Christopher Roch

NAGEL-Redaktion – Zur Geschichte der Offenen Arbeit mit Kindern

Offene Arbeit mit Kindern gibt es in Westdeutschland seit Mitte der sechziger Jahre. Den Anfang machten Initiativgruppen (Eltern, PädagogInnen, StudentInnen), die die soziokulturellen Lebensbedingungen in ihrem Wohnbereich verbessern wollten. Die erste Jugendfarm entstand 1962 in Stuttgart-Elsental, der erste Abenteuerspielplatz 1967 im Märkischen Viertel Berlins nach dem Vorbild der Gerümpel- und Bauspielplätze in Dänemark (1943), in England (1946) und den Robinsonspielplätzen der fünfziger und sechziger Jahre in der Schweiz. Ähnliche Initiativen errichteten weitere Abenteuerspielplätze, Robinsonspielplätze, Jugendfarmen und Kinderbauernhöfe, so daß in kürzester Zeit die Rede von einer „Abenteuerspielplatz-Bewegung“ gerechtfertigt war. Es folgten weitere Differenzierungen der Formen Offener Arbeit mit Kindern, etwa ab 1970 die Spielmobile, aber auch Kinderspielclubs und stadtteilbezogene Arbeit mit Kindern.

Diese Arbeitsbereiche Offener Arbeit mit Kindern entstanden im Zusammenhang einer Vielfalt von sozialen Experimenten der siebziger Jahre (Kinderläden, Alternativschulen, Wohngemeinschaften, Stadtteilarbeit und viele andere mehr). Alle entstanden im Zusammenhang der westdeutschen StudentInnenbewegung, also in einer Zeit, in der bis dato anerkannte Erziehungskonzepte und darüber hinaus die Soziale Arbeit insgesamt und die gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit radikal hinterfragt wurden. Man kritisierte die vorfindbaren phantasielosen Spielplätze und die zunehmende Funktionalisierung der öffentlichen Lebensräume, in denen für spontanes Kinderspiel wenig Platz blieb. Man fand (und findet), die Möglichkeiten sinnlicher Erfahrung für Kinder seien eingeschränkt, die Kindheit insgesamt wäre kolonialisiert und kommerzialisiert und die zunehmende Verbreitung des Fernsehens hätte eine verheerende Wirkung auf Kinder. All diesen negativen Einflüssen sollte (und soll) Positives entgegengesetzt werden. StudentInnen, PädagogInnen und Eltern diskutierten Neills „Antiautoritäre Erziehung“ (1969), v. Braunmühls „Antipädagogik“ (1975), Makarenkos „Kollektiverziehung“ (1958) und andere alternative Konzepte, und sie versuchten, diese in ihren Initiativen und Projekten praktisch umzusetzen. Ihr Ziel war, die gesellschaftlichen Verhältnisse kurzfristig durch politische Aktion und langfristig durch eine alternative Kindererziehung zu verändern. 

Von Anfang an ließen sich die Fachkräfte der Offenen Arbeit mit Kindern durch die Diskussionen zweier verschiedener Arbeits- und Denkrichtungen inspirieren, durch die „Sozialpädagogik“ und die „Kulturarbeit“. Das Nebeneinander hat sich zeitweise zu einem Gegeneinander entwickelt und die Kontroverse der beiden Sichtweisen taucht in der Fachdiskussion immer wieder auf. KulturarbeiterInnen werfen den SozialpädagogInnen vor, sie würden „Defizitbearbeitung“ betreiben und die Kinder ausschließlich auf ihre Probleme reduzieren; die SozialpädagogInnen ihrerseits vermuten, daß die KulturarbeiterInnen lediglich Dinge tun, die ihnen selbst Spaß machen und ihre Angebote denjenigen unterbreiten, die pädagogisch ohnehin gut „versorgt“ sind. Um ein Verständnis für den Hintergrund dieser Vorwürfe zu wecken, zeigen wir kurz Entwicklungslinien beider Traditionen auf:

