NAGEL-Redaktion – Kindermuseen sind keine überdachten Abenteuerspielplätze

Unter diesem Titel veröffentlichte Frau Dr. Gabriele König vom Kindermuseum in Fulda, einer beachtlichen Einrichtung, am 8. November 2001 einen Beitrag in der Internet-Zeitung des „Forum Bildung“. Er kann nachgelesen werden unter www.forum-bildung.de unter der Rubrik „Themen“, Quartal 4/2001. Ihre Eingabe veranlasste uns zu folgender Reaktion, die in gekürzter Form ebenfalls beim „Forum Bildung“ unter „Freies Forum“ mit Datum vom 23. November 2001 nachgelesen werden kann.
Nachfolgend das Original-Schreiben an Frau König vom 13. November 2001, das leider unbeantwortet blieb.

Sehr geehrte Frau Dr. König,

seit geraumer Zeit nehmen wir – wenn auch aus der Ferne – interessiert Kenntnis von Ihren Aktivitäten im Kindermuseum Fulda. Vor allem die Veröffentlichungen von Donata Elschenbroich vom Deutschen Jugendinstitut haben uns einigermaßen plastisch mit Ihrer Arbeit vertraut gemacht. Wir, das ist der ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Einer unserer inhaltlichen Schwerpunkte ist die Organisation von Abenteuerspielplätzen; dies vorwiegend in Nordrhein-Westfalen, aber auch darüber hinaus, zumal in den meisten anderen Bundesländern (wie etwa Hessen) vergleichbare Strukturen überhaupt nicht existieren. Ich schreibe Ihnen aufgrund Ihres Interviews „Kindermuseen sind keine überdachten Abenteuerspielplätze“ im Internet-„Forum Bildung“.
Ganz nüchtern betrachtet vermag ich Ihnen zustimmen: Kindermuseen sind keine überdachten Abenteuerspielplätze. Betrachten wir das Ganze aber einmal aus einer fachlichen Sicht, ist dieser Vergleich, sind die Assoziationen, die Sie mit dieser Feststellung bewirken, in erheblicher Weise kontraproduktiv. Diese Aussage bestätigt leider, dass Ihnen, liebe Frau Dr. König, das Konzept des Abenteuerspielplatzes nicht vertraut sein dürfte. Sonst würde unmöglich ein solcher Vergleich angeführt werden.
Beim Abenteuerspielplatz handelt es sich um ein wohldurchdachtes Konzept, das Kindern in erheblichem Maße Sozialisations- und Lernhilfen einzuräumen imstande ist. Die Verbände der Offenen Arbeit mit Kindern haben mittlerweile Standards formuliert, die deutlich machen, wann ein sogenannter Abenteuerspielplatz auch tatsächlich ein Abenteuerspielplatz ist. Da dies offenbar in Fulda nicht bekannt ist, möchte ich Sie hier aufführen. Ein Abenteuerspielplatz verfügt über folgende Erfahrungsfelder (Bildungsfelder):

  • Sozialer Bereich
  • Handwerklich-technischer Bereich
  • Natur-/Umweltbereich
  • Landwirtschaftlich-gärtnerischer Bereich
  • Kreativ-schöpferischer Bereich
  • Senso-motorischer Bereich

 

Mindestens neun der folgenden Ausstattungsmerkmale werden von einem Abenteuerspielplatz erwartet:

 

  • Freiflächen und überdachte Aufenthaltsbereiche (mindestens zum Teil beheizbar)
  • Küche
  • Werkstätten mit Lagerräumen
  • Bauspielbereich
  • Wasserbereich/e
  • Feuerstelle/n
  • Grünflächen, Biotopen, Gärten und Gehölze
  • Tiergehege, Reitkoppel, Ställe
  • Bühne, Raum für Veranstaltungen
  • Spiel- und Sportflächen
  • Klettermöglichkeiten
  • Kleinkinderspielbereich

 

Ergänzend hinzufügen könnte man noch Kommunikationsbereiche für ältere Besucher (Eltern, Anwohner usw.).

