunale Realität weit hinter den Ansprüchen, die sich einerseits aus dem § 11 KJHG und andererseits aus dem Artikel 31 der UN-Kinderkonvention ergeben („volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben“), zurückbleibt (vgl. S. 223). Gerade bezüglich der Kinderkulturarbeit wird mehr noch als in den anderen Bereichen der Arbeit mit Kindern seitens der Kommunen mit dem Hinweis der „freiwilligen Leistungen“ argumentiert; auch dies unzutreffenderweise, wie meiner Einleitung entnommen werden kann. Vor diesem Hintergrund scheint nachvollziehbar, „dass zwar … seit den 80er Jahren die Kinderkulturarbeit ausgebaut worden (ist); gleichzeitig sind jedoch die Angebote kleiner Einrichtungen mit flexibler Struktur deutlich zurückgegangen.“ (S. 223) Aus dieser Feststellung lässt sich schließen, dass in Zeiten knapper werdender Kassen eine Kommune in der Regel mehr Wert auf den Erhalt vermeintlich vorzeigbarer Prestigeobjekte legt, als dass ihr tatsächlich daran gelegen ist, dem Geist und der Intention des KJHG und der UN-Kinderkonvention zu entsprechen. Eine Anmerkung sei in diesem Zusammenhang gestattet: Aufgrund meiner Erfahrungen in und meines Verständnisses von den als „am ehesten originär kinderspezifisch“ klassifizierten Einrichtungen und Diensten, den pädagogisch betreuten Spielplätzen, kann gesagt werden, dass vor allem bei diesen die Grenzen zwischen Offener Arbeit und Kinderkulturarbeit fließend sind, dass genannte Einrichtungen in der Regel auch Einrichtungen der Kinderkulturarbeit sind; dies gilt in besonderem Maße auch für die meisten Spielmobile.

Bezüglich der Arbeit mit Kindern und der Kinderkulturarbeit wird den Aspekten regionaler Disparitäten und gruppenspezifischer Benachteiligungen ein unübersehbares Augenmerk eingeräumt. Die Kommission hebt darauf ab, die monierten Missverhältnisse bezüglich der unterschiedlichen Alterskohorten nähmen sich im Vergleich zu regionalen Disparitäten relativ gering aus. Hier wird beispielsweise abgezielt auf Kinder in Ostdeutschland. Ganze Einrichtungslandschaften, die zu DDR-Zeiten noch existierten, seien weggebrochen und teilweise kommerzialisiert worden. Am meisten von der Unterversorgung betroffen seien die Kinder aus den unteren Schichten und auf dem Land; im Vergleich zu Westdeutschland allerdings sei die Versorgung der Landkreise mit Jugendzentren günstiger. Ob die Kinder davon profitierten, sei allerdings ungeklärt. Kritisiert wird die „schnelle und partiell zu wenig reflektierte Übernahme westdeutscher Strukturen“, die zu einer Zerstörung bzw. Beschädigung ehemals vorhandener Potentiale geführt habe. Gewisse Kuriosa fallen auf: Gab es zu DDR-Zeiten eine Verzahnung von schulischen und außerschulischen Angeboten, ist man heute zum Teil dabei, die zerstörten Strukturen vergleichbar wiederherzustellen. Die Kommission schlägt vor, ehemals vorhandene Strukturen zu reaktivieren und gezielt zu fördern (vgl. S. 224). Kritisiert wird neben einer generell unzureichenden Finanzausstattung der ostdeutschen Kommunen auch die Praxis der Vergabe von Projektmitteln, befristeten Förderprogrammen und ABM. Eine Verbesserung der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wäre zu erwarten, wenn eine strukturelle Absicherung stattgefunden hätte und die Arbeit mit Kindern professionell ermöglicht würde.

Auf Gesamtdeutschland bezogen ist die Unterversorgung in bestimmten Wohngebieten signifikant. Hierunter fallen in den Innenstadtlagen vor allem großstädtische Wohngebiete aus der „Gründerzeit“, traditionelle „Arbeiterviertel“, „frühindustrielle Arbeiterkolonien der Schwerindustrie“ und solche Wohngebiete, die seitens der Praxis schon länger als sogenannte „soziale Brennpunkte“ markiert werden, nämlich die Trabantensiedlungen der 60er und 70er Jahre. Kennzeichnend für alle betroffenen Gebiete ist eine hohe Quote an Zuwanderern, Aussiedlern, Sozialhilfeempfängern, kurz: materiell Minderbemittelten. Häufig wird in diesem Zusammenhang der Begriff „sozial Benachteiligte“ als Synonym verwandt. Da dieser meines Erachtens ein aktives Beteiligtsein am beschriebenen gesellschaftlichen Defizit impliziert, gesellschaftliche Realitäten möglicherweise ausblendet, scheint seine Verwendung nicht selten unzureichend. Es könnte es allerdings sinnvoll sein, diejenigen als „sozial Benachteiligte“ zu definieren, die aufgrund ihres wirtschaftlich unzureichenden Status obendrein noch durch das jeweilige Gemeinwesen am schlechtesten versorgt sind. Ein Merkmal davon ist beispielsweise eine Wohnsituation, wie sie oben als „benachteiligt“ dargestellt wird. Die Kommission beruft sich auch auf die sogenannte Freiburger Studie von BLINKERT (1996). Deren Kernaussagen lassen sich mit folgenden Thesen zusammenfassen: Kinder wollen draußen spielen. Je besser die nahräumliche Spielinfrastruktur ist, um so besser ist die Aktionsraumqualität entwickelt und umgekehrt; je weniger die Aktionsraumqualität ausgeprägt ist, um so weniger haben Kinder die Gelegenheit, sich in sozialräumlichen Zusammenhängen zu sozialisieren. Der Kinder- und Jugendbericht setzt sich mit Nachdruck für „organisierte Angebote“ ein und führt weiter aus: „In den unterversorgten Wohngebieten sind nachhaltige Änderungen notwendig. Der Unterversorgung mit organisierten oder veranstalteten Freizeitgelegenheiten muss kleinräumig im Stadtviertel begegnet werden. Dafür müssen Einrichtungen für Kinder ohne zusätzlichen Transport (Anmerkung: etwa durch „Mütterfahrdienste“) zugänglich sein.“ (S. 224 f.)

Als unterversorgt gelten auch ländliche Gebiete. Wenngleich der Jugendverbandsarbeit auf dem Lande offenbar eine relative Stabilität zukommt (Messindikator sind die Mitgliederzahlen), so besteht bezüglich der Arbeit mit Kindern ein „Vakuum“ (vgl. S. 225). Auf dem Lande ist ferner eine klassische Dominanz männlicher Jugendlicher zu konstatieren: Jugendarbeit auf dem Lande „richtet sich vorwiegend an Jungen und sie blendet den geschlechtlichen Aspekt ihrer Arbeit aus oder reflektiert ihn nicht“ (S. 225). Kinderkulturarbeit scheint auf dem Lande keine nennenswerte Rolle zu spielen. Insgesamt wird ein erheblicher Nachbesserungsbedarf – wie bereits auch schon im 8. Jugendbericht (1990) geschehen – bezüglich der Kinder- und Jugendarbeit in ländlichen Gebieten gesehen. Indirekt fordert der Bericht eine stärkere Präsenz von Spielmobilen, wenn er aufzeigt, die Mobilität müsse verbessert werden und zwar nicht nur die der Kinder, sondern auch die der Anbieter.

Ein nicht unerhebliches Augenmerk richtet die Kommission vor dem Hintergrund gruppenspezifischer Benachteiligungen auf die Mädchen. Mit der dürren Feststellung „Jugendverbände sind Jungenverbände“ führt sie in das Kapitel ein (vgl. S. 225). Zwischen ostdeutschen und westdeutschen Mädchen gibt es Unterschiede, z.B. scheint der Aktionsradius ostdeutscher Mädchen größer zu sein und besonders in Westdeutschland zeigt sich, dass geschlechtsspezifische Differenzen um so größer sind, „je tiefer die Sozialschicht und je niedriger die Schulkarriere ausgelegt ist. Besonders groß ist sie bei einem Teil der Mädchen ausländischer Herkunft.“ (S. 226) Es folgen Hinweise auf die Bemühungen von Frauen, zum Teil feministisch intendiert, dieser auf Dauer unhaltbaren Situation zu begegnen. Dokumentiert ist eine Reihe von Beispielen der Mädchenarbeit. Wenngleich das Freizeitverhalten von Mädchen – im Vergleich zu männlichen Aktivitäten und Möglichkeiten – als defizitär bewertet wird, wird den Mädchen unter dem Aspekt postmoderner Erfordernisse die überlegenere Position eingeräumt, „da die eher verinselte Lebensweise zu einem Gewinn an individueller Autonomie führen kann und die bei Mädchen stärker sozialisierten Fähigkeiten zur Kommunikation, zur Planung und zur Herstellung von Kontakten eher einer modernen Kindheit zuzuordnen sind“ (S. 226). Bemerkenswert scheint mir – neben einer ganzen Reihe anderer aufgezeigter Möglichkeiten – der Vorschlag, speziell für Mädchen Abenteuerspielplätze zu errichten bzw. auf vorhandenen Plätzen gezielt Möglichkeiten der geschlechtsspezifischen Sozialisation zu installieren.

Bedauerlich ist, dass der Bericht das Thema „reflektierte Arbeit mit Jungen“ ausspart, hätte sich in dessen Thematisierung gewiss die Chance einer stärkerer Stimulans jungenspezifischer Ansätze geboten; kann doch in praxi davon ausgegangen werden, dass mädchenspezifische Benachteiligung um so besser reduziert werden kann, je ausgeprägter eine Kultur reflektierter Jungenarbeit entwickelt ist.

Auffällige Disparitäten zeigt der Bericht bei den Zuwandererkindern, denn es wird deutlich, dass Kinder nichtdeutscher Herkunft in den Einrichtungen und Aktivitäten deutlich unterrepräsentiert sind. Statistiken verfälschen offenbar die Darstellung der Alltagssituation, etwa indem „reine Ausländergruppen“ addiert werden. Dass in allen existierenden Arbeitsfeldern beispielsweise Aktionen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus stattfanden und -finden, wird ausdrücklich gewürdigt. Moniert werden allerdings fehlende bzw. unzureichend umgesetzte interkulturelle Konzeptionen und Praxen. Dies bezieht ausdrücklich auch die – „deutschorientierte“ – Personalpolitik der Träger mit ein. Ein Merkmal der Kinder- und Jugendarbeit, das interkulturelle Arbeit erschwert, scheint eine gewisse Resignation in den Praxisfeldern zu sein. Um dieser zu entgehen, müsste eine offensiv interkulturelle Öffnung dahingehend stattfinden, dass unterschiedliche Werte und Lebensweltkonzepte nebeneinander und zueinander in Beziehung stehend integriert würden. Der Bericht nimmt Bezug auf die Darstellung konzeptioneller Grenzen, die beispielsweise genannte Resignation hervorriefen. Dass „es eine interkulturelle Öffnung der Einrichtungen bisher noch nicht einmal ansatzweise gegeben“ haben soll, macht ein wenig ratlos (vgl. S. 228). Der Intention, wahrnehmbarer zu machen, dass sich in Deutschland eine „multikulturelle und multiethnische Gesellschaft“ herangebildet hat, kann etwas abgewonnen werden. Die Lösungsvorschläge allerdings sind nur bedingt in der Lage, kurzfristig zu Lösungen zu kommen. An einem Lösungsprozess, sprich: echten interkulturellen Konzepten, müsste die Politik maßgeblich beteiligt sein. Solange in populistischer Manier völlig überzogen über „Gastrecht“ in einem Land, vom „Boot, das voll ist“ usw. diskutiert wird, wird es die Praxis schwer haben, sich aus ihrer Resignation und aus ihrem Grenzerleben heraus zu entwickeln. Gewürdigt werden muss außerdem, dass interkulturelle Aushandlungsprozesse immer eine Aufgabe mehrerer und nicht von einer oder zwei Generationen sind. Diese Erfahrung hat Deutschland schon mehrfach machen können. Dass Finanzmittel in die Jugendhilfepläne zugunsten des interkulturellen Anliegens eingestellt werden sollen, wie es der Kinder- und Jugendbericht fordert, scheint zumindest sinnvoll.

„Die einzigen Behinderten, die es hier gibt, sind die Betreuer.“ So lautete der provokative Titel einer Broschüre zum Thema Integration behinderter Kinder in die Offene Arbeit, die der ABA Fachverband bereits 1990 herausgegeben hat. Der genannte Titel resultierte aus einer Antwort auf die Frage nach der Anwesenheit von Behinderten in einer Einrichtung der Offenen Arbeit, die seinerzeit einem Betreuer gestellt wurde. Folgt man dem 10. Kinder- und Jugendbericht, scheint sich an dieser Situation bis heute nicht viel geändert zu haben. Die perspektive-orientierten Ausführungen des Berichts lassen sich mit einem Zitat auf den Punkt bringen: „Im Freizeitbereich stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob separate oder integrative Formen für behinderte Kinder angemessen sind, sondern es geht darum, wie integrative Formen flächendeckend eingeführt werden können und welche Bedingungen dafür geschaffen werden müssen.“ Wie vor einem knappen Jahrzehnt vom ABA Fachverband betont, muss in erster Linie der Aspekt der Integration wesentlich aktiver und reflektierter in jede konzeptionelle Überlegung einfließen. Zusätzlich fordert der Kinder- und Jugendbericht eine Verstärkung integrationsfördernder Ressourcen (Personal, Qualifizierung, Mittel, reflektierte Barrieren usw.)

Ebenso geht der 10. Kinder- und Jugendbericht auf die Angebotsentwicklung, Partizipation, die Personalstruktur sowie Förderung und Förderpolitik künftiger Entwicklungsbereiche ein. Die Kommission vertritt die Auffassung, ein allgemein gültiges – „fertiges“ – Konzept für die Arbeit nach Kindern gebe es nicht (Stichwort: Vielfalt) (vgl. S. 229). Es wird auf die Schwierigkeit beim Erstellen des Berichts hingewiesen, überhaupt Dokumente zu bekommen; vieles sei unveröffentlicht. Man konstatiere das Bemühen der Praxis, innovativ orientierte Konzepte zu entwickeln. Eine Innovationsbereitschaft der Verbände und Einrichtungen sei erkennbar, tatsächliche Veränderungen seien allerdings z. Zt. nur unzureichend. Man könne davon ausgehen, dass jüngere Kinder eher stabile Zusammenhänge (organisierte Gruppen), ältere hingegen erlebnis- und aktionsorientierte Kontakte suchten (Anmerkung: Solche bieten z.B. gerade für diese Altersgruppe Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe an. Denkbar wäre auch, dieses Angebot z.B. durch nicht-kommerzielle Aktionshallen mit einer Vielfalt grobmotorischer Möglichkeiten zu erweitern. In diesem Zusammenhang sollen Möglichkeiten, die im Kontext und Konzept „Erlebnispädagogik“ entwickelt wurden, nicht verschwiegen werden. Neben einschlägig bekannten Stellen und Organisationen hat der ABA Fachverband 1998 damit begonnen, einen Teil der erlebnispädagogisch orientierten Projekte auf einer fachlichen Ebene zusammenzuführen). Ältere Kinder suchten darüber hinaus bei den Einrichtungen auch Hilfe und Beratung. Dieses macht einmal mehr den Aspekt professionellen Personals deutlich. In der Praxis fehlten für die verschiedenen Altersgruppen und deren jeweilige Bedürfnislagen differenzierte pädagogische Konzepte. „Notwendig ist, der Lebenswelt der Kinder, die sich in der lokalen Umwelt konstituiert, entsprechende Aktivitäten – und das mit den Kindern gemeinsam – zu initiieren.“ (S. 229)

Hier schließt sich dann der Kreis mit Blick auf die geforderte Partizipation von Kindern. Die Kommission beruft sich dabei unter anderem auf das KJHG. Aus den §§ 80 (Jugendhilfeplanung), 8 (Beteiligung von Kindern und Jugendlichen) und 9 (Berücksichtigung der selbstdefinierten Bedürfnisse Minderjähriger) wird eine Verpflichtung auf ein persönliches Mitspracherecht abgeleitet (vgl. S. 229). Mit Blick auf die Jugendverbände wird festgestellt, Mitbestimmung beschränke sich in den Verbänden zumeist auf die jeweilige konkret zu gestaltende Situation, sei darüber hinaus nicht vorgesehen, wenn man einmal von der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken absehe, wo eine als politisch verortete Partizipation konzeptionell und pragmatisch integriert sei. Eine politische Interessenvertretung für Kinder werde zumeist von – oft vermutlich gar älteren – Erwachsenen vorgenommen. Der Begriff „demokratische Spielweise“ (S. 230), der in diesem Zusammenhang genutzt wird, spiegelt das, was in der Praxis dann auch häufig als Interessenvertretung mit Alibicharakter vorgefunden wird. Von den beanstandeten Mängeln um so mehr betroffen sind die o.a. diversen unterversorgten Gruppen.

Zu kurz greifen die Ausführungen des Berichts unter dem Titel „Personalstruktur“, beschränken sie sich doch ausschließlich – und dies in äußerst knapper Form – auf das Ehrenamt. Ehrenamtlichkeit sei rückläufig und mittlerweile primär vor dem Hintergrund, ob man persönliche Gewinne aus ihm ziehen könne, entwickelt. Dies kann seit längerem durch die Praxis bestätigt werden. Immerhin ist gesellschaftliches Engagement auch ein Reflex auf gesellschaftliche Zustände. Wo der „Ellbogen regiert“, kann nicht damit gerechnet werden, dass Bürgerengagement auf breiter Ebene entwicklungsfähig ist. Der Praxis in Verbänden und Einrichtungen hätte es vermutlich mehr genutzt, wenn deutlich geworden wäre, dass Ehrenamtlichkeit professioneller, hauptamtlicher Begleitung und Koordination bedarf. 

Die Analyse der Förderung und Förderpolitik bestätigt meine einleitenden Ausführungen: die Zustimmung zu den behandelten Feldern ist breit, die erforderlichen Mittel bei weitem unzureichend. Hinzu kommt, dass die „abschmelzenden Töpfe“ wenig bis keinen Spielraum hinsichtlich der Förderung neuer, sich ändernder Strukturen zulässt. Am Beispiel der augenblicklichen Umstrukturierung des nordrhein-westfälischen Landesjugendplans lässt sich dieser Zustand gut nachvollziehen. Gewisse Änderungen scheinen hier unter „schmerzhaften“ Prozessen möglich, geht es auf der einen Seite um die Absicherung und Weiterentwicklung bewährter Strukturen, auf der anderen Seite um die Neuberücksichtigung inzwischen gewachsener und von den Zielgruppen gewollter Inhalte und Räume.

Fünf Schwerpunkte, die sich unter „Perspektiven und Empfehlungen“ subsumieren, zeigt die Kommission auf. Im ersten Schwerpunkt sind dies Veränderungen, die im Zusammenhang zu den genannten unterversorgten Gruppen (Mädchen, Behinderte, Zuwandererkinder) als dringlich angesehen werden. Als zweites wird „die Schaffung eines größeren und flexibleren Angebots für Kinder“ (vgl. S. 231) als notwendig betrachtet, vor allem, was die unterversorgten Gebiete angeht. Der dritte Schwerpunkt thematisiert das Erfordernis, hauptberufliches Personal zu gewinnen, das den zu integrierenden Zuwanderergruppen selbst angehören soll. Viertens wird noch einmal auf die Bedeutung von Partizipationsmöglichkeiten hingewiesen. Empfohlen wird den Ländern ein Jugendfördergesetz, das – wie in Schleswig-Holstein – den Teilhabeaspekt festschreibt. Gleichermaßen sei in den Einrichtungen selbst das Programm am Bedarf der Kinder auszurichten. Angesprochen sind hier nicht irgendwelche Alibiveranstaltungen (Stichwort: demokratische Spielwiesen), vielmehr geht es um die Organisation des pädagogischen Alltags. Als letzten Schwerpunkt weist der Bericht auf die Notwendigkeit der Absicherung der Kinder- und Jugendarbeit generell hin. Die Dringlichkeit einer Vervollständigung des KJHG durch jeweiliges Landesrecht wird angemahnt; Kinder- und Jugendarbeit sei dem „Grunde nach zur Pflichtaufgabe“ (S. 231) zu erklären. In diesem Rahmen müsse „auch nach Umfang und Dauer über einen hinreichenden finanziellen Rahmen“ (S. 231) entschieden werden. Eine deutlich bessere Mittelausstattung auf allen Ebenen sei erforderlich.

Das Kapitel „Kinder in der Kinder- und Jugendarbeit und in der Kinderkulturarbeit“ wird mit einem Exkurs „Zu einer sozialraumbezogenen Arbeit mit und von Kindern“ abgerundet. Es wird festgestellt, dass „die Angebote in der Region … selten aus der Sicht und von den Interessen der Kinder her geplant“ sind (S. 231). Im wesentlichen werden noch einmal zahlreiche der hier bereits behandelten Aspekte nachgezeichnet. Im Vergleich zu Einfamilienhaussiedlungen, die der Erkenntnis der Kommission zufolge über eine deutlich bessere Infrastruktur und damit über eine kindgerechtere Vielfalt verfügen, wird noch auf diverse Disparitäten und deren Veränderungsbedarf verwiesen. Es wird eine deutliche Abgrenzung gegenüber den – von der Praxis oft so erlebten – „Feuerwehr“-Programmen vorgenommen (nach dem Motto, wenn es irgendwo – im sozialen Brennpunkt – brennt, stellen wir rasch einen Container – „mobile Einheit“ – hin, setzen einen Sozialarbeiter hinein und der löst/löscht dann die Probleme/das „Feuer“).   „Die besondere kostenaufwendige Ausstattung muss allen Kindern im Stadtteil, in der Region zugute kommen.“ (S. 232).

Abschließend möchte ich den Blick auf anstehende Veränderungen von Planung insgesamt richten. Der Bericht führt dazu aus: „Arbeit mit Kindern und Kinderkulturarbeit als sozialräumlich bezogene Arbeit überwinden die Zersplitterung der kommunalen Planungen: Die Ressorts Verkehr, Wohnen, Soziales, Gesundheit u.a. werden danach befragt, was sie zur Verbesserung der Lage der Menschen, und namentlich der Kinder, in der Region, im Stadtteil leisten können; diese Leistungen werden dann von der Kommune, vom Land oder vom Bund abgefordert. Unterversorgte Zielgruppen müssen in der Jugendhilfeplanung entsprechend ihrem Anteil berücksichtigt werden bzw. es muss Rechenschaft darüber abgelegt werden, dass sie auch von den Aktivitäten profitieren. Eine kleinräumig angelegte Sozialberichterstattung und eine ebensolche Jugendhilfeplanung, welche die Kinder als eigene Gruppe berücksichtigen und nach Mädchen und Jungen, Kindern aus Zuwandererfamilien und deutschen Kindern, Kindern mit und ohne Behinderungen differenzieren, bilden die Planungsgrundlage. In die Planung eingehen müssen auch die vorhandene Infrastruktur und deren Defizite, die Wohnbedingungen der Kinder, die Familienkonstellation und die wirtschaftliche Lage der Familien. … Die freien Träger können sich mit ihren Angeboten einbringen.“ (S. 232)

Meines Erachtens kann das hier skizzierte Kapitel des 10. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung als Argumentationsgrundlage und konzeptionelle Orientierung gewinnbringend eingesetzt werden. Dass möglicherweise bevorstehende Auseinandersetzungen und Aushandlungen nicht leicht sein dürften, kann man sich unschwer vorstellen. PolitikerInnen auf allen Ebenen (Bund, Ländern und Gemeinden) werden sich – auch – an den hier eingeforderten Veränderungen, messen lassen müssen. Wenn ein fachlicher Diskurs – wie eingangs beschrieben – weder möglich noch erforderlich ist, was nach Kenntnisnahme der Ausführungen des Berichtes angenommen werden kann, hat der künftige Diskurs vor allem ein politischer zu sein. In den letzten Jahren gingen meine Verweise immer wieder in die Richtung, das Reden über Kinderfreundlichkeit an solche sei noch keine Kinderfreundlichkeit an sich. Eine kinderfreundliche Politik ist zunächst eine Ressourcenpolitik. Und die fragt mit Fug und Recht nach der Verteilung der Besitzverhältnisse. Jawohl, Kinderpolitik ist auch und vor allem eine Geldverteilungspolitik.

Vorstehender Beitrag wurde veröffentlicht in DER NAGEL 60/1998 – In das Internet eingestellt im Juni 2003.

Rainer Deimel ist Bildungsreferent beim ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

NAGEL-Redaktion – Kinder, Jugendliche und Gesundheit

Von Rainer Deimel

Vorbemerkung

Beim Zusammentragen der Materialien und beim Schreiben dieses Textes habe ich festgestellt, dass es schier unmöglich ist, alles hier Verarbeitete so zu präsentieren, dass es „einfach so“ in der Praxis verwandt werden könnte. Dazu reicht weder der Platz in dieser Zeitschrift, noch die mir zur Verfügung stehende Zeit. Im ersten Teil der Auseinandersetzung versuche ich, Bilanz zu ziehen; dies mit Hilfe zum großen Teil aktueller Quellen. Im zweiten Teil bin ich bemüht, Perspektiven vor allem für die Praxis und die Politik aufzuzeigen. Dabei habe ich in erster Linie Personen bemüht, Personen, die für Konzepte, Erkenntnisse und Rückschlüsse stehen. Ich habe einerseits versucht, das Material so zu bearbeiten, dass die Praxis Hilfestellungen bezüglich konzeptioneller Reflexionen finden kann. Anderseits war ich daran interessiert, die üblichen Kriterien des wissenschaftlichen Journalismus einigermaßen zu erfüllen. So bleibt Interessierten, die neugierig auf mehr an hier Dokumentiertem geworden sind, nicht erspart, sich selbst weiter auf den Weg zu mehr Fachlichkeit zu begeben. Wir können darüber hinaus anbieten, mit Hilfe des ABA Fachverbandes passgerechte Fortbildungen zu organisieren.
Unter dem Titel „Man muss den Charakter bilden“ gab das Journalistenehepaar Petra Gerster und Christian Nürnberger dem SPIEGEL ein Interview, das in der Ausgabe 35/2001 veröffentlicht wurde. Anlass des Interviews war ihr Buch, dass kürzlich erschien.
1 Es scheint so, als habe nach Doris Schröder-Köpf auch andere Leute das erreicht, was hier als „Erziehungsnotstand“ charakterisiert wird. Es werden Thesen von „kollektiver Ratlosigkeit“ und des Unvermögens zu erziehen, aufgestellt. In diese Kerbe soll hier nicht weiter gehauen werden. Wer sich grundsätzlich mit dem Thema Erziehung beschäftigen möchte, dem sei hier erneut das Buch „Wozu erziehen?“ von Wilhelm Rotthaus empfohlen. Wir besprachen es im NAGEL 61.2 In Abrede gestellt werden soll auch keineswegs die hehre Absicht, mit der Gerster und Nürnberger versuchen, für das Erziehen von Kindern einen – möglicherweise neuen – Grundkonsens herzustellen. Gleichsam kann z.B. nicht das Ziel der Bemühungen sein, die Schule müsse „zeitloses Wissen, das hilft, die Welt zu verstehen“, vermitteln (im Kernsatz stimme ich dieser Auffassung durchaus zu) und sich dabei z.B. auf die Newtonschen Gesetze berufen.3 Wo sich die Physik längst in die Tiefen der Chaostheorie vorgewagt hat, kommen mir derartige Forderungen eher hinterwäldlerisch vor. Dass die Schule mit ihrem Latein häufig am Ende ist, hat meines Erachtens eher etwas damit zu tun, dass sie am Alten zu stark festzuhalten versucht und zu wenige praktische Konsequenzen aus dem zieht, was gegenwärtige Kindheit im Wesentlichen charakterisiert. Mit diesem Beitrag will ich versuchen, den Aspekt einer gedeihlichen Sozialisation ansatzweise zu bearbeiten; dies vor allem zugespitzt vor dem Hintergrund kindlicher Gesundheit und Konsequenzen, die sich daraus einerseits für das pädagogische Handeln und andererseits als politische Verpflichtungen ergeben.

Eine Bestandsaufnahme

Die Themenkomplexe „Gesundheit“ und „Krankheit“ erlebe ich gegenwärtig nahezu wie einen Dickicht. Gleichwohl weisen alle neueren Untersuchungen ähnliche Ergebnisse auf. Kindheit und kindliches Befinden haben sich stark verändert, Antworten auf diese Veränderungen müssten adäquat sein. Für meine „Dickicht-These“ spricht möglicherweise auch der Umstand, dass das Robert-Koch-Institut in Berlin eine umfassende Studie zum Thema durchführt, die bis zum Jahre 2005 vorliegen soll. Unter dem Motto „GUT DRAUF“ gab es bereits vor ein paar Jahren eine Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die sich an alle möglichen Felder, die sich mit Kindern und Jugendlichen beschäftigen, richtete. Hierzu kann kostenlos ein Ordner „Kompakt – Das GUT DRAUF-Kommunikationspaket“ bezogen werden.4 Die Direktorin der BZgA, Elisabeth Pott, die auch das Kommunikationspaket als Herausgeberin mit zu verantworten hatte, greift in einem kürzlich erschienen Artikel unter dem Thema „Alles hängt mit allem zusammen“ die zentralen Anliegen der GUT DRAUF-Kampagne erneut auf, nennt sie Stress, Essstörungen und Bewegungsmangel als die fundamentalen Probleme des gegenwärtigen Aufwachsens und betont gleichzeitig, diese Phänomene dürften nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Vielmehr stünden sie in einer Beziehung untereinander.5 Ziel der Bemühungen müsse die positive Beeinflussung des Selbstwertgefühls durch das Erzeugen von Selbstvertrauen und eines harmonischen Körpergefühls sein. Sie spricht sich hinsichtlich der Gesundheitsförderung für einen „ganzheitlichen Ansatz“ aus.6 Welche Methoden und Mittel, welche Konzepte am ehesten geeignet sind, einen solchen „ganzheitlichen Ansatz“ zu verfolgen, werden wir an späterer Stelle versuchen, herauszuarbeiten. 
„Gesundheit ist die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen.“ Diese plakative Definition galt bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Die Definition der WHO (World Health Organization – Weltgesundheitsorganisation) von 1946 fasst hingegen „Gesundheit“ deutlich umfassender. Einerseits wird Gesundheit als Zustand des „völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“ betrachtet, andererseits ist „Gesundheit“ vor dem Hintergrund dieser Definition in einem interdisziplinären Kontext von Psychologie, Sozialmedizin, Epidemologie sowie Medizinsoziologie zu sehen.
7 Gesundheit ist nur möglich, „wenn eine Person konstruktiv soziale Beziehungen aufbauen kann, sozial integriert ist, die eigene Lebensgestaltung an die wechselhaften Belastungen des Lebensumfeldes anpassen kann, dabei individuelle Selbstbestimmung sichert und den Einklang mit den biogenetischen, physiologischen und körperlichen Möglichkeiten herstellen kann.“8
Versuchen wir, Bilanz zu ziehen, d.h. ein Szenario zu zeichnen, was postmoderne Kindheit im Kontext dieser Auseinandersetzung ausmacht. Krankheitsbilder und -verläufe haben sich bei jungen Menschen grundlegend verändert. Die Mortalitätsrate bei Kindern ist durch die Jahrhunderte infolge medizinischer Fortschritte und durch ein gestiegenes Maß an Aufklärung deutlich gesunken, flankiert durch Vorsorgeuntersuchungen ab der Geburt bis zum Schulalter. Akute Erkrankungen sind bei jungen Menschen kaum noch feststellbar. Wirft man allerdings einen Blick auf die Veränderungen, stellt man fest, dass chronische Erkrankungen sowie psychische und psychosomatische Störungen in geradezu alarmierender Weise zugenommen haben. Die Jugendgesundheitsstudie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 1993 bezeichnet 70 % aller Jugendlichen in Deutschland als nicht gesund.
9 Folgt man Professor Klaus Hurrelmanns Argumenten, hat sich der Gesundheitszustand der zwischen 12 und 17-Jährigen seit Mitte der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts verschlechtert.10
Kinder und Jugendliche selbst haben diffuse Vorstellungen über Gesundheit. So mögen sie den Zustand chronischer Erkrankung möglicherweise als „normal“ begreifen. Eltern beurteilen die gesundheitliche Situation ihres Nachwuchses häufig anders, wobei es auch hier nicht selten zu Fehleinschätzungen kommt. Lediglich in Bezug auf auffällige verhaltensbezogene „Störungen“ (z.B. soziale Isolation und Essstörungen) gab es vergleichbare Einschätzungen. Bezüglich der Elterneinschätzung ist der Geschwisterstatus erwähnenswert. Bei Erstgeborenen – was somit auch für die gestiegene Zahl der Einzelkinder gilt – neigen Mütter zu einer Überschätzung von Problemverhalten. Adäquat zur eigenen Lebenssituation bzw. dem Umgang mit sich selbst geben sich Väter dagegen sorgloser und zuversichtlicher.
11 Bei dieser Feststellung wird deutlich, dass auch die Geschlechterrolle von Bedeutung ist; dies gilt nicht nur für Eltern, sondern ebenso für die jungen Menschen selbst. In diesem Zusammenhang sollte noch erwähnt werden, dass junge Menschen nicht selten hinter der Sorge um die Gesundheit den Versuch von Erwachsenen wittern, diese wollten ihre Lebensgestaltung reglementieren.12 Eltern, vor allem Mütter, haben oft die Befürchtung, ihr Kind könne ausgelacht werden, sich beim Sport verletzen oder andere Risiken nicht bestehen. Die Fehleinschätzung von Risiken durch Eltern führt im Resultat nicht selten zu einer Minderung des Selbstvertrauens der Kinder. Eine Unzufriedenheit der Eltern mit sich selbst ist ebenfalls ein die Kinder krankmachender Faktor, wohingegen eine lebensbejahende und nicht alles überbewertende Grundstimmung ihrerseits eine wichtige Voraussetzung für ein einigermaßen gesundes Wachstum darstellt.13 Ich selbst erfuhr in Interviews mit gegenwärtig jungen Eltern, dass diese selbst Erfahrungen, die das geforderte „ganzheitliche Aufwachsen“ im Wesentlichen bestimmen, nicht mehr gemacht haben, z.B. das Toben im Freien.
Jugendliche neigen naturgemäß zu einer risikoreichen Lebensweise. Zwei für sie typische Manifestationen werden von Professorin Inge Seiffge-Krenke, der Leiterin der Abteilung Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, beschrieben: die „imaginäre Audienz“, nämlich das Gefühl, ständig durch andere beobachtet und bewertet zu werden, und den „personal faible“, die von ihnen erlebte Einzigartigkeit, kombiniert mit dem Gefühl, von niemandem verstanden zu werden.
14 Weitere Stressoren, die an der Ausprägung psychischer und psychosomatischer Auffälligkeiten beteiligt sind, ergeben sich aus unzureichend verarbeiteten gesellschaftlichen Werteveränderungen sowie aus sich daraus ableitenden Marginalpositionen wie Deklassierungsprozessen, schulischen Leistungsdruck, unkalkulierbaren Berufswünschen usw. Vor diesem Hintergrund wird das eingangs genannte Buch von Gerster und Nürnberger um so verständlicher. In einer Verlautbarung äußerte der Bund Deutscher Psychologen Anfang 1996, dass selbst junge Leute im Alter von sechs bis neun Jahren kaum noch Zeit für spontanes Spielen und Ruhepausen hätten; sie lebten nach einem Terminkalender und litten in der Folge häufig unter Kopf- und Bauchschmerzen, nervöser Unruhe und Schlafstörungen. Ursächlich hierfür werden Schulstress und zu stark verplante Freizeitaktivitäten angegeben.15 Dieser Trend scheint sich in den letzten Jahren eher noch verschärft zu haben. Hierauf werde ich an späterer Stelle noch einmal zurückkommen.
Hinsichtlich genannter Deklassierungsprozesse kann festgestellt werden, dass gegen Ende des letzten Jahrhunderts 12 % der Bevölkerung als arm galten. 2 Mio. Kinder lebten 1991 in einkommensschwachen Verhältnissen; 500 000 Kinder in Obdachlosensiedlungen.
16 1997 waren über 1 Mio. Kinder bis 18 Jahre Sozialhilfeempfänger (Hilfe zum Lebensunterhalt). Demnach sind über 37 Prozent der Sozialhilfeempfänger Kinder und Jugendliche. Nimmt man die jungen Erwachsenen – die bis 25-Jährigen – hinzu, kommt man zu der frappierenden Feststellung, dass fast die Hälfte derjenigen, die Hilfe zum Lebensunterhalt benötigen, jung ist.17 Insgesamt hat sich die Zahl der SozialhilfeempfängerInnen von 1980 bis 1997 mehr als verdreifacht, sie stieg von 851 000 auf 2,58 Mio.; einschließlich der neuen Bundesländer, die in der Statistik vor der Wende logischerweise nicht auftauchen, beziehen knapp 3 Mio. Menschen Hilfe zum Lebensunterhalt. Der Datenreport  1999 des Statistischen Bundesamtes zeigt zudem auf, dass 1997 noch weitere 1,41 Mio. Menschen Hilfe in besonderen Lebenslagen bezogen.18 Armut macht einsam, sozial isoliert19, macht mut- und antriebslos und krank20; jeder vierte Haushalt in Deutschland gilt gegenwärtig als arm.21 Norbert Kozicki zeigt auf, dass sich der Anteil junger Menschen an der armen Bevölkerung zunehmend gesteigert hat: „Das Gesicht der Armut wird immer jünger.“22 Aus einer von ihm zitierten Untersuchung des Psychologen Thomas Kieselbach von der Universität Bremen wird deutlich, dass „ärmere“ Kinder „depressiver, einsamer, empfindlicher, weniger gesellig, misstrauischer und weniger in der Lage (sind), Stress zu bewältigen, als Kinder aus gesicherten materiellen Verhältnissen“.23
Wie bereits unter Berufung auf Elisabeth Pott erwähnt, beeinflussen sich im Rahmen einer ganzheitlichen Sicht Ernährung, Bewegung und Stress bzw. dessen Bewältigung gegenseitig. Werfen wir einen Blick auf die Komplexe Ernährung und Bewegung.
Ernährung hat nicht nur über Nahrungsbestandteile einen Einfluss auf das physische wie psychische Wohlbefinden. Hunger ist ein starker Stressor mit den typischen Folgen wie Aggressivität, Nervosität usw. Das sogenannte Fastfood spielt bei Kindern und vor allem bei Jugendlichen eine erhebliche Rolle; dieses Phänomen muss auch im Kontext von Peernormen betrachtet werden. Gefördert wird der Trend zum Fastfood ebenfalls durch sich verändernde Familien- und Rollensituationen. Die Ernährungsversorgung mit „ausgewogenen Mahlzeiten“ ist markant zurück gegangen. In nur noch der Hälfte der Familien wird gekocht und gemeinsam gegessen. Erwiesenermaßen trägt Fastfood infolge übergroßer Anteile an Fett und Kohlehydraten sowie mangelnden Ballaststoffen und Vitaminen zu einem Gutteil zur Fehlernährung mit allen ihren negativen Folgen bei. Eine Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zeigt auf, dass sich ein Drittel der Deutschen aus Konserven und der Tiefkühltruhe und 60 % mit Fertiggerichten ernähren. Die Untersuchung weist darauf hin, dass dies primär für jüngere Menschen gelte.
24 Damit will ich hier allerdings nicht zum Ausdruck bringen, Essen beispielsweise aus dem Gefrierschrank sei schädlich; vielmehr geht es bei diesem Hinweis darum, geändertes Nahrungsverhalten aufzuzeigen.
Hurrelmann verwies schon vor einigen Jahren darauf, die Nahrung junger Leute sei unausgewogen zusammengesetzt. Ferner wirke sich die unregelmäßig Einnahme von Mahlzeiten krankmachend aus. Darüber hinaus weist er darauf hin, dass ungünstiges Ernährungsverhalten mit abfallendem Sozial- und Finanzstatus steige.
25
Ein weiterer Aspekt ist die Irritation, die bei Eltern durch offenbar unlautere Werbung ausgelöst wird. Hierbei geht es beispielsweise um die „Extra-Portion Milch“, „lebenswichtige Vitamine“ oder „viel Kalzium“. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund erläutert die Überflüssigkeit und Systemlosigkeit derart „nährstoffangereicherter“ Lebensmittel. In der Folge seien die Lebensmittel teurer, ohne dass sie die für die Ernährung junger Menschen wichtigen Ballaststoffe enthalten seien. Sie trügen demnach in keiner Weise zur Veränderung falscher Essgewohnheiten bei. Das Institut vertritt die Auffassung, Mangelerscheinungen seien eher die Ausnahme, nicht aber massive Fehlernährungen durch zuviel Fett und Zucker. Und genau diese seien häufig in den umworbenen Produkten enthalten. Damit leisten sie – zumindest indirekt – postmodernen Zivilisationserkrankungen wie Herz-Kreislauf-Problemen, Bluthochdruck und Übergewicht Vorschub. Letztendlich diene derartige Werbung in keiner Weise einer gesünderen Ernährung, sondern sie sei allein umsatzsteigernd zu begreifen.
26 Die amerikanische Professorin Jean Harvey-Berino, Fachfrau für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaft an der Universität von Vermont, hat zwischenzeitlich Beobachtungen gemacht, die über die These, bestimmten Zivilisationserkrankungen würde Vorschub geleistet, hinausgeht: „Was wir beobachten, sind Kinder mit Krankheiten, die sonst bei Erwachsenen auftreten, etwas, das zuvor nicht registriert wurde. Wir beobachten Kinder mit Bluthochdruck, Kinder mit hohem Cholesterinspiegel und Kinder mit Typ 2-Diabetes, was bisher als Erwachsenenvariante der Zuckerkrankheit angesehen wurde. Diese Entwicklung ist so schnell aufgetreten, dass genetische Faktoren als Ursache nahezu ausgeschlossen werden können. Wir haben festgestellt, dass es wahrscheinlich auf eine verringerte körperliche Aktivität und auf den Verzehr größerer Mengen zurückzuführen ist. Es ist einfach das Phänomen der Riesenportionen, die zehn Mal größer sind, als sie sein müssten.“27
Räumt man den US-AmerikanerInnen eine gewisse Vorreiter-Rolle bezüglich des Konsums von Fastfood und Süßigkeiten ein, ist ein vergleichbar auf uns zukommendes Szenario vorstellbar, wobei sich einige Tendenzen bereits jetzt unübersehbar abzeichnen. Die nationalen Institute für Gesundheit in den USA geben an, mehr als 97 Millionen, also über 50 % der Amerikaner über 20 Jahren hätten Übergewicht. Davon wögen etwa vier Millionen mehr als 45 Kilogramm zu viel. Dies wiederum hätte eine zehnfach erhöhte Sterblichkeitsrate im Vergleich zu Normalgewichtigen zur Folge. Bei den Kindern seien inzwischen 20 % fettleibig.
28 Die Leiterin des Amtes für Gesundheit und Ernährung von Vermont, Allison Gardner, zeigt die gesellschaftlichen Veränderungen auf, die mit dieser Entwicklung einhergehen. Sie verweist darauf, dass in der Regel beide Eltern beruftätig seien, die Kinder sich demzufolge nach der Schule selbst versorgen müssten. Hinzu kommen Argumente der Eltern, die wir in Deutschland ebenso erleben können: Kinder spielen – selbst dann, wenn es noch möglich wäre – kaum noch draußen, da die Eltern Angst haben, es sei nicht sicher. Man wolle sie nicht unbeaufsichtigt lassen. Diese oft dubiosen Ängste werden bisweilen von den Kindern übernommen und internalisiert. Ich erlebe immer wieder Gruppen von Kindern und Jugendlichen, die sich z.B. nicht mehr in den Wald begeben aus Angst vor dem „Grauen“, das sich dort verbergen könnte. Infolgedessen bewegen sich viele Kinder „automatisch“ weniger, sehen mehr fern, essen mehr Fastfood usw.. Gardner berichtet ferner, in den USA würden Süßigkeiten nicht selten zur Verhaltenssteuerung eingesetzt.29
Aus dem Ernährungsbericht 2000 der Deutschen Gesellschaft für Ernährung geht hervor, dass es nicht nur Übergewicht und Adipositas (Fettsucht) sind, die bei deutschen Kindern auffallen. Es kann augenblicklich (2001) davon ausgegangen werden, dass 11 % aller Jungen und Mädchen übergewichtig sind; sie liegen mit ihrem Gewicht zwischen 15 und 25 % über dem empfohlenen Grenzwert. Neun Prozent der Jungen und sieben Prozent der Mädchen überschreiten gar noch die 25-%-Marke, können dementsprechend als fettsüchtig bezeichnet werden. Es wird ebenso auf die Zahl von acht Prozent aller Jungen und Mädchen verwiesen, die untergewichtig sind. Von den 11-15-Jährigen haben elf Prozent der Jungen und 17 Prozent der Mädchen bereits Diäten gemacht, um Schönheitsidealen nachzukommen. Sogar untergewichtige Jugendliche, nämlich sieben Prozent der Jungen und acht Prozent der Mädchen nehmen weiterhin ab: sie finden sich immer noch als zu dick.
30 Hurrelmann geht gar davon aus, 21 Prozent der Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren hätten bereits eine oder zwei Diäten gemacht, um abzunehmen. Er konstatiert, weniger als die Hälfte der Mädchen sei der Auffassung, das richtige Gewicht zu haben; 40 Prozent hielten sich für zu dick.31Diese Zahl scheint weiterhin zu steigen: Der Ernährungsbericht 2000 gibt an, 56 Prozent der Mädchen zwischen 13 und 14 Jahren seien dieser Auffassung.32
Die Tendenz zu unzureichender Bewegung ist nicht nur in den USA zu beobachten. Vielmehr gibt es auch hierzulande alarmierende Trends. Bewegung reguliert einerseits die Nahrungszufuhr durch Kalorienverbrauch. Andererseits trägt sie auf beste Weise dazu bei, gestresste Körper wieder in Balance zu bringen. Bewegung ist eine der wesentlichen Erfordernisse einer gelingenden Sozialisation in einem ganzheitlichen Sinne. Eine der Ursachen für gesteigerte Bewegungsarmut dürfte im Verlust erforderlicher Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche gesehen werden. Dies soll nicht nur am Verhalten der Eltern, deren Ängstlichkeit usw., festgemacht werden. Vielmehr werden jungen Menschen Räume vorenthalten, die sie zu einem Mehr an Bewegung motivieren würden. Dieses Verdrängen von Kindern und Jugendlichen vor allem aus natürlichen, zum Teil auch aus „künstlichen“ Räumen bewirkt – ganz „nebenbei“ – eine gesteigerte „Anfälligkeit“ zum Konsum angebotener Medien. In diesem Circulus vitiosus wird das Problem der Bewegungsarmut weiter verschärft. Dies ist um so bedauerlicher, da unter gesundheitsfördernden – sprich: menschen- und vor allem kindgerechten – Bedingungen ein ausgesprochener Bewegungstrieb wesentlich deutlicher als bei Erwachsenen vorhanden ist. Dass dieser gelebt werden kann, hängt sehr stark von der Aktionsraumqualität ab, wie es Baldo Blinkert in seiner Freiburger Kinderstudie deutlich macht.
33 Die Bertelsmann Stiftung legte kürzlich eine Bewegungsstudie vor. Diese Studie unter der Leitung von Professor Klaus Bös vom Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlruhe kommt zu der Auffassung, deutsche Kinder seien Bewegungsmuffel. 6-10-Jährige lägen bzw. säßen neun Stunden und stünden fünf Stunden täglich. Die Bewegungszeit der Kinder betrüge höchstens eine Stunde täglich. Auf intensive Bewegung entfielen davon lediglich 15 bis 30 Minuten.34
Bestätigung finden derartige Ergebnisse durch Erkenntnisse der Arbeitstelle für Kinder-, Jugend-, Sport- und Sozialforschung an der Universität Essen. Die Arbeitsstelle unter der Leitung von Professor Werner Schmidt verweist am Beispiel der Stadt Essen auf den Umstand, der Autoverkehr habe seit Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts – also in dreißig Jahren – um 500 Prozent zugenommen. In der Folge seien für Kinder erforderliche Spiel- und Bewegungsflächen
35 verloren gegangen. Die städtebauliche Verdichtung habe dazu geführt, dass Kinder nicht mehr gefahrlos auf der Straße spielen könnten. Schmidts Thesen gipfeln in der Erkenntnis, dass bei acht von zehn Kindern bei der Einschulung Defizite – wie Haltungsschwächen und Koordinationsstörungen – festgestellt werden könnten. Jedes fünfte Kind bedürfe einer gezielten individuellen bewegungstherapeutischen Behandlung.36 In einer zehnjährigen Vergleichsstudie an SchulanfängerInnen (1986 – 1996) konstatiert Schmidt dramatische Zunahmen von Auffälligkeiten. Er kommt zu dem Schluss, bereits 1986 seien die Ausgangsdaten schon relativ hoch gewesen. Demnach ist in den untersuchten zehn Jahren festzustellen eine Steigerung bei 