● Die sozialpädagogische Arbeit mit Kindern war – wie der gesellschaftspolitische Impetus der 70er Jahre insgesamt – alles andere als auf Defizitbearbeitung ausgerichtet (zum Beispiel die Kritik der kompensatorischen Erziehung). Seit den achtziger Jahren setzte in den Arbeitsfeldern der Sozialpädagogik die sogenannte „pragmatische Wende“ zur Alltagsarbeit und zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen ein. Je stärker die Lebenswelt in den Focus genommen wurde, desto deutlicher wurden auch Phänomene, die aus der Sicht sozialpädagogisch ausgebildeter Fachkräfte als „Probleme“ diagnostiziert wurden. Gemessen an den Zielsetzungen von Autonomie und Partizipation war und ist es naheliegend, die Kinder durch „Defizitbearbeitung“ erst einmal in die Ausgangsposition zu bringen, von der aus sie diese Ziele angehen können.Denn wem es aufgrund seiner persönlichen Ausstattung an Handlungskompetenzen mangelt, der kann schwerlich an einer gesellschaftlichen Entwicklung zu mehr Humanität et cetera teilhaben. Daher unterscheidet zum Beispiel Giesecke fein zwischen „Politik“ und „Pädagogik“. Letztere soll die Grundlagen und Fähigkeiten entwickeln, die für eine politische Tätigkeit notwendig sind, nämlich „grundlegende menschliche Fähigkeiten der Urteilskraft, Toleranz, Engagement für den Schwächeren, Solidarität, Kooperationsfähigkeit usw.“ (Giesecke 1980, 452).Viele Fachkräfte versichern glaubwürdig, daß immer mehr „problembelastete“ Kinder und Jugendlicher in die Offenen Einrichtungen kommen, weil sie hier erleben, daß die PädagogInnen auf ihre Bedürfnisse eingehen. 

● Die Kulturarbeit mit Kindern entstand in der gleichen politischen Aufbruchsituation wie die Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Arbeitskreis Jugendarbeit 1987, 43). Der „soziokulturelle Ansatz“ richtet sich gegen den bürgerlichen Kulturbegriff und die „Kultur der Herrschenden“. Kultur soll „für alle“ da sein, sie soll nicht mehr die „zum Konsumieren“, sondern die „zum Selbermachen“ und „ästhetisch-sinnliche Praxis“ sein. Die ersten soziokulturellen Zentren wollten Zentren ästhetisch-politischer Stadtteilkultur sein. Als KulturarbeiterInnen verstanden sich KünstlerInnen aller Sparten, MedienarbeiterInnen, LehrerInnen, FreizeitpädagogInnen, HandwerkerInnen, aber selten SozialarbeiterInnen oder SozialpädagogInnen. Kulturelle Angebote für Kinder entstanden zunächst in der Museumspädagogik oder in Jugendmusik- und -kunstschulen, und man gründete Bezirks- und Landesarbeitsgemeinschaften für kulturelle Jugendbildung, die als „kulturelles“ Pendant der Jugendverbände gelten können. Die „Pädagogische Aktion“ München, ein Zusammenschluß von KulturarbeiterInnen, der auch heute für Kulturarbeit innerhalb der Offenen Arbeit mit Kindern steht, führte zu Beginn der siebziger Jahre die Spielmobilarbeit ein, die heute einen wesentlichen Arbeitsbereich der Offenen Arbeit mit Kindern darstellt. KulturpädagogInnen bieten den Kindern „Raum, Zeit und Zeug zum Spielen“ an, um ihnen damit umfassende sinnlich-ästhetische Lernprozesse zu ermöglichen. Sie arbeiten punktuell und/oder projekthaft und betonen die Lust und den Spaß der gemeinsamen Sache. Problembearbeitung steht nicht im Vordergrund und auch spezifische Zielgruppen im sozialpädagogischen Sinne werden meist nicht berücksichtigt. Kultur ist „für alle“ da. 

