Gewalt ist keine Lösung

Gespräch zwischen Stephan B. Antczack und Siegfried Kühbauer, dem langjährigen Projektkoordinator der Weddinger Kinderfarm zur Räumung der Einrichtung mit Staatsgewalt.

Stephan B. Antczack: Die ehemalige Bezirksjugendstadträtin Sabine Smentek (SPD) ließ am 20. Juni 2016 die Weddinger Kinderfarm in Berlin-Mitte mit Polizeigewalt räumen. Eine Eskalation auf Kosten von Kindern, Jugendlichen und rund 60 Haustieren. Wie begründete die Stadträtin diesen Schritt?

Siegfried Kühbauer: Ja, es stimmt, dass diese SPD-Stadträtin ausgerechnet am internationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung mit Staatsgewalt die berechtigten Kinder, Jugendlichen und deren Familien gegen deren Willen aus unserer Einrichtung vertrieben hat (das Bundesinnenministerium hatte übrigens rechtzeitig alle Bundesländer aufgefordert, diesen Tag „würdig“ zu begehen). Begründet wurde dies von ihr damit, dass dieses „unverzichtbare Angebot … wieder nach fachlichen Gesichtspunkten in der Steuerungsverantwortung des Jugendamtes Mitte durchgeführt werden kann“. Dann wurde die Einrichtung für über eine Monat unter „Wachschutz“ geschlossen und danach zunächst für einen halben Tag geöffnet, um dann den Betrieb wieder aufzunehmen. In den 33 Jahren in denen der Weddinger Kinderfarm e. V. die fachliche Verantwortung getragen hat, wurde die Einrichtung keinen einzigen Tag geschlossen. Im sogenannten Qualitätsdialog hatten wir immer die höchste zu erreichende Punktzahl.

Die Stadträtin warf Ihnen vor keinen Verwendungsnachweis zu liefern und die Rückzahlung der Mittel zu verweigern. Mit welchen Argumenten treten Sie der Stadträtin entgegen?

Selbstverständlich haben wir monatlich unsere Leistungsnachweise geliefert, denn uns war es immer ein Anliegen korrekt mit öffentlichen Mitteln umzugehen. Wir haben die gesetzlich vorgeschriebenen Mittel aber nie in vollem Umfang erhalten. Es gab Probleme mit aus unserer Sicht nicht gerechtfertigten Rechnungen der Freien Universität Berlin die auf unser sehr freundlich vorgetragenes Bitten weder von der Bezirks- noch von der Landesverwaltung Berlin geklärt wurden. Deshalb konnten wir eine Tabelle der Ein- und Ausgaben nicht fristgemäß abgeben. Daraufhin hat das Jugendamt die gesamte jährliche Zuwendung zurückverlangt. Der Jugendhilferechtsexperte Prof. Peter-Christian Kunkel hat diesen Bescheid als nicht rechtsfähig qualifiziert. Wir wussten, dass ein nicht rechtsfähiger Bescheid auch nicht beachtet werden muss. Deshalb haben wir auf diesen Bescheid zunächst nur formal reagiert. Nach einem Gespräch mit dem Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses und den Parteienvertretern im Jugendhilfeausschuss haben wir uns dann doch geeinigt nach einer Bedenkzeit von einer Woche diese Tabelle innerhalb eines Monats abzuliefern. Doch schon einen Tag nach diesem Gespräch hat die Jugendamtsverwaltung schriftlich durch Boten die Kündigung über das von uns genutzte Gelände ausgesprochen. Wir haben trotzdem in gleicher Qualität weiter gearbeitet. Dann wurden uns sämtliche Mittel gestrichen. Wir haben aber in gleicher Qualität weiter gearbeitet und monatlich unsere Leistung nachgewiesen. Diese Leistung für die berechtigten Kinder, Jugendlichen und deren Familien konnte nur mit Staatsgewalt und Enteignung unterbunden werden.

Sie setzen sich im Arbeitskreis Kinder- und Jugendarbeit der Gewerkschaft ver.di seit Jahren für die fach- und sachgerechte Umsetzung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ein. Doch die Finanzplanung der Berliner Bezirke singt ein anderes Lied. Was kritisieren Sie an der Praxis der Berliner Bezirke und im Besonderen des Bezirksamtes Mitte im Umgang mit der Kinder- und Jugendhilfe?

Mir ging es immer um die gesetzliche Pflichtaufgabe Kinder- und Jugendarbeit. Hier geht es nicht um persönliche (subjektive) Rechte, sondern um eine objektive Rechtsverpflichtung des Landes Berlin und seiner Bezirke nach den Vorschriften des Artikels 20 Abs. 3 unseres Grundgesetzes. Gerade dieser Absatz bildet die wichtigste normative Grundlage für das Rechtsstaatsprinzip und hier versagen das Land Berlin und seine Bezirke völlig. Seit Verabschiedung des Berliner Ausführungsgesetzes zum Kinder- und Jugendhilfegesetz vor 21 Jahren ist es Politik und Verwaltung nicht einmal gelungen die vorgeschriebenen mindestens 10 % der Gesamtjugendhilfemittel für die Kinder- und Jugendarbeit bereit zu stellen. In absoluten Zahlen stehen den Berechtigten momentan mindestens 80 Mio. Euro pro Jahr mehr zu. Wenn man diese Summe mit den 21 Jahren multipliziert ergibt sich ein Mindestschaden für die Berechtigten von 1.680.000.000 Euro. Das sind keine „Peanuts“. Zumindest, wenn man es mit der konsequenten strafrechtlichen Verfolgung jedes „Schwarzfahrers“ vergleicht.