  • Sehschwäche von 15,2 auf 21,4 Prozent;
  • Koordinationsstörungen (nicht Schwäche) von 7,8 auf 13,9 Prozent;
  • Haltungsschwäche von 9,6 auf 10,2 Prozent;
  • Übergewicht von 5,6 auf 7,1 Prozent;
  • Hörstörung von 3,4 auf 6,8 Prozent;
  • chronisches Ekzem von 2,7 auf 5,4 Prozent;
  • Allergien von 0,7 auf 2,4 Prozent.37

M.E. erübrigt sich eine Kommentierung dieser alarmierenden Befunde. Insgesamt fehle es den Kindern an Spiel- und Bewegungsfreiräumen. Die Notwendigkeit, ihre Umwelt spielerisch zu erfahren, geschähe vielfach nur noch virtuell. Tatsächliche Bewegungsabläufe würden nicht mehr ausreichend verinnerlicht. Kinder könnten beispielsweise nicht mehr rückwärts balancieren. Idealtypisch zur Entwicklung kindlichen Bewegungsdranges und kindlicher Kreativität seien Abenteuerspielplätze; hier könnten sie diese frei entfalten.38
An früherer Stelle habe ich darüber berichtet, dass eine Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes von Kindern und Jugendlichen im Trend liege. Angaben der BzgA zufolge klagen 19 Prozent der Mädchen und neun Prozent der Jungen über Kopfschnerzen, elf Prozent der Mädchen und sechs Prozent der Jungen über Nervosität und Unruhe, acht Prozent der Mädchen und drei Prozent der Jungen über Schlafstörungen und schließlich sieben Prozent der Mädchen und zwei Prozent der Jungen über Magenbeschwerden.
39
Im Auftrag des „stern“ wurde von der Universität Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Kölner Psy-data-Institut eine bundesweite repräsentative Studie über seelische und körperliche Gesundheit von vier- bis 18-Jährigen durchgeführt, die von Professor Michael Schulte-Markwort vom Hamburger Klinikum Eppendorf ausgewertet wurde. Demnach ist jedes fünfte Kind in Deutschland physisch oder psychisch derart beeinträchtigt, dass es professionelle Hilfe bräuchte. Einige der Erkenntnisse dieser Studie sollen hier wiedergegeben werden. Fast jeder dritte junge Mensch berichtet von Albträumen. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass Kinder die Ängste ihrer Eltern internalisierten. Diese These wird ebenfalls durch die Hamburger Studie bestätigt. Jeder dritte junge Mensch leidet unter Phobien (z.B. Angst vor Dunkelheit), ist häufig oder zeitweise deprimiert und macht sich viele Sorgen. Konzentrationsprobleme haben 46 Prozent, über 40 Prozent dürften als hyperaktiv angesehen werden und über 30 Prozent sind „Nägelkauer“. Weiterhin leidet jeder zweite unter plötzlichen Stimmungswechseln, mehr als die Hälfte der jungen Leute ist misstrauisch und fast 30 Prozent sind bisweilen verwirrt oder zerstreut. Über ständige Kopfschmerzen klagen zehn Prozent und immerhin 2,5 Prozent über Magenschmerzen. Mehr als fünf Prozent stellen bei sich eine „bleierne Müdigkeit“ fest und über zehn Prozent haben Angst vor der Schule. Absichtlich verletzt haben sich über vier Prozent bzw. sie haben Selbstmord versucht. Über Suizid nachgedacht haben immerhin knapp fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen; dies meist ohne Wissen ihrer Eltern. Der Studie zufolge weiß nur jedes achte Elternpaar überhaupt davon, dass ihr Kind sich verletzt bzw. einen Suizidversuch verübt hat. Die Untersuchung kommt weiter zu der Auffassung, 6,2 Prozent der jungen Menschen litten unter Asthma und fast 20 Prozent unter Allergien. Ebenso viele berichten von Hautproblemen. Auf den Komplex „Allergien“ werde ich im Weiteren noch einmal zu sprechen kommen. Ständige bzw. häufige Rückenschmerzen haben fast sieben Prozent, gelegentliche Rückenschmerzen noch einmal weitere 13,5 Prozent. Wie Werner Schmidt kommt auch hier die Studie zu der Auffassung, dies habe etwas mit der akuten Bewegungsarmut zu tun und führt kausal das lange Sitzen vor dem Fernseher bzw. Computer an. Die an früherer Stelle berichteten Gewichtsprobleme werden ebenfalls bestätigt. Der Kinder- und Jugendpsychiater Schulte-Markwort hält eine unbeschwerte Kindheit schlicht für ein Mythos. Abweichend von früheren Untersuchungen kommt die Gesundheitsstudie zu der Auffassung, dass wohlbehütete Kinder inzwischen stärker von den Auffälligkeiten betroffen sind als Kinder aus sogenannten „sozial schwachen“ Schichten.
40 Die Journalistin Ulrike Moser sieht neben der Überbehütung auch das Phänomen der Wohlstandsverwahrlosung, glaubt aber, dass es vor allem die Armutsverwahrlosung gebe. Sie verweist aktuell auf die eine Million Kinder, die von der Sozialhilfe leben. Im Falle von Unterprivilegierung fehle es am ehesten an Fürsorge.41
Erwin Jordan, Vorsitzender des Instituts für soziale Arbeit in Münster, ergänzt mit Blick auf offizielle Jugendhilfestatistiken, die Öffentlichkeit werde oftmals erst von spektakulären Fällen aufgeschreckt, etwa von verhungerten oder verdursteten Kindern. Schleichende Vernachlässigung von Kindern werde kaum wahrgenommen. Anzeichen für eine anhaltende Vernachlässigung seien chronische Unterernährung, schlechte oder auch nicht passende Kleidung, unbehandelte Krankheiten und mangellnde Körperpflege. Jordan betont ausdrücklich, die Eltern seien nicht schlechter geworden, vielmehr lösten sich die früher üblichen entlastenden Netzwerke – bestehend etwa aus Großmüttern und Freunden – zunehmend auf. 50 000 Kinder sind nach Jordans Auffassung betroffen. Vermutlich mit Blick auf die Politik sei dieser Zustand ein „Armutszeugnis für Deutschland“.
42
Zu ähnlichen Beurteilungen wie die Hamburger Repräsentativstudie kommt auch ein Symposion für Dynamische Psychiatrie in München.
43 Hier wird ein dramatischer Anstieg von Depressionen und Ängsten bei Kindern und Jugendlichen festgestellt. In Zusammenhang bringen dies die Wissenschaftler mit einer oft exzessiven Internetnutzung und dem damit einhergehenden Verlust zwischenmenschlicher Beziehungen. Gerade die seien allerdings für eine gelingende Sozialisation erforderlich, entsprächen sie doch dem menschlichen Urbedürfnis nach Kontakt und Bindung. Um seine Persönlichkeit und seien Identität herausbilden zu können, benötige der heranwachsende Mensch den Austausch mit anderen Menschen. In der Folge genannter und zunehmender Defizite sein Beziehungsstörungen, soziale Ängste, ja sogar Beziehungs-Erkrankungen (wie z.B. das Borderline-Syndrom) zu befürchten.
In der gegenwärtigen Diskussion um Gesundheit von Kindern und Jugendlichen spielt ferner das Thema „Allergien“ eine zuvor nicht gekannte Rolle. Die Zahlen variieren zum Teil. Während die Hamburger Gesundheitsstudie von über sechs Prozent der Kinder ausgeht, berichtet der Jenaer Pneumologe Prof. Claus Krögel, der sich sehr spezifisch mit dieser Problematik befasst hat, davon, inzwischen sei bereits jedes 10. Kind in Deutschland Asthmatiker. Die Zahl der betroffenen Kinder sei doppelt so hoch wie die der Erwachsenen. Innerhalb von zehn Jahren habe sich die Zahl der Erkrankten insgesamt verdoppelt. Wenn wir die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die unter Allergien und Hautproblemen leiden, mit der vermuteten Anzahl der Asthmatiker addieren, kommen wir gegenwärtig auf einen alarmierenden Anteil von etwa der Hälfte der jungen Leute, die mehr oder weniger stark krank sind. 
Bereits seit längerem ist aufgefallen, dass das Risiko allergischer Reaktionen bzw. Erkrankungen dort am höchsten ist, wo die hygienischen Bedingen die höchsten Standards erfüllen, etwa in Krankenhäusern. Unisono kommen denn auch Krögel, der Pädiater Professor Theodor Zimmermann von der Universität Erlangen, die Münchner Pädiaterin Erika von Mutius, die Allergologin Sabina Illi, ebenfalls aus München, Erich Wichmann vom GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg sowie eine Ärztegruppe um den Allergologen Ratko Djukanovic aus dem britischen Southampton zu vergleichbaren Erkenntnissen. Krögel stellt fest, nicht Umweltverschmutzung sei die Ursache von Allergien, sondern die Lebensweise der Betroffenen. Er führt als krankmachende Beispiele Dämmung, Doppelverglasung und Teppichböden an, die verantwortlich seien für die Zunahme an Milben, Schimmelpilzen und erhöhte Empfindlichkeiten darauf. Ferner wirkten sich übertriebene Hygienevorstellungen verschärfend aus. „Übertriebene Sauberkeit“ bewirke gerade bei kleinen Kindern das Gegenteil ihrer vermeintlichen Absicht.
44 Ich selbst kenne aus meiner eigenen Kindheit den Spruch: „Dreck reinigt den Magen.“ Dieser „Bauernweisheit“ scheinen zutreffende Erfahrungen zugrunde zu liegen. Ein Beispiel, wie sich übertriebene Hygiene auswirken kann: Nehmen wir eine Wohnung mit Teppichbodenbelag an. Um die Gesundheit der Familie nicht zu gefährden, wird regelmäßig gründlich Staub gesaugt. Der Staubsauger schafft es mühelos, Raubmilben zu entfernen. Die kleineren Haustaubmilben bleiben übrig und können sich beliebig vermehren, da ihre natürlichen Feinde vernichtet wurden. Ein hausgemachtes Problem? Einiges spricht dafür. Einerseits werden Faktoren, die das Immunsystem schwächen, durch den Versuch Sauberkeit herzustellen, überhaupt erst erzeugt. Andererseits nimmt mit zunehmendem Hygienestandard die Fähigkeit des Immunsystems ab, körpereigene Widerstände zu erzeugen. Zimmermann führt an, dass Kinder mit regelmäßigen Tierkontakten und Kinder von Bauernhöfen deutlich weniger erkranken als Kinder in der typischen Stadtwohnung, ebenso seien Kinder aus der früheren DDR und Polen – gerade wegen der niedrigeren hygienischen Standards – weniger betroffen als westdeutsche und schwedische Kinder. Er vertritt die Auffassung, ein ausgewogenes Maß an Umweltkontakten sei für die optimale Entwicklung des kindlichen Immunsystems wesentlich.45 Krögel ergänzt, das menschliche Immunsystem müsse genau wie das Gehirn trainiert werden, um mit allergenen Stoffen umgehen zu können.46 Diese Informationen würden nach Erich Wichmann die menschlichen Abwehrkräfte derart stärken, dass der Effekt ein Leben lang vorhielte.47
Auch hinsichtlich der früher bei Kindern üblichen Krankheiten wie Erkältungen und anderen Infektionskrankheiten hat es offenbar eine Verhaltensänderung bei den Eltern gegeben. Sechs bis acht derartiger Infektionskrankheiten jährlich hält Zimmermann bei Vorschulkindern für normal. Er glaubt, dass die Kinder um so häufiger erkrankten, je stärker sie mit Antibiotika behandelt würden. Und Krögel kommt schließlich zu der Erkenntnis, Kinder, die sich beim Spielen eine Erkältungskrankheit zuzögen, würden dadurch abgehärtet. Diese Erfahrung können Waldkindergärten genauso bestätigen, wie sie von Kindern, die regelmäßig einen Abenteuerspielplatz besuchen, berichtet werden können.
Den Themenbereich Allergien und Infektionskrankheiten abschließend sei noch auf eine neue medizinische Vorgehensweise verwiesen, die besagte britische Ärzte in Southampton praktizieren. Dort werden allergiekranke Menschen mit einer Bazille, dem Mycobacterium vaccae, behandelt. „Diese Bakterien finden sich überall im Schmutz und bilden auch die fiesen Beläge, die sich am Wasserhahn festsetzen. Wir töten sie ab und spritzen sie Asthmatikern unter die Haut,“ so der Allergologe Ratko Djukanovic.
48 Nicht umsonst übertitelte DER SPIEGEL seinen Beitrag mit „Heilkraft aus dem Misthaufen“. Gegen Heuschnupfen und Neurodermitis, die bei Kindern auch auf dem unübersehbaren Vorstoß sind, sollen bald ebenfalls Impfstoffe aus Erdmikroben und Darmbazillen zur Verfügung stehen.
Das Stichwort „biologische Medikation“ gibt mir eine gute Gelegenheit, zum Phänomen „chemische Medikation“ überzuleiten. Eine immer größer gewordene Anzahl sogenannter hyperaktiver Kinder macht dies deutlich: Immer schneller und immer häufiger wird zu Pillen gegriffen, die das Problem – im wahrsten Sinne des Wortes – ruhig stellen sollen. Die Hamburger Gesundheitsstudie sprach von immerhin 40 Prozent hyperaktiver Kinder. An ADHS (Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätssyndrom), an dem schätzungsweise zwei bis sechs Prozent der Jungen und Mädchen in Deutschland leiden, wird dies besonders deutlich.
49 Bei ADHS, dessen Diagnose häufig voreilig von Ärzten getroffen wird, handelt es sich um eine neurobiologische Störung der Hirnfunktion, die möglicherweise genetisch bedingt ist. Die Botenstoffe Noradrenalin und Dopamin werden im Gehirn nur unzureichend zwischen den Zellen übertragen werden. Die betroffenen Kinder fallen auf durch Konzentrationsstörungen, allgemeine Unruhe, Vergesslichkeit und erhöhte Aggressivität. Die Kinder werden häufig mit Amphetaminen „stillgestellt“. Häufig gilt dies auch für solche Kinder, die aus anderen Gründen unruhig sind. Auch kann beobachtet werden, dass Eltern nicht selten solche Medikamente verlangen. Das bekanntesten ist vermutlich Ritalin. 
Die drastische Steigerung des Konsums von Ritalin und vergleichbaren Präparaten verdeutlicht Professor Dietrich Hofmann, früher an der Kinderklinik der Universität Frankfurt am Main beschäftigt. Unter Berufung eines Berichts im Deutschen Ärzteblatt verweist er darauf, dass die noch 1990 verordneten Mengen für 1500 Kinder gereicht hätten. Die 1999 verschriebene Menge reichte aus, um damit 42 000 Kinder zu behandeln. Wie zuvor im Zusammenhang mit ADHS schon ausgeführt, kommt Hofmann ebenfalls zu der Auffassung, derartige Präparate würden häufig nach unzureichender Diagnose und ohne psychotherapeutische Begleitung verordnet. Eine rein medikamentöse Behandlung zur Alltagsbewältigung sei abzulehnen; allenfalls könnten Medikamente zur Unterstützung anderer Therapieformen hinzugezogen werden. Hofmann betont, die Gewöhnung an Medikamente sei dazu angetan, die Schwelle hinsichtlich des Erlernens eigener Lösungen zu Ungunsten des alltäglichen Pillenkonsums zu verschieben. Er vermutet in diesem Zusammenhang auch eine größer werdende Toleranz z.B. gegenüber Party- und anderen Drogen.
50
Generell kann bezüglich des Tablettenkonsums bei jungen Leuten festgestellt werden, dass im Alter von 15 Jahren 15 Prozent Schmerzmittel einnehmen; diese Quote steigert sich auf 22 Prozent im Alter von 18 Jahren. Psychopharmaka werden von 0,5 Prozent der 15-Jährigen konsumiert; 18-Jährige sind bereits mit vier Prozent dabei. Mittel gegen niedrigen Blutdruck werden von fünf Prozent der 15- und von sieben Prozent der 18-Jährigen benutzt. Mit 18 Jahren nehmen immerhin drei Prozent Schlafmittel.
51 Erwähnenswert scheint, dass fast 80 Prozent aller Arzneimittel, die von Kindern und Jugendlichen verwandt werden, nicht für sie zugelassen sind; er handelt sich fast regelmäßig um Präparate für Erwachsene, die nicht auf die Eignung bei Kindern klinisch geprüft sind.52
Kürzlich sprach ich mit dem Quakenbrücker Arzt und Psychotherapeuten Eckhard Schiffer über dieses Thema. Er berichtete ebenso über die genannte, Tendenz, immer früher zu den Pillen zu greifen. Er ist augenblicklich dabei, gemeinsam mit seiner Frau ein Buch zum Thema „Hyperaktive Kinder/Medikation“ zu verfassen, was vermutlich bereits jetzt empfohlen werden kann. Gemeinsam mit Eckhardt Schiffer bin ich der Auffassung, dass im Zweifelsfalle die rechtzeitige Einrichtung eines Abenteuerspielplatzes bzw. vergleichbarer Möglichkeiten sowohl im präventiven als auch im begleitenden bzw. nachsorgenden Sinne hilfreicher sein dürften, als der allzu rasche Griff zur Tablette. Auf Schiffer werde ich in meinem perspektivischen Teil noch einmal zurück kommen.
Vor einiger Zeit hatte ich selbst im Rahmen meiner Weiterbildungsarbeit ein beeindruckendes Erlebnis. Die Gruppe, die sich in der Fortbildung befand, hatte von mir Aufgaben bekommen. Eine junge Kollegin erklärte sich bereit, zum Thema „Aggressionsabbau bei Kindern und Jugendlichen“ zu arbeiten. Nach einer kleinen theoretischen Einführung über Aggressionen präsentierte sie einen biographischen Teil. Dort führte sie u.a. aus, sie selbst sei nach einem Umzug vom Land in die Stadt ein hyperaktives Kind geworden. Sie schilderte die Leiden, die für sie selbst damit verbunden waren und welche Schritte sie ausprobierte, in der Großstadt „heimisch“ zu werden. Schließlich gelang es ihr, sich als Schlagzeugerin in einer Punk-Band zu etablieren. Dieses sei für sie die „beste Medizin“ gewesen. In der Zwischenzeit spielt sie in mehreren Bands mit. In einem weiteren Teil des Seminars hatten alle TeilnehmerInnen Gelegenheit, selbst Schlagzeugerfahrungen zu machen; alle konnten nachvollziehen, was gemeint war: Rhythmus und „Krachmachen“ konnten als probate Mittel entdeckt werden, Aggressionspotentiale zu kanalisieren. Vergleichbares kann auch aus anderen Zusammenhängen berichtet werden; denken wir etwa an Kinder, die sich im Hüttenbaubereich eines Abenteuerspielplatzes mit Hammer und anderen Werkzeugen austoben können.
Das Szenario abschließend möchte ich noch einen Blick auf Kinderunfälle werfen. Da wir hierzu – auch bei uns im Verband – an etlichen Stellen gearbeitet haben
53, möchte ich es hier kurz halten. Je stärker Kinder behütet und beschützt werden, um so größer wird die Gefahr, dass sie an Erfahrungen gehindert werden, die sie sicher und reif werden lassen.54 Diese Erfahrung machen Abenteuerspielplätze im Laufe ihrer jahrzehnte alten Erfahrung immer wieder; dies übrigens weltweit, sofern der Einrichtungstypus existiert. Es gibt nur eine einzige abenteuerspielplatztypische Verletzung, den Nagelstich. Fälschlicherweise wurde bisweilen darauf hingewiesen, dieser Einrichtungstypus sei ungefährlich, was dann mit der unbedeutenden Unfallquote in einen Zusammenhang gebracht wurde. Eine solche Aussage verkehrt den tatsächlichen Effekt, den der Abenteuerspielplatz zur Folge hat: Durch das bewusst integrierte Risiko reduziert sich die tatsächliche Gefahr für die Benutzerkinder. Sie wachsen konkret mit den Aufgaben, die sie nach und nach zu bewältigen lernen. Ähnliches gilt übrigens auch für die Erlebnispädagogik. Bereits 1978 vertrat der Bundesgerichtshof die Auffassung, ein Abenteuerspielplatz solle nicht nur ein die Phantasie anregendes, schöpferisches Spiel ermöglichen. Vielmehr sei sein Zweck auch, „in besonderer Weise die Freude am Abenteuer und am Bestehen eines Risikos zu vermitteln, um seine Benutzer so aus moderner pädagogischer Sicht frühzeitig auf die Gefahren des täglichen Lebens einzustellen und sie lernen lassen, diese zwar zu wagen, sie aber auch zu beherrschen.“55 Ein vollkommen behütetes Milieu würde den Zweck der Körper- und Persönlichkeitserziehung vereiteln.
Der Psychologe Torsten Kunz fand gegen Ende der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts in einer Untersuchung der Eigenunfallversicherung der Stadt Frankfurt am Main heraus, dass Kinder in Kindergärten und Grundschulen deshalb am meisten verunglückten, weil ErzieherInnen und LehrerInnen primär damit beschäftigt waren, diese zu beschützen, will sagen, sie möglichst an ihrer Bewegung zu behindern, damit ihnen nicht zustieße. Das Gegenteil allerdings wurde hiermit erreicht: Die Unfallquote war beachtlich hoch; sie sank ab dem Zeitpunkt, wo vermehrt grobmotorische Angebote eingeführt wurden.
56
Diese – für viele Erwachsene scheinbar paradoxe – Sichtweise müsste im Sinne von Gesundheitsförderung tatsächlich von Eltern, ErzieherInnen, LehrerInnen usw. integriert werden. Der Widerspruch bzw. die divergierenden Einschätzungen zu dieser Thematik wird auch in der Broschüre „Giftpflanzen – Beschauen, nicht kauen“ deutlich. In der Broschüre wird einerseits das Bemühen skizziert, Kinder möglichst dadurch zu schützen, indem man alle giftigen Pflanzen vorenthält. Andererseits wird aufgezeigt – und diese Einschätzung halte ich für die verantwortlichere -, das Vorhandensein giftiger Pflanzen im Umfeld von Kindern sei nicht nur dazu dienlich, eine ökologische Vielfalt zu pflegen; vielmehr hülfen sie auch bei einer Erziehung zur Vorsicht und damit zu einem Mehr an Erfahrungen.
57 Die Konferenz der Gartenbauamtsleiter sowie der Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau vertreten denn auch die Auffassung, bestehende reglementierende Erlasse der Bundesländer gehörten aufgehoben. Erlasse würden nur für Verwirrung und Ängste sorgen. Lediglich vier besonders giftige Gehölze hätten nichts in der Welt von Kindern zu suchen, nämlich der Goldregen, das Pfaffenhütchen, die Stechpalme und der Seidelbast.58