In den letzten Jahren haben wir uns in unseren Veranstaltungen häufig gezielt damit beschäftigt, in welcher Weise gerade der Abenteuerspielplatz Bildungsarbeit leistet. Wir haben festgestellt – und scheinen uns damit z.B. mit Donata Elschenbroich und Otto Schweitzer im Einklang zu befinden -, dass Bildung keineswegs das Privileg von Schulen ist. Abenteuerspielplätze verfügen nicht selten über geeignetere Möglichkeiten und Methoden zum Bildungserwerb. Ein wesentliches Merkmal auf Abenteuerspielplätzen ist, dass Bildung im Transfer stattfindet. Damit berücksichtigen sie ganz konkret die Erkenntnis, die Professor Gerold Scholz von der Universität Frankfurt im Rahmen einer Ihrer Kinderakademien formuliert hat und die sich Donata Elschenbroich wie einen Leitfaden zueigen gemacht hat: Jedes Kind ist unbelehrbar. Kinder können nur lernen. Auf Abenteuerspielplätzen eignen sich junge Leute Erfahrungen und deren Reflexion durch aktive Auseinandersetzung und konkretes Handeln – im Sinne von Lösungen finden – an. Wie diese Prozesse stattfinden und welche Ergebnisse sie bewirken, wurde einmal mehr von Elisabeth C. Gründler und Norbert Schäfer in ihrem sehr hilfreichen Buch „Naturnahe Spiel- und Erlebnisräume“ (Luchterhand, Neuwied 2000) beschrieben. Hier möchte ich vor allem auf das 2. Kapitel „Nur im freien Spiel entfaltet sich menschliche Intelligenz“ verweisen.
Ihr Vergleich, liebe Frau Dr. König, ist geeignet Spiel als zweckfrei zu verorten, dem Spiel seine konkrete Funktion als hervorragend geeignete Bildungsmethode abzusprechen. Unserer Erkenntnis zufolge werden allerdings – gerade auf dem Abenteuerspielplatz – folgende Bildungskomplexe stimuliert:

 

  • Sensitive Bildung -> mit allen Sinnen lernen
  • Praktische Bildung -> manuelles, grob- wie feinmotorisches Lernen
  • Persönliche Bildung -> Erwerb von Kompetenz
  • Kognitive Bildung -> abstraktes Lernen -> Lösung von Problemen
  • Soziale Bildung/Kulturelle Bildung
  • Methodische Bildung -> Erwerb spezifischer Fähigkeiten
  • Emotionale Bildung -> Erwerb emotionaler Kompetenz
  • Politische Bildung -> Herstellung gesellschaftlicher Zusammenhänge, Kinderrechte
  • Künstlerische Bildung -> Erwerb künstlerischer Kompetenzen

In einem solchen Kontext begreift sich professionelle Pädagogik als Rahmenkonstrukteur und Milieuschaffer. Sie nimmt eine Lobby-Rolle ein, sorgt ferner für Animation und vernachlässigt auch nicht den Aspekt der „Beziehungs-Arbeit“ (bei Interesse kann ich Ihnen hierzu gern weitere Ausführungen zukommen lassen).
Wenn Sie einmal in den 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (Bonn 1998) hineinschauen, werden Sie feststellen, dass den Abenteuerspielplätzen (wie ihren Varianten Kinderbauernhöfen, Bauspielplätzen usw.) seitens der Sachverständigenkommission unter der Leitung von Professor Dr. Lothar Krappmann von der FU Berlin bestätigt wird, dort hätten sich am „ehesten originär kinderspezifische Ansätze entwickelt“ (S. 223). Die Bundesregierung greift dies in ihrer Kommentierung auf und empfiehlt eine flächendeckende Errichtung derartiger Plätze. Und genau in jedem Kontext werden auch Kindermuseen als „kinderbezogene Angebote“ genannt (S. IX, Ziffer 19).
M.E. könnte ein Kindermuseum eine hervorragende Ergänzung eines Abenteuerspielplatzes sein. Ebenso wäre denkbar, dass man eine sehr geeignete Kombinationseinrichtung kreieren könnte.
Wir fänden es sinnvoll, wenn Sie unsere kritischen Anmerkungen bewegen könnten, noch einmal deutlich zu machen, dass Sie einem der geeignetesten Konzepte für die Bildung junger Menschen nicht schaden wollten. Der Abenteuerspielplatz befindet sich – wie Kindermuseen – immer noch in einer Nischenposition. Dies muss geändert werden. Das könnten wir z.B. auch gemeinsam vorantreiben. Es führt aber zu keinem Erfolg, wenn durch schädliche Vergleiche Konkurrenzen – bewusst oder unbewusst – aufgebaut werden, die am Ende den Kindern, um die es erklärtermaßen geht, Bildungsmöglichkeiten eher vorenthalten als – wie von der Bundesregierung angeregt – flächendeckend zu verstärken.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Deimel

Referent für Bildung und Öffentlichkeitsarbeit
Systemischer Berater DGSF

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