Nach einem jahrelangen Nebeneinander beider Schwerpunkte kommt es seit Mitte der 80er Jahre zu verstärkter Konkurrenz. Vor allem in der Offenen Jugendarbeit scheint die „Sozialpädagogik“ in der Defensive. Viele Häuser der Offenen Tür ändern ihre Konzeption in Richtung „Kulturarbeit“, wahrscheinlich auch, weil sie mit den Problemen, die die traditionellen BesucherInnengruppen aus den unteren Schichten mitbringen, nicht mehr zurecht kommen. Die „sozialpädagogische Fraktion“ kritisiert an dieser Tendenz, daß sich dadurch Kinder und Jugendliche der unteren Schichten nicht mehr angesprochen fühlen und auf andere Formen der Sozialen Arbeit angewiesen sind wie zum Beispiel Streetwork (etwa Arbeitskreis Jugendarbeit 1987; Belardi 1986; Puhl 1982). Die „Kulturfraktion“ hält dagegen, daß es ohnehin nicht die Aufgabe Offener Kinder- und Jugendarbeit sein dürfe, Sozialpädagogik zu betreiben. Erstens sei sie aufgrund ihrer Infrastruktur überfordert, zweitens sei es auch aus politischen Gründen falsch, sich für die integrativen Zwecke des Sozialstaates vereinnahmen zu lassen (Treptow 1986). 

In der Offenen Arbeit mit Kindern gibt es moderatere Positionen und Diskussionsergebnisse. In Arbeitsgruppen des ABA Fachverbandes (Der Nagel 1986/87, 7 ff.) und der Fachtagung „Spiel- und Lebensraum Großstadt“ (1987) wurden eher Gemeinsamkeiten herausgestellt und eine Zusammenarbeit propagiert, denn „eine Aktion wird nicht dadurch schlecht, weil ein anderer sie veranstaltet …“ (vergleiche dazu auch den vermittelnden Aufsatz von Lukas 1989).

Im Jahre 1975 gab es schon 70 bis 80 Abenteuerspielplätze und ca. 5000 Initiativen, die einen solchen Platz einrichten wollten (Aurin-Schütt 1992, 28). Um 1980 existierten etwa 350 Einrichtungen mit ca. 2000 MitarbeiterInnen (Nahrstedt 1981). Damit war die „Abenteuerspielplatz-Bewegung“ jedoch auch schon auf ihrem Höhepunkt angelangt. In den folgenden Jahren lösten sich die meisten Initiativen wieder auf, und/oder die Kommunen übernahmen die Trägerschaft der Plätze, eine Entwicklung, die als zunehmende „Institutionalisierung“ und „Kommunalisierung“ bezeichnet wird. In Nordrhein-Westfalen befanden sich beispielsweise gegen Ende der achtziger Jahre etwa 70 % der Einrichtungen Offener Arbeit mit Kindern in kommunaler Trägerschaft (vergleiche Deimel 1987, 13; vergleiche dazu auch Kapitel 8). 

Zur Zeit gibt es in der Bundesrepublik etwa 300 Abenteuerspielplätze (Krauss 1994). Die Verbreitung von Spielmobilen wurde 1994 auf etwa 400 geschätzt (BAG Spielmobile 1994). Zum Umfang der Offenen Arbeit mit Kindern in Jugendzentren gibt es kaum Zahlen. In Nordrhein-Westfalen gab es Anfang der neunziger Jahre in 90 % der Offenen Jugendeinrichtungen Angebote für Kinder; und diese stellten im Durchschnitt 40 % der BesucherInnenzahlen – Tendenz steigend (Hubweber 1990).

Zum „Absterben“ der Initiativen sei gesagt, daß Bürgerinitiativen prinzipiell eine begrenzte Lebensdauer haben. Sie engagieren sich, solange es um ihre persönlichen Belange geht und da, wo innerhalb einer begrenzten Zeitspanne die eigenen Kinder unter optimalen Bedingungen aufwachsen sollen. Institutionen hingegen – dazu noch besetzt mit professionellen PädagogInnen (mit dem Interesse an einer langfristigen Sicherung ihrer Arbeitplätze) sind auf „ewiges Bestehen“ ausgerichtet. Die beklagte Kommunalisierung bietet für die Belange von Professionellen die beste Garantie, wenn auch um den Preis der bürokratischen Organisation der Arbeit. 