Perspektiven

Erfreulicherweise „bescheinigt“ die Wissenschaft den „am ehesten originär kinderspezifisch entwickelten Ansätzen“59 nicht nur, sie fristeten ein Schattendasein, sondern auch, dass deren „offensivste Interessenvertretung“ in der Bundesrepublik Deutschland, der ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie der Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze, über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus fachliche Anerkennung erlangt habe.60 Bleibt zu hoffen, dass diese Auseinandersetzung ebenso zu dieser „Offensivstrategie“ einen Beitrag zu leisten imstande ist. Der 10. Kinder- und Jugendbericht führt in der Kommentierung der Bundesregierung vor dem Hintergrund zuvor genannter Feststellung der Sachverständigenkommission aus, sie sähe es als wünschenswert an, „die kinderbezogenen Angebote wie … Abenteuer-, Bau- und Aktivspielplätze, musikalische Früherziehung, Kinder- und Jugendkunstschulen, Kinder- und Jugendtheater, Kinderkinos, Kindermuseen, Spielmobile flächendeckend zu verstärken“.61 62
Ich wünsche mir, dass die Argumente dieses Beitrags der Praxis nicht nur Anregungen bezüglich ihrer konzeptionellen Fortentwicklungen aufzeigen; darüber hinaus verfolge ich die Intention, der Politik gegenüber zu verdeutlichen, in welcher Weise sie Kindern gegenüber mehr Verantwortlichkeit aufbringen kann. Die in Rede stehenden Konzepte setze ich bei den meisten LeserInnen als bekannt voraus. Sie hier im Einzelnen erneut zu beschreiben, würde den Rahmen dieser Auseinandersetzung sprengen. Sachunkundigen sei der Kontakt zum ABA Fachverband empfohlen.
Anstelle konzeptioneller Beschreibungen möchte ich im Anschluss an die „Schreckensbilanz“ im vorhergehenden Teil dieser Arbeit nunmehr mit Fachleuten argumentieren, die gewissermaßen für lösungsorientierte Konzepte stehen. Bewusst orientiere ich mich nicht nur an Inhalten und Methoden, die in der Offenen Arbeit entwickelt wurden, sondern versuche, auch darüber hinaus gehende, in anderen Feldern entwickelte gesundheitsförderliche Ansätze – selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zu berücksichtigen.
Beginnen wir mit Kurt Hahn (* 1886 – + 1974).
63 Der als Reformpädagoge populär gewordene Brite deutscher Herkunft war von 1920 – 1933 Leiter der Internatsschule Salem in der Nähe des Bodensees. Er gründete diese Schule, die bis heute weit über ihr Einzugsgebiet hinaus bekannt ist, im Auftrag des letzten kaiserlichen Reichkanzlers, Prinz Max von Baden (* 1867 – + 1929). „Herausforderung“ (challenge) sollte und soll sie sein. Es ginge nicht um „pädagogische Sandkastenspiele“, vielmehr um die praktische Organisation des Lebens, Bildung von Verantwortung, Mitgefühl, politische Mündigkeit, Partizipation, Innovation, Engagement und Phantasie.64 Hildegard Hamm-Brücher tritt der Meinung entgegen, Salem sei eine Eliteschule für die Kinder reicher Familien; vielmehr berichtet sie, bei steigender Tendenz seien über ein Drittel der SchülerInnen Stipendiaten. Unterstellen wir, dass diese Feststellung schlimmstenfalls eine Schutzbehauptung ist, so können wir mithin feststellen, dass für die Kinder reicher Leute unzweifelhaft ist, wofür andere möglicherweise kämpfen müssten: Gibt es im Internat Schloss Salem wie selbstverständlich einen Abenteuerspielplatz und eine Jugendfarm wie auch andere erlebnispädagogische Betätigungen in den Alltag integriert sind. Das Schloss Salem zählt zu seien Zielen eben nicht nur das Abitur, vielmehr gehe es um Selbstdisziplin, politisches Handeln, die Bereitschaft und die Fähigkeit zu helfen, rücksichtsvoll und aufmerksam auf andere zu reagieren, sich für Musik, Kunst und Theater zu begeistern, seinen Körper gesund erhalten zu lernen, Sport, praktische und handwerkliche Fähigkeiten u.a.m. Salem beruft sich hinsichtlich seiner Auffassung zum politischen Handeln auf Kurt Hahn. Es gehe darum, seine Erkenntnisse umzusetzen „gegen Unbequemlichkeit, gegen Gefahren, gegen Langeweile, gegen Eingebungen des Augenblicks, gegen Strapazen, gegen Hohn der Umwelt, gegen Skepsis“.65 Die jungen Leute lernten die Regeln der Demokratie kennen und mit ihnen umzugehen, bei Enttäuschung nicht zu resignieren und die Verantwortung jedes Einzelnen auch ohne führende Hand. Nebenbei erwähnt, ist Kurt Hahn der „Erfinder“ der Erlebnispädagogik.
Das „Urgestein“ der Psychoanalyse, Wilhelm Reich (* 1897 – + 1957), dokumentierte bereits in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts seine Erkenntnisse über die gesundheitsförderlichen Aspekte der „originär kinderspezifischen Ansätze“. Er verdeutlicht dies u.a. am Beispiel der Moskauer Kulturparks, aus denen die m.E. frühesten Bauspielplätze bekannt geworden sind, und der Arbeit der Moskauer Psychoanalytikerin Wera Schmidt.
66
Unabhängig von der von Reich beschriebenen Entwicklung beobachtete der Kopenhagener Landschaftsarchitekt Carl Theodor Sörensen (* 1893 – + 19XX), der ab 1940 Professor an der Kunstakademie Kopenhagen war, das Spiel von Kindern und stellte fest, dass diese sich vorwiegend dort aufhielten, wo sie kreativ konstruieren konnten. In der Folge entstanden in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts in Skandinavien die ersten originär kinderspezifischen Einrichtungen (Gerümpelspielplätze, Bauspielplätze, Konstruktionsspielplätze). Bevor wir uns den zeitgenössischen „Mit- und VordenkerInnen“ für ganzheitliche, gesundheitsfördernde Konzeptionen zuwenden, sei mir gestattet, einige Pädagogen u.a., die ebenfalls für die „richtige Richtung“ stehen, zu nennen. M.E. bleiben erwähnenswert der beachtliche Kinderpsychologe und Professor für Pädagogik, Psychologie und Psychiatrie an der Universität Chicago, Bruno Bettelheim (* 1903 – + 1990), für den zu jeder Zeit seines Schaffens klar war, zu einer gesunden Sozialisation von Kindern gehöre das Abenteuer unbedingt dazu.
67 Bettelheim verzeichnete in seiner kindertherapeutischen Klinik weltweit beachtete Erfolge selbst bei „schwer gestörten“ Kindern und Jugendlichen68, weiterhin Janusz Korczak (* 1878 – + 1942), der polnische Arzt und Pädagoge, der in Achtung und Liebe gegenüber Kindern zentrale gesundheitsfördernde Faktoren sah69; der französische Reformpädagoge und Lehrer Célestin Freinet (* 1896 – + 1966), für den die Natur, die Kunst und das Experimentieren zentrale Medien und Methoden der Arbeit, die Verantwortlichkeit und gesunde Entwicklung von Kindern beförderten, darstellten. Der Pädagoge Alexander S. Neill (* 1883 – + 1973), der Gründer des Internats in Summerhill, sollte m.E. hier nicht fehlen. Allzu gern wird Neill von denjenigen, die gegenwärtig lauthals nach „neuer Erziehung“ und „Autorität“ schreien, als einer derjenigen verunglimpft, die den eingangs erwähnten „Erziehungsnotstand“ mit zu verantworten hätten. Nach wie vor existiert Summerhill unter der Leitung von Neills Tochter Zoe Readhead. Immer wieder wird es durch die britischen Schulbehörden in seiner Arbeit behindert. Gleichwohl bringt es Kinder hervor, die nicht weniger gut gebildet sind wie SchulabgängerInnen anderer Schulen auch. Vor allem kommt es entscheidend dem Auftrag nach Ganzheitlichkeit nach.70 
Eine grundlegende Systematik für eine ökologische Sozialisationstheorie hat der 1917 geborene amerikanische Psychologe russischer Herkunft, Urie Bronfenbrenner, entwickelt. Er bestätigt die hier vertretene und geforderte „Ganzheitlichkeit“, indem er klar stellt, dass sich „alles miteinander in Verbindung“ befindet und Entwicklung immer Wechselwirkung sei. Er schließt sich der Systemtheorie an, wenn er zu der Auffassung gelangt, dass Veränderungen, auch kleinste Störungen, die Gesamtstruktur eines Systems veränderten, diese eben nicht nur vom Individuum als Beeinträchtigung aufgefasst würden. Diese Erkenntnis kann sich eine gesundheitsförderliche, wohl reflektierte Pädagogik sehr zunutze machen.
71
„Was uns erschöpft, ist die Nichtinanspruchnahme der Möglichkeiten unserer Organe und unserer Sinne, ist ihre Ausschaltung, Unterdrückung … Was uns aufbaut, ist Entfaltung. Entfaltung durch die Auseinandersetzung mit einer mich im Ganzen herausfordernden Welt.“
72 Ich denke, dass Hugo Kükelhaus73(*1900 – + 1984) mit Fug und Recht als einer der wichtigsten Protagonisten einer ganzheitlichen Lebens- und Sichtweise gesehen werden kann. Kükelhaussche Elemente in die Arbeit mit jungen Leuten zu integrieren, könnte ein nicht unerheblicher Schritt zur Gesundheitsförderung sein. Sein Lebenswerk steht quasi unter dem Motto „Mit den Sinnen leben!“ „Die Entwicklung des Menschen wird von derjenigen Umwelt optimal gefördert, die eine Mannigfaltigkeit wohldosierter Reize gewährleistet. Ungeachtet der Frage, ob diese Reizwelt von physischen oder sozialen Verhältnissen und Faktoren aufgebaut ist – die Vielgestaltigkeit der Umwelt ist Lebensbedingung.“74 Um der Praxis Einblick in die Arbeit von Kükelhaus zu geben und daraus Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, werden beim ABA Fachverband entsprechende Seminare angeboten.
Bezüglich einer Gesundung unter Extremsituationen können wir von dem österreichischen Psychiater, KZ-Häftling und späteren Professor für Neurologie und Psychiatrie, Viktor E. Frankl (* 1905 – + 1997), lernen. Er zeigt – wie später Ernst Bloch – vor allem auf, wie wichtig das „Prinzip Hoffnung“ zur Gesundung und möglicherweise zum Überleben des Menschen ist. Vor allem die zitierte Hamburger Repräsentativstudie (2001) sowie das Symposion für Dynamische Psychiatrie in München (2001) haben aufgezeigt, wie dramatisch Depressionen und Hoffnungslosigkeit bei Kindern gestiegen sind. Frankl belegt vor allem mit seinem Bericht über das Konzentrationslager Auschwitz, welche Mechanismen, Aktivitäten, Sichtweisen usw. das Leben selbst in extremen Situationen „lebenswerter“ machen.
75 Frankl war es auch, der später deutlich herausstellte, dass seiner Auffassung nach im Rahmen der Psychotherapie am allerwenigsten Methodik und Technik wirksam seien. Die größte Heilkraft sieht er in der menschlichen Beziehung zwischen Arzt und Patienten76, eine Erkenntnis, die sich auch die Pädagogik zunutze machen kann.
Wie bereits erwähnt lieferte der Frankfurt Psychologe Torsten Kunz einen bedeutenden Beitrag zur Gesundheitsförderung bei Kindern durch seine Erkenntnis, ihnen müsste gezielt eine Portion von Risiko eingeräumt werden (vgl. hierzu Fußnote 54). Über die Schlussfolgerungen von Kunz hinaus gehen die freie Autorin Elisabeth C. Gründler und der Landschaftsarchitekt Norbert Schäfer. Während sie betonen, dass selbst bei den Unfallkassen durch die Arbeiten von Kunz ein Umdenken eingesetzt habe, vertreten sie die Auffassung, mehr organisierte Bewegungsspiele seien nicht die Konsequenz, vielmehr müsse dafür gesorgt werden, dass Kindern ein nachhaltiges und abenteuerliches Freispiel ermöglicht würde. Gründler und Schäfer haben ein beachtliches Buch vorgelegt, das m.E. „Pflichtlektüre“ in jeder pädagogischen Einrichtung sein müsste.
77 Das Buch orientiert sich auf einer systemischen Grundlage. Es beschreibt in seinem Theorieteil eingängig, wie sich z.B. menschliche Intelligenz entfaltet, führt eine Reihe praktischer Beispiele auf, wie Gelände kindgerecht und gesundheitsfördernd umgestaltet werden kann. Schließlich wird das Buch durch einen Anhang „Fehlende Freiräume machen Kinder krank!“ von Gerd Glaeske und Ruth Rumke ergänzt.78
Freies und naturnahes Spielen – auch im Sinne kindlicher Gesundheit – zu fördern, ist Ziel eines bundesweiten, interdisziplinär besetzten Arbeitskreises „Städtische Naturerfahrungsräume“ unter der Leitung des Landschaftsplaners Hans-Joachim Schemel,
79 der interdisziplinär von Umwelt- und Kinderexperten wie Vertretern der Pädagogik besetzt ist. Dem Arbeitskreis ist über seine fachliche Arbeit hinaus auch an politischer Einflussnahme gelegen. Hierbei geht es u.a. um die Durchsetzung einer neuen Flächenkategorie „Naturerfahrungsräume“.
Dass die Integration weiterer Naturelemente in die Arbeit mit Kindern gesundheitsförderliche Komponenten aufweist, belegt z.B. auch die Arbeit von Kinderbauernhöfen (Jugendfarmen) und Abenteuerspielplätzen mit Tierhaltung. Einerseits haben Tiere antiallergene Wirkung. Auf diese Erkenntnis wies das Deutsche Grüne Kreuz unter Berufung auf eine amerikanische Studie hin. Demnach sinkt das Risiko, eine Allergie zu entwickeln bei Kindern, die regelmäßigen Kontakt zu Tieren haben, um die Hälfte, wobei dieser möglichst frühzeitig ermöglicht werden sollte.
80 Der Nutzen einer allgemeinen Gesundheitsförderung von Tieren wurde unter dem Titel „Tiere als Therapeuten“ eingehend dokumentiert.81 Sogenannte „Bausteine zur Tierhaltung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit“ wurden vom ABA Fachverband entwickelt.82 In diesen Bausteinen beschäftigen sich Irene Tilly, Rainer Deimel und Petra Elbers mit den verschiedenen Aspekten zu einer umsetzbaren Konzeption. Sie befassen sich mit Grundlagen, veröffentlichen eine Prioritätenliste (welche Tiere?), mit der Wirkung von Tieren auf Kinder, Ökologie und schließlich auch mit dem Tod.
„Warum Huckleberry Finn nicht süchtig wurde – Vom gesunden Eigensinn“, „Der Kleine Prinz in Las Vegas – Spielerische Intelligenz gegen Krankheit und Resignation“, „Warum Hieronymus B. keine Hexe verbrannte“, „Wie Gesundheit entsteht – Salutogenese: Schatzsuche statt Fehlerfahndung.“ Die Titel seiner Bücher sind quasi das Programm des bereits erwähnten Quakenbrücker Arztes und Psychotherapeuten Eckhard Schiffer. Zur primären Vertiefung sei hier vor allem „Der Kleine Prinz in Las Vegas“ empfohlen. Mit den Augen des Kleinen Prinzen will er die unsichtbaren Qualitäten sichtbar machen. Er begreift seine Ausführungen als Gegenentwurf zum zunehmenden Konkurrenzdruck und Leistungsdenken. Eine spielerische Intelligenz ist es, so Schiffer, die Menschen in die Lage versetzt, Krankheit, Resignation und emotionaler Leere zu entgehen.
83Schiffer erwähnte mir gegenüber in einem Gespräch, in Niedersachsen habe man einen Abenteuerspielplatz als „Huckleberry-Finn-Platz“ eröffnet. In seinem bislang letzten Buch beschreibt er, wie Gesundheit entsteht.84Eine geänderte Sichtweise, nämlich nicht mehr daran festzuhalten, was uns für uns riskant ist und uns krank macht, sondern zu schauen, wie wir es schaffen, mit den Herausforderungen und Belastungen des Alltags umzugehen und uns gleichzeitig vor ihnen zu schützen, ist die Grundlage dieser Auseinandersetzung. Schiffer beruft sich dabei auf Erkenntnisse des israelischamerikanischen Medizinsoziologen, Aaron Antonovsky (* 1923 – + 1994), der davon ausging, dass Gesundheit entsteht durch die Entwicklung eines sogenannten Kohärenzgefühls, eines Gefühls für Zusammenhänge, ergo eines ganzheitlichen Lebensentwurfs. Spiel und Dialog sind demnach grundlegend für die Entwicklung des Kohärenzgefühls und damit für die Gesundheit, eine These, die einmal mehr bestätigt, dass Spiel niemals zweckfrei ist, wie früher häufig angeführt wurde.
Von der gleichen Grundlage aus argumentiert die Osnabrücker Professorin und Sportwissenschaftlerin Renate Zimmer. Auch sie belegt die verschiedenen Risiko- und Schutzfaktoren. Unter Berufung auf die bekannteste 30 Jahre dauernde Längsschnittstudie, die Kauai-Studie,
85 zeigt Zimmer auf, dass trotz erheblicher Risikofaktoren „nur“ zwei Drittel der untersuchten Kinder Symptome von Krankheit oder Störung aufwiesen, eine Feststellung, die gewiss auch manche Pädagogen und Psychotherapeuten überraschen könnte. Als Risikofaktoren, von denen mindestens vier festgestellt werden mussten, wurden angeführt: Armut, dauernde Konflikte der Eltern, Alkoholprobleme,, psychische Krankheiten bei den Eltern oder mindestens einem Elternteil, Geburtskomplikationen und schwere Erkrankungen während des ersten Lebensjahres. Vor allem interessierte die Studie sich für die „unauffälligen“, ergo gesunden Kinder („resilient children“). Hier konnte eine besondere Bindungsfähigkeit, Kontakt zu einem oder mehreren Erwachsenen, zu Freunden, Erziehern usw. festgestellt werden. Diese Kontaktfreudigkeit war manifest. Auch später verfügten die Betroffenen über einen großen Freundeskreis.. Ferner wurde herausgefunden, dass diese Kinder schon von klein auf ein sehr aktiv waren, auffallend selbstständig, aufgeweckt, fröhlich und selbstbewusst und sich imstande zeigten, Probleme selbst zu lösen. Sie waren in der Lage, sich, wenn erforderlich, anderer Ressourcen zu bedienen, sprich sich selbstbewusst nach Hilfe umzusehen. Dadurch konnte sich ihr eigenes Kompetenzgefühl gut entwickeln und sie erlebten, dass man etwas verändern kann. Auch im Jugendalter verfügten die Untersuchten über ein positives Selbstkonzept, eine höhere Leistungsmotivation und waren davon überzeugt, dass man dem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert sei, sondern vielmehr Einflüsse auf sein Leben habe. Selbst unter chaotischen Verhältnissen waren sie in der Lage, ihr Leben zu strukturieren. So konnte die Studie festhalten, dass die besagte Gruppe „problemfrei zu kompetenten, selbstbewussten jungen Erwachsenen“86 heranwuchs.
Zimmer betont, das derartige Erkenntnisse nicht bedeuten könnten, „man könne Kinder im Vertrauen auf deren Widerstandskräfte ruhig sich selbst überlassen“.
87 Im Gegensatz zu anderen Fachleuten, die inzwischen deutlich vermehrt an „die Macht der Gene“ glauben88, geht Zimmer nicht von genetischen Persönlichkeitsdispositionen aus, sondern von Eigenschaften und Verhaltensmerkmalen, die in der frühen Kindheit erworben wurden. Am Beispiel des Kindergartens führt sie weiter aus, der Aufbau von Selbstwertgefühl, Selbstständigkeit und aktives Lösungsverhalten seien vereinbar mit einer Erziehung zur Selbstständigkeit89, quasi eines Auftrages pädagogischen Tätigwerdens.
Zimmer verwendet sich wie Schiffer für eine aktive Ressourcensuche, die kindliche Widerstandsfähigkeit stärken würden. Gesundheitsressourcen sind demnach körperliche – wie Fitness, Stärkung bzw. Intaktheit des Immunsystems, Herz-Kreislauf-Leistungsfähigkeit -, personale – wie Zuversicht, Optimismus, positives Selbstkonzept und Selbstvertrauen – sowie soziale – wie Akzeptanz und Unterstützung in der Bezugsgruppe. Des weiteren stellt sie einen Maßnahmenkatalog zusammen, der die Bildung eines positiven Selbstkonzepts bei Kindern unterstützt:

  • eigene Stärken erkennen helfen, bewusst machen;
  • Situationen bereitstellen, in denen Kinder das Selbstkonzept erfahren können;
  • Eigenaktivität und Selbsttätigsein fördern;
  • vorschnelle Hilfeleistung vermeiden;
  • Kinder unabhängig von ihrer Leistung wertschätzen;
  • Vergleiche mit anderen vermeiden, individuelle Bezugsnormen setzen.90

Zimmer sieht auch die Gefahren, die mit Sparmaßnahmen in den öffentlichen Haushalten verbunden sind. Sie argumentiert, dem Kindergarten käme in bildungspolitischer Hinsicht immer noch nicht die ihm relevante Bedeutung zu. Dies kann aus Sicht der Offenen Arbeit vergleichsweise attestiert werden. Wenn Zimmer dies für den Kindergarten konstatiert, der immerhin einen gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag hat, ist dieser für die Kinder- und Jugendarbeit nirgendwo verankert. Vor dem Hintergrund ihrer  – zumindest bei den „am ehesten originär kinderspezifisch entwickelten Ansätzen“ – ganzheitlichen Konzepte leistet meines Dafürhaltens die Offene Arbeit nicht selten eine höherwertigere Bildungsarbeit und Gesundheitsförderung als die klassischen Bildungsinstitutionen.91 Dass Teile der Politik diesen Bildungsauftrag wahrnehmen, belegt eine entsprechende Aussage der nordrhein-westfälischen Jugendministerin während einer Tagung am 23.10.2000 in Essen. Zimmer betont die höhere Wirksamkeit des Kindergartens in gesundheitspolitischer Hinsicht. Sie gibt allerdings zu bedenken, dass sich aufgrund eines immer höher werdenden finanziellen Druck die Leistungen eher verschlechterten denn verbesserten. „Wenn Kinder in ihrem Lebensalltag schon immer größeren Belastungen ausgesetzt werden, dann sollten wenigsten für familienergänzende Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen optimale Voraussetzungen geschaffen werden. Die Risiken werden in der modernen Gesellschaft für Kinder kaum einzudämmen sein. Im Zentrum des pädagogischen Interesses müssen daher zunehmend die Potenziale und Möglichkeiten stehen, die die kindliche Entwicklung schützen und stärken.“92 Dieser positive Denkansatz der Risikominimierung, der Stützung der personalen, körperlichen und sozialen Ressourcen der Kinder, das Entdecken eigener Stärken wie auch der Umgang mit Schwächen und die Förderung einer bejahenden Lebenseinstellung sei von Erwachsenen, wo immer es in ihrem Verantwortungsbereich liege – dies schließt m.E. vor allem die Politik und die Wirtschaft ein – zu fördern. Dies bedeutet vor allem auch, die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Salutogenese bestätigt einmal mehr die Erkenntnisse, die die britisch-amerikanische Anthropologin Jean Liedloff bereits 1977 dokumentierte. Liedloff, die über zwei Jahre bei venezuelanischen Yequana-Indianern lebte, berichtet von der Entstehung des „Urkontinuums“, vom Aufwachsen der Kinder und vom Umgang zwischen Erwachsenen und Kindern. Sie weist auch an diesem Beispiel deutlich nach, wie Gesundheit entsteht. U.a. führt sie aus, wie die Selbstverantwortung von Kindern respektiert wird. Gleichzeitig belegt sie, welche Risiken möglicherweise durch das Verhalten von Eltern und anderen Erwachsenen in der sogenannten westlichen Welt überhaupt erst produziert werden.
93
Meine Ausführungen können – wie bereits betont – die Thematik nur ansatzweise „aufreißen“. Viele Komplexe – wie Karies u.a. – blieben unerwähnt. Auch auf das Phänomen der zunehmenden Lärmbelastungen (das im Zusammenhang mit den Erkenntnissen Werner Schmidts in der Statistik zur Vergleichsstudie auftauchte) – ein nicht unerheblicher Stressor, der das vegetative Nervensystem aufruft, über die Produktion entsprechender Hormone in Abwehr zu gehen und am Ende zu Bluthochdruck, Herz-, Magen und Darmerkrankungen führen kann, kann hier nur noch erwähnt werden. Gleichzeitig denke ich dabei auch an Eindrücke, die ich bisweilen in Einrichtungen machen kann, in denen Kinder und Jugendliche pausenlos mit Musik oder anderen Geräuschen geplant belästigt bzw. berieselt werden. Vielleicht sei mir noch der Hinweis darauf gestattet, dass zur fachlich qualifizierten Arbeit immer auch eine Menge Fachwissen und Reflexionsvermögen gehören. Ins Grübeln gerate ich ferner, wenn ich in der Zeitung lesen, dass der Paderborner Professor Wolf Brettschneider herausgefunden hat, dass junge Leute, die in Sportvereinen aktiv sind, zwar weniger an Schlafstörungen und Kopfschmerzen litten als ihre nicht sportlich aktiven Altersgenossen. Brettschneider untersuchte das Drogenverhalten Jugendlicher, die in Vereinen Mitglied sind und kam zu der Erkenntnis, dass z.B. Vereinsfußballer beim Konsum von Bier und Zigaretten „Spitze sind“. Die Werbung, Sportvereine machten stark gegen Drogenkonsum, entpuppt sich offenbar als Schimäre. Es konnten weder beim Konsum legaler noch illegaler Drogen Unterschiede zwischen Jugendlichen in Sportvereinen mit anderen festgestellt werden. „Die optimistische Annahme, Sportvereine wirkten positiv auf die Entwicklung junger Menschen, muss relativiert werden,“ sagt Brettschneider.
94
Unter der Leitung des renommierten Jugend- und Gesundheitsforschers, Professor Klaus Hurrelmann, beschäftigte sich ein Initiativkreis, an dem auch der ABA Fachverband beteiligt war, im März 2000 in einem Workshop an der Universität Bielefeld mit der Weiterentwicklung von gesundheitsförderlichen Freizeiteinrichtungen für Jugendliche. Teile des erarbeiteten Konzepts, das Vorschlag zu einem Modellprojekt war, sollen im Folgenden als Anregung wiedergegeben werden. Hierbei gilt es zu bedenken, dass als Jugendliche hier im wesentlichen die Alterskohorte der 10- bis 15-Jährigen angesprochen ist. Die Ergebnisse des Workshops wurden von Klaus Hurrelmann zusammengefasst und an die TeilnehmerInnen versandt.
95 Der Workshop kommt zu der Auffassung, dass es für Jugendliche kaum öffentliche Plätze gibt, die frei zugänglich sind und Spaß und Anregung geben. Die meisten Jugendlichen seien auf ihr häusliches Umfeld und die Plätze im Geschäftsviertel der Innenstadt angewiesen. Frei zugängliche Aktionsplätze, die den Interessen und Bedürfnissen der Jugendlichen entsprächen, gebe es kaum. Ein solcher Mangel an öffentlichen Freizeittreffs wirke sich auf die Entwicklung von Jugendlichen nicht günstig aus. Gerade Jugendliche brauchten Räume, die sie sich aneignen, besetzen, gestalten und verändern könnten. Sie benötigten den öffentlichen Raum, um sich darzustellen, denn sie befänden sich in einer Entwicklungsphase, in der sie sich mit sich selbst und mit ihrer sozialen Umwelt auseinander setzten. Würden Jugendlichen in den Städten und Gemeinden keine öffentlichen Plätze gegeben, dann könne das zu Rückzug, Isolation, sozialer Inkompetenz, mangelnder Konfliktfähigkeit und fehlendem Meinungsaustausch führen und dem Gefühl, ausgegrenzt zu sein, Vorschub leisten. Viele der gegenwärtigen gesundheitlichen und sozialen Schwierigkeiten Jugendlicher seien so zu begründen. Wissenschaftliche Studien hätten deutlich gemacht, dass auch Aggressionen und Gewalt, die in der Öffentlichkeit beklagt würden, darauf zurückzuführen seien, dass keine Freiräume für natürliche und gesunde Aggressionen zur Verfügung stünden.
Jugendlichen würden gegenwärtig zumeist Räume in einem pädagogisch gesteuerten Umfeld – wie Schule und Sportverein – bzw. im kommerziellen Bereich – Einkaufspassage, Kaufhaus – angeboten. Zudem seien diese in der Regel standardisierte, perfekte und nicht veränderbare Räume. Demgegenüber müssten Jugendliche Räume aber nach eigenem Gusto erfahren und erkunden. Dabei ginge es um die Stimulation von Sinnen, das Erleben von öffentlichem Handeln mit der typischen Erfahrung von Unbekanntem und Anonymität, die vielen Jugendlichen, besonders auch Mädchen Schwierigkeiten bereiteten. Ziel sei das Überwinden der Angst, sich im öffentlichen Raum zu präsentieren, also um eine Form der Behauptung und der Selbstbehauptung. An einem öffentlichen Raum könnten immer auch fremde und unbekannte Menschen sein, es stellten sich neuartige und irritierende Situationen ein. Zugleich könne hier Zugehörigkeit und Ortsverbundenheit erfahren werden. Sollten diese Erfahrungen möglich werden, müsse es sich um Räume handeln, die gestaltet und verändert werden könnten. Sie dürften nicht perfekt und fertig sein. Fertige Lösungen produzierten Zurückhaltung oder Ablehnung, oft sogar Zerstörung oder Vandalismus. Jugendlich bräuchten Räume, in denen sie sich einnisten könnten. Dabei müssten sie auf Unbekanntes, Fremdes, Neues und Spannendes treffen. Betreute und beaufsichtige Räume in Schulen, „klassische“ Jugendzentren, Einkaufszentren und Kinos könnten diese Qualität nicht oder nur zum Teil bieten.
Ferner, fasst Hurrelmann die weiteren Ergebnisse des Workshops zusammen, seien die Bedürfnisse von Mädchen und Jungen verschieden. Deshalb sollten sie in Jugendtreffs und auf den hier beschriebenen Aktionsplätzen besonders berücksichtigt werden. Berücksichtigt man noch lebensweltliche Hintergründe – wie Wohnsituation, Kultur, Bildung und ethnische Besonderheiten – käme man zu der Auffassung, dass es nicht möglich sei, Einrichtungen für alle Jugendlichen gleichermaßen attraktiv zu gestalten. Diese Selektion führe allerdings zu einem größeren Maß an Partizipationsmöglichkeiten und zu einer höheren Identifikation der Gruppe mit ihrer Einrichtung.
Bei der Planung wird hinsichtlich der Architektur und der räumlichen Voraussetzung Flexibilität groß geschrieben. Der Workshop spricht sich für eine Architektur mit möglichst geringem Aufwand und vielfältigen Veränderungsmöglichkeiten aus. So könnten die sich wandelnden Bedürfnisse zeitnah berücksichtigt werden. Geschaffen werden sollten Möglichkeiten für Sport, Bewegung (z.B. Skate-Anlagen) und Konstruktionsmöglichkeiten, aber auch für Ruhe, Kommunikation, die leibliche Versorgung u.a.m. Ein derartiges Planungsmodell deckt sich mit den Vorstellung Jugendlicher, wenn sie dazu befragt werden, und ist durchaus mit Elementen vergleichbar, wie sie auch auf Abenteuerspielplätzen entwickelt wurden. Darüber hinaus, so Ergebnis des Bielefelder Workshops, sollten die Jugendlichen von Anfang an in die konkrete Planung und Umsetzung einbezogen werden, ihre Selbstverantwortung und Selbstorganisation sei gefragt. Ein Vorschlag ist z.B. eine Vereinsstruktur, in der sich die jungen Leute Regeln für den Betrieb, die Umgangsformen, Reinigung und Instandhaltung der Anlage usw. geben. Pädagogische Intervention sollte auf ein Minimum reduziert bleiben. 
Meines Erachtens könnten die hier unterbreiteten Vorschläge auch schrittweise in der „klassischen“ Offenen Arbeit in Jugendfreizeitstätten „ausprobiert“ werden. Gehen wir von der These aus, dass niemand wirklich von außen gesteuert werden kann, kommt es – auch im Sinne von Gesundheitsförderung – entscheidend darauf an, Übungsfelder für Selbstverantwortung und soziales Miteinander zu initiieren. Eine konstruktive Arbeit in der Jugendfreizeitstätte, sollte sich daran messen lassen, wie stark sie das Ziel der Emanzipation verfolgt und welche hilfreichen Elemente sie dazu organisiert.

Anmerkungen:

1 Petra Gerster und Christian Nürnberger: Der Erziehungsnotstand – Wie wir die Zukunft unserer Kinder retten, Rowohlt Verlag, Berlin Rowohlt 2001
2 ABA Fachverband, Dortmund 1999, S. 107. In derselben Ausgabe ist ebenso ein Artikel „Systemische Pädagogik – Mit Blick aufs System – vom Problem zur Lösung!“ von Christiane Bauer zu finden (S. 11 ff.).
3 vgl. DER SPIEGEL 35/2001, S. 61
4 Der komplette Ordner enthält neben einem Ideenhandbuch für Jugendreisen, Offene Arbeit, Schule und Sportverein für jeden der genannten Bereich jeweils ein Praxisheft mit zahlreichen Anregungen, weiter je eine Aktionsbox „Entspannung und Stressbewältigung“, „Gesunde Ernährung“, „Bewegung und Aktion“ sowie – quasi als Kochbücher – zwei Handbücher „Essenfeste“ und schließlich einige Kopiervorlagen. Der Ordner, der inzwischen als Neuauflage wieder zu beziehen ist, kann bestellt werden bei der BZgA, Ostmerheimer Straße 220, 51109 Köln.
5 Elisabeth Pott: „Alles hängt mit allem zusammen“, in: BARMER – Das aktuelle Gesundheitsmagazin 3/2001, Zeitschrift der BARMER Ersatzkasse, S. 17
6 vgl. ebenda
7 vgl. Inge Seiffge-Krenke: Gesundheitspsychologie des Jugendalters, Göttingen 1994, S. 1 ff.
8 Klaus Hurrelmann: Sozialisation und Gesundheit. Somatische, psychische und soziale Risikofaktoren  im Lebenslauf, Weinheim 1988, S. 17
9 vgl. Päd. Blick, 3. Jahrgang, Heft 1, S. 46
10 vgl. Westfälische Rundschau vom 16.10.1995
11 vgl. Seiffge-Krenke, a.a.O., S. 34
12 vgl. Seiffge-Krenke, a.a.O., S. 69
13 vgl. Ruhr Nachrichten vom 21.12.1995
14 vgl. Seiffge-Krenke, a.a.O., S. 32
15 vgl. Ruhr Nachrichten vom 15.1.1996
16 vgl. Norbert Kozicki: Armut von Kindern und Jugendlichen (Hg. SJD – Die Falken UB Dortmund), Dortmund 1994, S. 1 f.
17 vgl. Norbert Kozicki: Reiches Land – arme Kinder (Hg. SJD – Die Falken Landesverband NRW), Gelsenkirchen 1998, S. 3
18 vgl. ebenda, S. 2
19 vgl. Norbert Kozicki: Armut von Kindern und Jugendlichen, a.a.O.
20 vgl. ebenda, S. 7
21 vgl. ebenda, S. 2
22 ebenda
23 ebenda, S. 7
24 vgl. Ruhr Nachrichten vom 18.1.1996
25 vgl. Westfälische Rundschau vom 16.10.1995
26 vgl. Ruhr Nachrichten – Dortmunder Zeitung vom 9.2.1996
27 Jean Harvey-Berino, in: Westfälische Rundschau vom 10. Juni 2000
28 Westfälische Rundschau vom 10. Juni 2000
29 ebenda
30 vgl. „Was Kinder krank macht“, in: BARMER – Das aktuelle Gesundheitsmagazin 3/2001, S. 16
31 vgl. Westfälische Rundschau vom 16.10.1995
32 vgl. „Was Kinder krank macht“, a.a.O. S. 16
33 vgl. Baldo Blinkert: Kinder wollen draußen spielen, in: DER NAGEL 57 (Hg.: ABA Fachverband), Dortmund 1995. Die Untersuchung ist auch als umfassendes Buch erschienen: Baldo Blinkert: Aktionsräume von Kindern in der Stadt. Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1996
34 vgl. Internet-Archiv der Bertelsmann Stiftung, 3. Quartal 2001 vom 1. August 2001
35 Schmidts Erkenntnissen zufolge sind analog dazu die Verkehrsflächen um das Achtfache gewachsen. Information in der WAZ vom 27.4.2001
36 vgl. Pressemitteilung 171 der Universität Essen (Essener Sportwissenschaftler wissen: Kinder brauchen im Alltag mehr Bewegung) vom 21. Juni 2001
37 vgl. Werner Schmidt: Veränderte Kindheit. Manuskript einer Skizze. Essen, o.J., S. 3
38 vgl. Neue Ruhr Zeitung (Ausgabe Essen) vom 24.7.2001: Wissenschaftler will Kinder auf die Straße schicken
39 vgl. „Arzneimittel als Alltagsdroge?“, in: BARMER – Das aktuelle Gesundheitsmagazin 3/2001, Zeitschrift der BARMER Ersatzkasse, S. 15
40 Alle Angaben zur Gesundheitsstudie sind einer Pressemitteilung des „stern“ vom 4.7.2001 entnommen.
41 Ulrike Moser: Unter Barbaren -Wie sollen Kinder erzogen werden?, in: Die Woche vom 3.8.2001, S. 30
42 Institut für soziale Arbeit e.V., in: www.Familie.de/erziehung/news vom 15.8.2001
43 vgl. WAZ vom 10. 4.2001
44 WAZ vom 2.4.2001
45 WAZ vom 14.98.2001 – Die Ergebnisse von Erika von Mutius, Sabina Illi und Erich Wichmann sind nahezu identisch und können nachgelesen werden in: DER SPIEGEL 19/2001, S. 222 ff.
46 WAZ vom 2.4.2001
47 DER SPIEGEL 19/2001, S. 224
48 ebenda, S. 222
49 vgl. Oliver Lanner: Psychopillen für Zappelphilipp“, in: NetDoktor.de, September 2001
50 vgl. Dietrich Hofmann: Kinder und Arzneimittel, in: BARMER – Das aktuelle Gesundheitsmagazin 3/2001, Zeitschrift der BARMER Ersatzkasse, S. 18
51 vgl. ebenda
52 vgl. „Arzneimittel als Alltagsdroge?“, a.a.O., S. 15
53 U.a. können zu diesem Thema auch Seminare über den ABA Fachverband organisiert werden.
54 vgl. zu dieser Thematik: u.a.: ABA Fachverband (Hg.): Risiko als Spielwert, in: DER NAGELKOPF 22, Dortmund 1997, sowie: Rainer Deimel: Stichwort „Risiko“, in: stichWort 1 (Hg. ABA Fachverband), Dortmund 1995
55 Urteil zur Verkehrssicherungspflicht: Ein Abenteuerspielplatz darf gefährlich sein, in: ABA Texte-Dienst 1, 6. Auflage, Dortmund 1996, S. 15
56 vgl. hierzu u.a.: Torsten Kunz: Weniger Unfälle durch Bewegung, in: DER NAGELKOPF 22, a.a.O., S. 32 ff. und: Torsten Kunz: Mit Bewegungsspielen gegen Unfälle und Gesundheitsschäden bei Kindern, in: DER NAGEL 54 (Hg. ABA Fachverband), Dortmund 1992
57 vgl. Bundesverband der Unfallkassen (Hg.): Giftpflanzen – Beschauen , nicht kauen, 18. Auflage, München 2001, S. 4 f.
58 vgl. ebenda, S. 5 f.
59 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, Bonn 1998, S. 223
60 Werner Thole: Kinder- und Jugendarbeit. Eine Einführung. Juventa Verlag, Weinheim und München 2000, S. 121
61 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, a.a.O., S. IX
62 Ausführungen zu den Themen „Abenteuerspielplatz“ und „Spielmobil“ gibt es in: Ulrich Deinet/Benedikt Sturzenhecker: Handbuch Offene Jugendarbeit, Votum-Verlag, Münster 1998, dort: Rainer Deimel: Abenteuerspielplätze, S. 328 ff. und Rainer Deimel: Spielmobile, S. 336 ff. In erweiterter Fassung können diese Beiträge auch als Broschüren in der Reihe stichWort des ABA Fachverband bezogen werden. 
63 Zur besseren Orientierung werden bei den nicht zeitgenössischen Personen Geburts- und Todesdaten angegeben.
64 vgl. Hildegard Hamm-Brücher, in: Otto Seydel: Zum Lernen herausfordern. Das reformpädagogische Modell Salem. Klett-Cotta, Stuttgart 1995, S. 17 ff.
65 Schule Schloss Salem e.V.: Salem, Salem in Baden 1991 (ohne Seitenangabe)
66 vgl. Wilhelm Reich: Die sexuelle Revolution, Sexpol-Verlag, Kopenhagen 1936. Das Buch gibt es als Neuauflage im Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main. Meinen Recherchen zufolge gibt es von Wera Schmidt selbst keine Publikationen mehr. Mir selbst liegt ein Nachdruck aus den 20-Jahren vor, den sich Interessierte ggf. als Kopie anfordern könnten.
67 Einen kleinen, aber gelungen Querschnitt über die Arbeiten Bettelsheim gibt das Buch: Bruno Bettelheim: Zeiten mit Kindern. Herder Verlag, Freiburg 1994
68 vgl. Faktum Lexikoninstitut (Hg.): Lexikon der Psychologie. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh und München 1995. Autorisierte Sonderausgabe im Bassermann Verlag, S. 47
69 Hauptwerke: „Wie man ein Kind lieben soll“ (1926) und „Das Recht des Kindes auf Achtung“ (1928). Korczak, der 1942 gemeinsam mit einer Gruppe von Kindern aus seinem Warschauer Waisenhaus im Vernichtungslager Treblinka von den Nazis ermordet wurde, erhielt 1972 posthum den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
70 Eine kritische Bilanz, jenseits ideologischer Voreingenommenheit, zieht folgendes Buch: Peter Ludwig (Hg.): Summerhill: Antiautoritäre Pädagogik heute. Ist die freie Erziehung tatsächlich gescheitert?, Beltz Verlag, Weinheim und Basel 1997
71 vgl. Faktum Lexikoninstitut, a.a.O., S. 336 ff.
72 Hugo Kükelhaus, in: Internet-Seiten der Hugo Kükelhaus Gesellschaft e.V. Soest (www.uni-leipzig.de/?angl/kuekelhaus): Hugo Kükelhaus kennelernen
73 Pädagoge, Handwerker, Philosoph, Künstler, Forscher, Schriftsteller
74 Hugo Kükelhaus, in: Internetseiten, a.a.O.
75 vgl. Viktor E. Frankl: … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. Kösel-Verlag, 6. Auflage, München 1994. Mit Kindern und deren Überlebensstrategien befasst sich das Buch „Spielen im Schatten des Todes – Kinder und Holocaust“ des ungarischstämmigen amerikanischen Professors für Soziologie des Spiels und des Sports an kalifornischen Universität in Pomona, George Eisen. Piper Verlag, München 1993
76 Viktor E. Frankl: Der Mensch auf der Suche nach dem Sinn. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1959, S. 49
77 vgl. Elisabeth C. Gründler und Norbert Schäfer: Naturnahe Spiel- und Erlebnisräume. Planen * bauen * gestalten. Luchterhand Verlag, Neuwied/Kriftel/Berlin 2000.
78 Dieser Beitrag bestätigt zahlreiche Argumente meines Beitrages. Dr. Gerd Glaeske war Leiter der Abteilung für medizinisch-wissenschaftliche Grundsatzfragen bei der BARMER Ersatzkasse, Ruth Rumke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin ebenda.
79 Büro für Umweltforschung und Umweltplanung, Dr. Ing. Hans-Joachim Schemel, Altostrasse 111, 81249 München, www.umweltbuero-schemel.de
80 vgl. WAZ vom 1.10.2001. Eine Broschüre „Allergien bei Kindern – Auf die Früherkennung kommt es an“ kann bestellt werden bei: Deutsches Grünes Kreuz, Schuhmarkt 4, 35037 Marburg. Bitte einen mit 1,50 DM adressierten DIN-C-5-Rückumschlag beifügen.
81 vgl. Hanne Tügel: Tiere als Therapeuten, in GEO 3/2001, S. 86 ff.
82 vgl. DER NAGEL 59 (Hg.: ABA Fachverband), Dortmund 1997, S. 79 ff. und DER NAGEL 60 (Hg. ABA Fachverband), Dortmund 1998, S. 79 ff.
83 vgl. Eckhard Schiffer: Der Kleine Prinz in Las Vergas, Beltz Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin 1997
84 vgl. Eckhard Schiffer: Wie Gesundheit entsteht – Salutogenese statt Fehlerfahndung. Beltz Verlag, Weinheim und Basel 2001
85 Kauai-Studie von Emmy E. Werner, in: Renate Zimmer: Hauptsache gesund – aber wie?, in: KITA NEWS 2/2001 (Hg.: GEW Landesverband NRW), S. 15 f.
86 Renate Zimmer, a.a.O., S. 15′
87 ebenda, S. 16
88 vgl. z.B. Rolf Degen: Lexikon der Psychoirrtümer – Warum der Mensch sich nicht therapieren, erziehen und beeinflussen lässt, Verlagsgruppe Weltbild, Augsburg 2001. Dort heißt es u.a. auf S. 81, der genetisch bedingte Einfluss auf das menschliche Verhalten betrüge immerhin zwischen 40 und 50 Prozent.
89  vgl. Renate Zimmer, a.a.O., S. 16 
90 vgl. ebenda, S. 18 ff.
91 vgl. „Welche Bildung leistet die Offene Arbeit?“, in: ABA Fachverband: Der Verband stellt sich vor, Dortmund 2001. Der Text dieses Positionspapiers ist auch als Merkblatt beim ABA Fachverband erhältlich.
92 Renate Zimmer, a.a.O., S. 20 f.
93 vgl. Jean Liedloff: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Gegen die Zerstörung unserer Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit. C.H.Beck´sche Verlagsbuchhandlung, München 1980.
94 WAZ vom 6.3.2001
95 Schreiben von Klaus Hurrelmann vom 13. April 2000

NAGEL-Redaktion – Reflektierte Jungenarbeit

Zur geschlechtsspezifischen Arbeit mit Jungen

Von Rainer Deimel

Wie es anfing

Anfangs, in den siebziger Jahren, konnte ich bei mir eine stille, aber – wie ich glaubte – deutliche Sympathie für Forderungen der Frauenbewegung verspüren. Die Forderungen schienen mir zum größten Teil plausibel, ich fühlte mich an vielen Stellen gar „solidarisch“, wenn ich das in diesem Zusammenhang überhaupt so nennen kann. Ein Umstand, der mir damals nicht klar war: In jener Zeit war meine Lebenslage derart gestaltet, dass es ohne irgendwelche Komplikationen möglich war, mich „solidarisch“ zu fühlen. Ich hatte meinen festen Job, den ich gern tat, mein geregeltes Einkommen, eine feste Beziehung, also trotz aller politisch fortschrittlicher Gedanken, eine Situation, aus der eine Menge Sicherheitsgefühl „gesaugt“ werden konnte.
Spätestens ab Anfang der achtziger Jahre, als sich meine erste Tochter „ankündigte“, geriet einiges ins Wanken. Ich spürte überdeutlich, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit Welten lagen. Und bis heute habe ich das Gefühl, ständig Ansprüchen hinterher zu jagen. Ich wollte mich mit dieser Situation nicht abfinden, war vor 1983 Jahren mit dabei, einen Vätergesprächskreis zu gründen, der viele Jahre „arbeitete“ und auch gegenwärtig noch als offener Männerkreis existiert 
(1). Im Rahmen dieses Gesprächskreises gingen die Konturen immer weiter in Richtung reiner „Männerthemen“ (selbstverständlich unter Einbeziehung väterspezifischer Fragestellungen). Lange Zeit wurde in diesem Gesprächskreis darauf geachtet, dass nur Väter Zugang hatten; dies genau aus dem Grund, den ich so überdeutlich an mir selbst erfahren hatte: Es macht einen Riesenunterschied, ob ein Mann Kinder hat oder nicht. Solange eine eigene Betroffenheit, etwa in Form einer Vaterschaft, nicht realisiert wird, ist es einfach, verbal mit Frauenbewegung zu sympathisieren und umgekehrt wird erlebbar, wie schwer es im Falle von Betroffenheit ist, sich in Richtung geschlechtlicher Gleichberechtigung zu entwickeln.
Seit längerem ist mir deutlich, dass es die vielbeschworene „Männerbewegung“ nicht gibt. Es gibt allenfalls einige „männerbewegte“ Männer, die ich allerdings nicht als „Bewegung“ quantifizieren möchte. Vermutlich hat Frauenbewegung einiges damit zu tun, dass vereinzelt Männer angefangen haben, sich Gedanken zu machen, Gruppen zu gründen, Veränderungsversuche ausprobierten, teilweise Rollen tauschten (z.B. Hausmann-Sein) und anderes mehr. Mittlerweile beobachte und erlebe ich allerdings, dass Frauenbewegung, wenn überhaupt, bei Männern allenfalls noch eine Art „Kick“ auslöst, um männerspezifisch aktiv zu werden. Ich denke vor allem, dass es normalerweise der eigene, zum Teil immens gestiegene oder spürbar gewordene Leidensdruck bei Männern ist, die diese veranlasst, sich etwa mit anderen Männern zusammenzutun, etwas verändern zu wollen. Dort, wo Männer aktiv sind, haben diese Aktivitäten mittlerweile überall ihre eigenen Konturen gewonnen. Und leider sind es immer noch herzlich wenig Männer, die überhaupt „aus ihrer Haut heraus“ kommen 
(2).