Familien, Kinder und Jugendliche hatten vor dem Räumungstermin die Kinderfarm besetzt. Die Besetzung wurde mit polizeilicher Gewalt beendet. Nur Sie dürfen das Gelände noch betreten. Halten Sie die Amtspraxis für angemessen? Waren Konsequenzen für die Wahlen zu erwarten?

Die berechtigten Kinder, Jugendlichen und ihre Familien haben als gute Bürger/innen friedlichen Widerstand nach Artikel 20 Abs. 4 unseres Grundgesetzes gegen diesen Angriff gegen das Rechtsstaatsprinzip geleistet. Das ist ihr „gutes Recht“. Diesem guten Recht mit Staatsgewalt zu begegnen zeigt nur, wie weit wir in unserem Land schon gekommen sind. „Amtspraxis“ – das ist keine rechtsstaatliche Amtspraxis, sondern Willkür pur. So wie es immer mehr Menschen in den Amtsstuben erleben. Durch die Wahl haben die Bürger/innen immerhin dafür gesorgt, dass diese Jugendstadträtin aus dem Amt entfernt wurde.

Mitglieder des Trägervereins der Weddinger Kinderfarm haben unter dem Druck durch den Bezirk kapituliert und sind ausgetreten. Ein neuer Verein wurde gegründet. Böse Zungen sprechen von einer Spaltung… Was ist dran?

Blödsinn, zwei ehemalige Kolleg/innen haben sich mit Beamt/innen und Politiker/innen des Bezirksamtes Mitte darauf verständigt den Trägerverein Weddinger Kinderfarm finanziell in die Knie zu zwingen und ihm sein Eigentum zu nehmen. Nach meiner Meinung eine üble „Kriminalgeschichte“ und schon lange reif für die dafür zuständige Staatsanwaltschaft. Hier tanzen Gier, Unfähigkeit und Größenwahn fröhlich Ringelreihen und die meisten schauen zu.

Was passiert nun mit den Kindern und Jugendlichen, die über Jahre eine Beziehung zu Ihnen und Ihren Vereinsmitgliedern aufgebaut haben? Die BZ spricht von einer absichtlichen Zerstörung Ihres Lebenswerkes. Seit 33 Jahren existiert die Farm und wurde 28 Jahre von Ihnen mitverantwortet. Inzwischen dürften ja sogar Eltern und Großeltern Ihre Arbeit kennengelernt und genutzt haben. Ist solch eine Kontinuität der Arbeit jetzt überhaupt noch möglich?

Ja, ich arbeite seit 28 Jahren auf der Farm und das ist nur ungefähr mein halbes Arbeitsleben und von „Lebenswerk“ kann schon gar keine Rede sein. Das ist mir zu hoch gehängt. Ich bin seit über 40 Jahren meist aktives Gewerkschaftsmitglied und als abhängig Beschäftigter habe ich schon sehr viele Menschlereien (ich will die mir lieb gewordenen Schweine nicht beleidigen) mitgekriegt. Was mir aber auffällt ist die Tatsache, dass sich immer weniger Menschen engagieren und solidarisches Verhalten bei der Mehrheit offensichtlich keine Bedeutung mehr hat. Vielleicht ist gerade das der Grund weshalb es der Kinder- und Jugendarbeit so schwer gemacht wird. Sollen doch gerade dadurch junge Menschen zu demokratischen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten „herangebildet“ werden. Das passt offensichtlich nicht mehr in unsere heutige politische Landschaft.

Was passiert eigentlich mit den Tieren? Sollen die diesem Nachfolgeverein verkauft oder sollen sie im Schlachthaus verwurstet werden?

Auf unserem Bauernhof ist noch nie ein Tier „verwurstet“ worden. Unsere Tiere waren schon immer „Partner/innen“ der berechtigten Kinder, Jugendlichen und deren Familien und konnten ihr ganzes Tierleben möglichst artgerecht auf unserem Hof verbringen auch wenn sie dabei nicht immer zu unserem „Wohlgefallen“ von den Berechtigten benutzt wurden. Einen Nachfolgeverein für den Weddinger Kinderfarm e. V. sehe ich persönlich noch nicht, schon gar nicht diesen „Kinderbunten Bauernhof“. Wir werden wie immer weiterhin für unsere und die Rechte der Kinder, Jugendlichen und deren Familien eintreten und ob wir dabei die notwendige solidarische Unterstützung erhalten wird sich zeigen.

Sie haben sich mit Hauptwohnsitz auf dem Gelände in die 12 m² große, ehemalige Zivi-Wohnung des Weddinger Kinderfarm e. V. „einquartiert“, um dessen Eigentumsrechte zu verdeutlichen. Wie lange wollen Sie das durchhalten?

Bis auch das Bezirksamt Mitte und das Land Berlin erkennen, dass wir nach unserem Grundgesetz eigentlich in einem sozialen und demokratischen Rechtsstaat leben und endlich ihrer dort festgeschriebenen Verantwortung nachkommen.

Herr Kühbauer, ich danke Ihnen für das Gespräch…

Das Gespräch führte:
Stephan B. Antczack
Theaterpädagoge BuT
Staatlich exam. Kunstpädagoge und Historiker (Geschichtsdidaktik)
Staatlich exam. Krankenpfleger (z. Zt. sozialpsychiatrische Zusatzausbildung der DGSP)
Praktiker / Theater der Unterdrückten

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