Das Dilemma der Jungen

Jungen sind schwer zu verstehen. In Einrichtungen werden sie immer wieder als „ätzend“ und störend begriffen, was sie zweifelsohne häufig sind. Besonders Mitarbeiterinnen haben oft keine Lust mehr, sich mit ihnen zu konfrontieren. Einrichtungen sind in erster Linie an den Interessen von Jungen ausgerichtet; Mädchen wird der Zugang durch strukturelle, inhaltliche und atmosphärische Einschränkungen erschwert. Die Jungen dominieren mit Macho-Gehabe, Mädchen werden oft zu bloßen Anhängseln der Jungen degradiert. Stimmt! Aber halt, was ist mit den Jungen, die nicht dominieren, die selbst von ihresgleichen unterdrückt, benutzt und ausgebeutet werden? Was ist mit den Jungen, die unter einer Art hypnotischer Gruppendynamik für sich gar keine andere Überlebenschance sehen, als sich in irgendeiner Form – und sei es als „blöder“ Handlanger eines Rädelsführers – einzuklinken? Warum überhaupt dominieren Jungen?
Wir müssen – als Männer zumindest – unseren Blick schärfen für die konkrete Situation von Jungen. Erwiesenermaßen werden Jungen anders erzogen als Mädchen. Ich möchte mich nicht beim – wie ich mittlerweile glaube – Märchen vom Ödipus-(Komplex) aufhalten. Festzustellen bleibt, dass Jungen häufig seitens der Mutter – zunächst – eine besondere Form der Zuwendung erfahren (bis – wie sich mittlerweile immer deutlicher abzeichnet – hin zu sexuellem oder anderem Missbrauch) 
(3). Es können gar Unterschiede in der Art und Weise festgestellt werden, wie Jungen und Mädchen von ihren Müttern als Baby getragen werden. Früher als Mädchen werden Jungen in die „feindliche Welt“ geschickt. Der Schutz, den kleine Jungen bitter nötig haben, wird ihnen allzu früh entzogen, ihre Gefühlsregungen werden unterdrückt („Ein Indianer weint nicht!“). Ihren Vater, der ebenfalls einmal Junge war, erleben bislang die meisten Jungen als abwesend. Damit meine ich nicht eine unverhältnismäßig große lokale Abwesenheit, z.B. wegen Arbeit, sondern ich spreche in erster Linie von emotionaler Abwesenheit, der Unfähigkeit des ehemaligen Jungen, seinem Sohn Zuwendung zu geben und Stärke vorzuleben. Nicht Stärke in Form von brachialer oder anderer patriarchaler Gewalt, Ausbeutung seiner selbst und Ausbeutung seiner Frau und seiner Kinder, nicht Stärke, die sich als Erguss einer tumben, stupiden Bestrafungs- und Bedrohungsmaschinerie austobt, oft zur Kompensation der Probleme, die ihn selbst betreffen, die er am Arbeitsplatz, in seiner Beziehung oder sonst wo erlebt. Ich meine die Stärke, die dem Sohn Identifikation mit einer „richtig verstandenen“ Männlichkeit ermöglicht, ein Ernstnehmen, Verständnis, Empathie, Liebe und erlebbare Solidarität mit seinem gleichgeschlechtlichen Kind. Dem Sohn entgeht also in der Regel „der große Freund“, der Partner, an dem er sich messen, dem er vertrauen, mit dem er sich solidarisieren kann, der ihm Vorbild sein kann. „Vorbild“ ist er ihm trotzdem, Teil des Jungen-Dilemmas. Bereits früh verinnerlicht der Junge solches männliches Verhalten und kann nicht anders, als es richtig zu finden und dieses „verhasste“ Verhalten bei sich selbst unbewusst zu verinnerlichen. Verstärkt wird die Katastrophe normalerweise durch die „gutmeinende“ Mutter, die eine gleichgeschlechtliche Vorbildfunktion ohnehin nie übernehmen könnte, indem sie alle möglichen „Tricks“ anwendet, den Jungen durch ihre Erziehung patriarchal anzupassen, ihn eigentlich gegen ihr eigenes Geschlecht erzieht. Ich will damit Mütter nicht verteufeln; sie erfüllen lediglich die ihnen in dieser patriarchalen Gesellschaft zugedacht Rolle und produzieren weiter – wie die Väter – „männliche Verhaltenskrüppel“. Dieser Teufelskreis wird an keiner Stelle im herkömmlichen Leben unterbrochen, weder im Kindergarten, noch in der Schule und schon gar nicht mehr am Arbeitsplatz, normalerweise nicht einmal im Jugendzentrum (4).
So nimmt es nicht wunder, dass Jungen bei fast allen Auffälligkeiten und Krankheiten – vor allem psychosomatischen – Spitzenreiter werden (Bettnässen, Stottern, organischen Erkrankungen usw.); ebenfalls „guinnessreif“ sind Jungen (und Männer) im Vergleich, wenn es um Selbstmord, Perversionen, Kriminalität und Süchte unterschiedlicher Art geht.
Richten wir unseren Blick noch einmal auf den „ätzenden“ Jungen in der Einrichtung. Wir stellen fest: Er ist laut, dominant, frauenfeindlich, sexistisch …  Wir müssten uns fragen, warum er so ist, ob sich hinter dem „Ätz-Stoff“ nicht ein verletztes, hilfsbedürftiges, nach Zuwendung schreiendes Wesen verbirgt. Gelegentlich ist zu hören, Jungen würden in der Regel übervorteilt. Ein Argument: Jungen drängen sich in den Vordergrund, sind dominant und … werden deshalb bevorzugt (im Verhältnis 70 Prozent Jungen zu 30 Prozent Mädchen) in die Hände von (Erziehungs-)Beratungsstellen gegeben. Ich möchte diesen Umstand nicht weiter kommentieren.

„Jungenarbeit“ – zum Scheitern verurteilt?

Geschlechtsspezifische Arbeit mit Mädchen ist ein großes Verdienst von Frauenbewegung. Quasi als Antwort darauf gab es in etlichen Einrichtungen Versuche, ebenfalls eine analoge Jungenarbeit  zu etablieren. In den meisten Fällen sind diese Versuche gescheitert. Oft wurden meines Erachtens dann „Jungen-Aktivitäten“ ausprobiert, weil Jungen sich durch Mädchenarbeit einfach benachteiligt fühlten. Eine Reflexion fand in der Regel nicht statt. Derartige Startvoraussetzungen lassen normalerweise eine authentische Jungenarbeit scheitern. So haben wir in der Praxis etliche Anläufe wahrnehmen können, in denen Jungenarbeit etwa in Form von Skatrunden, Kegeln oder ähnlichem stattfand und das häufig mit Mitarbeitern, die selbst über keinen Funken „Männerbewusstseins“ verfügten. Nachdem die Heimvolkshochschule Alte Molkerei Frille für eine „antisexistische Arbeit mit Jungen“ warb, löste dies in etlichen Einrichtungen erneut Initiativen aus, Jungenarbeit zu versuchen. (5) Meine eigene Lebensgeschichte als Junge und Mann, die Beschäftigung mit meiner eigenen Sozialisation und der gesellschaftliche Kontext, in dem ich lebe, der mir ein entsprechendes Feedback gibt, lässt mich zu der Überzeugung gelangen, dass eine eigenständige, lebendige, geschlechtsspezifisch orientierte Arbeit mit Jungen unabdingbar ist hinsichtlich einer – eben nicht nur verbal – angestrebten Gleichstellung von Frauen und Männern, von Mädchen und Jungen. Einen weiteren Beitrag zur Jungenarbeit leistete die AG Klub, eine evangelische Bundesarbeitsgemeinschaft (für Offene Jugendarbeit) mit einer Veröffentlichung der Übersetzung aus dem Englischen, nämlich der Broschüre „Junge, Junge – Work with Boys“ von Trefor Lloyd aus dem Jahre 1986. (6) Die seit längerem vergriffene Schrift wurde als durchgesehene und durch einen Anhang erweiterte Neuauflage vom bei ABA Fachverband neu veröffentlicht (7). Der Neuling Verlag bringt seit einiger Zeit ebenfalls Schriften für die Arbeit mit Jungen und Männern heraus, die sehr praxisnah sind. (8) Die meines Erachtens wichtigsten Basis-Schriften für eine gezielte Jungenarbeit sind die Bücher „Kleine Helden in Not“ von Dieter Schnack und Rainer Neutzling (9) und das „Praxishandbuch für die Jugendarbeit, Teil 2: „Jungenarbeit“ von Uwe Sielert. (10) Dieter Schnack und Rainer Neutzling haben erstmalig umfangreich und sehr einfühlsam aus männlicher Sicht die Sozialisation von Jungen aufgearbeitet. Dieses Buch halte ich für eine gute Empfehlung an jeden Mann, der beabsichtigt, mit Jungen zu arbeiten (11).
Nachdem ich zugesagt hatte, ein „paar Gedanken“ zur Jungenarbeit aufzuschreiben, war ich zunächst der Auffassung, es würde reichen, einfach ein bisschen „aus dem Nähkästchen“ zu plaudern. Als ich mich dann – einmal wieder – an das Thema herantastete, stellte ich fest, dass mir das erstens selbst nicht ausreichen würde und zweitens eine Chance vertan werden könnte, eine echte Werbung für eine gezielte Arbeit mit Jungen in Einrichtungen zu betreiben. So habe ich mir ein weiteres Mal das Praxishandbuch von Uwe Sielert vorgenommen, um das Fundament besser abstützen zu können. Einige seiner wichtigen und überzeugenden Aussagen möchte ich aufgreifen und damit konfrontieren.

Begriffe

Schauen wir zunächst auf die Begrifflichkeiten: Wir sprechen oft von „Geschlechtsspezifischer Arbeit“, ein Begriff, der mir nicht nur „lahm“ erscheint, sondern der auch nicht über genügend Aussagekraft verfügt. Möglicherweise ließe sich darunter auch die oben kritisierte Skatrunde, die in keinem reflektierten Zusammenhang stand, subsumieren. Zumindest würde ich dabei keine klaren Abgrenzungen gegenüber „klassischen“ Jungen- oder Mädchenaktivitäten machen können. Da höre ich z.B., dass eine „Arbeitsgemeinschaft Tanz“ keine „Defizite“ und keinen gezielten Handlungsbedarf – etwa in Richtung gezielter Mädchenarbeit (und umgekehrt) feststellen kann, da ohnehin 70 Prozent der TeilnehmerInnen Mädchen sind, also Problem gelöst? Ähnliches ist bisweilen von Jugendfarmen, auf denen Pferdehaltung eine besondere Rolle spielt, zu hören: 80 Prozent der BesucherInnen sind Mädchen, keine Probleme? Ein Jugendzentrum mit überwiegend männlicher Dominanz zieht den Schluss, vorwiegend geschlechtsspezifische Jungenarbeit zu leisten, alles klar?
Der Begriff „Antisexistische Arbeit“ mit Jungen ist – soweit ich weiß – vorwiegend von der Alten Molkerei Frille geprägt worden. Zum Teil ist er brauchbar, allerdings setzt er voraus, dass wir es unbedingt mit Sexismus zu tun haben, was möglicherweise doch zu sehr einschränkt. In einem anderen Zusammenhang bin ich vor einiger Zeit einmal über einen ähnlichen Begriff gestolpert und habe ihn mir abgewöhnt: Ich las in einem Kölner Prospekt, dass der dortige Verein „Männerbüro“ sonntags ein „antisexistisches Frühstück“ veranstaltet. Ich habe mir überlegt: Was tun die denn wohl da? Zumindest konnte ich mir vorstellen, dass dort keine Zoten gerissen werden und sonst…? Auf mich wirkt ein „antisexistisches Frühstück“ so einladend, dass ich als Morgenmuffel doch lieber weiter allein frühstücken oder Sonntagsvormittags im Bett bleiben möchte.
Uwe Sielert prägt den Begriff „reflektierte Jungenarbeit“. Meines Dafürhaltens wird hiermit am ehesten das getroffen, was gemeint ist, und deshalb möchte ich entweder schlicht von Arbeit mit Jungen, Jungenarbeit oder aber eben von „reflektierter Jungenarbeit“ sprechen.

Grundsätzliches

Uwe Sielert zeigt u.a. auf, dass Mädchen in Jungencliquen nichts zu suchen haben, dass Jungen sich gegenüber Mädchen abgrenzen zur Absicherung ihrer eigenen traditionellen Geschlechterrolle. (12)Gleichzeitig werden gegenwärtige männliche Irritationen deutlich gemacht, die eben auch vor Jungen nicht Halt machen, im Sinne einer reflektierten Arbeit mit Jungen auch nicht Halt machen sollten. Männer werden – in Anlehnung an Walter Hollstein (13) – typisiert als „Machos“ und „Chauvis“. Sielert „vervollständigt“ diese Aufzählung durch „Schwule“, „Neutralos“, „Opportunisten“, „Anpassungskünstler“, „Softis“ und vor allem durch die „Irritierten“ und „Desorientierten“ (14). Nach dem „traditionellen Rollenbild“ beinhaltet Männlichkeit vor allem „Teilen/Spalten/Abspalten“, während das Weibliche „Kontinuität, Ganzheitlichkeit und Sehnsucht nach Geborgenheit“ zum Ausdruck bringt. Ein positives Männlichkeitsbild schließt weibliche Komponenten unbedingt mit ein, ebenso das Korrektiv, sich als Mann auch zurücknehmen zu können (15). Männer, die mit Jungen arbeiten wollen, haben verinnerlicht, dass hinter chauvinistischem Verhalten zumeist ein mangelndes Selbstbewusstsein steckt. Eine wesentliche Voraussetzung für eine reflektierte Arbeit mit Jungen sind Kenntnisse aus der Sozialisationsforschung. Die männliche Sozialisationsforschung steckt leider noch in den Kinderschuhen. Umso erfreulicher sind die erwähnten Erkenntnisse und Aufzeichnungen von Schnack und Neutzling in diesem Zusammenhang für die praktische Arbeit in Einrichtungen.
Bei einer reflektierten Jungenarbeit stehen Jungen im Brennpunkt „pädagogischer Aufmerksamkeit“ 
(16); sie bezieht in jedem Fall antisexistische, antichauvinistische und antifaschistische Intentionen (17) mit ein, verharrt aber nicht in diesen Positionen, um weder zu stigmatisieren, noch durch vorwiegenden Negativ-Touch abzuschrecken. Sie entwickelt eine eigene Moral, eine eigene Identität, lässt ausreichend Platz für neue „Erlebnis- und Gedeihräume“ (18) Schwierig dürfte es oft sein, eigene Vorbehalte – etwa hinsichtlich einer „akzeptierenden Arbeit“ z.B. mit „Glatzen“ – auszuräumen. Die Leitschnur dort festzulegen, wo man(n) den Eindruck hat, hier gälte es besonders viele Defizite bei Jungen „wegzuarbeiten“, ließe einen eher in Frustration, Resignation und letztlich ins Scheitern laufen.
Dass Jungen Schwächen haben (sollen, dürfen, müssen), muss Jungen deutlich werden. Sie können begreifen, dass Schwächen zugleich Stärken sind 
(19). Die Steigerung ihres Selbstwertgefühls in einer – „vorm Zug“ – positiven Intention ist ein Ziel und zugleich Weg einer erfolgversprechenden Arbeit mit Jungen. Jungen sollten Fähigkeiten erlangen, „Beziehungen“ eingehen und leben zu kön-nen, Gefühle von Schwäche ebenso wie Stärke, Freude, Trauer, Glück usw. zeigen und leben zu können.
Pädagogik kann sich in diesem Sinne nicht als „Trichter“ verstehen. Als „Antipädagoge“ 
(20) gestehe ich der Pädagogik in diesem Kontext die Rolle einer verständnisvollen Begleiterin zu. Pädagogik muss die Aufmerksamkeit und das Taktgefühl besitzen, zu erkennen, wann jemand überfordert oder entmündigt wird und dies verhindern. Pädagogik greift ein, wenn die Grenzen anderer – z.B. von Mädchen oder auch anderen Jungen – missachtet und verletzt werden. Pädagogik nimmt Erfahrungen, auch Grenzerfahrungen, ernst, duldet und fördert sie, wenn nötig.

Der Mitarbeiter

Die Schwierigkeiten, die Jungen bislang haben, sind nicht ihre Schwierigkeiten (allein). Es sind auch unsere eigenen Schwierig-keiten, die wir als Männer tagtäglich haben, wenn wir uns einmal kritisch hinterfragen. Dazu schreibt Uwe Sielert: „In Beziehungsdingen sind die meisten Jungen und Männer ziemlich sprachlos, oder sie entwickeln als Gewohnheitsredner eine Geschwätzigkeit, die in keiner Weise authentisch ist. Besonders Studenten und Sozialwissenschaftler reden ganz oft und sehr ausführlich über sich selbst und zwischenmenschliche Beziehungen. Es bleibt … beim ‚darüber-reden‘ und wird nirgends bedeutsam. Das ist nichts anderes als die Wortkargheit eines Handwerkers. Beide können unfähig sein, Gefühle und Beziehungs-Dinge auszudrücken.
Im gemeinsamen Tun kann eine Atmosphäre entstehen, die das Sprechen leichter macht, wenn es notwendig wird. Nicht immer ist es wichtig, zu reden, aber vieles lässt sich verbal verstärken, differenzieren, richtig stellen, vielschichtiger kommunizieren. Besonders im Austausch und in der Auseinandersetzung mit Mädchen ist die Fähigkeit wichtig, eigenes Erleben in Worte zu fassen. Jungen unter sich leben in einer ähnlichen Erlebniswelt, vieles ist dann ´selbstverständlich´ 
(21)  und muss nicht mitgeteilt werden. Einfühlung in eine fremde Psyche und Verständnis für die Besonderheit des Erlebens sind ohne Sprache nicht möglich.“ (22)
Männer, die reflektiert mit Jungen arbeiten wollen, haben bei sich bereits begonnen, sich selbst zu reflektieren. Sie dürfen keine „Star- oder Papstrolle“ einnehmen; das würde Jungen eher abschrecken. Sie begeben sich mit den Jungen auf einen gemeinsamen Weg des „Be-Greifens“ und Lernens. Aufgrund ihrer Erfahrungen und aufgrund ihres Status eines Erwachsenen würde ich bei ihnen die „Messlatte der Reflexion“ eine Portion höher ansetzen. Klarheit vor allem darüber, dass sie als „Autorität“ erlebt werden, dass sie Identifikationsobjekt sein können, in jedem Fall Vorbild sind, ist vonnöten, ebenso Sensibilität in Bezug auf Verletzungen und hinsichtlich ihres eigenen – oft verbrämtem sexistischen – Verhaltens. Klarheiten über ihre eigene Sozialisation gehören ebenso dazu wie das Abfragen eigener Vor- und Leitbilder. Ein Gespür dafür zu entwickeln, wo die Einrichtung „typisch männlich“ ist, wo Atmosphäre verändert werden muss, was die Mitarbeiter- und Organisationsstrukturen damit zu tun haben, die Programme, Angebote und Konzeptionen sind ebenso Bestandteil „männlichen Aufbruchs“.
Der einzelne – „gutwillige“ – Mann ist damit überfordert. Voraussetzung ist ein Hinterfragen der eigenen Geschlechterrolle. In der Regel gehört eine nachhaltige, wenn auch behutsame, die Interessen aller Beteiligter berücksichtigende „Klimaveränderung“ in einer Einrichtung dazu. Das Team – vor allem die männlichen Mitarbeiter – wird in einen intensiven kommunikativen Austausch treten, Konflikte, unterschiedliche Standpunkte werden deutlich gemacht. Eine Überzeugung von Kolleginnen, dass reflektierte Arbeit mit Jungen nicht dazu führen soll (wird), neue „Hintertürchen“ für ein – eventuell leicht modifiziertes – tradiertes männliches Verhalten zu öffnen, sondern dass man(n) tatsächlich auf Veränderung im langfristigen Sinne einer geschlechtlichen Gleichberechtigung aus ist, ist Teil des Prozesses. Manche Hürden – etwa in Richtung Team, Träger, bei den Jugendlichen usw. – scheinen auf den ersten Blick unüberwindbar. Überlegen wir mal, wo in unserer Arbeit auch immer wieder „Ecken und Nischen“ sind, die sich anbieten, die genutzt werden können. Überzeugungsarbeiten gehören zum „Geschäft“. Es reicht für den einzelnen Mann nicht aus, kiloweise Männerliteratur zu „fressen“, ohne deren unterstützende Wirkung in Abrede stellen zu wollen. Unterstützung von „außen“ kann angesagt sein, etwa in Form von Supervision oder Praxisreflexion, konzeptioneller inhaltlicher Beratung und/oder durch gezielte Seminare, Fachtagungen und dergleichen. Auch Rollenspiele im Team können eine Hilfestellung sein. Reflektierte Jungenarbeit kann „keine Berge versetzen“. Jungenarbeit kann – wenn sie auf Dauer angelegt sein soll – nur „realistisch“ beginnen, z.B. in einer kleinen Jungengruppe, in anderen kleinen Zusammenhängen. Die Ziele, die erreicht werden sollen, müssen erreichbar sein, dürfen nicht in „Atlantis“ liegen. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mann, der sich ein bisschen „anstecken“ lassen mag, beginnen kann. Sonst… (hier fällt mir das Bild von „Godot“ ein). Eine wichtige Hilfe dabei kann z.B. sein, „Selbstverständliches“ zu thematisieren (und zu reflektieren), „Unnormales“ zu tun, Hilfen, die dazu dienen, zu geänderten Wahrnehmungen kommen zu können, Alltäglichkeiten in einem anderen Licht erblicken zu können, neu bewerten und interpretieren zu können.

Input

Handelt es sich bei reflektierter Arbeit mit Jungen um einen Modetrend? Könnte sein. Bliebe es dabei, wäre das Ende möglicherweise bald absehbar, wäre sie nicht Teil einer prozesshaft gewollten Veränderung in Richtung Gleichberechtigung der Geschlechter. Bislang sind mir kaum Fälle bekannt geworden, wo Jungenarbeit „von oben verordnet“ wurde (23), wie das bei „Mädchenarbeit“ häufig geschehen ist. Aufgrund politischer Beschlüsse oder aufgrund von Legitimationszwängen von Amts- und Abteilungsleitern ist Einrichtungen Mädchenarbeit häufig „aufs Auge gedrückt“ worden (kurioser- bzw. typischerweise, nachdem die Bemühungen der Frauenbewegung um Mädchenarbeit von denselben Verantwortlichen über mindestens zehn Jahre blockiert wurden). Nicht immer ist deswegen verordnete Mädchenarbeit „schlecht“; die Gefahr allerdings, die bei Nicht-Vorhandensein von Überzeugungen, also beim bloßen Verordnen, immer wieder deutlich wird, ist, dass die Arbeit vordergründig, lediglich auf äußere Legitimation ausgerichtet bleibt und letztlich ineffektiv ist. Im Augenblick kann ich mir nicht vorstellen, dass regelmäßig Amts- oder Abteilungsleiter mit einer derartigen Vehemenz reflektierte Jungenarbeit einfordern könnten, wie das in Sachen Mädchenarbeit geschehen ist (23). Dazu müssten sie ihre eigene „männliche“ Identität erst einmal in Zweifel ziehen, ihre eigenen Rollenbilder müssten gehörig ins Wanken geraten. Und das kann ich mir bei den meisten dieser männlichen „Funktionalisten“ – offen gestanden – nicht vorstellen. Mädchenarbeit hat ihre bisweiligen „Verordner“ nicht so stark tangiert, wie dies eine reflektierte Männer- und Jungenarbeit zwangsläufig tun müsste. Hierin erblicke ich eine Chance für Jungenarbeit: Sie kann wie ein zartes Pflänzchen von unten wachsen, realistisch bleiben und erfolgversprechend werden.
Ein gängiges Rezept für eine „einheitliche“ Form reflektierter Jungenarbeit gibt es nicht. Ein solches würde die Intention von Jungenarbeit meines Erachtens auch konterkarieren. Gleichwohl gibt es eine Menge Aspekte – außer den bisher genannten – zu beachten.

„Betroffenen-Arbeit“

Jungenarbeit ist „Betroffenen-Arbeit“. Betroffenen-Arbeit schafft „Aha-Erlebnisse“ und Solidarisierungseffekte. Sie räumt mit Mythen auf und bricht Tabus. Jungen (und Mitarbeiter) lernen zu begreifen, dass sie es nicht allein sind, die ihre individuellen Schwierigkeiten (z.B. in emotionaler und sexueller Hinsicht, bezogen auf „Leistungszwänge“ usw.) haben, sondern dass es sich um handfeste kollektive, individualisierte Probleme handelt. „Besonders Richter (24) hat darauf hingewiesen, dass in unserer Kultur vor allem Männer persönliche Leiden (‚Probleme haben‘) für unansehnlich halten und vor anderen – und vor sich selbst – zu verbergen trachten… Bei dem Verbergen innerer Zustände handelt es sich nicht nur um ein taktisches Manöver, bewusst oder schon automatisch eingesetzt. Vielfach sind die Gefühle auch in der Innenwelt nicht mehr spürbar. Wenn in der Kindheit bestimmte Gefühle (z.B. von Schmerz) nicht ausgedrückt werden durften, dann wurden diese Gefühle gleichsam fest verkorkt und abgespalten.“ (25)
Jungen erfahren etwas über „die gemeinsamen Ursachen“, entwickeln gemeinsam Lösungs- und/oder Akzeptierungswege, die dem einzelnen Jungen (und Mann) und letztlich vielen Jungen, Mädchen, Männern und Frauen zugute kommen können (26). Sie dürfen Schwächen zeigen, Schwächen gar als positiv erleben. Sie spüren, falls sie eine zuversichtliche Atmosphäre erleben dürfen, dass sie sich nicht unnötig zu schämen brauchen, dass sie auch mit Macken akzeptiert und als wichtig anerkannt werden.

Lebenswelten

Unterschiedliche Lebenswelten erfordern unterschiedliche Konzepte. Die Art der Sozialisation ist verschieden. In einem Dorf wachse ich anders auf, als in einem traditionellen urbanen Stadtteil, anders als in einer Beton-Satelliten-Stadt, anders als in einer Kleinstadt. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur vermittelt mir bestimmte Werte, deren patriarchaler Zusammenhang sich zum Teil scheinbar erheblich voneinander unterscheidet. Bei näherem Hinschauen wird man feststellen, dass Unterscheidungen teilweise nur gradueller Natur sind. Gleichwohl gilt es, diese zu berücksichtigen. Jungen, die in besonders gewalttätigen Zusammenhängen (Familie, Schule, Stadtteil usw.) aufwachsen, brauchen andere (Re-)Aktionen als Jungen, die in ihrem Milieu besser behütet werden. So kann ich mir verstärktes Engagement in Richtung reflektierter Jungenarbeit etwa in Fan-Projekten von Fußballclubs, in der „Glatzen“-Arbeit und sogar in der Arbeit mit Rechtsradikalen (27) vorstellen. Voraussetzungen hierbei sind – wie in jeder anderen Form von Jungenarbeit – Hintergrundwissen (28) über die Jungen, ihre Lebenszusammenhänge und gefühlsmäßige Solidarität. Als „Papst“, der unfehlbar ist, der alles besser weiß, sollte ich die Jungen lieber in Ruhe lassen. Sie müssen merken, dass ich fehlbar bin, dass ich manchmal auch ratlos bin und ihre Hilfe ebenfalls benötige. Ich muss transparent und einfühlsam sein, muss mich und mein Verhalten ihnen gegenüber plausibel machen können. Rechtsradikale Organisationen haben oft früher als Pädagogen begriffen, wie wichtig es ist, Jungen Grenzerfahrungen des Sich-Erprobens und Sich-Austesten-Könnens machen zu lassen. Teilweise laufen ihnen die Jungen deshalb in erster Linie zu. Zu klären wäre darüber hinaus, inwieweit rechtsradikale Führernaturen nicht bereits zu sehr im Weltbild des Jungen etabliert sind. Dies würde eine Herangehensweise an derart „infizierte“ Jungen deutlich erschweren. Der Mitarbeiter wird auf jeden Fall provoziert, sich entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten zuzulegen, Möglichkeiten und Methoden zu erlernen, die geeignet sind, den Erfahrungshorizont von Jungen vergrößern zu helfen, sich erproben und in ihrer Entwicklung erweitern zu können. Der Kontext, in dem wir derartige Aktivitäten (z.B. Abenteuersport, Erlebnispädagogik, Mutproben anderer Art usw.) vollziehen, ist zudem eine potentielle Möglichkeit, das Abwandern zu rechtsradikalen „Rattenfängern“ zu verhindern.
Wenn – wie in manchen Einrichtungen häufig bedauert wird – fast ausschließlich Jungen als Besucher kommen, braucht dies nicht auf Dauer akzeptiert werden; jedoch könnten Mitarbeiter beginnen, diesen Umstand als Chance für den Beginn einer reflektierten Arbeit mit Jungen zu sehen. Uwe Sielert schlägt vor, „geschlechtshomogene Gruppen aller Art“ zu nutzen. 
(29) Er bezieht dies auf Vereine, deren Untergliederungen, Jugendhäuser, Interessensgruppen usw. „Reflektierte Jungenarbeit ist in solchen Gruppen durchaus machbar, vor allem dann, wenn sie gerade nicht unter diesem Vorzeichen praktiziert wird. Weil die Gruppendynamik und die selbstgewählten Inhalte in der Regel das traditionelle Männerverhalten verstärken, sind von Seiten der Jugendarbeiter bewusste Interventionen und Situationsarrangements erforderlich, damit Atmosphäre, Gesprächsinhalte und Aktivitäten einen anderen Charakter bekommen.
Schon die Verstärkung der ganz wenigen offensiven antisexistischen Bemerkungen und Handlungen einzelner Mitglieder kann wichtige Veränderung initiieren. In vielen Gesprächen haben mir Jungen davon erzählt, dass sie sich in ihren Cliquen oft zu Äußerungen und Handlungen hinreißen lassen, die sie eigentlich gar nicht wollen. In der Situation fällt ihnen das gar nicht auf, weil die Stimmung ganz selbstverständlich frauenfeindlich, die Atmosphäre rau und wenig herzlich ist.“ 
(30)

„Multikulti“ und Gewalt

Mir selbst ergeht es oft genug so: Ich lebe in einem Stadtviertel mit einem hohen Ausländeranteil (31). Die teilweise „südländisch“ anmutende Atmosphäre auf den Straßen bewirkt bei mir keine Urlaubsstimmung, im Gegenteil: Ich spüre immer wieder den „Schweinehund“ in mir. Die Horden von Machos, die die Bürgersteige füllen, hinter Frauen herglotzen und -pfeifen, lösen mir zunächst ungute bis abscheuliche Gefühle aus. Wenn ich dann einmal in mich „hineinhöre“, spüre ich, dass es auch und vor allem meine Ängste vor dem Fremden, dem Anders-Sein sind, die mir „die Nackenhaare hoch stehen“ lassen.
Machen wir uns bewusst, dass Cliquen z.B. türkischer Jungen eine stabilere homogene Struktur haben, als beispielsweise „normale deutsche“ Jungen (23). Auch hierin verbergen sich wiederum eine Unzahl sinnvoller Ansatzmöglichkeiten für eine reflektierte Jungenarbeit, möglicherweise zunächst im eigenen Kulturkreis. Dazu allerdings ist wichtig, die (andere) Kultur möglichst gut zu kennen. Und wer könnte in diesem Zusammenhang eine reflektierte Arbeit mit Jungen besser durchführen als ein türkischer Kollege mit entsprechendem Bewusstsein? Ist er nicht da, wächst die Lernaufgabe für den Mitarbeiter, der sich die Arbeit vornimmt, natürlich; braucht er doch einen einigermaßen stabilen Hintergrund.
Durch nichts mehr ist zu verhehlen, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben, die unser Handeln erfordert, vor allem auf dem Hintergrund zunehmender Gewalt gegen Migranten. Für alle betroffenen Jungengruppen sind auf diesem Hintergrund entsprechende Konzeptionen zu entwickeln. Damit spreche ich nicht für Konzeptionen, die „in“ sind, die sich oberflächlich gut „verkaufen“ lassen. Tatsächlich umsetzbare Konzeptionen – unabhängig von ihren Zusammenhängen – können immer nur die Realität spiegeln. Sie untersuchen Fakten, Hintergründe des Stadtteils, der Zielgruppe(n), formulieren – erreichbare – Ziele, Methoden und Kapazitäten. Und sie basieren – nur so können sie mit Leben gefüllt werden – auf den Fähigkeiten, Fertigkeiten, der Einfühlsamkeit und Flexibilität der Mitarbeiter. Mitarbeiter sind somit wesentlicher Bestandteil einer Konzeption.

Schichtenunterschiede

Die Jugendzentrumsbewegung und die Abenteuerspielplatzbewegung versuchten – zumindest verbal – in den 1960er Jahren, „Proletarisches“ zu kultivieren und zum gesellschaftlichen Maßstab zu etablieren. Nachdem Mitte der 1970er Jahre „die große Stagnation“ eintrat, lebten diese Inhalte zum Teil nur noch als Mythen in zahlreichen Köpfen weiter. Es folgten Zeiten, in denen große „Bewegungen“ (z.B. die Frauenbewegung, die Friedensbewegung usw.) aufblühten. Weder einem proletarischen Bewusstsein, noch den meisten Bewegungen ist es gelungen, eine Annäherung der Geschlechter im Sinne von Gleichberechtigung einzuleiten. Die Schwerpunkte lagen anderswo. Sie klammerten die Geschlechterfrage aus. Sozialisten erklärten eine Gleichberechtigung „qua verbum“ als realisiert. Schauen wir einmal hinter die Kulissen des „ehemaligen Ostblocks“ können wir (erstaunt?) feststellen, dass die Ideen August Bebels (32) dort auch nur Mythos geblieben sind. Mit Ausnahme der Frauenbewegung hat keine Ideologie und keine Bewegung Bewegung in die Geschlechterfrage gebracht.
Gegenwärtig bestimmt in zunehmendem Maße die „Lebenslagen-Diskussion“ das Geschehen. Trotz einiger Widersprüchlichkeiten, die ich immer wieder ausmachen kann, bietet diese vergleichbar mehr Komponenten, emanzipatorische Bestrebungen aufzunehmen. Ich möchte mich allerdings davor hüten, den Blick fürs Kollektive vollständig zu verlieren, ganz im Gegenteil. Nicht jeder „muss das für sich selber wissen“! In der Regel sind Männer die Ausbeuter. In der Regel sind Männer aber auch Ausgebeutete. Und Jungen, die aus einer stärker ausgebeuteten Schicht kommen, benötigen (unter Umständen verstärkt) Hilfen, Verständnis und Unterstützung beim Erkennen ihrer Interessen und deren Realisierung. Wünschenswert ist in diesem Zusammenhang die Transparenz, das Nachvollziehen und nach Möglichkeit der Zugang zu anderen Lebensmodellen. Schließlich wollen wir tradiertes Rollendenken überwinden. Auch dies erfordert beim Mitarbeiter fundiertes Hintergrundwissen und Empathie. Eine Verklärung der Arbeiterbewegung hilft da ebenso wenig weiter wie eine Abgrenzung gegenüber harten „Unterschichts-Cracks“. Eine reflektierte Arbeit mit diesen kann nicht jeder Mann tun. Ich halte sie allerdings für möglich. Sie kann vielleicht auch ein Abwandern in rechtsradikale Kreise vermeiden helfen. Geleugnet werden darf allerdings nicht, dass für manchen Mitarbeiter eine reflektierte Jun-genarbeit mit Unterschichtsjungen schwieriger zu bewältigen ist, als etwa mit Gymnasiasten. Diesbezüglich halte ich es für besonders wichtig, wenn der Mitarbeiter seine verinnerlichte Vorstellung, seine kulturelle Welt, seine Gewohnheiten usw. seien das Maß aller Dinge, aufgeben könnte.

Voraussetzungen

Reflektierte Jungenarbeit ist in jedem Fall eine Form politischer Arbeit. Ich wünsche mir, dass dies in dieser Auseinandersetzung immer wieder deutlich geworden ist. Jeder Mann, der reflektierte Jungenarbeit anstrebt, benötigt zunächst erst einmal eine gehörige Portion Selbstreflexion und eine Produktivkraft, die sich bei ihm selbst daraus entwickeln kann. Austausch mit anderen Männern ist vonnöten, Klärungen, Hintergrundwissen, die zunehmende Schaffung einer eigenen männlichen Identität. Ziele müssen formuliert werden können. Fähigkeiten müssen erkannt werden. Bündnispartner und Bündnispartnerinnen müssen gefunden und angeworben werden. Ganz wichtig finde ich auch die Unterstützung einer reflektierten Jungenarbeit durch engagierte Frauen. Ihr Verständnis sollte eine wichtige Voraussetzung sein. Möglicherweise muss man(n) sein Vorhaben gegenüber Frauen auch immer wieder „unter Beweis“ stellen. Aufgrund Jahrhunderte alter Erfahrungen und Vorbehalte würde ich es nicht erstaunlich finden, wenn Frauen hinter einer geschlechtsspezifischen Arbeit mit Jungen eine weitere Manifestierung bestehender Verhältnisse wittern.
Männer fangen an, sich selbst, andere Männer, Jungen, Frauen und Mädchen ernst zu nehmen. Sie zweifeln nicht an der Glaubwürdigkeit derer, mit denen sie arbeiten wollen. Sie verhalten sich solidarisch, grenzen sich allerdings nötigenfalls auch ab 
(33); dies günstigenfalls in einer transparenten Art und Weise. Männer erwerben die Fähigkeit, zuhören zu können und, wenn erforderlich, sprechen zu können. Sie versetzen sich in die Lage, deutlicher als bisher, Körpersignale zu erkennen.
Schließlich benötigen sie „praktisches“ Handwerkszeug. Sie erlernen kreative Methoden, Erkenntnisse und Ziele in einer Art und Weise umzusetzen und anzugehen, dass Jungen angesteckt, begeistert werden können. Und Redenkönnen ist nur ein kleiner Teil zur Methodenergänzung. Denkbar sind alle möglichen Rollenspiele, Theaterstücke, ganz „normale“ Spiele, Ausflüge mit entsprechenden „Bonbons“ und vieles andere mehr. Uwe Sielert liefert in seinem Praxishandbuch eine ganze Reihe brauchbarer themenbezogener Möglichkeiten, die ich an dieser Stelle empfehlen möchte. 
(34) Auch der Griff zur – eventuell in der Einrichtung verstaubten – Spielekartei ist überlegenwert. Wir können einen Jungenraum anlegen, wenn die Einrichtung dies zulässt. Atmosphärische Veränderungen haben in manchen Einrichtungen „echte Wunder“ bewirkt.
Eine Auseinandersetzung mit der Thematik der Koedukation führt mir an dieser Stelle zu weit. Ich verweise erneut auf Uwe Sielert 
(35), der für eine „reformierte Koedukation“ plädiert, ein Ansatz, mit dem ich mich anfreunden könnte (36).
Ich selbst habe vor ein paar Jahren einmal folgende Sätze formuliert: „Wir wollen weder geschont noch bemitleidet werden, wir haben es aber auch nicht gerne, stellvertretend für die Männer, in denen wir selbst ein Feindbild sehen, unter die Gürtellinie getreten zu werden. Wir streben auch nicht die Erfüllung des Lebens als Hausmann und ‚männliche Mutter‘ an. Unser Ziel ist identisch mit dem der Frauenbewegung: die Selbstbestimmung von Mann und Frau. Die Wege sind zwangsläufig – unter Berücksichtigung der Geschichte und der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation – getrennte.“ 
(37)

Dortmund, September 1992 – Für das Internet überarbeitet und mit zum Teil neuen Fußnoten versehen im September 2002. Zur Vertiefung und beim eigenen Aktivwerden sei der Kontakt zur LAG Jugendarbeit NRW, Fachstelle Jungenarbeit, Geschwister-Scholl-Straße 33-37, 44135 Dortmund, Telefon 0231/5342174 empfohlen. 

Anmerkungen:
1 Anm. 2002
2 Anm. 2002: Der Artikel wurde 1992 geschrieben mittlerweile sind zehn Jahre vergangen; dies nicht ohne zum Teil gewaltigen Veränderungen. Die folgenden Ausführungen über die Arbeit mit Jungen dürften für den einen oder anderen Leser nach wie vor von Interesse sein. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, den Beitrag auf die Web-Seiten des Verbandes zu stellen.
Die Kölner Beratungsstelle „Zartbitter“ (Dirk Bange) befasste sich seinerzeit verstärkt mit diesem Phänomen. Zwischenzeitlich liegt auch entsprechende Literatur vor.
4 Anm. 2002: Dass sich in den letzten zehn Jahren hier und dort etwas verändert  hat, kann nicht übersehen und soll nicht abgestritten werden.
5 Heimvolkshochschule Alte Molkerei Frille: Parteiliche Mädchenarbeit & antisexistische Jungenarbeit – Abschlussbericht des Modellprojekts „Was Hänschen nicht lernt …. verändert Clara nimmer mehr!“, Petershagen o.J.
6 Trefor Lloyd: Junge, Junge – Work with Boys, Frankfurt am Main 1986, AG Klub
7 DER NAGELKOPF 18, ABA Fachverband, Dortmund 1992
8 Neuling Verlag, Schwäbisch Gmünd und Tübingen, z.B.: „…damit Du groß und stark wirst!“ – Beiträge zur männlichen Sozialisation, 1990, und „Was fehlt, sind Männer!“ – Ansätze praktischer Jungen- und Männerarbeit, 1991. Zum Thema gibt es ebenfalls eine Bibliographie aus dem Jahre 1992: Sonderausgabe des NAGELKOPF (ABA Fachverband, Dortmund)
9 Dieter Schnack/Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not. Jungen auf der Suche nach Männlichkeit. Reinbek 1990, Rowohlt
10 Uwe Sielert: Jungenarbeit. Praxishandbuch für die Jugendarbeit. Teil 2. Weinheim und München 1989, Juventa
11 Anm. d. Red. (2002): Dieter Schnack und Rainer Neutzling haben ein weiteres empfehlenswertes Buch verfasst, das Männern, die Jungenarbeit versuchen wollen, sehr hilfreich sein kann, nämlich: „Die Prinzenrolle. Über die männliche Sexualität.“ Reinbek 1993, Rowohl (als Taschenbuch bei Rowohlt 1995 erschienen).
12 vgl. Sielert, a.a.O., S. 16
13 Empfehlenswert: Walter Hollstein: Nicht Herrscher, aber kräftig. Die Zukunft der Männer. Hamburg 1988, Hoffmann und Campe und Reinbek 1991, Rowohlt
14 vgl. Sielert, a.a.O., S. 16 ff.
15 vgl. ebenda, S. 21
16 vgl. ebenda, S. 38 ff.
17 Anm. 2002: Aus heutiger Sicht erscheinen die vielen „Anti“-Positionen zumindest dahingehend zweifelhaft, dass damit eher Widerstände erzeugt, denn Lösungen gefunden werden. Vielleicht gelingt es dem erfolgreichen Praktiker, von vornherein lösungsorientiert vorzugehen; dies beinhaltet, jedes Verhalten erst einmal zu akzeptieren, damit es eine Chance zur Veränderung erfahren kann. 
18 vgl. Sielert, a.a.O., S. 42
19 vgl. ebenda, S. 40 f.
20 Anm. 2002: Als solcher begriff ich mich vor zehn Jahren. Und wieder haben wir es mit dem „Anti“ zu tun. Heute kommt es mir näher, mich als „professionellen Pädagogen“ wahrnehmen zu können. Die Verdienste der „Antipädagogik“ will ich damit auf keinen Fall schmälern.
21 Die Anführungszeichen sind von mir gesetzt worden; in dem Grundverständnis, dass es „Selbstverständlichkeiten“ aus heutiger Sicht (2002) nicht gibt. Wie Uwe Sielert zu Recht weiter ausführt, ist die Einfühlung in eine fremde Psyche usw. ohne Sprache nicht möglich. R.D.
22 Sielert, S. 43 f.
23 Diese Aussage wurde 1992 gemacht. Für die Gegenwart (2002) würde ich diese These nicht mehr aufstellen.
24 vgl. Richter, Horst Eberhard: Lernziel Solidarität. Reinbek 1974 (Rowohlt)
25 Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Band 1: Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation, Reinbek 1991 (Rowohlt), S. 109 f.
26 Anm. 2002: Die „taz“ vom 28. August 2002 griff das Thema in einen Artikel von Marc Böhmann in der Folge von PISA- und 14. Shell-Studie unter der Überschrift „Das neue Missverständnis: Jungs als Prügelknaben – Der ´türkischstämmige Migrantensohn aus dem Ghetto´ hat das ´katholische Arbeitermädchen vom Lande´ abgelöst“ auf. Dort heißt es u.a.: „Die Diskussion darum, wie sich Jungen und Mädchen besser fördern ließen, muss weitergehen. Die feministische Forschung weiß: Mehr Förderung von Mädchen kommt Jungen zugute. Es ist zu vermuten, dass dies umgekehrt ähnlich ist.“
27 Anm. 2002: Soll die Arbeit mit rechten Jungen/Männern Erfolge zeitigen, gilt allerdings zu bedenken, dass eine „überzogen verständnisvolle“ Haltung leicht als „Schwäche“ des Mitarbeiters interpretiert werden könnte. Es muss sehr deutlich dokumentiert werden, dass der Junge/der Mann als Person akzeptiert wird, nicht aber seine Haltungen und sein mögliches Verhalten. 
28 Etliche Mitarbeiter verfügen meines Erachtens über Erfahrungen aus der Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit, die auch für Jungenarbeit gut genutzt werden können.
29 vgl. Sielert, a.a.O., S. 61 f.
30 ebenda, S. 61
31 Anm. 2002: Zu jener Zeit, als ich den Aufsatz schrieb.
32 vgl. August Bebel: Die Frau und der Sozialismus. Berlin 1946.
33 Anm. 2002: Heute würde ich statt von „abgrenzen“ lieber von „sich unterscheiden“ sprechen.
34 vgl. Sielert, a.a.O., S. 95 ff
35 vgl. ebenda, S. 87 ff
36 Anm. 2002: In dem bereits erwähnten „taz“-Artikel von 28. August 2002 („Das neue Missverständnis: Jungs als ´Prügelknaben´…“) wird hierzu das Konzept der „Reflexiven Koedukation“ vorgestellt.
37 Deimel, Rainer, in: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung des Landes NRW (Hg.): Mann und Frau in Gesellschaft und Weiterbildung. Dokumentation des XIV. Soester Weiterbildungsforums. Soest 1988, S. 184

NAGEL-Redaktion – Kindermuseen sind keine überdachten Abenteuerspielplätze

Unter diesem Titel veröffentlichte Frau Dr. Gabriele König vom Kindermuseum in Fulda, einer beachtlichen Einrichtung, am 8. November 2001 einen Beitrag in der Internet-Zeitung des „Forum Bildung“. Er kann nachgelesen werden unter www.forum-bildung.de unter der Rubrik „Themen“, Quartal 4/2001. Ihre Eingabe veranlasste uns zu folgender Reaktion, die in gekürzter Form ebenfalls beim „Forum Bildung“ unter „Freies Forum“ mit Datum vom 23. November 2001 nachgelesen werden kann.
Nachfolgend das Original-Schreiben an Frau König vom 13. November 2001, das leider unbeantwortet blieb.

Sehr geehrte Frau Dr. König,

seit geraumer Zeit nehmen wir – wenn auch aus der Ferne – interessiert Kenntnis von Ihren Aktivitäten im Kindermuseum Fulda. Vor allem die Veröffentlichungen von Donata Elschenbroich vom Deutschen Jugendinstitut haben uns einigermaßen plastisch mit Ihrer Arbeit vertraut gemacht. Wir, das ist der ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Einer unserer inhaltlichen Schwerpunkte ist die Organisation von Abenteuerspielplätzen; dies vorwiegend in Nordrhein-Westfalen, aber auch darüber hinaus, zumal in den meisten anderen Bundesländern (wie etwa Hessen) vergleichbare Strukturen überhaupt nicht existieren. Ich schreibe Ihnen aufgrund Ihres Interviews „Kindermuseen sind keine überdachten Abenteuerspielplätze“ im Internet-„Forum Bildung“.
Ganz nüchtern betrachtet vermag ich Ihnen zustimmen: Kindermuseen sind keine überdachten Abenteuerspielplätze. Betrachten wir das Ganze aber einmal aus einer fachlichen Sicht, ist dieser Vergleich, sind die Assoziationen, die Sie mit dieser Feststellung bewirken, in erheblicher Weise kontraproduktiv. Diese Aussage bestätigt leider, dass Ihnen, liebe Frau Dr. König, das Konzept des Abenteuerspielplatzes nicht vertraut sein dürfte. Sonst würde unmöglich ein solcher Vergleich angeführt werden.
Beim Abenteuerspielplatz handelt es sich um ein wohldurchdachtes Konzept, das Kindern in erheblichem Maße Sozialisations- und Lernhilfen einzuräumen imstande ist. Die Verbände der Offenen Arbeit mit Kindern haben mittlerweile Standards formuliert, die deutlich machen, wann ein sogenannter Abenteuerspielplatz auch tatsächlich ein Abenteuerspielplatz ist. Da dies offenbar in Fulda nicht bekannt ist, möchte ich Sie hier aufführen. Ein Abenteuerspielplatz verfügt über folgende Erfahrungsfelder (Bildungsfelder):

  • Sozialer Bereich
  • Handwerklich-technischer Bereich
  • Natur-/Umweltbereich
  • Landwirtschaftlich-gärtnerischer Bereich
  • Kreativ-schöpferischer Bereich
  • Senso-motorischer Bereich

 

Mindestens neun der folgenden Ausstattungsmerkmale werden von einem Abenteuerspielplatz erwartet:

 

  • Freiflächen und überdachte Aufenthaltsbereiche (mindestens zum Teil beheizbar)
  • Küche
  • Werkstätten mit Lagerräumen
  • Bauspielbereich
  • Wasserbereich/e
  • Feuerstelle/n
  • Grünflächen, Biotopen, Gärten und Gehölze
  • Tiergehege, Reitkoppel, Ställe
  • Bühne, Raum für Veranstaltungen
  • Spiel- und Sportflächen
  • Klettermöglichkeiten
  • Kleinkinderspielbereich

 

Ergänzend hinzufügen könnte man noch Kommunikationsbereiche für ältere Besucher (Eltern, Anwohner usw.).

In den letzten Jahren haben wir uns in unseren Veranstaltungen häufig gezielt damit beschäftigt, in welcher Weise gerade der Abenteuerspielplatz Bildungsarbeit leistet. Wir haben festgestellt – und scheinen uns damit z.B. mit Donata Elschenbroich und Otto Schweitzer im Einklang zu befinden -, dass Bildung keineswegs das Privileg von Schulen ist. Abenteuerspielplätze verfügen nicht selten über geeignetere Möglichkeiten und Methoden zum Bildungserwerb. Ein wesentliches Merkmal auf Abenteuerspielplätzen ist, dass Bildung im Transfer stattfindet. Damit berücksichtigen sie ganz konkret die Erkenntnis, die Professor Gerold Scholz von der Universität Frankfurt im Rahmen einer Ihrer Kinderakademien formuliert hat und die sich Donata Elschenbroich wie einen Leitfaden zueigen gemacht hat: Jedes Kind ist unbelehrbar. Kinder können nur lernen. Auf Abenteuerspielplätzen eignen sich junge Leute Erfahrungen und deren Reflexion durch aktive Auseinandersetzung und konkretes Handeln – im Sinne von Lösungen finden – an. Wie diese Prozesse stattfinden und welche Ergebnisse sie bewirken, wurde einmal mehr von Elisabeth C. Gründler und Norbert Schäfer in ihrem sehr hilfreichen Buch „Naturnahe Spiel- und Erlebnisräume“ (Luchterhand, Neuwied 2000) beschrieben. Hier möchte ich vor allem auf das 2. Kapitel „Nur im freien Spiel entfaltet sich menschliche Intelligenz“ verweisen.
Ihr Vergleich, liebe Frau Dr. König, ist geeignet Spiel als zweckfrei zu verorten, dem Spiel seine konkrete Funktion als hervorragend geeignete Bildungsmethode abzusprechen. Unserer Erkenntnis zufolge werden allerdings – gerade auf dem Abenteuerspielplatz – folgende Bildungskomplexe stimuliert:

 

  • Sensitive Bildung -> mit allen Sinnen lernen
  • Praktische Bildung -> manuelles, grob- wie feinmotorisches Lernen
  • Persönliche Bildung -> Erwerb von Kompetenz
  • Kognitive Bildung -> abstraktes Lernen -> Lösung von Problemen
  • Soziale Bildung/Kulturelle Bildung
  • Methodische Bildung -> Erwerb spezifischer Fähigkeiten
  • Emotionale Bildung -> Erwerb emotionaler Kompetenz
  • Politische Bildung -> Herstellung gesellschaftlicher Zusammenhänge, Kinderrechte
  • Künstlerische Bildung -> Erwerb künstlerischer Kompetenzen

In einem solchen Kontext begreift sich professionelle Pädagogik als Rahmenkonstrukteur und Milieuschaffer. Sie nimmt eine Lobby-Rolle ein, sorgt ferner für Animation und vernachlässigt auch nicht den Aspekt der „Beziehungs-Arbeit“ (bei Interesse kann ich Ihnen hierzu gern weitere Ausführungen zukommen lassen).
Wenn Sie einmal in den 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (Bonn 1998) hineinschauen, werden Sie feststellen, dass den Abenteuerspielplätzen (wie ihren Varianten Kinderbauernhöfen, Bauspielplätzen usw.) seitens der Sachverständigenkommission unter der Leitung von Professor Dr. Lothar Krappmann von der FU Berlin bestätigt wird, dort hätten sich am „ehesten originär kinderspezifische Ansätze entwickelt“ (S. 223). Die Bundesregierung greift dies in ihrer Kommentierung auf und empfiehlt eine flächendeckende Errichtung derartiger Plätze. Und genau in jedem Kontext werden auch Kindermuseen als „kinderbezogene Angebote“ genannt (S. IX, Ziffer 19).
M.E. könnte ein Kindermuseum eine hervorragende Ergänzung eines Abenteuerspielplatzes sein. Ebenso wäre denkbar, dass man eine sehr geeignete Kombinationseinrichtung kreieren könnte.
Wir fänden es sinnvoll, wenn Sie unsere kritischen Anmerkungen bewegen könnten, noch einmal deutlich zu machen, dass Sie einem der geeignetesten Konzepte für die Bildung junger Menschen nicht schaden wollten. Der Abenteuerspielplatz befindet sich – wie Kindermuseen – immer noch in einer Nischenposition. Dies muss geändert werden. Das könnten wir z.B. auch gemeinsam vorantreiben. Es führt aber zu keinem Erfolg, wenn durch schädliche Vergleiche Konkurrenzen – bewusst oder unbewusst – aufgebaut werden, die am Ende den Kindern, um die es erklärtermaßen geht, Bildungsmöglichkeiten eher vorenthalten als – wie von der Bundesregierung angeregt – flächendeckend zu verstärken.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Deimel

Referent für Bildung und Öffentlichkeitsarbeit
Systemischer Berater DGSF

NAGEL-Redaktion – Kinder lernen VAKOG

Ganztagsschulen – ein Paradigmenwechsel?

Von Rainer Deimel

In der Folge von PISA stehen die bildungspolitischen Zeichen auf Veränderung. Hierin stecken Chan-ce und Gefahr zugleich. Gefahr vor allem deshalb, dass Reaktionen auf PISA schnellschussartig den Weg vom „mehr Desselben“ beschreiten. Plötzlich besinnt man sich in der Politik diverser Tugenden wie einer verstärkten Übernahme sozialer Aufgaben und Verantwortung (1). Dies ist um so erstaunli-cher, als in den letzten zwei Jahrzehnten nichts unversucht blieb, Kinder und Jugendliche einerseits systematisch zu entmündigen, was seine Entsprechung in der scheinbar allgegenwärtigen „Betreu-ungs-Situation“ findet, und andererseits der alltägliche „Über-Lebenskampf“ für junge Leute zuneh-mend dramatischer wurde; dies wird deutlich in einer bisher nicht erlebten Orientierungslosigkeit. Unübersehbar auch die Tendenzen in Richtung mehr „Paukerei“ und dies möglichst vom Kindergarten an. Diesen Weg zu beschreiten, hieße, die bislang offenkundig wenig erfolgreichen Bemühungen von Schule weiter zu manifestieren. Ein Beispiel: In jüngerer Zeit wird in Schulen vermehrt auf das „IT-Pferd“ gesetzt. Kinder sollen „von Anfang an“ elektroniktauglich gemacht werden, ohne dass sie zuvor „das echte Leben“ auch nur ansatzweise gelernt hätten. Dabei wird zudem übersehen, dass „das Wissen“, das Kinder in Sachen „Computer“ erwerben, bei der Schnelligkeit der Entwicklung moderner Medien bereits nach dem Verlassen der Grundschule wieder überaltert sein muss.
Bevor wir uns weiter mit möglichen unbefriedigenden Folgen aus PISA beschäftigen, sollten wir den Blick nach vorn werfen. Eine der Grundlagen für eine kindgerechte Bildungskonzeption stammt von niemand Geringerem als von Albert Einstein. Sein „Ansatz“ ließe sich in seinem Satz zusammenfassen: „Man muss die Welt nicht verstehen, man muss sich darin zurechtfinden.“ Er selbst schilderte seinen Weg zur Genialität dahingehend, dass er als Kind hinsichtlich seiner Entwicklung eher ein „Spätzünder“ gewesen sei. In der Schule war er gar ein „Sitzenbleiber“. Seiner Meinung nach aber war es gerade seine Langsamkeit, die ihm später nützlich war. Er schaffte es, in seine Arbeit zur Raum-Zeit-Beziehung (Relativitätstheorie) seine jugendliche Neugier und sein kindliches Staunen hinüber zu retten. Weiterhin war er der Auffassung, dass „früh Entwickelte“ im Erwachsenenalter be-reits derart geprägt und festgefahren sind, dass sie kaum noch Raum für Kreativität entwickeln können.
Kinder sind unbelehrbar. Sie können nur lernen. Lernen zu lernen, das ist ein Weg, den erwachsene PädagogInnen mit Kindern entdecken und entwickeln müssen. Kinder lernen VAKOG – ein Kunstbegriff aus dem NLP. Kinder lernen ganzheitlich, unter Beteiligung aller ihrer Sinne, nämlich visuell, auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch und gustatorisch. Schnell gelingt es der „überkommenen“ Schule, Schwergewichte so zu verlagern, dass Ganzheitlichkeit kaum noch eine Rolle spielt. Bei fast allen Menschen mit einer „durchschnittlichen Schulkarriere“ sind diese ungleich entwickelten Phänomene zu beobachten. 
Die Entwicklung einer Ganztags-Grundschul-Konzeption kann nicht bedeuten, den ganzen Tag „Schule“ zu haben. Im Gegenteil: Das, was jetzt Schule besonders ausmacht, müsste auf ein Minimum zurückgebracht werden. Kinder müssen sich entwickeln. Dazu hat beispielweise die Offene Ar-beit mit Kindern ganz hervorragend geeignete konzeptionelle Ansätze entwickelt. Die wohl originell-sten und konstruktivsten sind die des Abenteuerspielplatzes und des Kinderbauernhofes. Der 10. Kinder- und Jugendbericht (1998) bescheinigt diesen, dass sich dort „am ehesten originär kinderspezifische Ansätze“ entwickelt hätten. Demzufolge empfiehlt die Bundesregierung deren flächendeckende Ausweitung. Damit es keine neuen Missverständnisse gibt: Spielen ist nicht zweckfrei; Spielen ist die bewährteste Bildungsmethode, zumal dann, wenn Spielen in einem spannenden, abenteuerlichen und gleichsam entspannenden Kontext stattfindet. Die Konsequenz kann im Grunde nur die sein, aus bisherigen Grundschulen völlig neue Lern- und Begegnungseinrichtungen zu kreieren, in denen Abenteuerspielplätze integrierte Bildungsbestandteile sein werden. Für die Kinder und Jugendlichen, die das Nobel-Internat Schloss Salem besuchen, ist dies seit langem selbstverständlicher Lebens- und Lernalltag. Für den Auf- und Ausbau derartiger neuer Bildungseinrichtungen ist Geld, Platz, Material und vor allem qualifiziertes Personal erforderlich. 

Wenn wir uns vorstellen, dass es nicht darum geht, für den „Nürnberger Trichter“ wieder neue Löcher in die Köpfe der Kinder zu bohren und auch nicht darum, Spielen weiterhin als „zweckfrei“ zu verorten, kommen wir zu der Erkenntnis, dass sowohl auf Seiten der Schule als auch in der Jugendhilfe ein erheblicher Qualifizierungsbedarf besteht, dem es parallel mit dem Ausbau zur Ganztagsschule zu entsprechen gilt. In denjenigen Ländern, in denen die PISA-Studie nicht den fernöstlichen Drill als „Erfolgsgeheimnis“ aufgedeckt hat, sondern Zuwendung, Angebote (Optionen, Optionen, Optionen …)  und menschengerechte Förderung, können wir ebenfalls Ansätze finden, die den hier vorgeschlagen zumindest vergleichbar sind. Es spräche auch nichts dagegen, VAKOG (2) zum zentralen Bildungsansatz im Vorschulbereich zu entwickeln.

Datteln 2002

Anmerkungen:

1 Randbemerkung: Diese Ziele habe ich bislang während meiner beruflichen Tätigkeit zu keinem Zeitpunkt außer Acht gelassen.
2 Um an dieser Stelle nicht allzu tief in der Fachmaterie zu „versinken“, wird darauf verzichtet, das kinästhetische System um die Aspekte des vestibulären, propriozeptiven und taktilen Systems zu erweitern. Interessierte Einrichtungen können mich im Bedarfsfall gern ansprechen, etwa um ein passgerechtes Seminar zu organisieren.

NAGEL-Redaktion – Kinderernährung

Stichprobe der Verbraucherzentrale belegt: Lebensmittel für Kinder oft zu süß, zu fett und teuer

Die Palette der Lebensmittel mit Spaßfaktor wird immer umfangreicher. Bärchenwurst, Fruchtzwerge und Knisterperlen im Joghurt sollen vor allem Kinder zum Konsum von Fun-Food animieren. Doch Ernährungsexperten und Verbraucherschützern vergeht bei der angeblich gesunden Kost häufig der Appetit. 

„Mama, ich will das Krokodil!“: Lautstark quengelt der kleine Georg im Supermarkt. Der Knirps besteht auf Fricos „Safari Käse“ mit dem knallgelben „Crrroco“-Kopf auf jeder Scheibe, auch wenn 100 Gramm Schmelzkäse 1,59 Euro kosten. Natürlich weiß Georg auch, wo er Geflügelmortadella in Bärchenform, wo er seine Fruchtzwerge findet.

Mit Comics und Stickern, mit Sammelfiguren und auffälliger Verpackung locken Lebensmittelhersteller junge Kunden. Klassiker der Kinderkost sind Milchprodukte, fruchtsafthaltige Getränke und Frühstücksflocken. Inzwischen gehören auch Tütensuppen, Fischkonserven und Nudeln zum Sortiment. 

Selbst die Fleischindustrie müht sich mittlerweile, ihren rückläufigen Wurstkonsum wieder anzukurbeln, beispielsweise mit einer „Bärchenwurst“ von Reinert, mit Schattenrissen der Comicfiguren von Tom und Jerry auf einer Brühwurstpastete der Fleischwarenfabrik Feldhues.

Selten fehlt der Hinweis für Eltern, dass Kinderlebensmittel gesund seien, dass sie den Nachwuchs mit der „Extraportion Calcium“ oder dem „Plus für eine ausgewogene Ernährung“ besonders Gutes angedeihen ließen. Der süße Mix der Danone-„Fruchtzwerge“ wird zum kleinen Steak, Brauseexperten werten einen Ehrmann-Fruchtgummi-Joghurt zum „Knister-Spaß“ auf. 

Ernüchternd ist dagegen das Ergebnis einer Stichprobe der Verbraucherzentrale. Zwölf Kinderlebensmittel sammelte deren Redaktion dazu in einem Supermarkt ein. Im Einkaufswagen landeten sowohl Joghurts von Rhöngold und Ehrmann, zwei Kindergetränke „Fruchttiger“ und „Qoo“, Bärchenwurst, Pastete und Käse als auch Schokolade „Kinder Prof. Rino“, Frühstücksflocken „Dailycer“ von Harrison´s, Kuchenmeisters „Kinder Hörnchen“ sowie die Klassiker Danone-„Fruchtzwerge“ und Ferreros „Kinder Country Riegel“. 

Keins dieser Produkte mag Ursula Tenberge-Weber für Kinder empfehlen. Die Kritikpunkte der Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale NRW: „Oft extra teuer und aufwendig verpackt, zu süß, zu fett.“ Auch mit Farb- und Aromastoffen geizten die Kinderlebensmittel selten. Dabei „brauchen Kinder keine Extrawurst“, versichert Tenberge-Weber, „weder eine fette noch eine süße.“ 

Gerade vor Zucker aber strotzen viele Produkte. In 100 Gramm „Rhöngold Happy Jogurt“ der Molkerei Fricke, mit einrührbaren „M&M´s Minis“ aus Schokolade fand schon die Zeitschrift Öko-Test mehr als 18 Gramm Zucker. Das sei vergleichbar mit einem Teetrinker, der sich eine kleine Tasse des Heißgetränks mit sieben Stück Würfelzucker versüße, weiß Tenberge-Weber. 

Zucker satt steckt auch in anderen Kinderlebensmitteln: im Ehrmann-Joghurt „Knister Spaß“, in Danone-„Fruchtzwergen“ wie im Mixgetränkt der Marke „Qoo“. Sogar Zuckeranteile bis zu 50 Prozent entdeckten Ernährungsexperten der Verbraucherzentrale abseits der aktuellen Stichprobe. In einer 30-Gramm-Portion sind somit 15 Gramm Zucker (rund sechs Stück Würfelzucker) enthalten. 

Dabei ist die Detektivarbeit nicht einfach. Oftmals fehlt der exakte Zuckergehalt auf dem Etikett. Dann können sich Konsumenten nur mit einer Eselsbrücke helfen. Ein Blick auf die Zutatenliste gibt einen Hinweis: Diese beginnt stets mit dem Hauptbestandteil des Produkts. Wenn in Schokocreme „36 Prozent gesunde Haselnüsse“ beworben werden, die Zutatenliste aber mit „Zucker“ beginnt, liegt dessen Anteil auf jeden Fall bei mehr als 36 Prozent. 

Zucker und Fett: Beide Kalorienbringer stecken en masse in Kinderlebensmitteln. Wenn etwa Crrroco“-Käsescheiben 48 Prozent Fett enthalten, dann ist das für Ernährungsexperten keine ausgesprochen kindgerechte Kost. Da wundert es nicht, dass statistisch mittlerweile jedes fünfte Kind in Deutschland als übergewichtig oder fettsüchtig gilt. Die gleiche Zahl, so schätzen Experten, müsse als gefährdet angesehen werden. 

Mittlerweile schlagen sich übergewichtige Kids bereits mit einer Reihe von Leiden herum: beispielsweise Störungen des Fettstoffwechsels und Bluthochdruck, Beeinträchtigungen des Stütz- und Halteapparates sowie „Altersdiabetes“. Prävention ist daher dringend geboten. Verbraucherschützer fordern ein Werbeverbot in den TV-Kinderprogrammen und die deutliche Kennzeichnung des Nährwerts aller Lebensmittel. 

Ärgerlich zudem: Die Produkte „sind in aller Regel teurer als ihre normalen Varianten“, rügt die Verbraucherschützerin Tenberge-Weber. So kosteten beim Verbraucher-Aktuell-Einkauf 80 Gramm Bärchenwurst 99 Cent. Nebendran lagen 200 Gramm Geflügelmortadella für 55 Cent: und das „mit Pistazienstücken“. 

Heftig attackieren Ernährungsexperten auch die Mär von der gesunden Extraportion Calcium, die in den vielen Kinderlebensmitteln steckt. Wer seinen Calciumbedarf mit Frischmilch deckt, lebe in der Regel gesünder als mit spezieller Kost. So enthalten sowohl ein Viertelliter Milch wie 100 Gramm Kinderschokolade jeweils 300 Milligramm Calcium, im ersten Fall aber mit 8,8, im zweiten mit 31,2 Gramm Fett angereichert. 

Charakteristisch für Kinderfänger ist außerdem die aufwendige Verpackung, oft verbrämt als „kindgerechte Einzelportionen“. In Minipacks stecken beispielsweise Frühstücksflocken von Harrison, Danone-„Fruchtzwerge“ wie „Prof. Rino“ und „Kinder Hörnchen“. Schon Kids würden damit hemmungslos zugemüllt und zum Weg-Werf-Verhalten verführt, kritisieren Verbraucherschützer. 

„Kinderlebensmittel nutzen vor allem den Vertreibern“, sagt Tenberge-Weber. Ein Beweis: Ungeniert versucht Coca Cola in der Zeitschrift Lebensmittelpraxis den Handel für „Qoo“ zu begeistern – für „das erste sympathische Kindergetränk, das Ihre Kasse klingeln lässt“. 

Abwechslung

„Eine abwechslungsreiche Kost versorgt Kinder mit allen Nährstoffen, die sie für ein gesundes, aktives Leben und Wachstum benötigen“, weiß Ursula Tenberge-Weber von der Verbraucherzentrale NRW. Abwechslungsreich heißt: Täglich fünf Portionen Obst und Gemüse, Milch und Milchprodukte sowie Brot, Bachwaren, Getreideflocken auf Vollkornbasis. Eine untergeordnete Rolle spielen dabei eher Fleisch, Fisch und Eier. (Pressemitteilung der Verbraucherzentralen Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg und NRW vom 24. Juni 2003)

NAGEL-Redaktion – Jugendpolitische Überlegungen aus Sicht eines aktiven Politikers

Ein Interview mit Prof. Dr. Gerd Bollermann

Interview mit Prof. Dr. Gerd Bollermann anlässlich des 20-jährigen Bestehens des ABA Fachverbandes (1993).

Gerd Bollermann war 1973 einer der Initiatoren und Gründungsmitglied des Verbandes (damals Landesarbeitsgemeinschaft Abenteuer-, Bau- und Aktivspielplätze NRW). Zum Zeitpunkt des Interviews war er beschäftigt als Hochschullehrer an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und seit 1999 deren Leiter. In seiner politischen Funktion war er zum Zeitpunkt des Interviews Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses in Dortmund (1987 – 1994). Seit dem Jahr 2000 gehört er als Abgeordneter dem nordrhein-westfälischen Landtag an. Dort nimmt er das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des Rechtsausschusses wahr. Das Interview wurde von Rainer Deimel, Referent beim ABA Fachverband und verantwortlicher Redakteur, geführt. Es wurde zuerst veröffentlicht in: DER NAGEL 56/1994. Interessanterweise scheint sich an vielen politischen Umständen, die zum Teil Inhalt des Gesprächs waren – vor allem hinsichtlich der kommunalpolitischen Dimensionen – bis heute, also fast zehn Jahre später – kaum etwas geändert zu haben. Die den Texte ergänzenden bzw. erläuternden Fußnoten wurden vor der Einstellung in das Internet eingefügt.

DER NAGEL: Herr Prof. Bollermann, 20 Jahre ABA, lag eine solche oder gar längere Zeit in Ihrer und in der Vorstellung Ihrer Mitstreiter, als Sie Anfang der siebziger Jahre die LAG ABA gründeten?

Gerd Bollermann: Nein, überhaupt nicht. Wir haben in einer Notsituation diese Gründung vorgenommen. Wir waren am Anfang auch in einer Kampfsituation, die Idee durchzusetzen. Wir haben nicht einen Zeitraum von zwanzig Jahren gesehen; wir haben vielleicht über fünf Jahre geblickt und gesagt, wenn wir es in diesen fünf Jahren schaffen, die Idee in Deutschland und hier in Nordrhein-Westfalen stärker zu etablieren, dann haben wir einen tollen Erfolg erzielt. Da hat sich auch relativ schnell gezeigt, dass die eine Initiative oder das andere Projekt erfolgreich war. Nach den ersten fünf Jahren war wohl erkennbar, dass es länger gehen würde, dass wir über den ersten kleinen Berg hinweg waren. Wir wussten allerdings lange nicht, ob sich die Idee wirklich durchsetzen würde. Im Rückblick muss man auch sagen, dass es immer Hochs und Tiefs gegeben hat.

DER NAGEL: Was haben Sie sich damals dabei gedacht, die Organisation „Landesarbeitsgemeinschaft Abenteuer-, Bau- und Aktivspielplätze“ (LAG ABA) zu nennen? Wie war das mit den Begriffen?

G.B.: Seinerzeit gab es eine sehr deutliche inhaltliche Auseinandersetzung – auch – über die Begrifflichkeit. Der Begriff „Abenteuerspielplatz“ war geprägt durch den ersten Abenteuerspielplatz, den es in Deutschland überhaupt gab, nämlich den Abenteuerspielplatz im Märkischen Viertel in Berlin. Der Begriff „Bauspielplatz“ kam aus Dänemark zu uns herüber und wurde favorisiert von Prof. Schottmeier aus Hamburg, der auch in seiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Themenbereich seinerzeit versucht hat, den Begriff „Aktivspielplatz“ einzuführen. Dann gab es hier eine besondere Dortmunder Entwicklung. Hier wollte man eigentlich auch auf den Begriff „Aktivspielplatz“ hinaus. Es gab auch Zeiten, in denen es Mehrheiten für den einen oder anderen Begriff gab – ich will mal eine Klammer aufmachen: Jugendfarmen, Spielmobile usw., das spielte zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Rolle. In unserem Team, auf dem Abenteuerspielplatz in Dortmund-Lütgendortmund (Anm. d. Red.: Hierbei handelte es sich 1970 um den ersten Abenteuerspielplatz in Nordrhein-Westfalen), in dem ich hauptamtlicher Mitarbeiter war und die übrigen Praktikantinnen und Praktikanten waren, haben wir um den Begriff, wie denn der zu gründende Verein/Verband heißen sollte, geknobelt. Eine Praktikantin kam auf die Idee, einen Namen zu wählen, der auch klingt, unabhängig von den begrifflichen Auseinandersetzungen. Unter Beteiligung der Kinder des ASP in Lütgendortmund kam es dann zu der Namensgebung. Damals ist auch unser Maskottchen, der Hamster, kreiert worden. Der Hamster mit seinem Werkzeug, der Dokumentation dessen, was die Kinder auf einem ASP tun, half auch mit, ein Stück Identität aufzubauen.

DER NAGEL: Was bewegt Sie, wenn Sie gegenwärtig über die lange Vereinsgeschichte nachdenken?

G. B.: Mich bewegt, dass es in der zwanzigjährigen Verbandsgeschichte immer wieder ein Auf und Ab gegeben hat durch Personen, die diesen Verein mitgeprägt haben. Es sind nicht immer innerverbandlich harmonische Phasen gewesen. Ich habe manchmal den Eindruck gehabt – als später Außenstehender -, es würde nicht weitergehen. An manchen Stellen hätte ich mir den Verlauf etwas harmonischer gewünscht. Das gilt allerdings auch für die Anfangsphasen, in denen wir uns manches Mal im Vorstand gefetzt haben, da es unterschiedliche Interessen gab. Wir waren alle Individualisten mit einem hohen Sendungsbewusstsein. In so einem Zusammenhang sind Reibungen dann zwangsläufig.
Das Zweite, was mich bewegt, ist der Blick nach außen. Wir haben in einer für Kinder gesellschaftspolitisch schwierigen Situation angefangen. Ich hatte geglaubt, wir hätten die Situation für Kinder in diesen zwanzig Jahren ein Stück weiter entwickelt. Es gibt heute das eine oder andere mehr an Angeboten. Defizite allerdings gibt es nach wie vor. Viele Dinge zeichnen sich heute noch viel deutlicher ab als vor zwanzig Jahren. Ich denke da z.B. an das Thema „Gewalt“.
Ein Drittes ist die finanzpolitische Situation. Wir haben als Leute angefangen, die improvisiert haben, die ein Sendungsbewusstsein hatten und davon überzeugt waren, dass die Aufgabe zu schaffen sei. Finanzpolitisch gesehen waren das keine rosigen Zeiten, obwohl es irgendwie ging. In den zwanzig Jahren hat es auch in dieser Beziehung ein Hoch und Nieder gegeben. Augenblicklich sind wir bezüglich der kommunalpolitischen Seite der Finanzierung in einem deutlichen Tief. So schlecht, wie es heute aussieht, war es in der Anfangszeit – selbst bei einer Verklärung, die man manchmal vornimmt – nicht.

DER NAGEL: Sie sind uns nach wie vor als Mitglied verbunden. Für wie wichtig halten Sie die ABA-Arbeit im Augenblick? Worin sehen Sie gegenwärtig die wichtigsten Aufgaben für ABA?

G.B.: Ich bin ABA als Mitglied verbunden – wenn auch in den letzten Jahren eher als passives Mitglied – und werde das auch bleiben. Ich halte den Blick von „außen“ zeitweise für interessant: Ich halte es für wichtig, dass es einen Landesverband gibt, der Interessen artikuliert, der auch sehr deutlich gegenüber Financiers – wie den Kommunen – einen bestimmten fachlichen Anspruch erhebt sowie Interessen und Macht dokumentiert. Viele Leute zeigen Macht; warum nicht auch die PädagogInnen? Zum Zweiten halte ich einen solchen Verband elementar wichtig hinsichtlich Informationsaustausches und Qualifizierung. Fortbildung ist ein ganz wesentliches Instrument. Ein Letztes: Als wir anfingen, waren wir Exoten, die aus einzelnen Städten, z.B. Berlin, Köln und Dortmund kamen, die weite Reisen machen mussten, um sich kennen zu lernen und auszutauschen. Heute ist das Regionalprinzip wichtig. Ich persönlich habe mich seinerzeit lange dagegen gesträubt; inzwischen bin ich davon überzeugt, dass regionale Zusammenhänge einen wichtigen Teil der verbandlichen Arbeit ausmachen.

DER NAGEL: Sie werden es mitbekommen haben, und unsere diesjährige Mitgliederversammlung wird voraussichtlich eine Satzungsänderung beschließen, die zum Ziel hat, (politische) „Interessenvertretung für Kinder“ ebenfalls als Verbandsaufgabe festzuschreiben. Wie stehen Sie dieser Entwicklung gegenüber?

G.B.: Da müssen wir über Politik streiten, was man unter einer politischen Interessenvertretung versteht. Für mich persönlich war der Weg in eine politische Partei in meiner weiteren Entwicklung irgendwie zwangsläufig als jemand, der sich engagiert hat für Bürgerinitiativen. Ich halte von einer Interessenvertretung sehr viel, wenn man politisch als gesellschaftspolitisch versteht. Insofern ist für mich ABA auch immer eine gesellschaftspolitische Interessenvertretung für Kinder gewesen. Man muss Politik in Gesamtzusammenhängen sehen und diskutieren. Insofern kann ich eine Entwicklung hin zu einer global-gesellschaftspolitischen Interessenvertretung sehr gut vertreten. Eine zu enge politische Sichtweise würde ich nicht für gut halten.

DER NAGEL: Unserer Auffassung nach wird es höchste Zeit, dass die VertreterInnen und MitarbeiterInnen der Einrichtungen wieder deutlich an politischem Profil zulegen, und zwar auch genau in dem von Ihnen genannte Sinn, gesellschaftspolitisches Bewusstsein wieder stärker entwickeln, dies sowohl in Richtung Absicherung einer professionellen Arbeit mit Kindern als auch im Sinne o.g. Interessenvertretung für Kinder. Im Zuge dieser Überlegungen haben wir teilweise das Schwergewicht unserer Bildungsarbeit verstärkt auf Perspektiven zur Klärung (fach-)politischer Fragen gelenkt. Würden Sie unsere Auffassung teilen, und könnten Sie uns ad hoc Einschätzungen geben, was Ihrer Meinung nach dabei vor allem zu beachten ist?

G.B.: Wer sich für Kinder einsetzt, wer Defizite deutlich machen will, muss auch politisches Profil zeigen. Für mich gibt es nur wenige demokratische Parteien, die in der Vergangenheit Politik für Kinder gemacht haben; deshalb will ich das nicht parteipolitisch sehen. Dem, was hinter der Frage steht, ist voll zuzustimmen. Ich habe bedauert, dass viele, die in den pädagogischen Bereich gegangen sind, sich apolitisch entwickelt haben. Ich halte es für sträflich, wenn pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht über die politischen Zusammenhänge, in denen sie arbeiten, Bescheid wissen. Zu einer vernünftigen pädagogischen Arbeit gehört auch ein politisches Grundbewusstsein. Dazu gehört auch, den Kindern deutlich zu machen, warum man dieses Grundbewusstsein hat. Ich bin dagegen, jemanden – auch im pädagogischen Prozess – auf eine politische Partei hin auszurichten. Als Demokrat muss man Kindern sehr deutlich sagen, welches demokratische Spektrum vorhanden ist. Ich bin erschrocken über die Rechtsentwicklung, über die Gewaltauseinandersetzung. Ich meine, genau an der Stelle ist ein Pädagoge oder eine Pädagogin gefragt. Wir müssen als Pädagogen Farbe bekennen und deutliche Signale setzen, deutliche Signale gegen Rechts, gegen die Braunen und gegen Gewalt. Es ist der richtige Weg, stärker Perspektiven zu entwickeln und ein Schwergewicht der Bildungsarbeit hierauf zu setzen.

DER NAGEL: Wir stellen in immer größerem Maße eklatante Widersprüche innerhalb der politischen Parteien fest. Diese beginnen bei Aussagen der Bundesregierung im Verhältnis zu der von Bonn betriebenen Politik und setzen sich häufig mit unterschiedlich großen Divergenzen bis hin auf die kommunale Ebene fort. Wir sehen bei den GRÜNEN augenblicklich das größte Maß an Glaubwürdigkeit, was gewiss auch aus der politischen Opposition heraus nicht sehr schwer ist. Der außerordentliche Landesparteitag der NRW-Sozialdemokraten am 5.3.1994 in Rheine hat beschlossen, dass in der nächsten Legislaturperiode des Landtages ein „Gesetz zur Förderung der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit als 3. Ausführungsgesetz“ zum KJHG durchgesetzt werden soll. In vielen, auch neu formulierten Inhalten und Zielen sozialdemokratischer Politik sehen wir unsere Arbeit in weiten Teilen bestätigt. Wir erleben aber, dass es vor allem sozialdemokratische KommunalpolitikerInnen sind, die mit Nachdruck – und offensichtlich schamlos und wider besseres Wissen – sozial- und jugendpolitischen Kahlschlag betreiben. Wie schätzen Sie diesen Widerspruch ein?

G.B.: Ich will mit dem Stichwort „Glaubwürdigkeit“ beginnen. Es ist richtig, dass eine Partei in der Opposition nicht nachzuweisen braucht, ob sie das, was sie verspricht, auch hält. Da würde ich dann manchmal auch ein großes Fragezeichen setzen. Zur Oppositionsarbeit gehört meines Erachtens dazu, dass das, was man meint und fordert, auch ehrlicherweise umsetzbar ist. Das Schlimme, was ich derzeit im politischen Geschäft erlebe, ist, dass es Unmengen von Schauanträgen gibt, Unmengen an Vernebelungstaktiken laufen und jeder versucht, sich auf Kosten des anderen zu profilieren. Entkleidet man mal diese ganzen Nebelschwaden und kommt auf den Kernpunkt, dann ist es in der Kommunalpolitik vielfach auch eine Frage der Glaubwürdigkeit und der Durchsetzungsfähigkeit von Personen.
Die Sozialdemokraten haben meines Erachtens jugendpolitisch wieder Tritt gefasst. Wir haben uns einige Zeit lang viel zu sehr nur mit einem Teilbereich beschäftigt, nämlich dem des Kindergartens. Wenn man die Vorgaben der Bundesregierung und die Nachfolgeentwicklungen des Landes sieht, wird ein Großteil des Geldes für den Kindergartenbereich aus den anderen Bereichen der Jugendhilfe herausgenommen. Das ist der Punkt, dass sich diese Widersprüche zwangsläufig ergeben. Mit dem Landesparteitag haben wir jugendpolitisch einen deutlichen Akzent gesetzt. Ich hoffe, dass Franz Müntefering, der Arbeits- und Sozialminister, aber auch der Jugendminister (Anm. d. Red.: des Landes Nordrhein-Westfalen) erkannt hat, dass das Thema „Kinder- und Jugendarbeit“ über den Bereich des Kindergartens hinaus ein ganz wichtiges Thema für die gesellschaftliche Entwicklung dieses Landes ist. Aus Gesprächen mit dem Minister weiß ich, dass er das so sieht. Ich bin der Hoffnung, dass wir mit dem „Gesetz zur Förderung der Jugendarbeit und der Jugendsozialarbeit“, also dem 3. Ausführungsgesetz, etwas Vernünftiges hinbekommen werden. Wie das im Detail aussehen wird, das muss man nach den nächsten Landtagswahlen abschätzen und auch sehen, wie sich die wirtschaftspolitischen Entwicklungen darstellen werden.  
Nun zu den offensichtlich sozialdemokratischen Kahlschlägen: Wenn man politische Verantwortung zu übernehmen hat, muss man auch finanzpolitische Verantwortung übernehmen, und hier darf man nicht verkennen, dass derzeit enorme Finanzmittel in Richtung Osten gelenkt werden. Es ist tatsächlich so, dass die Kommunen ganz erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten haben, dass sie sich beschränken, dass sie Prioritäten setzen müssen. So kommt es dann dazu, dass es in Nordrhein-Westfalen ganz unterschiedliche jugendpolitische Entwicklungen gibt. Es gibt Städte, in denen alle Jugendheime geschlossen werden, in denen beim Bau von Kindergärten und Kinderspielplätzen nichts mehr funktioniert. Es gibt Städte, die die Abenteuerspielplätze abschaffen  , weil sie der Auffassung sind, dass deren Aufgaben auch vom Jugendheim übernommen werden können  , und, und, und…  Oftmals wird eine Politik des geringsten Widerstandes betrieben. Wo sind die wenigsten betroffen, und wo sind diejenigen, die sich am wenigsten stark durchsetzen können? Dann muss man sich fragen, wenn in einer Stadt den Abenteuerspielplätzen „das Messer an die Kehle gesetzt“ wird: Wie haben wir uns denn eigentlich politisch aktiv beteiligt? Sind wir in einem Stadtteil so verwurzelt, dass wir durch unsere Arbeit Legitimation nachweisen können? Ich könnte das nicht für jede Einrichtung beantworten. So kommt es natürlich auch, dass es Widersprüche gibt, die sich über Personen, in ihren politischen Zielvorstellungen zeigen, aber auch Widersprüche, die sich aus dem Umfeld einer Stadt ergeben. Insofern ist das nie eine einseitige Sache, egal ob das nun SPD-, CDU- oder Koalitionsregierungen auf kommunaler Ebene sind. Ich glaube, wenn es zu so eklatanten Widersprüchen kommt, dass Abenteuerspielplätze geschlossen werden, dann hat das auch was mit denjenigen zu tun, die die Arbeit dort machen. Per Order de Mufti schließt keiner eine Einrichtung. Da heißt es dann wiederum, politisches Profil zeigen. Es wird nur der in ein politisches Geschehen eingreifen können, der, bevor es Konflikte gegeben hat, mit Politikern geredet, der Interessen deutlich gemacht, der Menschen gezeigt hat, dass die Arbeit, die dort geleistet wird, interessant ist.

DER NAGEL: In letzter Zeit lässt sich mancherorts der Eindruck nicht verdrängen, dass die gesetzlich vorgeschriebene Jugendhilfeplanung instrumentalisiert wird, um Kahlschläge zu legitimieren. An einigen Stellen laufen gegenwärtig Verwaltungsgerichtsprozesse gegen die öffentliche Jugendhilfe mit – nach Meinung renommierter Jugendhilferechtsexperten – durchaus berechtigter Hoffnung auf Erfolg. Würden Sie als Jugendpolitiker auch die Auffassung vertreten, dass die Jugendarbeit sich u.U. mithilfe der Gerichte aus der Zange zwischen dem GTK (2. AG KJHG) und den erzieherischen Hilfen befreien soll?

G.B.: Nach meinen Erfahrungen – auch im Umgang mit Gerichten in der Jugendhilfe – führt das langfristig nicht sehr weit. Im Einzelfall kann der Weg über die Gerichte mal der richtige sein. Viel wichtiger ist, im Bereich der Jugendhilfeplanung offensiver zu werden. Ich weiß, dass das Instrument der Jugendhilfeplanung in jeder Stadt anders benutzt wird, in jeder Stadt andere Formen der Partizipation gefunden werden. Trotzdem ist es ein Instrument – das uns der Gesetzgeber vorgegeben hat -, mit dem man arbeiten kann, ob nun in der „klassischen“ Jugendhilfeplanung oder in der sogenannten Vorfeldplanung zur Jugendhilfeplanung. Entscheidend ist, dass der öffentliche Träger mit den freien Trägern und den Initiativen in einen Kommunikationsprozess kommt. Ich sehe auch, dass die Initiativen dabei manchmal benachteiligt sind, da sie zuwenig Kapazitäten haben. Unterm Strich glaube ich, dass der Weg der Gerichte ein zu umständlicher, ein zu wenig effektiver und vor allem kein auf Dialog gerichteter ist, sondern er zementiert Fronten. Das halte ich für nicht gut.  

DER NAGEL: Können Sie auch unsere Auffassung teilen, dass sich viele JugendpolitikerInnen nicht in ausreichendem Maße ihrer Verantwortung und ihres Gewichtes, das sie durch das KJHG gewonnen haben, bewusst sind?

G.B.: Ich kenne viele, die damit überfordert sind, weil sie Jugendpolitik als „Feierabend-Politik“ neben anderen Politikfeldern haben. Der Kernpunkt ist meines Erachtens ein anderer: Dieses Bundesgesetz ist ein Gesetz, dem der „richtige Biss“ fehlt. Der richtige Biss in das Gesetz wäre gekommen, wenn es gleichzeitig ein Leistungsgesetz wäre mit einem echten Anspruch. Der Bund und die Länder haben sich gedrückt bei diesem Gesetz; sie haben nicht gesagt, wer „die Zeche bezahlen“ soll. Das beste Beispiel sind die Kindergärten, wo der Bund zwar richtige Entscheidungen getroffen hat, aber im Grunde genommen mit seinem Gesetz in die Tasche der Kommunen oder der Länder greift. Jugendhilfeplanung, vernünftig gemacht, kostet Geld. Nicht jede Stadt, nicht jede Kommune kann sich einen Wissenschaftler, einen langen Prozess der Partizipation erlauben. Es fehlt meines Erachtens da, wie an vielen anderen Stellen, im KJHG an wirklich harten Fakten. Von daher sehe ich die Perspektive etwas verschobener. Ich hätte mir ein besseres Gesetz, eine Leistungsverpflichtung von Bund und Land gewünscht. Dann würde es der eine oder andere auf der kommunalen Ebene auch besser durchsetzen können.

DER NAGEL: Wir sehen auch die finanzielle Misere der Kommunen, die wir für unerträglich halten. Gleichwohl sind wir der Auffassung, dass es gerade jetzt darauf ankommt, dass die Jugendpolitik ihr „Schwergewicht“ in die Waagschale wirft. Kinder und Jugendliche sind „die Zukunft unserer Gesellschaft“  . Was halten Sie von der Vorstellung, dass z.B. alle JugendpolitikerInnen ihr Amt zur Verfügung stellen würden – aparter Gedanke: Deutschland ohne JugendpolitikerInnen, um deren Gewicht einmal auf praktische Weise belegen zu können -, anstatt immer wieder darüber zu lamentieren, dass die Hände gebunden seien, kein Geld da sei usw.?

G.B.: Ein aparter und spontaner Gedanke, in der Tat, der aber letztendlich mehr Schaden provozieren und im Ergebnis noch weniger bringen würde, als das, was dahinter steckt. Wenn alle Jugendpolitiker oder diejenigen, die sich für Jugendpolitik engagieren, nicht gleichzeitig in derart schwierigen Situationen auch Lobbyisten in ihren Fraktionen für Jugend wären – und das würde das ja bedeuten: sie würden dieses Lobbyistentum in den Fraktionen aufgeben -, dann würde es noch viel düsterer, und wir würden um Jahre zurückgeworfen. Trotz aller Schwierigkeiten bin ich der Meinung, die Jugendpolitiker sollten bei der Stange bleiben. Ich würde mir wünschen, sie würden sich manchmal von dem einen oder anderen Finanzpolitiker nicht „unterbuttern“ lassen.

DER NAGEL: Wir beabsichtigen, im Laufe des Jahres Wahlprüfsteine zu entwickeln, in denen für uns die Glaubwürdigkeit der Politik hinsichtlich Kinderfreundlichkeit – nicht im formalisierten Sinne, sondern als politisches Konzept – eine zentrale Rolle spielen wird. Welche Kriterien wären für Sie erheblich in derartigen Wahlprüfsteinen?

G.B.: Wahlprüfsteine sind ein Instrument, das der Verband bereits in seiner frühen Geschichte benutzt hat. Es war seinerzeit kein sehr erfolgreiches Instrument. Trotzdem ist es legitim, Politiker, die sich zur Wahl stellen, zu fragen: Wie haltet ihr es denn mit den Interessen von Kindern? Wie wäre es zu fragen, wie man sich denn die Sozialpolitik in einer Stadt vorstellt? Kinderpolitik muss in einem Kontext mit Jugend- und Sozialpolitik gesehen werden. Wird z.B. im Bereich der Sozialpolitik ein Schwerpunkt gesetzt oder nicht? Oder gehört zur Kinderpolitik die Schaffung von Arbeitsplätzen dazu? Wird darin investiert oder nicht? Auch Kinder leiden ganz enorm unter Arbeitslosigkeit. Das wären für mich die beiden Eckpfeiler für derartige Kriterien:

1. Wie steht es mit Ideen zur Arbeitsmarktpolitik, zur Arbeitsplatzschaffung und zur Arbeit überhaupt;
2. Wie steht es mit der Sozialpolitik, und wie ist Kinderpolitik in diese eingebettet?

Ich halte diese beiden Punkte für die zentralen. Eine Partei, die sich zu diesen Punkten nicht äußert, wäre für mich auf kommunaler Ebene nicht wählbar.

DER NAGEL: Herr Prof. Bollermann, lassen Sie uns noch einmal zurückkommen auf den Kreis, der sich, nachdem ABA vor über zwanzig Jahren in Dortmund gegründet wurde, vor einiger Zeit geschlossen hat, indem die Landesgeschäftsstelle wieder nach Dortmund gekommen ist. Unterschwellig schwingen nach zwei Jahrzehnten seitens der Stadt immer noch irgendwelche „Animositäten“ mit, die wir bedauern, da sie bislang eine wünschenswerte fachliche Kooperation behindern. Über lange Jahre waren Träger der freien Jugendhilfe ein nicht unbedingt beliebtes Kind in dieser Stadt. Das scheint sich geändert zu haben. Gleichwohl haben wir das Gefühl, dass gegen unsere Arbeit immer noch ziemliche Vorbehalte bestehen, die wir in anderen Kommunen nicht haben, im Gegenteil: in zahlreichen Kommunen arbeiten wir sehr vertrauensvoll und intensiv mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zusammen. Plakativ gesprochen könnten wir feststellen, dass andere Kommunen unsere Geschäftsstelle „eher verdient“ hätte als Dortmund. Sehen Sie Möglichkeiten, diese unleidige Situation zu verbessern?  

G.B.: Am liebsten würde ich sie morgen am Tage verbessern. Ich muss allerdings auch hier die Geschichte sehen. Die Tatsache, dass wir die erste Geschäftsstelle nach der Gründung von ABA nicht in Dortmund angesiedelt haben, fiel unter anderem damit zusammen, dass wir bei der Gründung erhebliche Schwierigkeiten mit dem Jugendamt Dortmund hatten. Der damalige Jugendamtsleiter fand die ABA-Gründung nicht gut und sah überhaupt keine Notwendigkeit dafür. Wenn man so will, hat es in Dortmund von der Gründung an eine gewisse Aversion gegen diesen Verband gegeben. Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass die Stadt Dortmund sehr zentral liegt, bezogen auf Nordrhein-Westfalen im Schnittpunkt angesiedelt. Auch von der Anzahl der Abenteuerspielplätze, die wir haben, gibt es eine gute Berechtigung, in dieser Stadt zu bleiben. Es ist richtig, festzustellen, dass Initiativen außerhalb der klassischen Wohlfahrts- und Jugendverbände in Dortmund ganz deutliche Beachtung gefunden haben. Das ist auch ein Stückchen Politik, das ich mitverantwortet habe und zu der ich auch stehe. Schwierig empfinde ich, dass wir in dieser Stadt zur Zeit nicht über ausreichend städtischen oder anderen billigen Büroraum verfügen, was sich hinsichtlich einer Kooperation mit dem Verband oder auch einer besseren Betreuung des Verbandes durch die Stadt erschwerend auswirkt. Es gibt nicht ausreichend Platz, wo Initiativen Raum hätten, ihre Geschäftsstellen bedarfsgerecht zu realisieren. Das trifft nicht nur ABA, sondern auch noch verschiedene andere Jugendverbände in dieser Stadt. Das kann man nicht so einfach lösen. Ich zumindest bin gern bereit, Vermittler zu sein. Mehr kann ich in dieser Situation wohl nicht, aber das will ich gerne tun.

DER NAGEL: Stünden Sie noch einmal für ein Mandat in unserem Verband, z.B. im Vorstand, zur Verfügung?

G.B.: Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber man soll nie „nie“ oder „nicht mehr“ sagen. Im Moment habe ich andere Prioritäten in meiner politischen Arbeit. Ich begleite die ABA-Arbeit aus einer gewissen wohlwollenden Distanz und fände es gut, wenn möglichst viele junge Pädagoginnen und Pädagogen sich bereit finden würden, sich hier zu engagieren, Ideen einzubringen, einen Verband nach vorn zu tragen und den Geist der Gründung mit einem „Pusch“ wieder aufzugreifen, um auf Dauer einen lebhaften Verband zu erhalten.

DER NAGEL: Herr Prof. Bollermann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

NAGEL-Redaktion – „Abenteuerspielplatz“ an der Schnittstelle zwischen Freizeit und Schule

Entwurf und Dokumentation: Rainer Deimel
Vierte, für das Internet überarbeitete Auflage
Dortmund, September 2002

Die vorherigen Auflagen erschienen in Broschürenform, zuletzt im Februar 1995
ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen e.V.
Postfach 160 160
44331 Dortmund
Tel. 0231/985 20 53
Fax 0231/985 20 55
ABA@ABA-Fachverband.org

Vorwort

1995 handelte es sich hier um eine Dokumentation über die konzeptionelle Arbeit an einem Projekt, das sich seinerzeit in der Entwicklung befand. Im damaligen Vorwort hieß es, dass es auch in Zukunft keinen abschließenden Bericht über eine „fertige Einrichtung“ werde geben können, da es sich bei diesem Projekt um ein sich stetig entwickelndes Vorhaben handeln sollte, das zu permanenten Veränderungen auffordert. Das Projekt wurde veröffentlicht, da die ehemalige fachliche Leitung die geplanten durchgeführten Aktivitäten für interessant genug bewertete, um sie einer breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich zu machen. Gleichzeitig wurde auch auf Nachahmer gehofft.
Die hier beschriebenen Inhalte sind u.a. Arbeitsgrundlage des Arbeitskreises „Abenteuerspielplatz an der Schule“, der sich im Umfeld der Fritz-Steinhoff-Gesamtschule (Gesamtschule Hagen-Nord) gebildet hatte. Sie wurden darüber hinaus als Motivationsgrundlage für die Jugendarbeit und für Schulen, einmal über ihre bisherigen Strukturen hinauszudenken, betrachtet. Blieb weiterhin zu konstatieren, dass über Vernetzung und Kooperation eine Menge geredet wurde, in der Umsetzung aber eher spärliche Versuche zu verzeichnen waren und sind. Als ein Vorteil der Entwicklung des Hagener Projekts wurde gesehen, dass keine Einrichtung der Jugendhilfe sich Verdrängungsgefahren ausgesetzt fühlen musste, da hier ein völlig neuer Ansatz entwickelt werden sollte. Bisher existierenden Einrichtungen sollte es freistehen, sich einzubringen oder nicht.
Die Berührungsängste zwischen Jugendhilfeeinrichtungen und Schulen waren seinerzeit noch erheblich. Das Konzept „Gestaltung des Schullebens und Öffnung von Schule/GÖS“ des Landesinstituts für Schule und Weiterbildung (seit 2002: Landesinstitut für Schule) brachte seinerzeit erstmalig etwas Bewegung in die verkrusteten Strukturen, die regelmäßig die Beziehung von Jugendhilfe und Schule charakterisierten. Zu beobachten war an mancher Stelle auch, dass eine Kenntnisnahme praktischer Innovationen auch Nachahmungseffekte provozierte (und provozieren soll). Eine Erklärung für diese Berührungsängste war, dass schulische Pädagogik in ihren Methoden von sozialpädagogischen Ansätzen her als kontraproduktiv empfunden wurde und Schule oft nicht nachvollziehen kann, dass Transfer-Lernen – etwa in der Offenen Arbeit – nicht augenfällig mit den von ihr entwickelten Curricula harmoniert. Von daher hat sich die „Freizeitpädagogik“ über lange Zeit nicht nur missverstanden, sondern auch ausgenutzt gefühlt. Dies dokumentierte sich etwa in der Forderung nach Schulaufgabenhilfe.
Das hier vorgestellte Projektvorhaben ist nicht realisiert worden. Es „scheiterte“ an diversen Hindernissen. Vielleicht haben wir seinerzeit auch schlicht zu früh begonnen. Es sei mir allerdings – aus aktuellem Anlass – gestattet, einen Hinderungsgrund anzuführen: Ein Abenteuerspielplatz an der Schule war mit den seinerzeitigen schulischen Erfordernissen kaum in Übereinstimmung zu bringen. Er hätte selbst im Falle seiner Realisierung eher ein Schattendasein geführt. Davon kann man sich z.B. auch überzeugen, wenn man sich einmal das „Lernfeld Bauspielplatz“ an der Laborschule in Bielefeld ansieht. Nach wie vor dominiert in der Schule „curriculares Denken“. Um mit Heinz von Foerster zu sprechen, könnte man konstatieren, dass SchülerInnen wie „triviale Maschinen“ begriffen werden, im linear-kausalen Sinne: Wenn ich vorn das und das hinein tue, kommt hinten das und jenes heraus. Schule funktioniert nicht systemisch. Von daher wird sie von Heinz von Foerster auch als „staatliche Trivilisationsanstalt“ bezeichnet.
Die Ergebnisse der PISA-Studie machen das Dilemma deutlich. Zu befürchten ist, dass sich künftig diejenigen, die sich in ihrem westlich rationalistischen Denken noch weiter in ihre Trivilisationsoperationen verlieben werden, um in der Folge daraus die Kinder noch stärker zu ihren Maschinen zu funktionalisieren. In den Erkenntnissen der PISA-Studie steckt allerdings auch die Chance, es künftig besser machen zu können. Vor diesem Hintergrund soll das praktisch gescheiterte Projektvorhaben erneut – nämlich an dieser Stelle – öffentlich zugänglich gemacht werden. Zur praktischen Umsetzung ist gewiss ein großes Maß an zusätzlicher Qualifikation erforderlich. Das betrifft diejenigen, die in der Schule arbeiten, genauso wie die MitarbeiterInnen der Jugendarbeit.
Jugendarbeit und Schule können voneinander lernen. Zum Teil sind Methoden übertragbar, und sie stellen eine innovative Bereicherung bisheriger Ansätze dar. Uns hat seinerzeit – also Mitte der vergangenen 90er Jahre – überrascht, dass Kinder in zahlreichen Interviews angaben, sich von der Schule als solcher nicht abgeschreckt zu fühlen. Sie empfinden gegen vieles an Schulen eine Abneigung, haben aber durchaus Ideen der Verbesserung. Das bedeutet, dass sie nicht unbedingt die Distanz zur Schule suchen, sondern sie sich Schule attraktiver wünschen und sich vorstellen können, auch einen Teil ihrer Freizeit an der Schule zu verbringen.
Dass Schule und Offene Arbeit voneinander lernen können, dazu möchten wir mit dieser Dokumentation einen Beitrag leisten und Anstöße geben. Wer Lust bekommt, in Zukunft weitere, möglicherweise andersartige Projekte der Kooperation zu entwickeln, kann sich zwecks Unterstützung gern an den ABA Fachverband wenden. Die hier vorliegende Dokumentation wurde so überarbeitet, dass sie als Arbeitshilfe für vergleichbare Projekte dienen kann. Sie will auch fachpolitische Impulse setzen. Es ist nicht auszuschließen, dass es an der einen oder anderen Stelle zu sprachlichen Holprigkeiten kommen kann, da die frühren Auflagen von der Gegenwart Mitte der neunziger Jahre aus dokumentierten, augenblicklich allerdings eher retrospektiv berichtet wird. Ich habe versucht, dies in dieser Überarbeitung entsprechend zu berücksichtigen. Möglicherweise wurde an der einen oder anderen Stelle etwas übersehen. Dafür bitte ich um Nachsicht.

I. Einführung

Ort des Projekts

Gelände und Gebäude der Gesamtschule Hagen-Nord (Fritz-Steinhoff-Gesamtschule), Am Bügel 20, 58099 Hagen, Tel. 02331/65071

Fachliche Leitung (in alphabetischer Reihenfolge)

Helga B.-S. (Lehrerin, Fritz-Steinhoff-Gesamtschule), Rainer D. (Bildungsreferent, ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern e.V., Dortmund), Werner K. (Schulleiter, Fritz-Steinhoff-Gesamtschule, Hagen), Susanne K. (Lehrerin, Betriebswirtin, Fritz-Steinhoff-Gesamtschule, Hagen), Hans-Georg O. (Lehrer, Fritz-Steinhoff-Gesamtschule), Detlef P. (Leiter Freizeit, Fritz-Steinhoff-Gesamtschule), Ingrid R. (Didaktische Leiterin, Fritz-Steinhoff-Gesamtschule, Hagen)

Projektbegleitung (in alphabetischer Reihenfolge)

Dieter A. (Liegenschaftsamt, Stadt Hagen), Margot A. (Bezirksvorsteherin Stadtbezirk Hagen-Nord bis 1994, Hagen), Heinz B. (Vorsitzender Schul- und Sportausschuss, Hagen), Christa B. (Dipl. Päd., Deutscher Kinderschutzbund, OV Hagen), Reinhard G. (Kinderbeauftragter, Jugendamt, Stadt Hagen), Thomas G. (Architekt, Iserlohn), Winfried H. (Grünflächenamt Hagen, Sachgruppenleiter Spielplatzplanung und Kleingartenwesen), Hans Peter J. (Bezirksvorsteher Stadtbezirk Hagen-Nord seit 1994), Jochen J. (Sponsoring-Entwickler), Roger K. (Student, Fachhochschule Bochum, Fachbereich Architektur, Wahlfach Freiraum und Gartengestaltung), Renate K.-M. (Dipl. Päd., Landesvereinigung Kulturelle Jugendarbeit NRW, Dortmund), Steffen M. (ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern e.V., Dortmund), Prof. Dr. Dipl. Ing. Egon O. (Fachhochschule Bochum, Fachbereich Architektur), Lothar S. (HGW Wohnungsverein, Hagen), Gaby T. (Jugendamt, Stadt Hagen), Jürgen Z. (Grünflächenamt, Stadt Hagen).

Lage

Das Projekt ist räumlich angesiedelt im Hagener Norden und liegt in dem Dreieck zwischen den Ortsteilen Boele, Kabel und Helfe. Besonders der Ortsteil Helfe, zu dem die Schule gerechnet wird, fällt auf durch dichte Hochhausbebauung mit relativ magerer Infrastruktur. Nach Einschätzung des Ortsvereins Hagen des Deutschen Kinderschutzbundes besteht im Hagener Norden ein hoher Bedarf an Spiel- und Erfahrungsmöglichkeiten für Kinder: dies trifft insbesondere für Kinder und Teens zwischen zehn und 15 Jahren zu.

Statistik (1995)

Im Ortsteil Helfe beträgt der Anteil der 7- bis 15-Jährigen (also die originäre Zielgruppe der Einrichtung) an der Gesamtwohnbevölkerung 10 Prozent (5361 Personen). Da der Anteil der bis zu 6 Jahre alten Kinder in Helfe nahezu doppelt so hoch ist wie die jetzige Altersgruppe der 7- bis 10-Jährigen 1, ist in den nächsten fünf Jahren mit einer deutlichen Bedarfssteigerung zu rechnen. 

Insgesamt leben im Stadtbezirk Hagen-Nord 41156 Menschen, davon sind gut 10 Prozent bis zu 9 Jahre alt und knapp 10 Prozent zwischen 10 und 19 Jahren. Am höchsten liegt der Anteil der Menschen zwischen 20 und 39 Jahren, nämlich bei fast 29 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, das aufgrund dieser zahlreichen Menschen in einer Altersgruppe, die für eine Elternschaft in Frage kommt, auch in den nächsten Jahren der Kinderanteil eher steigen als sinken wird. Im benachbarten Lennetal leben noch einmal 4880 Menschen, von denen gut 11 Prozent bis 9 Jahre alt sind und knapp 11 Prozent zwischen 10 und 19 Jahren 2. Insgesamt könnten (geschätzt) zwischen 3000 – 4000 junge Menschen von der geplanten Einrichtung regelmäßig profitieren.

Erwähnenswert erscheint noch der Anteil der Wohnbevölkerung mit Migrationshintergrund. Dieser beträgt im Stadtbezirk Hagen-Nord über 10 Prozent und im Lennetal 6,5 Prozent.

II. Idee

Seit ihrem Bestehen bietet die Gesamtschule Hagen-Nord für ihre Schülerinnen und Schüler (Freizeit-) Arbeitsgemeinschaften an. Wegen einer zehnprozentigen Kürzung des Ganztagszuschlages bei den Lehrerstunden geriet die Konzeption des Ganztages an der Schule in Gefahr. Neue Wege mussten gefunden werden, die entstandenen Lücken mit außerschulischen PartnerInnen zu füllen. Dieser Umstand fiel zeitlich zusammen mit der Absicht der Schule, sich stärker mit anderen Strukturen im Hagener Norden zu vernetzen. Die Schule selbst ist als Ganztagsbetrieb eingerichtet, und ein hoher Anteil der Kinder hat keine Alternative hinsichtlich Betreuungsangeboten. Aufgrund dieser Tatsache ist über die Schulleitung und unter Kontaktaufnahme durch noch bestehende Arbeitsgemeinschaften verstärkt die Kooperation zu anderen Organisationen gesucht worden. In diesem Falle handelt es sich um Kontakte zum ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern (inzwischen: ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern uned Jugendlichen), für den ein derartiges Modell von großem Interesse ist, zur Landesvereinigung Kulturelle Jugendarbeit (LKJ) NRW und zum Deutschen Kinderschutzbund, OV Hagen.
Nach ersten Kooperationsgesprächen und einer fundierten Ortsbegehung wurden kontinuierliche Arbeitstreffen installiert. Im Rahmen des so entstandenen Arbeitskreises (AK ASP/Schule) wurde die Idee eines Projektes „Abenteuerspielplatz an der Schule“ entwickelt. Der AK ASP/Schule und das Grünflächenamt Hagen gehen konform, dass die zu überplanende Fläche gegenwärtig funktionslos ist; zusätzliche Motivation zur Projektentwicklung leistete die Intention der Jugendarbeit, sich verstärkt mit Schulen zu vernetzen sowie das Konzept „Gestaltung des Schullebens und Öffnung von Schule/GÖS“ des nordrhein-westfälischen Landesinstituts für Schule und Weiterbildung 
3. Der Gedanke, Jugendhilfe deutlicher mit Schule in einen Zusammenhang zu bringen, schlägt sich ebenso gesetzlich nieder. So weist der § 11 (Jugendarbeit) Abs. 3, 3 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz/KJHG) z. B. darauf hin, dass schulbezogene Jugendarbeit zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit zählt. Ein weiterer Auftrag an die öffentliche Jugendhilfe, mit Schulen zusammenzuarbeiten, ergibt sich aus dem § 81, 1 SGB VIII. Ein augenblicklich in Vorbereitung befindlicher Gesetzentwurf zur Sicherung und Förderung der Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes (3. Ausführungsgesetz NRW zum KJHG) würdigt die gleichberechtigte Kooperation von Jugendarbeit und Schule in einer spezifischen Nennung (einem separaten Paragraphen), u.a. unter folgenden Stichworten: Herausbildung demokratischen Bewusstseins, Bereitschaft und Fähigkeit gesellschaftlicher Partizipation, Übernahme von Verantwortung, solidarisches Lernen und Handeln, Prävention bei Risiken und Gefährdungen, Schaffung neuer Lebens- und Entfaltungsräume, Ganztagsbetreuung, Anregung der Lernfähigkeit und -bereitschaft von Jungen und Mädchen 4.

III. Zielsetzung

Der Abenteuerspielplatz als Einrichtung soll auf dem Gelände der Gesamtschule Hagen-Nord (westlicher Schulhof) installiert werden. Es steht dort eine Gesamtfläche von ca. 10.000 qm zur Verfügung. Etwa 1.800 qm hügeliges Gelände wären vollständig nutzbar, da sie gegenwärtig brachliegen. Bei der übrigen Fläche handelt es sich vorwiegend um sportliche Einrichtungen, die auch von der Schule genutzt werden. Hier böte sich eine entsprechende Mehrfachnutzung an. Ein als „Schutzwall mit Trimm-Dich-Bereich“ ausgewiesener Abschnitt soll ebenfalls überplant und einbezogen werden. 
Der Abenteuerspielplatz umfasst dreierlei konzeptionelle Aspekte. Eine weitere – ebenfalls im folgenden aufgeführte – Perspektive kann ebenso von politischem wie fachlichem Interesse sein.

1.

Es findet eine Nutzung statt innerhalb der schulischen (unterrichtlichen) Pädagogik. Eine solche Einrichtung eignet sich für ganz unterschiedliche Fächer 5, z.B.

  • Biologie (Garten, Pflanzenzucht und -beobachtung, Ökologieerziehung, Biotop, Tierbereich, andere erlebbare Natur usw.);
  • Sport (Geländespiele, Bolzplatz usw.);
  • Werken (Holz-, Metall-, andere Materialerfahrungen und -bearbeitung);
  • Gesellschaftskunde (praktische Erfahrungen im sozialen Miteinander, Rollenspiele usw.);
  • Kunst (Skulpturen, Bauwerke usw.);
  • andere naturwissenschaftliche Fächer wie Chemie und Physik (Feuer, Materialverbindungen, wie Sand-Wasser, Lehm-Wasser usw.);
  • Religion, Ethik (Förderung des menschlichen Miteinanders, Begegnungen auf mitmenschlicher Ebene, in Natur- und kulturellen Zusammenhängen);
  • Musik (Bau von Klangkörpern usw.);
  • u.a.m.: Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, allerdings eher den vorhandenen Ressourcen.

2.

Der Abenteuerspielplatz dient als Freizeiteinrichtung für die betreffenden Stadtteile. Das Materialangebot ist dem für den schulischen Bereich vorgeschlagenen sehr ähnlich;. die pädagogische Ausrichtung tendiert hier in den Freizeitbereich. Gemäß dieser Absicht würde der Abenteuerspielplatz in die Struktur der Jugendhilfe im Hagener Norden eingefügt. Hierzu sind Öffnungszeiten außerhalb des Schulbetriebes erforderlich (bis ca. 18.30/19.00 Uhr). Es muss versucht werden, für den regelmäßigen Betrieb (zunächst) zwei Stellen für pädagogisches und handwerklich versiertes Fachpersonal zu schaffen. Eine detaillierte pädagogische Rahmenkonzeption würde bei Realisierung dieses Aspektes vorgelegt.

3.

Der Abenteuerspielplatz ist eine konkrete, praktische und regelmäßige Umsetzung der Vorstellungen des Schulministeriums, wie sie in dem Konzept „Gestaltung des Schullebens und Öffnung von Schule“ (GÖS) vorgesehen sind. Vor allem hinsichtlich bestehender und neu zu schaffender Arbeitsgemeinschaften an der Schule werden hier mannigfaltige Möglichkeiten gesehen. In der Zwischenzeit sind bereits Arbeitsgemeinschaften, die seitens der Schule für den schulischen wie den Freizeitbereich (also im Sinne von Offener Arbeit) angeboten wurden, vom Landesjugendamt Rheinland (aufgrund des Vereinssitzes des ABA Fachverbandes im Rheinland) als landesweit richtungsweisend befunden und durch den Landesjugendplan NRW unterstützt worden. Denkbar wäre mittelfristig auch die Einbindung anderer Personen, wie z.B. Eltern, interessierte Senioren usw.

4.

Von der Öffentlichkeit – speziell auch von Eltern – und der Politik wird immer noch zu wenig zur Kenntnis genommen, dass offene Angebote/Offene Arbeit mit Kindern eine wichtige (Ersatz-)Funktion hinsichtlich des Bedarfs an Regelbetreuung übernehmen. Offene Arbeit mit Kindern schließt eine Lücke bei potentiell vorhandenem „Regelbetreuungsbedarf“ und nimmt so quasi eine Hortfunktion ein.

Es gilt

a) ein Informationsdefizit in Öffentlichkeit und Politik zu überwinden und

b) genannte Funktion entsprechend konzeptionell zu berücksichtigen.

Künftig muss deutlicher werden, dass eine vertragliche Übernahme z.B. von Aufsichtspflicht nicht automatisch eine bessere pädagogische Betreuung 6 und Versorgung von Kindern garantiert. Versorgungsbedarf könnte über die Schule (z.B. Mensa) geregelt werden. Für weiteren Bedarf, z.B. Hausaufgabenhilfe, Ruheräume usw. müssten entsprechende Vereinbarungen getroffen werden.

IV. Pädagogische Begründung

Aus schulischer Sicht stellt sich das Angebot von Arbeitsgemeinschaften als unbedingt wichtig dar. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse des Landesinstituts für Schule des Landes NRW, wie sie auch im GÖS-Konzept formuliert werden, kann die Schule ihren Bildungsauftrag und ihren pädagogischen Auftrag mit möglicherweise neuen, bisher unkonventionellen und sehr erfolgversprechenden Methoden und Materialien deutlich verbessern. Aufgrund fachlicher sowie kinder- und jugendpolitischer Erkenntnisse schafft ein Projekt „Abenteuerspielplatz“ zahlreiche zeitgemäße Voraussetzungen zur Begegnung aktueller Probleme einerseits; andererseits würde die soziale Infrastruktur des Hagener Nordens wesentlich aufgewertet.
Ein solches Projekt fügt sich konsequent ein in politische Forderungen hinsichtlich mehr Kinderfreundlichkeit und Kinderbeteiligung; es würde wertvolle Hilfestellung leisten in Richtung Aggressionsabbau bzw. der Sublimierung von Aggressionen (Miteinander statt Gegeneinander, Erfahren und Erlernen von Solidarität, Mutproben, Kräftemessen, weniger Konsum, mehr eigene Tätigkeit usw.). Den Möglichkeiten zur Förderung von Kreativität sind hierbei kaum Grenzen gesetzt. In der (postmoderen) Stadt verlorenengegangen Möglichkeiten wird auf „künstlich-natürliche“ Weise entgegengearbeitet: Kinder erfahren deutlicher als anderswo ihre Wertigkeit (in psychologischer Hinsicht) und bekommen somit Hilfestellungen zur Bewältigung ihres künftigen Lebens. Dies scheint vor allem wichtig vor dem Hintergrund zunehmender materieller, sozialer und psychischer Verarmung, von Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit in den Familien usw. Kinder können so ein Selbstwertgefühl entwickeln, was ihnen ansonsten oft – aufgrund beschriebener Umstände – nicht möglich ist. Hier kann eine solche Einrichtung – wie die geplante – aufbauend und stabilisierend wirken. Dies gilt auch für Phänomene wie Drogenmissbrauch und andere Delinquenz. Darüber hinaus leistet ein Abenteuerspielplatz wichtige Beiträge bezüglich gezielter geschlechtsspezifischer Konzeptionen: Mädchen wie Jungen können gemäß ihren Bedürfnissen und Lebenswelten gezielte Förderung und Unterstützung erhalten.
Da eine solche Einrichtung eine Reihe grobmotorischer Möglichkeiten bieten würde, wäre davon auszugehen, dass sich (auch aufgrund einer größeren Gefahrenkonfrontation) das Sicherheitsbewusstsein der Kinder deutlich verbessern würde. Es ist belegbar, dass Kinder generell weniger gefährdet sind, wenn ihnen vielfältige grobmotorische und „gefährliche“ Tätigkeiten ermöglicht werden. Ein Abschirmen von Kindern bzw. ein unnatürliches Beschützen führt in der Umkehrung zu einer nicht zu unterschätzenden, möglicherweise das ganze Leben beeinträchtigenden negativen „Hypothek“ in Richtung Gefährdungen (Unfälle usw.). Diese von der Offenen Arbeit mit Kindern entwickelte Theorie findet im Laufe ihrer über dreißigjährigen Praxis permanente Bestätigung. Umfangreiche Untersuchungen von Dr. Torsten Kunz von der gesetzlichen Unfallversicherung (Eigenunfallversicherung der Stadt Frankfurt am Main) im schulischen und im Vorschulbereich kommen zu adäquaten Ergebnissen, die verschiedentlich dokumentiert sind (vgl. z.B.: T. Kunz: Weniger Unfälle durch Bewegung, Schorndorf 1993; T. Kunz: Mit Bewegungsspielen gegen Unfälle und Gesundheitsschäden bei Kindern, in: DER NAGEL 54, Dortmund 1992. Eine weitere Veröffentlichung von Dr. Kunz zu diesem Thema (Weniger Unfälle durch Bewegung) befindet sich im NAGELKOPF 22 (Risiko als Spielwert, ABA Fachverband 1997).
Bezüglich ökologischer Aspekte ist die Palette von Möglichkeiten nahezu unbegrenzt. Bei entsprechender Sachkompetenz zukünftiger MitarbeiterInnen bietet ein Abenteuerspielplatz die besten Voraussetzungen für einen ganzheitlichen pädagogischen Ansatz.
Innerhalb der Offenen Arbeit mit Kindern bestand jederzeit ein Bildungsanspruch. Dieser wurde über eine lange Zeit nicht ausreichend verdeutlicht. Zumindest wurde das Bildungs-Idiom zwischenzeitlich vollständig von der Schule okkupiert. Eine Erklärung  hierfür ist in der Abgrenzung der Offenen Arbeit gegenüber „klassischen“ Bildungseinrichtungen, wie sie die Schule darstellt, zu finden. Offene Arbeit hat die Erfahrung gemacht, dass produkt- und vor allem prozessorientiertes Lernen für Kinder in der Regel effizienter ist, als beispielsweise Frontalunterricht. Assoziativ sei hier an die Aussage Bruno Bettelheims erinnert, der feststellt, dass ein Erlernen des Umgangs mit Werkzeugen (Frontalunterricht) sinnlos sei, wenn es keinen Einsatz von Werkzeugen (Produktorientiertheit) gebe (vgl. Bruno Bettelheim: Kinder brauchen Bücher, Stuttgart 1992 und ders.: Ein Leben für Kinder, Stuttgart 1989). Weiterhin muss festgestellt werden, dass der Offenen Arbeit in der Vergangenheit auch oft das Selbstbewusstsein fehlte, ihren Bildungsanspruch ausreichend deutlich zu machen. Insofern ergeben sich mit Hilfe des vorliegenden Konzepts ganz hervorragende Gelegenheiten, diesbezügliche Lücken (pionierhaft) zu schließen 
7.

V. Initiative Netzwerk e.V.

Nach den Sommerferien 1994 wurde von Lehrerinnen und Lehrern die „Initiative Netzwerk e.V.“ als Trägerverein für das hier beschriebene Projekt gegründet.
Über seinen Zweck sagt der Verein in seiner Satzung u.a. aus, dass er Projekte und  Aktivitäten für Kinder und Jugendliche vornehmlich im Hagener Norden plane und organisiere und er diese Projekte pädagogisch und finanziell betreue; ferner strebe er innerhalb des Stadtteils eine soziale Vernetzung an. Die Satzung sieht darüber hinaus vor, nach Möglichkeit LehrerInnen der Schule sowie andere in der Kinder- und Jugendarbeit Involvierte in die Vorstandstätigkeit des Vereins einzubinden.

VI. Stadtteilorientierung/Vernetzung

Das Projekt „Abenteuerspielplatz“ wird als fester Bestandteil der drei angrenzenden Stadtteile angelegt. Demzufolge wird von Beginn an ein stadtteilbezogener Ansatz umgesetzt; dies dokumentiert sich durch eine von der Schule durchgeführte Stadtteilkonferenz. Die Stadtteilkonferenz soll zu einem regelmäßigen begleitenden Instrumentarium werden: Ziel ist, neben einer Vorstellung des Projekts im Stadtteil Kooperationsmöglichkeiten zu klären und einzuleiten. Eventuell anstehende Konkurrenzsituationen werden transparent gemacht und nach Möglichkeit abgestellt. Ressourcen im Stadtteil sollten von vornherein sach- und fachgerecht gebündelt werden. Augenblicklich vorstellbare Kooperations- und Gesprächspartner sind die Kirchengemeinden, Häuser der Offenen Tür, die Volkshochschule, stadtteilrelevante Vereine und Organisationen, andere Schulen, die Familienfürsorge, aber auch Kaufleute usw.
Interesse zur Mitarbeit/Vernetzung wurde bislang bekundet von dem Förderverein der Fritz-Steinhoff-Gesamtschule, dem Arbeitskreis Kinder- und Jugendarbeit Hagen-Nord, der Interessengemeinschaft Hagen-Nord, dem Jugendpfarramt, der Arbeiterwohlfahrt, der AWO-Jugendorganisation, den Pfadfindern u.a.m.

VII. Zusätzliche/begleitende Projekt-Bereiche

Zum Teil haben sich die Bemühungen um das Gesamtprojekt bereits in bestehenden Arbeitsgemeinschaften niedergeschlagen. So finden beispielsweise jetzt schon Aktivitäten gegen Ausländerfeindlich-keit sowie geschlechtsspezifische Angebote mit Mädchen (z.B. Selbstverteidigung usw.) statt; hierbei sollte erwähnt werden, dass ein Großteil der Besucherinnen nicht Schülerinnen der Schule sind (Verhältnis 18:7). Ferner soll darauf hingewiesen werden, dass sich unter den Mädchen eine Gruppe von Roma und Sinti und eine Gruppe von Asylbewerberinnen befindet. Eine Begegnung mit Schülerinnen zu organisieren, kann in diesem Fall als bereits gelungen bezeichnet werden. Gegenwärtig gibt es zusätzlich Bemühungen um Kontakte mit dem Ziel, weitere Projektbereiche zu akquirieren und zu etablieren (z.B. Kontakt zum Hagener Künstlerhaus usw.).
Für das Schuljahr 1995/96 war die Erweiterung bzw. Fortführung des Mädchenprojekts, das von der Bund-Länder-Kommission gefördert wurde, geplant. Bei der Fortsetzung dieses geschlechtsspezifischen Projekts ging es speziell um die Förderung der Jungenarbeit. Bei der Projektbeschreibung ist dabei u.a. auch eine „AG Spielplatz“ nur für Jungen berücksichtigt worden.
Mit über sechzig Kindern und einigen LehrerInnen wurde im Frühjahr 1994 eine Exkursion auf den Abenteuerspielplatz in Düsseldorf-Eller organisiert. Die Beteiligten hatten bei dieser Tagesveranstaltung die Möglichkeit, sich fundiert über Inhalte und Methoden eines „klassischen“ Abenteuerspielplatzes zu informieren. In begleitenden Interviews äußerten sich alle Kinder begeistert über die angebotenen Aktivitäten. Durchweg waren sie der Auffassung, dass eine vergleichbare Einrichtung an der Schule deren Attraktivität grundsätzlich erhöhe und sie – die Kinder – voraussichtlich mehr Zeit an der Schule verbringen würden, als sie dies zur Zeit täten. Erstaunlicherweise spielte die Tatsache, dass die Einrichtung am organisierten „Pflichtlernort“ Schule eingebunden sein würde, keine Rolle bezüglich der eingeschätzten Attraktivität. Im Gegenteil vertraten manche Kinder die Position, dass durch einen solchen „Ausgleich“ auch die eher belastenden Momente der Schule reduziert würden. Es scheint sinnvoll, auch künftig Exkursionen mit SchülerInnen zum Anlass zu nehmen, die Palette der Anregungen bezüglich der Umsetzung des geplanten Projekts zu vergrößern.
Bei weiteren geplanten bzw. zu planenden Arbeitsgemeinschaften im GÖS-Bereich wird eine jeweilige Anbindung an das Projekt „Abenteuerspielplatz“ bedacht (z.B. Interkulturelle Aktivitäten, Musik, Sport, Gestaltung, Theater usw.)
Seit der Sommerpause 1994 werden Lehrerinnen und Lehrer gezielt sowohl in das Gesamtprojekt als auch in einzelne Projekt-Bereiche eingebunden. Begleitet wird auf dieser Ebene das Projekt durch Lehrerfortbildungen, z.B. Mädchen- und Jungenarbeit, Haftungs- und Versicherungsfragen, Aufsichts- und Verkehrssicherungspflicht u.a.m. Ende 1995 wurde vom ABA Fachverband in Kooperation mit der Schule ein Fachkongress unter Motto „Risiko als Spielwert“ durchgeführt. Die Kongressbeiträge sind gleichnamigen NAGELKOPF 22 veröffentlicht. Die während des Kongresses verabschiedete „Hagener Erklärung“ kann im Internet aufgerufen werden.
Seit Januar 1995 ist die „Initiative Netzwerk e.V.“ Träger des „Jugendcafés Kabel“. Gegen Jahresende stellte sich heraus, dass das Jugendcafé in Hagen-Kabel, das sich bisher fünf Jahre lang in Trägerschaft des Diakonischen Werkes befand, akut von Schließung bedroht war. Die „Initiative Netzwerk e.V.“ bemühte sich mit anderen Personen und Organisationen um die Rettung des Cafés. 
Der Erhalt des Jugendcafés konnte zunächst gesichert werden. Eine Fortführung ist von Seiten der Stadt Hagen wurde in Aussicht gestellt. Bis auf Weiteres war die Stadt Hagen bereit, einen Lohnkostenzuschuss zu zahlen. Ca. 30 Prozent der Gesamtkosten für den Betrieb übernimmt der Trägerverein. Dies wurde durch eine Spende der Petrus-Kirchengemeinde möglich. 
Ohne einen Trägerverein wäre die Rettung des Jugendcafés undenkbar gewesen. Bei diesem Jugendtreff handelt es sich um die einzige Einrichtung im Stadtteil, die Jugendlichen Möglichkeiten zur Kommunikation, Beratung und Anleitung zu sinnvoller Freizeitgestaltung bietet. Es war ein interessantes Experiment der „Initiative Netzwerk e.V.“ (als ein sehr junger Träger mit wenigen Mitgliedern), die sich anschickte, Jugendhilfe-Erfahrungen zu sammeln. Die Tatsache, dass vorwiegend Lehrerinnen und Lehrer einer Schule derartige Aktivitäten auf dem Jugendhilfesektor entwickeln, sollte Impulse im Bereich der Freizeitarbeit setzen, verstärkt die Kooperation mit Schulen vor Ort zu suchen. In Hagen jedenfalls hat die Bereitschaft der „Initiative Netzwerk e.V.“, das Jugendcafé zu übernehmen, erstaunliche Wirkung innerhalb des Stadtteils gezeigt. Bei mehreren Konferenzen am „Rundes Tisch“ wurde von den beteiligten VertreterInnen von Verbänden, Parteien und anderen Organisationen deutliches Interesse geäußert und dieses auch durch tatkräftige Unterstützung und Angebote finanzieller Beihilfen untermauert. Die „Initiative Netzwerk e.V.“ hoffte seinerzeit, nach einem gelungenen Abschluss der Verhandlungen mit der Stadt und einer erfolgreichen Arbeit im Jugendcafé ebenfalls die Trägerschaft für den Abenteuerspielplatz übernehmen zu können. Die Einbeziehung des im Jugendcafé beschäftigten Sozialarbeiters in die Spielplatzarbeit wurde bereits eingeplant in der Hoffnung, auf diesem Wege eine Verknüpfung des Jugendcafés mit dem Abenteuerspielplatz erreichen zu können.

VIII. Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit

Das gesamte Projekt wurde auf einer großflächigen Wand, auf der die einzelnen Schritte planerisch und zeitlich anschaulich dargestellt werden, dokumentiert. Ferner sind dieser Darstellung auch die abgeschlossenen Realisierungsphasen sowie neu entwickelte praktische Schritte zu entnehmen. Diese Dokumentation wurde in der Landesgeschäftsstelle des ABA Fachverbandes in Dortmund ausgestellt und konnte dort eingesehen werden.
Ferner existierten Fotos von Einrichtungen und beteiligten Kindern sowie Interviews mit Kindern. Im „Lehrerinfo“ der Fritz-Steinhoff-Gesamtschule vom 18.5.1994 wurde das Kollegium von der didaktischen Leiterin über den Stand des Projekts informiert. 
Vor allem die großflächige Dokumentation sorgte im Binnenbereich der Schule für einen erfreulichen Ideentransfer und somit für einen Schneeball-Effekt hinsichtlich einer zu erweiternden Unterstützung des Vorhabens. Eine über den Schulalltag hinausgehende Funktion übernahm die Dokumentation im Rahmen des Gesamtschultages Anfang Mai 1994, was seitens anderer Schulen prompt zu Rückfragen führte, ob derartige Projekte nicht auch dort angegangen werden könnten. Mittelfristig sollte das Projekt einer breiteren (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 

IX. Politische Strategien

Trotz aller „pädagogischer Begeisterung“ (oder vielleicht gerade deshalb) standen politische Strategien zur Umsetzung des Projekts nicht im Vordergrund. Primär musste die Frage geklärt werden, ob ein derartiges Unternehmen innerhalb der „Binnenstruktur Schule“ überhaupt realistisch sein würde. Durch die Arbeit des „Arbeitskreises ASP/Schule“ dynamisierten sich die Arbeitsinhalte allerdings schneller, als dies vom Arbeitskreis übersehen werden konnte. Kaum Kenntnis von dem Vorhaben genommen, wurde durch außenstehende Personen und Institutionen größeres fachliches Interesse (Landesinstitut für Schule, Landesjugendämter Rheinland und Westfalen-Lippe usw.) bekundet als ursprünglich angenommen.
Aufgrund dieses Umstandes konnte nicht verhindert werden, hiermit auch politische Empfindlichkeiten zu berühren. Der fachlichen Leitung kam es vor allem darauf an, von vornherein ein umsetzungsfähiges Konzept vorzubereiten, bevor es formell den Gremien auf der politischen Ebene unterbreitet wurde.
Gleichwohl bekundete die Bezirksvertretung Hagen-Nord relativ früh ihr Interesse an dem Projekt. Seitens des Hagener Jugendamtes wurde zunächst darauf verwiesen, dass für ein solches Vorhaben keine Mittel zur Verfügung stünden. Unabhängig davon sah die fachliche Leitung es als ein Ziel an, dass das Gesamtprojekt und die einzelnen Projektteile ihren Niederschlag in der Jugendhilfeplanung der Stadt Hagen finden sollten. 

Vor diesem Hintergrund sollten gezielt Kontakte vertieft werden:

–       zur Bezirksvertretung Hagen-Nord
–       zum Jugendhilfeausschuss der Stadt Hagen
–       zum Schul- und Sportausschuss der Stadt Hagen
–       zum Jugendamt (Amtsleitung)
–       zum Schulamt (Amtsleitung).
–       zum Grünflächenamt

In zu planenden Gesprächen sollten einerseits fachliche Fragen und andererseits Leistungsmöglichkeiten erörtert werden. Die Entwicklung weitergehender Strategien wurde vorangetrieben. Zwischenzeitlich wurden sämtliche Angelegenheiten der politischen Außenvertretung über die „Initiative Netzwerk e.V.“ gebündelt (s. Kap. V).

X. Personal

Neben Arbeitsgemeinschaftsleiter/innen und dem Lehrpersonal der Schule ist es erforderlich, die Einrichtung mit regulärem Personal auszustatten. Eine Mindestvoraussetzung sind zwei volle Stellen, möglicherweise verstärkt durch Honorarkräfte. Hierzu müssen Verhandlungen mit der Stadt geführt werden. Mit der Perspektive, Personalkostenzuschüsse zu erhalten, sollte ebenso das Schulministerium einbezogen werden (z.B. in Richtung Anschubfinanzierung). Hierbei ist vor allem auf den Modellcharakter der Einrichtung hinzuweisen. Denkbar ist ebenso, dass zunächst Kräfte aus dem ABM-Programm der Arbeitsverwaltung und aus dem Programm „Hilfe zur Arbeit“ (Landesprogramm zur Bereitstellung von Arbeitsgelegenheiten für arbeitslose Sozialhilfeempfänger/ASHE) eingestellt werden 8. Vorstellbar ist ebenso der Kontakt zu Fachhochschulen und Fachschulen, mit dem Ziel, Praktikantinnen zu interessieren.

Bezüglich einer eventuellen „Regelbetreuung“ (Hortbetrieb) müssten zusätzliche Absprachen und Regelungen getroffen werden.

XI. Jugendhilfeplanung

Im jugendpolitischen Gesamtzusammenhang ist dafür Sorge zu tragen, dass das Projekt Eingang in die Jugendhilfeplanung der Kommune integriert wird.
Hinsichtlich der Planungskriterien, wie sie durch den 8. Jugendbericht der Bundesregierung vorgegeben und aus fachlicher Sicht unangezweifelt sind, böte das Projekt ausgezeichnete – auch experimentelle – Ansätze (Sozialraumorientierung statt quantitativer Flächendeckung, Lebensweltorientierung statt Einrichtungsplanung, Einmischung statt Abgrenzung, (fach-)politischer Diskurs statt Konfliktvermeidung, Beteiligung statt Ausgrenzung). Weitere Gebote des SGB VIII (KJHG) könnten ebenfalls eingelöst werden (z.B. §§ 1, 3, 4, 8, 9, 11 u.a.m.).
Ferner ist das Projekt geeignet, auch innerhalb unterrichtlicher Zusammenhänge Kinder- und Jugendbeteiligung zu proben und umzusetzen (Stichworte: Gesellschaftslehre, politische Partizipation von Kindern).

XII. Trägerschaft

In ersten Überlegungen wurden als mögliche Träger fr das Projekt „Abenteuerspielplatz Gesamtschule Hagen-Nord“ der Deutsche Kinderschutzbund, der ABA Fachverband und der Förderverein der Schule genannt. Ein weiteres Arbeitstreffen favorisierte ein Träger-Kooperationsmodell, dem angehören sollten:

– die Gesamtschule Hagen-Nord
– der ABA Fachverband
– der Deutsche Kinderschutzbund
– die Stadt Hagen (Jugendamt)
– der Arbeitskreis Kinder- und Jugendarbeit Hagen-Nord
– die Interessengemeinschaft Hagen-Nord.

Als Trägerverein wurde schließlich 1994 die „Initiative Netzwerk e.V.“ gegründet (s. Kap. V.). 

XIII. Umsetzung

Das Projekt sollte in mehreren Phasen umgesetzt werden, wobei zunächst vorhandene Ressourcen innerhalb der Schule deutlicher ermittelt und aktiviert werden sollten. Dies bezog sich beispielsweise auf den Technikbereich, der zwischenzeitlich einen Teil seiner Aktivitäten auf das Projekt konzentrierte.
Im Projektunterricht wurde nach den Sommerferien 1994 damit begonnen, das Gelände zu bearbeiten. Der Unterricht wurde durch verschiedene Anregungen (z.B. Besuch einer Kükelhaus-Ausstellung u.a.m.) flankiert.
Daneben wurden die SchülerInnen direkt in Planung und Umsetzung integriert. Ihre Vorstellungen und konzeptionellen Ideen sollten – soweit eben möglich – grundsätzlich in die Umsetzung einfließen. Foren hierfür sollten Arbeitsgemeinschaften und der Unterricht sein.
Hinsichtlich der Gestaltung des Geländes waren zeitweise drei Bereiche in Planung: ein Abenteuerbereich (Bauspielplatz, Biotop, Totholzbiotop usw.), ein Erlebnisbereich (unter Einbeziehung von Geräten) und ein Ruhe- und Kommunikationsbereich.
Bei der „künstlichen“ Ausgestaltung sollte nach Möglichkeit darauf geachtet werden, dass natürliche und naturnahe Stoffe verwandt werden, z.B. Steine und Stämme als Sitzgelegenheiten. Derartige Materialien steigern nicht nur den ästhetischen Wert der Anlage, sie verhindern in der Regel auch größere Zerstörungen durch Übergriffe von außen 
9.
Von der von Anfang an verfügbaren Infrastruktur sollten die sanitären Anlagen, Teile der Schule, Lagerräume sowie ein Materialhaus übernommen werden. Das vorhandene „Atrium“ böte sich – nach einer Renovierung z.B. durch eine AG – als Theater- und Mehrzweckbühne (Rockveranstaltungen, Open-Air-Konzerte) an. Die vorhandenen Felsen/Felswände sollten nicht überplant werden. Ferner sollte der im Gelände befindliche Hügel zunächst größtenteils als ökologische Reserve bestehen bleiben. 
In der weiteren Entwicklungs- und Investitionsschritten des Projekts war vorstellbar, auf dem Gelände einen Wasser-/Wasser-Sand-Matsch-Bereich sowie einen Tierbereich zu integrieren; letzter wäre in guter Weise geeignet gewesen, den Kindern(auch in ihrer Identität als „SchülerInnen“) zusätzliche Anreize zur Übernahme von (Eigen-) Verantwortlichkeit zu schaffen.

XIV. Ausbau anderer Kontakte

Zu unterschiedlichen Zwecken wurde es als sinnvoll betrachtet, gezielt diverse Kontakte aufzubauen.
Hinsichtlich einer Unterstützung bei der Gestaltung des Geländes war vorstellbar, das Technische Hilfswerk u.ä. Organisationen einzubeziehen. Beim Erstellen des Ökotops und anderer Naturelemente schien die Kooperation mit dem BUND als vorteilhaft; Kontakte bestanden hier seit dem Herbst 1994. So gab es beispielsweise eine persönliche Beratung beim Anlegen von Schneisen im Gelände und beim Rückschnitt von Gehölzen.
Über Kontakte zu Hochschulen (Fachrichtungen Pädagogik, Architektur usw.) hätte versucht werden können, StudentInnen und Lehrende für das Projekt zu interessieren und sie mit ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten für eine Beteiligung zu gewinnen. Seit April 1994 bestand ein Bezug zur Fachhochschule Bochum, Fachbereich Architektur. Das „Projekt Abenteuerspielplatz“ wurde dort im Rahmen einer Semesterhausarbeit einer Studentengruppe zur Verfügung gestellt. Deren Ergebnisse flossen zum Teil dann wieder in die Planungen ein.
Sofern Sachzusammenhänge auf der Hand liegen, hätten über die Initiative von Schul-Arbeitsgemeinschaften erfolgreiche Kontakte hergestellt werden, z.B. Musikveranstaltungen – Rockkünstler, bildnerisches Gestalten – darstellende Künstler/Künstlerhaus, Tierhaltung/Naturbezüge – landwirtschaftliche Betriebe usw. Ebenso schien der Kontakt zu Theater, Feuerwehr, Freilichtmuseum, Volkshochschule usw. durchaus potentielle Kooperation zu beinhalten. Der Phantasie waren weniger Grenzen gesetzt als den Ressourcen. Allerdings sollten alle Beteiligten, bevor sie die Ressourcenfrage als Quasi-Entscheidung über die Unmöglichkeit eines Vorhabens stellen, zuvor die Phantasie „grenzenlos“ ausschöpfen.

XV. Finanzierung

Wäre der AK ASP/Schule den seinerzeitigen Erfahrungen hinsichtlich etwaiger Finanzierungsmöglichkeiten gefolgt, wäre das Projekt bereits nach wenigen Arbeitssitzungen abgebrochen worden. Der Wille zur Realisierung war bei den Beteiligten zwischenzeitlich so groß, dass auch die Hinweise der Stadt, es gebe überhaupt keine Realisierungschancen, nichts von dem Engagement und der festen Absicht, den Plan umzusetzen, nehmen konnte.
Der Wohnungsverein (HGW), der auch dafür bekannt ist, sich auf sozialem Gebiet zu engagieren, zeigte sich von dem Konzept überzeugt und signalisierte eine – möglicherweise nicht unbedeutende – Beteiligung an den Kosten.
Ferner sollte ein gezieltes Sponsoring-Konzept aufgelegt sowie um Spenden (als Starthilfe) ersucht werden. Ob sich Sponsoren bereit gefunden hätten, sich an der Regelfinanzierung zu beteiligen, hat das Projekt leider nicht mehr erleben können. Im damaligen Planungszeitraum war neben einem Großsponsor an etliche Kleinsponsoren gedacht. Eine Liste potentieller Kleinsponsoren existierte bereits und sollte bei den weiteren Bemühungen „abgearbeitet“ werden.
Des weiteren sollten Verhandlungen mit der Stadt zeigen, ob es nicht doch noch Möglichkeiten gegeben hätte, das Konzept als Leistung der Jugendhilfe zu fördern.
Ferner sollten Schritte eingeleitet werden, das Land Nordrhein-Westfalen vom Modellcharakter des Projekts zu überzeugen, um auf diese Weise eventuell eine (Anschub-)Finanzierung zu erreichen.
Die Personalkosten sollen zunächst durch Drittmittel aufgebracht werden. In Frage hierfür wären gekommen die Arbeitsverwaltung (ABM) und das Sozialamt (Arbeit statt Sozialhilfe). Ebenfalls sollte darüber verhandelt werden, ob der Verein „Initiative Netzwerk e.V.“ nicht in die Lage hätte versetzt werden können, eine oder zwei Stellen über das Bundesamt für Zivildienst einzurichten.
Weitere potenzielle Quellen sollten ein: Stiftungsmittel, „Geld statt Stellen “ (GÖS), Freiwilliges Soziales Jahr usw.

XVI. Aktualisierung 2002

Das Experiment war möglicherweise „der Zeit voraus“. Jedenfalls ist es gescheitert. Die Hauptlast blieb bei der didaktischen Leiterin der Schule, die Vereinsvorsitzende der „Initiative Netzwerk e.V.“ war, „hängen“. Erforderliche Unterstützung durch andere Kräfte blieb – nach anfänglicher großer Euphorie – weitgehend aus. Die Seinerzeitige „Rettungsaktion“ – das Jugendcafé betreffend – schöpfte ungeahnte Energien und Ressourcen bei dem kleinen Trägerverein ab. Die Rettung des Jugendcafés wurde auch vom Konsultat der Republik Italien unterstützt, da es im Einzugsgebiet viele italienische StaatsbürgerInnen gibt und es sich bei den BesucherInnen häufig um junge ItalienerInnen handelte. Es gab eine Phase, in der die Aktivitäten um das Jugendcafé derart dominierten, dass die Bemühungen um das Projekt „Abenteuerspielplatz“ förmlich „unter die Räder“ gerieten. Ob Schule in Zukunft insgesamt ein feineres Gespür für die Aktualität und Sinnhaftigkeit solcher Bildungsmethoden entwickelt, die die Offene Arbeit mit Kindern anzubieten hätte, bleibt abzuwarten. Die Ergebnisse der PISA-Studien lassen ein wenig darauf hoffen, dass die Organisation einer staatlichen Trivilisationsanstalt (Heinz von Foerster) bei weitem nicht ausreicht, dem Bedarf junger Menschen adäquat zu entsprechen. An unserem hier dokumentierten Beispiel wird deutlich, dass – der ersten Euphorie folgend – das Schulsystem bislang geeignet war, KollegInnen, die etwas Neues, über das bislang Übliche Hinausgehendes anzufassen und auszuprobieren, auf treffliche Weise zu verheizen in der Lage war und ist.
In unserem Beispiel konnte mit einer Art erneuten „Rettungsaktion“ erreicht werden, die Trägerschaft für das Jugendcafé wieder an die Diakonie abzutreten. Der Trägerverein „Initiative Netzwerk“ wurde 1999 aufgelöst. Der Abenteuerspielplatz ist bis heute nicht realisiert worden. Bereits in seinen zarten Anfängen blieb die ganz praktische Arbeit fast ausschließlich bei der Vereinsvorsitzenden sowie den WerklehrerInnen hängen. Ohne vielfältige und vielseitige Unterstützung bzw. ohne, dass die Philosophie eines „Lernfeldes Abenteuerspielplatz“ umfassend in die Konzeption der Schule hätte integriert werden können, war das Projekt zum „Scheitern“ verurteilt. Möglicherweise hätte dies verhindert werden können, wenn die PISA-Studie ein paar Jahre früher erstellt worden wäre. 

Anmerkungen:
1 Angaben 1993 des Hagener Amtes für Statistik
2 Angaben 1992 des Hagener Amtes für Statistik
3 Aufgrund geänderter ministerieller Zuständigkeiten gibt es seit 2002 zwei Institute unter einem Dach, nämlich das Institut für Schule sowie das Institut für Qualifizierung
4 Ein solches Gesetz ist bis dato in NRW nicht realisiert worden.
5 Selbstverständlich ist eine fächerübergreifende Nutzung sehr gewünscht.
6 Aus fachlich-qualitativer Sicht böte sich eher an, von pädagogischer Begleitung“ zu sprechen.
7 Nach den Erkenntnissen, die uns die PISA-Studie beschert hat, können „die Karten“ ohnehin noch einmal neu „gemischt“ werden.
8 Das Landesprogramm wurde mittlerweile eingestellt. Es gibt aber noch die Möglichkeit, an kommunalen Programmen zu partizipieren.
9 Zwischenzeitlich ist hierzu ein sehr empfehlenswertes Buch erschienen, nämlich: Manfred Pappler/Reinhard Witt: NaturErlebnisRäume. Neue Wege für Schulhöfe, Kindergärten und Spielplätze, Seelze-Velber 2001.

NAGEL-Redaktion – Abenteuerspielplätze und Erlebnispädagogik

An die Redaktion „Aus dem Westen“ der WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung)

Schreiben vom 1. Oktober 2001

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf der Seite „Aus dem Ruhrgebiet“ befand sich in der heutigen Ausgabe der WAZ der Artikel „Im Big Tipi darf jetzt geklettert werden“ von Dieter Jaeschke. Meine Reaktion gilt der Aussage von Herrn Jaeschke, in der er konstatiert, dass in den kommenden zwei Jahren „rund um das Big Tipi ein Erlebnispark entstehen (soll), gegen den herkömmliche Abenteuerspielplätze alt aussehen“. 

Meine Frage an Herrn Jaeschke: Wissen Sie, was ein Abenteuerspielplatz ist? Und was ist ein „herkömmlicher Abenteuerspielplatz“?

Ich schreibe Ihnen im Auftrag des ABA Fachverbandes Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, einem Verband, der in Nordrhein-Westfalen sowohl die Abenteuerspielplätze als auch Erlebnispädagogik organisiert. Ich vermute, dass beim Schreiben ein „herkömmlicher Spielplatz“ assoziiert wurde, wobei auch in dieser Begrifflichkeit eine gewisse Gefahr steckt, da sich der „normale Kinderspielplatz“ in den letzten Jahren bezüglich seines Erlebniswertes nicht selten konstruktiv weiter entwickelt hat. Spielgerätehersteller wissen längst über die Bedeutung „riskanten Spielens“. Gleichwohl haben sich in den Köpfen – durchaus – wohlmeinender Erwachsener Stereotypen über langweilige Gerätespielplätze festgesetzt. Damit will ich nicht behaupten, dass es solche Langweiler-Plätze nicht mehr gibt. Wie hinter der sogenannten „Erlebnispädagogik“ steht auch hinter der „Abenteuerspielplatz-Pädagogik“ ein handlungsorientiertes Bildungskonzept. Abenteuerspielplätze und Erlebnispädagogik verfügen regelmäßig über zahlreiche methodische und inhaltliche Gemeinsamkeiten. Erlebnispädagogik wird nicht selten in ambulanter Form angeboten, Abenteuerspielplätze verfügen über ein ganzjährig zugängliches stationäres Gelände. Dank der Initiative der Stadt Dortmund ist es im Falle des Big Tipi gelungen, Erlebnispädagogik ebenfalls stationär einzurichten; dies in Verbindung mit dem seit fast dreißig Jahren bestehenden Abenteuerspielplatz Fredenbaum, eine der beachtlichsten Einrichtungen für Kinder auf dem Gebiet der Stadt Dortmund. In einer weiteren Bauphase werden die Bereiche des Abenteuerspielplatzes, die dem Big Tipi weichen mussten, wieder hergerichtet. Sowohl der Verein E.L.E. mit seinen engagierten MitarbeiterInnen als auch die fachlich versierten PädagogInnen des Abenteuerspielplatzes Fredenbaum sind Mitglieder in unserem Verband.

Mein Anliegen ist es, Sie davon zu überzeugen, dass die Formulierung in Ihrem Beitrag unzutreffend ist. Ferner wäre mir daran gelegen, die Redaktion der WAZ zu gewinnen, wieder vermehrt für das Konzept des Abenteuerspielplatzes zu werben. Das Big Tipi wird wohl eher ein Unikat bleiben, Abenteuerspielplätze könnten allerdings flächendeckend eingerichtet werden. Dies ist übrigens eine Empfehlung des Bundesregierung, die diese im 10. Kinder- und Jugendbericht (Bonn 1998) zum Ausdruck bringt. Im Bericht selbst kommt die Sachverständigenkommission unter der Leitung von Prof. Dr. Lothar Krappmann zu der Auffassung, dass sich beim Abenteuerspielplatz am ehesten „originäre kinderspezifische Ansätze entwickelt haben“ (vgl. 10. Kinder- und Jugendbericht, S. 223). Ich möchte noch einmal auf meine Vermutung zurückkommen, dass „herkömmliche Spielplätze“ (Langeweiler-Variante) assoziiert wurden. Dass derartige Spielplätze nicht in der Lage sind, kinderspezifische Möglichkeiten zu erzeugen, beobachtete bereits der Kopenhagener Gartenarchitekt Theodor Carl Sørensen Anfang der 40-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Er spürte die Kinder auf und fand sie auf Trümmergrundstücken, Schritthalden, Baustellen usw. Aus dieser Beobachtung wurden in der Folge in Dänemark die Gerümpel- und Bauspielplätze entwickelt. Die britische Gartenarchitektin Lady Allen of Hurtwood wurde von diesen Einrichtungen derart inspiriert, dass sie in England die ersten Abenteuerspielplätze („adventure playgrounds“) kreierte. Und bereits Wilhelm Reich wies in den zwanziger Jahren auf die Bedeutung derartiger Spielformen hin. Vielleicht ist ein Hinweis auf den Reformpädagogen Kurt Hahn, der gewissermaßen als der „Erfinder“ der Erlebnispädagogik bezeichnet werden kann, hilfreich, erhielt er doch von dem ehemaligen Reichkanzler, dem Prinzen Max von Baden den Auftrag, ein Internat zu organisieren. Es handelt sich dabei um das berühmte Schloss Salem in der Nähe des Bodensees. Auch heute noch befinden sich in besagtem Internat wie selbstverständlich ein Abenteuerspielplatz und eine Jugendfarm (Kinderbauernhof). Scherzhafterweise könnte man hinzufügen, dass „betuchte Eltern“ durchaus wissen, was für eine gedeihliche Sozialisation ihrer Kinder vonnöten ist.

Für die Kinder von Otto und Ottilie Normalverbraucher scheint es nicht so sehr darauf anzukommen. Um so weniger hilft Ihr Verweis auf den „herkömmlichen Abenteuerspielplatz“, der obendrein noch „alt aussieht“. Diese Aussage ist in höchstem Maße kontraproduktiv. Gerade heute kommt es vermehrt darauf an, Abenteuerspielplätze aus ihrem Nischendasein hervorzuholen und stärker als bislang zu fordern und fördern. Dies könnte durchaus auch Aufgabe der Presse sein.

Ein paar aktuelle Hinweise:

Der Essener Sportwissenschaftler Prof. Dr. Werner Schmidt – Ihre Zeitung berichtete u.a. darüber – kommt zu der alarmierenden Erkenntnis, dass acht von zehn Kindern, die gegenwärtig eingeschult werden, fehlentwickelt sind. Angesprochen sind hier Bewegungsstörungen, Haltungsschäden, Fehlernährung usw. Schmidt fordert dementsprechend Abenteuerspielplätze und mehr sportliche Aktivitäten; ferner vertritt er die Auffassung, Kinder müssten wieder vermehrt auf die Straße. Diese Auffassung vertreten wir ebenso. Andererseits ist uns klar, dass „die Straße“ anders als noch in den 50-er und 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgrund ihrer unübersehbaren Gefahren kaum noch als kindgerechter Spielraum genutzt werden kann. Ein weiteres Argument für mehr Abenteuerspielplätze.

Die Erkenntnis, dass Kinder draußen spielen wollen, hat überdies der Freiburger Forscher Dr. Baldo Blinkert in seiner sogenannten Freiburger Studie öffentlich gemacht (vgl. Blinkert: Aktionsräume von Kindern in der Stadt, 1993). Blinkert vertritt die Auffassung, dass Spielen im Freien durch nicht zu ersetzen sei und bei entsprechender Attraktivivtät von Kindern dem Spielen im Haus (inklusive der sogenannten „Neuen Medien“) vorgezogen würde. Dieser Erkenntnis kann ferner entnommen werden, dass Kinder selten domestizierte Angebote – etwa in sogenannten Jugendfreizeitstätten – benötigen. Für eine gelingende Sozialisation benötigen Kinder zahlreiche Optionen „unter freiem Himmel“, wie dies etwa bei Abenteuerspielplatz der Fall ist. Für diese Form der Bildungsarbeit spricht auch der Aspekt der kindlichen Gesundheitsförderung.

Hierzu ebenfalls ein paar Argumente: Unabhängig voneinander kommen diverse jüngere Untersuchungen zu der Erkenntnis, dass neuere „Zivilisationserscheinungen“ – wie die deutliche Zunahme von Allergien (Asthma u.a.) und anderer „Kinder“-Krankheiten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen usw.) – nicht selten geradezu hausgemacht sind. Unisono betonen beispielsweise die Professoren Dr. Dr. Claus Kroegel von der Universität Jena (Sie selbst berichteten am 2. April 2001 unter dem Titel „Ein bisschen Dreck ist gesund“ darüber) und Dr. Theodor Zimmermann von der Universität Erlangen (Sie berichteten am 14. August 2001 unter dem Titel „Zuviel Hygiene kann Kinder krank machen“ darüber), dass viele der Probleme hausgemacht sind. Dass der Abenteuerspielplatz   d i e   geeignete Einrichtung ist, diesen Phänomenen effektiv zu begegnen, versteht sich fast von selbst, belegen aber auch die Erfahrungen, die die sogenannten Waldkindergärten machen; kann hier doch festgestellt werden, dass Kinder, die sich vorwiegend im Freien aufhalten, kaum noch erkranken. Das Immunsystem bekommt schlicht die Informationen, die es benötigt, um Kinder gesund zu erhalten. Dass in England inzwischen Bakterien aus Kuhmist mit dem gleichen Ziel geimpft werden, sei hier nur am Rande erwähnt.

Ein weiterer Aspekt, der sowohl für die Aktivitäten im Big Tipi als auch auf dem Abenteuerspielplatz relevant ist, ist der des Risikos. Bis auf Nagelstichverletzungen gibt es auf Abenteuerspielplätzen keine typischen Verletzungen. Insgesamt ist die Verletzungsquote erstaunlich – wenn man sich mit der Materie auskennt: selbstverständlich – niedrig. Erlebnispädagogik arbeitet – wenn sie es verantwortungsvoll tut – immer mit Sicherungen. Der Abenteuerspielplatz kann regulär darauf verzichten, da die Gefahren erlernbar und zu bewältigen sind. Gleichwohl muss darauf verwiesen werden, dass es sich beim Abenteuerspielplatz vermutlich um die risiko- bzw. wagnisreichste Einrichtung handelt, die für Kinder konzipiert wurde. Das ist der Grund, dass es kaum nennenswerte Unfälle gibt: Kinder wachsen mit den Leistungen, die sie erbringen. Analog dazu hat Dr. Torsten Kunz gegen Ende der 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts (im Auftrage der Eigenunfallversicherung Frankfurt am Main, ergo der Gesetzlichen Unfallversicherung) herausgefunden, dass Kinder dann am stärksten gefährdet sind, wenn versucht wird, sie vor Gefahren zu schützen. Dies war der Hintergrund der zahlreichen Unfälle, die in Frankfurter Kindergärten und Schulen seinerzeit geschahen. Nachdem die Konzepte deutlich in Richtung grobmotorischer Schwerpunkte und weniger Behütung verändert wurden, konnte die Unfallquote drastisch gesenkt werden. Diese Erkenntnisse werden vertieft durch Aussagen des renommierten Quakenbrücker Arztes und Psychotherapeuten, Dr. Eckhard Schiffer (vgl. z.B. „Der Kleine Prinz in Las Vegas“, 1997). Eckhard Schiffer, der augenblicklich gemeinsam mit seiner Frau Heidrun ein Buch über Alternativen zur Medikation bezüglich hypermotorischer Kinder schreibt (Anm. d. Red.: Das „Zappelphilipp-Buch“ liegt inzwischen vor und kann über den Beltz Verlag bezogen werden.), vertritt mit mir die Auffassung, dass der Abenteuerspielplatz in den meisten Fällen hilfreicher als die „beste Tablette“ (z.B. das bekannte „Ritalin“ zur Ruhigstellung von Kindern) ist. Und spätestens seit Bruno Bettelheim wissen wir, dass Kinder Abenteuer und Märchen brauchen, was – wie gesagt – Wilhelm Reich bereits in den 20-er Jahres des letzten Jahrhunderts betonte.

Der Abenteuerspielplatz ist – wie die Erlebnispädagogik – ein wohldurchdachtes pädagogisches Konzept. Beide können unabhängig voneinander oder in der Kombination wie in Dortmund wesentliche Sozialisations- und Bildungshilfen geben. Dass dies erforderlich ist, konnten hoffentlich meine Argumente aufzeigen. Der Abenteuerspielplatz sieht jedenfalls nicht „alt“ aus, sondern ist eine attraktive und leider immer viel zu wenig beachtete Alternative, die für postmoderne Kindheit unbedingt erforderlich ist. Mindeststandards sind verbandlicherseits entwickelt worden. Auf Anfrage stellen wir sie gern zur Verfügung.

Ein Letztes: Bislang wurden Abenteuerspielplätze zumeist in der Offenen Arbeit mit Kindern entwickelt, wenn man einmal von Ausnahmen wie die erwähnten auf Schloss Salem absieht. Veränderungen von Kindheit (z.B. zunehmender zeitlicher Zugriff von Schule auf Kinder, Ganztagseinrichtungen) machen es allerdings überlegenswert, sich über die Etablierung von Abenteuerspielplätzen/Erlebnispädagogik (als handlungsorientierte Bildungsarbeit) in anderen Zusammenhängen weitergehende Gedanken zu machen; dies etwa in Schulen, Horten, Kindergärten usw. Von mir existiert bereits seit ein paar Jahren ein Konzept für einen Abenteuerspielplatz an der Schule. Einrichtungen, die sich entsprechend verändern wollen, hierbei zu unterstützen, könnte eine Aufgabe des ABA Fachverbandes sein.

Auf Ihre Unterstützung setzend

mit freundlichen Grüßen

Rainer Deimel

Referent für Bildung und Öffentlichkeitsarbeit
Systemischer Berater DGSF

NAGEL-Redaktion – Bestrafen von Kindern

Zehn Argumente gegen seelische und körperliche Schläge

von Jan Hunt

1. Kinder zu schlagen, lehrt sie, selbst zu Schlagenden zu werden. Studien und Untersuchungen haben den Zusammenhang zwischen Strafen in der Kindheit und gewalttätigem Verhalten von Jugendlichen und Erwachsenen eindeutig bewiesen. Nahezu alle gefährlichen Verbrecher waren in ihrer Kindheit regelmäßig bedroht und gestraft worden.

2. Die Bestrafung hinterlässt die Botschaft, es sei richtig, jemanden, der kleiner und schwächer ist als man selbst, zu misshandeln. Das Kind meint dann, es sei gut, kleinere Kinder mit Gewalt zu etwas zu zwingen. Als Erwachsener empfindet dieser Mensch kein Mitgefühl mit Schwächeren oder weniger Erfolgreichen und fürchtet die Stärkeren.

3. Kinder lernen am besten durch das Vorbild der Eltern. Strafen enthalten die Botschaft, man könne mittels Gewalt Gefühle ausdrücken und Probleme lösen. Wenn das Kind nicht erleben kann, dass die Eltern mit Ärger und Problemen phantasievoll und positiv umzugehen wissen, wie soll es selbst diese Fähigkeit ausbilden? Die Umgangsformen der Eltern gehen auf die nächste Generation über.

4. Das oft zitierte „Spare die Rute nicht“ ist in der Bibel lediglich an einer Stelle in den „Weisheiten Salomons“ im Zusammenhang mit Kindern erwähnt. Salomons Praktiken erwiesen sich bei der Erziehung seines Sohnes Rehabeam als sehr schlecht. Jesus sah die Kinder nahe bei Gott und sprach von Liebe, nicht von Strafe.

5. Die Liebe zwischen Eltern und Kindern wird durch Strafen unmöglich gemacht, weil kein Mensch einen anderen wirklich lieben kann, der ihn körperlich und seelisch bestraft. Ein wahres Zusammenwirken zwischen Eltern und Kindern kann nur in liebevollen Gefühlen gründen, die durch viele Beispiele von freundschaftlichen und zusammenwirkenden Handlungen entstanden sind. Strafen, sogar wenn sie erfolgreich zu sein scheinen, produzieren nur „gutes“ Verhalten aus Angst.

6. Wut, die nicht gefahrlos ausgedrückt werden kann, wird innerlich gespeichert. Wenn diese Wut lange zurückgehalten worden ist, kann sie plötzlich, für die Eltern völlig überraschend, zum Ausbruch kommen, wenn der Heranwachsende später einmal ausreichend Kraft besitzt, seinen Zorn auszudrücken. Das „gute“ Verhalten bestrafter Kinder wird später von den Eltern und der Gesellschaft teuer bezahlt.

7. Schläge auf das Gesäß, während der Kindheit eine der erogenen Zonen, können zur Verknüpfung von Schmerz und erotischer Lust und damit zu Schwierigkeiten im späteren Leben des Erwachsenen führen.

8. Hiebe können auch körperlichen Schaden anrichten. Schläge auf das untere Ende der Wirbelsäule bewirken einen Schock die ganze Wirbelsäule entlang; dadurch können sogar Blutergüsse im Gehirn verursacht werden. Beschädigungen von Nerven können zu Lähmungen führen

9. In jedem Fall antwortet das Kind auf die Vernachlässigung seiner fundamentalen Bedürfnisse früher oder später mit Krankheit oder Destruktion. Sein größtes Bedürfnis ist die liebende Aufmerksamkeit der Eltern. Leider erhalten in unseren Tagen nur wenige Kinder genug Zeit und Aufmerksamkeit von Seiten ihrer Eltern, weil diese oft müde und abgelenkt sind und dem Kind zuwenig Verständnis und Geduld entgegenbringen. Es ist im tiefsten Sinne ungerecht und nicht fair, das Kind zu bestrafen, wenn es doch nur ganz natürlich auf die Vernachlässigung seiner wichtigsten Bedürfnisse und Wünsche reagiert.

10. Bestrafungen lenken das Kind vom Geschehen in der konkreten Situation und den eigentlichen Problemen ab. Es ist innerlich mit Schmerz, Angst, Wut und Rache beschäftigt. Damit wird ihm die Gelegenheit genommen, Probleme in kreativer Weise zu lösen. Die Eltern berauben sich durch das Strafen des Kindes der Möglichkeit, mit dem Kind spielerisch Problemlösungen zu üben und ihm Weisen zu vermitteln, wie mit Schwierigkeiten umgegangen werden kann. Strafen verhindern, dass das Kind lernt, sich in schwierigen Situationen zurechtzufinden. Liebende Begleitung ist der einzige Weg, um die nächste Generation zu wirklich kooperativem Verhalten zu befähigen. „Gutes“ Verhalten, das in Angst gegründet ist, kann niemals ein friedliches Zusammenleben bewirken. Starke innere Werte können nur in Freiheit gedeihen.

Frei ins Deutsche übertragen von Alice Miller

 

Warum man Kinder nicht strafen soll

Von J. Konrad Stettbacher

Auch das Kind macht Fehler. Wenn sein Handeln ihm Schmerzen bereitet, dann wird es den Fehler merken und sein Verhalten ändern, sobald ihm das möglich ist. Es wird versuchen, die Fehler zu vermeiden.

Wird das Kind für Fehler bestraft, gescholten, geschlagen, entstehen in ihm negative Gefühle, zerstörerische und selbstzerstörerische, schlummernde negative Reaktionen. Weil es keine Fehler machen will und die Eltern liebt, auf sie angewiesen ist, kann es meist Brutalität und Demütigungen der Eltern nicht als solche erkennen. Strafe sei Liebe, ist eine Lüge. Bestrafung bewirkt Fehlleistungen in der Aufmerksamkeit des Kindes, es bezweifelt die Fähigkeiten und Möglichkeiten seiner Person, es wird unkritisch gegen Menschen und beginnt gleichzeitig zu hassen.

Ein Kind, das ständig kritisiert wird, lernt verdammen.

Ein Kind, das ständig geschlagen wird, lernt selbst zu schlagen.

Ein Kind, das der Ironie ausgesetzt wird, wird verwirrt.

Zum Gegenteil:

Ein Kind, das ermuntert wird, lernt Selbstvertrauen.

Ein Kind, dem mit Toleranz begegnet wird, lernt Geduld.

Ein Kind, das gelobt wird, lernt Bewertung.

Ein Kind, das Ehrlichkeit erlebt, lernt Gerechtigkeit.

Ein Kind, das Freundlichkeit erfährt, lernt Freundschaft.

Ein Kind, das Geborgenheit erleben darf, lernt Vertrauen.

Ein Kind, das geliebt, geschützt und umarmt wird, lernt Liebe in dieser Welt zu empfinden.

Ein Kind, dem Achtung und Verständnis entgegengebracht werden, weiß sich in der Welt und Gesellschaft zu Hause.

Anm. der Red.: Von J. Konrad Stettbacher erschien bei Hoffmann und Campe, Hamburg (1990) der Band „Wenn Leiden einen Sinn haben soll. Die heilende Begegnung mit der eigenen Geschichte.“

aus: DER NAGEL 54/1992

NAGEL-Redaktion – Abenteuerspielplatz und Amazonas

Eckhard Henscheid, der in seiner erquicklichen Art immer wieder für literarische Erfreulichkeiten sorgt, war der Auffassung, das Thema „Abenteuerspielplatz“ würde ebenso in seinen Kompetenzbereich fallen. Insofern beschrieb er ihn in seinem Lexikon „Dummdeutsch“ (erschienen in zwei Bänden 1985 und 1986, zusammengefasst und überarbeitet (!) 1992 und von ihm selbst im Vorwort vom 31.12.1992 als „definitives Buch“ bezeichnet) folgendermaßen: „Abenteuerspielplatz: Steht zum Abenteuer in ähnlichem Verhältnis wie das Hallenbad zum Amazonas. Hundertprozentig daneben.“ Das Buch erschien 1993 bei Reclam. Mit Datum vom 16. Mai 1997 sahen wir uns zu einer Reaktion bemüßigt. Diese Reaktion wurde als offener Brief verfasst und unsererseits über den Haffmanns Verlag in Zürich an Eckhard Henscheid weitergeleitet. Eine Reaktion blieb leider bislang aus. Veröffentlicht hatten wir den Brief bereits in unserer Broschüre „stichWort 10 – Stichwort ´Abenteuerspielplätze´“, die 1998 erschien. 

Offener Brief an Herrn Eckhard Henscheid

Lieber Eckhard Henscheid,

mit Lust und Leidenschaft nehme ich immer wieder ihre „Sudeleien“ und anderes aus Ihrer Feder zur Hand. Tränen habe ich gelacht, was leider nicht oft vorkommt, als ich mir Satz für Satz ihre Glosse „Zur Dialektik der Polizei – Wie Suhrkamp noch viele schöne Buchtitel machen könnte“   auf der Zunge habe zergehen lassen. Und immerhin ist es Ihnen gelungen, sogar das in unserem Verband organisierte Mitglied, Frau Delia Temmler-Häring aus Herten, für Ihre „Denkmal-Rückseite – Abermals für unsere neu-deutschen Närrinnen“   ausfindig zu machen. Stattliche Recherche-Leistung! Ich lasse mir „Ihre Spitzen“ auf der Zunge zergehen. „Es hört und hört und hört nicht auf – und warum sollte es auch?“ (Lord Beaverbrook d.J.) Insofern befinde ich mich in guter Gesellschaft etwa mit der hier in Nordrhein-Westfalen geschätzten Elke Heidenreich, die genau wie Sie, gern gegen den Strich bürstet.
Ich hatte überlegt, ob ich das feine Wörterbuch „Dummdeutsch“   in unsere Medienrubrik aufnehmen sollte und kam dabei zu dem Schluss, darauf zu verzichten und Ihnen statt dessen diesen Brief zu schreiben. Wir vertragen einiges, insofern können wir auch ganz unaufgeregt in diesen (hoffentlich!) Dialog gehen. Gleich auf der ersten Seite unter „A“, der Seite 11 des Wörterbuches, auf der Seite, auf der auch unser Verband hätte stehen müssen, wenn er die Voraussetzungen erfüllt hätte, oder vielleicht, wenn er Ihnen bis dato gekannt gewesen wäre, gleich auf dieser Seite befindet sich als dritter Begriff, kurz und knapp, das Wort „Abenteuerspielplatz“. Und Sie führen aus: „Steht zum Abenteuer in ähnlichem Verhältnis wie das Hallenbad zum Amazonas. Hundertprozentig daneben.“ Da haben wir’s!
Vorweg: Grundstücke, die sich „Abenteuerspielplätze“ nennen und von denen wir den Eindruck haben, „dass sie zum Abenteuer in ähnlichem Verhältnis wie das Hallenbad zum Amazonas stehen“, kennen wir – leider, leider – auch zu genüge. Wir wissen nicht, auf welchem Gelände Sie ihre Eindrücke haben sammeln und verfestigen können. Auf jeden Fall könnten wir Ihnen Adressen von Orten empfehlen, wo Sie gewiss den Amazonas-Hallenbad-Vergleich relativieren müssten.
Die Diskussion um Begriffe fand „in unserer Szene“ zwischen 1975 und 1980 statt. Der Begriff hat uns als Erfindung der fünfziger Jahre aus dem Britischen („adventure playground“) erreicht. Nach Meinung der englischen Gartenbauarchitektin Frau Allen of Hurtwood sollte er zum Ausdruck bringen, dass Kindern dort – zwar auf künstliche Weise – „abenteuerliche“ Flächen zur Verfügung gestellt würden, wo ihnen natürliche Erlebnisräume zunehmend streitig gemacht wurden. Dieser Begriff fand auch bei der Gründung des ersten Abenteuerspielplatzes in Deutschland, 1967 im Märkischen Viertel zu Berlin, Verwendung. Aus dem Dänischen kannten wir bis dahin den Begriff des „Bauspielplatzes“, der übrigens bereits nach der russischen Revolution in Moskau bekannt war. Die Schweizer reicherten die Palette noch mit dem „Robinson-Spielplatz“ an. Ihre „Amazonas-Bedenken“ mögen wohl auch Jugendhilfe- und Raumplaner gehabt haben, als sie auf so skurrile Schöpfungen wie „Großspielanlagen“ und „Spielparks“ gekommen sind. Selbst die Tautologie „Aktivspielplatz“ musste herhalten.
Dabei drückt gerade der Begriff „Abenteuer“ das aus, was kindgemäß geschaffen wurde bzw. werden soll: Ein großes Stück Land, auf dem Kinder ohne die ständige Gängelei von Erwachsenen selbstständig und in Gruppen vielfältige Erfahrungen machen, Erfahrungen mit Feuer, Wasser, Erde und Luft, wo sie sich wie „die Schweine im Schlamm wälzen“ dürfen, wo sie Wertschätzung durch andere Kinder und Erwachsene (PädagogInnen) erfahren, ein Ort, an dem sie lernen können, dass sie – möglicherweise ungeahnte – schöpferische Qualitäten haben. Und wir befinden einmal wieder in guter Gesellschaft mit dem großen Pädagogen Bruno Bettelheim, der erkannt hat, dass Kinder für eine gesunde Entwicklung Abenteuer (und Märchen) benötigen. Die augenblicklichen gesellschaftlichen Zustände – besser: die Verantwortlichen für diese Zustände – schränken Kinder kolossal ein. In der Folge wird lamentiert, Kinder seien immer unfähiger; unfähig, was ihre Körperbeherrschung, ihr kreatives Potential, ihre motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten und ihr soziales Empfinden angeht. Solchen Kinder fehlen in der Regel „Abenteuerspielplätze“. Ein Abenteuerspielplatz ist eine gefährliche Einrichtung. Und genau das ist der Grund, warum Kinder hier so wenig Schäden erleiden. Sicherlich werden Ihnen entsprechende Versicherungen auf Anfrage gern bestätigen, dass das tatsächliche Risiko für Heranwachsende – in realiter – in „behütenden“ Einrichtungen, etwa dem Kindergarten und der Schule, deutlich höher ist.

Lieber Eckhard Henscheid,

ich vermute, dass Sie bislang noch nicht in den Genuss gekommen sind, einen „Abenteuerspielplatz“ kennen lernen zu dürfen. Wir möchten Sie dazu einladen, dies nachzuholen und stehen Ihnen herzlich gern für weitere Absprachen zur Verfügung. Wir würden dabei nicht in missionarischem Eifer handeln; zugestandenermaßen sind wir – genau so wenig wie Mutter Teresa – uneigennützig. Es wäre uns schon ein Vergnügen, in Ihnen einen Fürsprecher für eine überaus aktuelle und zeitgemäße Jugendhilfeeinrichtung gewinnen zu können.

Rainer Deimel

ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern

P. S.: Wir möchten es nicht versäumen, weiteren LeserInnen dieses Briefes Ihre literarischen Ergebnisse wärmstens ans Herz zu legen.

NAGEL-Redaktion – Dokumente

NAGEL-Redaktion – DJI Bulletin

Dossiers und Berichte aus dem Deutschen Jugendinstitut

Bis Februar 2007 hatten wir Ihnen auf unseren Seiten einzelne Ausgaben des „DJI Bulletins“ zugänglich gemacht. Diese sind nach wie vor thematisch zugeordnet zu finden. Zum Aufsuchen empfehlen wir, vor allem, wenn Sie es eilig haben, am besten mit Hilfe von Suchmaschinen: „ABA Fachverband“ eingeben und die Stichwörter, nach denen Sie suchen. 

Um einen sinnvollen Auftritt im Netz zu organisieren, muss sich eine Redaktion entscheiden, entweder „spartanische“ Angebote zu machen oder ein Füllhorn von Möglichkeiten zu bieten. Wir – die NAGEL-Redaktion – haben uns für Letztgenanntes entschieden. Deshalb haben wir im Februar 2007 das „DJI Bulletin“ ab Frühjahr 2001 hier eingestellt. Die Ausgaben finden Sie anschließend zum Herunterladen aufgelistet, wobei die jeweils letzte Ausgabe oben steht.

Mit der Ausgabe 92/93 hat das Deutsche Jugendinstitut sein „Bulletin“ umbenannt in „DJI impulse – Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts“.

DJI impulse 99 – Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts (3/2012): Lebenswelten Jugendlicher: Freunde, Schule, Job: Was die Jugendheute bewegt – Vom Wandel der Jugend (Erwachsenwerden in der Leistungsgesellschaft) – Aufwachsen im Osten (DJI-Studie über Kindheit und Jugend in ostdeutschen Regionen) – Kultur und Freizeit (Die Generation 2.0 zwischen Facebook und Fußball)

DJI impulse – Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts (2/2012): Kinderbetreuung: Ausbau, Qualität und Herausforderungen in der Früherziehung – Eltern und Kitas im Vergleich (Wer betreut am besten?) – Rechtsanspruch bei Platzmangel (Wann Eltern Schadenersatz zusteht) – Jugend-Migrationsreport (Es gibt nicht nur Verlierer

DJI impulse – Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 97 (1/2012): Kinder und Jugendliche im Genrationengefüge: Lebenslagen, Beziehungen, Übergänge – Zwischen Konflikt und Solidarität – Das Leben im Umbruch – Wie Kinder Krisen meistern – Banden, Cliquen, Peers – Jugend heute: im Zwiespalt – Männer: nicht immer im Vorteil – Autonomie und Zuwendung – Geschwisterbeziehungen im Wandel – Keine Zeit zu zwei – Neue Orte der Begegnung – Vereine: Auslaufmodell oder Treffpunkt der Generationen? – u.a.

DJI impulse – Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 96 (4/2011): Sprachliche Bildung: Wie Kinder Sprache erwerben und pädagogische Fachkräfte sie dabei unterstützen können – Glossar zur sprachlichen Bildung – Perspektiven für die Kindertagespflege – Jugendhilfe vor neuen Herausforderungen – Interview: „Konsum ist sozial konstruiert“

DJI impulse – Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 95 (3/2011): Sexuelle Gewalt gegen Kinder. Missbrauch in Institutionen. Forschungsergebnisse und Empfehlungen für einen besseren Kinderschutz – Missbrach verhindern: An wen sich Präventionsmaßnahmen richten und wie sie wirken – Jugend-Migrationsreport: Gorschungsüberblick zur Bildungssituation Jugendlicher – Spielzeug Internet: Was Kinder im Internet suchen und worauf Eltern achten sollten (48 Seiten, 3.500 KB)

DJI impulse – Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 94 (2/2011): Mythos Prävention – Chancen und Grenzen präventiver Konzepte – Päventiver Kinderschutz: Frühe Hilfen und ihrer möglichen negativen Folgen – Jugend und Web 2.0: Kontroversen über das Internet – Folgen der Finanzkrise: Wenn junge Menschen keinen Job finden (36 Seiten, 2.800 KB)

DJI impulse – Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 92/93 (1/2011): Aufwachsen in Deutschland. Wie Eltern, Jugendliche und Kinder heute leben und welche Unterstützung Famlien brauchen (mit bisher unveröffentlichten Daten).

DJI Bulletin 91 (3/2010): Ganz ist nicht genug: Was Ganztagsschulen in Deutschland leisten – und welche Potenziale noch ungenutzt bleiben. Bulletin PLUS: Ganztags lernen – ein Glossar (36 Seiten, 952 KB)

DJI Bulletin 90 (2/2010): Die soziale Seite der Bildung. Wie benachteiligte Kinder und Jugendliche in Deutschland gefördert werden – und welche Konzepte zukunftsfähig sind. Eine Analyse anlässlich der Prognosen im Nationalen Bildungsbericht 2010. Bulletin PLUS: Bildungsperspektiven (44 Seiten, 1.000 KB)

DJI Bulletin 89 (1/2010): Geteilte Sorge. Wie sich die Trennung der Eltern auf Kinder auswirkt – und die Familien einen Neuanfang meistern können. Bulletin PLUS: Familienrecht im Wandel (40 Seiten, 1.200 KB)

DJI Bulletin 88 (4/2009): Experiment Familie – Der globale Wandel und die folgen: Wie Mütter, Väter und kinder den Alltag bewältigen. Kinderarmut verlangt neue Politik. Bulletin PLUS: Zur Herstellung von Familie (28 Seiten, 500 KB)

DJI Bulletin 87 (3/2009): Gesund groß werden: Was Kinder krank macht – und welche Rezpete helfen. Bulletin PLUS: Gesundheit neu denken (36 Seiten, 1.200 KB)

DJI Bulletin 86 (2/2009): Das Generationen-Geheimnis. Wie Jung und Alt den Wandel der Gesellschaft meistern können. Thema „Demografie“. Bulletin PLUS: Bausteine zur Generationanalyse (40 Seiten, 700 KB)

DJI Bulletin 85 (1/2009): Das Wissen über die Kinder – eine Bilanz emprischer Studien – Zweckfreie Kindheit – Private Kindheit – Verarmte Kindheit – Gesunde Kindheit – Betreute Kindheit – Kompetente Kindheit – Multikulturelle Kindheit – Gute Kindheit. Bulletin PLUS: Kinderforschung in Deutschland (60 Seiten, 1,8 MB)

DJI Bulletin 83/84 (3/4 2008): Väter – Wege in die Vaterschaft – Vorstellungen vom Vatersein – Kinder wünsche junger Väter – Ältere Väter – Inhaftierte Väter. Bulletin PLUS: Väterbilder – Vätertypen – Stichworte zu historischen und empirischen Variationen (56 Seiten, 2,8 MB)

DJI Bulletin 82 (2/2008): „Kinderwelten – Familienwelten“ – Qualitative Sozialforschung am DJI – Mit den Augen der Kinder – Pflegekinder kommen zu Wort – Angebote im Kinderhaus (43 Seiten, 660 KB)

DJI Bulletin 81 (1/2008): Gerechtes Aufwachsen ermöglichen – Bildung – Integration – Teilhabe – Beiträge zum 13. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (40 Seiten, 700 KB)

DJI Bulletin 80 (3/4 2007): Kindertagesbetreuung in Deutschland. Finanzen. Pädagogische Konzeption. Qualität. Personal. Qualifizierung. Kindertagespflege. Kinderbetreung in Deutschland – Entwicklung und Begriffe (52 Seiten, 977 KB)

DJI Bulletin 79 (2/2007): Jugend in Europa. Jugendpolitik. Zukunft. Gesundheit. Bildung. Arbeit. Familie. EU-Jugendpolitik – ein Glossar. (40 Seiten, 610 KB)

DJI Bulletin 78 (1/2007): Ganztagsschulen. Ganztagsbildung. Entwicklung der Ganztagsschule. Chancengleichheit. Lokale Bildungslandschaft. Schule und Partner. Individuelle Förderung. Ganztagsschule – ein Glossar. (36 Seiten, 794 KB)

DJI Bulletin 77 (4/2006): Kinder in Deutschland. Kinderbetreuung. Kinderleben. Pflegekinder. Sicht der Kinder. Kinder im Zahlenspiegel. DJI PLUS: Quantitative Forschungsmethoden. (36 Seiten, 1,4 MB)

DJI Bulletin 76 (3/2006): Jugend und Migration. Migration und Bildung. Migrationshintergrund. Migration oder Milieu. Multukulti funktioniert. Sprachgebrauch – Freundeskreis. Interkulturelle Beziehungen. DJI Bulletin PLUS: Interkulturelle Kompetenz. (36 Seiten, 1,4 MB)

DJI Bulletin 75 (2/2006): Gender. Geschlechterdebatten. Angleichung der Geschlechter. Gewalt und Geschlecht. Jungenarbeit – ein Defizit. Gender Mainstreaming. Kinder- und Jugendhilfe – ohne Männer? DJI Bulletin PLUS: Gender Mainstreaming. (40 Seiten, 2,3 MB)

DJI Bulletin 74 (1/2006): Zukunft Familie. Familienpolitik in Europa. Wandel von Familienrollen. Szenarien: Siebter Familienbericht. Familienzeit. Entgrenzte Arbeit – Entgrenzte Familie. Männer und Familiengründung. Nachbarschaftsentwicklung = Stadtplanung. DJI Bulletin PLUS: Zeitpolitik für Familien. (36 Seiten, 1,6 MB)

DJI Bulletin 73 (Winter 2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht: Bildung, Betreuung und Erziehung vor und neben der Schule. Kinderbetreuung. Gesundheit. Ethnische Zugehörigkeit. Übergang von Schule – Beruf. Beteiligung der Jugend. Bildungsorte und Lernwelten. Schule & Partner. Kommunale Bildungslandschaften. DJI Bulletin PLUS: Lernen: informell. (40 Seiten, 1,5 MB)

DJI Bulletin 72 (Herbst 2005): Von großen Erwartungen und ersten Schritten – Kriminalprävention (Dossier). Mit Zwang zum Erfolg? – Freiheitsentziehende Maßnahmen. Frühprävention von Gewalt gegen Kinder in psychosozial belasteten Familien. Familien sind keine „Inseln“. DJI Bulletin PLUS: Evaluation – einige Sortierungen zu einem schillernden Begriff. (20 Seiten, 1 MB)

DJI Bulletin 71 (Sommer 2005): Kooperation von Schulen mit außerschulischen Akteuren – Chance für die Lernkultur? (Dossier) Black Box Familie: Wie kompetent sind Eltern in ihrer Erziehung? Ein neuer Blick auf die Bildungsprozesse von Kindern. Neue familienpolitische Arrangements vor Ort. (16 Seiten, 2,5 MB)

DJI Bulletin 70 (Frühjahr 2005): Gute Nachrichten: Azubis unterschiedlicher Herkunftskultur verstehen sich gut (Dossier). ErzieherInnenausbildung vor dem Neuanfang? Entscheidungen bei Kindeswohlgefährdung. Zu wenig und die „Falschen“? – Kinderlosigkeit als komplexes Bedingungsgeflecht. (16 Seiten, 1 MB)

DJI Bulletin 69 (Winter 2004): Hoffnungen und Ängste – Jugendliche aus Zuwandererfamlien an der Schwelle zur Arbeitswelt (Dossier). Männer und Familiengründung. Zeit zum Leben-Lernen? Frühförderung für Kinder aus sozial benachteiligten Familien. (16 Seiten, 1 MB)

DJI Bulletin 68 (Herbst 2004): Wundermittel gesucht! – Vom schwierigen Umgang mit schwierigen Jugendlichen (Dossier). Konkurrierende Gesetzgebung als Chance für die Jugendhilfe. Familie neu denken. Lokale Netzwerke und kommunalpolitische Steuerung und benachteiligten Stadtteilen. (16 Seiten, 936 KB)

DJI Bulletin 67 (Sommer 2004): Lebenswelt von Kindern – mit ihren Auggen gesehen (Dossier). Wie entdecken Kinder das Internet? Neue Perspektive für die Tagespflege. Länger lernen in der Schule? (16 Seiten, 2,4 MB)

DJI Bulletin 66 (Frühjahr 2004): Auch das noch?! – Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendhilfe (Dossier). Neuer Politikansatz im Visier: Lokale Bündnisse für Familie. Schlüsselkompetenz Sprache. Partizipation im Kontext erzieherischer Hilfen. (16 Seiten, 1,8 MB)

DJI Bulletin 65 (Winter 2003): Familienkompetenzen als Potenzial für eine innovative Personalpolitik (Dossier). DJI legt Konzeption für einen Nationalen Bildungsbericht vor. Fußfesseln für Schulschwänzer? Trotz besserer Leistungen der Mädchen noch keine Geschlechtergleichheit in der Schule. (16 Seiten, 1,8 MB)

DJI Bulletin 64 (Herbst 2003): 40 Jahre Deutsches Jugendinstitut (Dossier). Perspektiven für die Zukunft. Vom Sputnik-Schock zur Pisa-Studie: Kindheit und Bildung in den Arbeiten des DJI. Jugendhilfeforschung zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis. Von der traditionellen Elternarbeit zu einer neuen Sicht auf Familien. Eine Spezialität des Hauses: Repräsentative Längsschnitte zu Familie, Jugend und Kindern. (24 Seiten, 2,6 MB)

DJI Bulletin 63 (Sommer 2003): Jugendliche in Europa auf dem Weg in die Selbstständigkeit (Bulletin). Vier Jahrzehnte Jugendforschung am DJI. Sicherheitsrisiko Jugend oder Youth at Risk? Internationale Forschung zu Lebenslagen von Kindern. (16 Seiten, 236 KB)

DJI Bulletin 62 (Frühjahr 2003): Familiäre Bereitschaftsbetreuung – Erfahrungen und Perspektiven (Dossier). Integration beginnt im sozialen Nahraum. Migration, Ethnie und Geschlechterverhältnisse. Bildungsmaßnahmen gegen Rechtsextremismus. (16 Seiten, 200 KB)

DJI Bulletin 60/61 (Winter 2002): Bildungs- und Lerngeschichten von Kindern. Die PISA-Verlierer: Von der Schule ins berufliche und gesellschaftliche Abseits? (Dossiers) Zur Lebenssituation von Stieffamilien. Guter Start mit Opstapje. Entgrenzung der Erwerbsarbeit – Zukunftsfähigkeit der Familie. (32 Seiten, 455 KB)

DJI Bulletin 59 (Herbst 2002): Angebotsstruktur der Kinder- und Jugendhilfe – Jugendhilfe und sozialer Wandel (Dossier). Interview mit Prof. Dr. Thomas Rauschenbach. Ehrenamt und Jugendarbeit. Internet – ein Gewinn für die Frauenpolitik. (16 Seiten, 1 MB)

DJI Bulletin 58 (Frühjahr 2002): Elfter Kinder- und Jugendbericht – Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung (Dossier). Des Instituts neue Kleider. Chancengleichheit nicht in Sicht! Schule und Jugendforschung. (16 Seiten, 585 KB)

DJI Bulletin 56/57 (Dezember 2001): Mädchen in gewaltbereiten Jugendgruppen – kein Thema für die Jugendarbeit? (Dossier) – Sozialräumliche Vernetzung in städtischen Armutsquartieren – erste Erfahrungen und Herausforderungen (Dossier). Early Excellence Centers. Paritzipation von Kindern und Jugendlichen als gesellschaftliche Utopie. Die Entdeckung der Mädchen. (32 Seiten, 642 KB)

DJI Bulletin 55 (September 2001): Partizipation von klein auf fördern (Dossier). Fördern und  Fordern. 1. Europäischer Jugendbericht: Zur Lage der Jugendlichen und zur Jugendpolitik. (16 Seiten, 263 KB)

DJI Bulletin 54 (Mai 2001): Deutschland wird älter (Dossier). Kein Bock auf Schule? Wie kann Jugendhilfe kriminelle Aussiedlerjugendliche erreichen? (20 Seiten, 1,3 MB)

Letzte Aktualisierung dieser Seite: 25. September 2012 (de)

Gewalt ist keine Lösung

Gespräch zwischen Stephan B. Antczack und Siegfried Kühbauer, dem langjährigen Projektkoordinator der Weddinger Kinderfarm zur Räumung der Einrichtung mit Staatsgewalt.

Stephan B. Antczack: Die ehemalige Bezirksjugendstadträtin Sabine Smentek (SPD) ließ am 20. Juni 2016 die Weddinger Kinderfarm in Berlin-Mitte mit Polizeigewalt räumen. Eine Eskalation auf Kosten von Kindern, Jugendlichen und rund 60 Haustieren. Wie begründete die Stadträtin diesen Schritt?

Siegfried Kühbauer: Ja, es stimmt, dass diese SPD-Stadträtin ausgerechnet am internationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung mit Staatsgewalt die berechtigten Kinder, Jugendlichen und deren Familien gegen deren Willen aus unserer Einrichtung vertrieben hat (das Bundesinnenministerium hatte übrigens rechtzeitig alle Bundesländer aufgefordert, diesen Tag „würdig“ zu begehen). Begründet wurde dies von ihr damit, dass dieses „unverzichtbare Angebot … wieder nach fachlichen Gesichtspunkten in der Steuerungsverantwortung des Jugendamtes Mitte durchgeführt werden kann“. Dann wurde die Einrichtung für über eine Monat unter „Wachschutz“ geschlossen und danach zunächst für einen halben Tag geöffnet, um dann den Betrieb wieder aufzunehmen. In den 33 Jahren in denen der Weddinger Kinderfarm e. V. die fachliche Verantwortung getragen hat, wurde die Einrichtung keinen einzigen Tag geschlossen. Im sogenannten Qualitätsdialog hatten wir immer die höchste zu erreichende Punktzahl.

Mitglied werden

ABA-Mitglieder begreifen sich als Solidargemeinschaft. Sie setzen sich in besonderer Weise für die Belange der Offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein.

Aktuelle Projekte

Was macht der ABA Fachverband eigentlich? Hier stehts´s! Besuchen Sie die derzeitigen ABA-Baustellen.

Der i-Punkt Informationsdienst: handverlesene Infos aus der ABA-Welt, regelmäßig und kostenlos, direkt in Ihr Postfach.
Hinweis: Ihre E-Mail Adresse wird gespeichert und verarbeitet, damit wir Ihnen eine Bestätigungsmail schicken können. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Nach oben scrollen