Auch in der ehemaligen DDR gab es eine gewisse „Bewegung“: Seit 1979 gründeten sich sogenannte „Spielwagen“-Gruppen (in Berlin, Dresden, Halle, Leipzig, Magdeburg, Potsdam, Rostock u.a.). Den Anfang machte die Gruppe „Spielwagen Berlin I“, die auch als einzige Gruppe gezielt Kontakt mit der politischen Administration aufnahm und mit ihr verhandelte. Die Initiativen setzten sich aus den verschiedensten technischen, künstlerischen und pädagogischen Berufen und quer durch die Altersgruppen zusammen. Sie führten in ihrer Freizeit Spielnachmittage, Spielaktionen und Spielfeste mit teilweise großen Kindergruppen durch. Problematisch war immer die Frage des Transportes der Spielgeräte; bis auf die Gruppe „Spielwagen Berlin I“ verfügte keine Initiative über ein angemessenes Fahrzeug. Um 1984/1985 gab es die ersten Versuche der Selbstdarstellung: die engagierten MitarbeiterInnen „verkauften“ ihre „volkskünstlerische Tätigkeit“ als „betreutes musisches Kinderspiel“ (Kirchner 1990, 83). 1986 knüpfte man die ersten internationalen Kontakte. 

Die Offene Arbeit mit Kindern wurde also auch in der DDR gegen den Widerstand der „offiziellen“ Politik durchgesetzt. Hinzu kamen Probleme ideologischer Art, denn die Arbeit mußte immer mit Blick auf das einheitliche „Bildungs- und Erziehungsziel“ in der DDR und mit Rücksicht auf die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung legitimiert werden. Die MitarbeiterInnen zogen ähnlich wie im Westen zunächst viele Kinder an; in neuerer Zeit scheint die Offene Arbeit mit Kindern jedoch in eine „Krise“ zu geraten: die Kinder bleiben aus (Kirchner 1990, 81). Kirchner meint, daß der Neuigkeitswert der Spielwagen nachgelassen hätte und daß Elemente der Spielwagen-Pädagogik im Laufe der Zeit in die offiziellen Kinderprogramme der DDR eingegangen seien. Er beklagt, daß es bisher kaum betreute Spielplätze auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gäbe. Ein anderer Punkt sei, daß sich die ostdeutschen Kinder im Verlauf der „Wende“ der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung angepaßt und eher konsumorientierten Freizeitangeboten zugewandt hätten. Auch in Ostdeutschland gibt es eine ausgeprägte Theoriediskussion, die Umsetzung der konzeptionellen Überlegungen scheitert aber oft an Finanzierungsbarrieren. Angesichts der immensen Aufgaben des „Aufbau Ost“ bleiben Angebote Offener Arbeit mit Kindern Luxus.

In Westdeutschland ist schon lange „Krisenstimmung“ angesagt: Zunächst hatten die ProtagonistInnen ihre Arbeit intensiv dokumentiert, wie Nahrstedt mit einer umfangreichen Literaturliste für die erste Hälfte der 70er Jahre beweist (Nahrstedt 1981, 5). Aber schon seit Ende der 70er Jahre attestieren BeobachterInnen vor allem der Abenteuerspielplatz-Pädagogik und viele MitarbeiterInnen sich selbst eine schwere Krise. Ein „Zeitzeuge“, der seit über 10 Jahren auf einem Abenteuerspielplatz arbeitet, schreibt: „Man wollte den – vorgeblichen – Muff und Staub dieser ‚geschlossenen‘ Arbeit abschütteln und zu neuen Ufern aufbrechen. … Die Offene Arbeit mit Kindern sollte ihre Adressaten klüger, begabter, reicher usw. machen, kurzum: Die Unterdrückung der Kinder sollte aufgehoben werden. Auf diesem Wege könne im Laufe der Zeit, so die Hoffnung, Emanzipation insgesamt auf eine breitere Basis gestellt werden. Am Anfang schien auch alles bestens zu laufen. Die alten Bastionen erzitterten. … Doch dann, weiß der Teufel warum, geriet der Emanzipationszug ins Stocken. Das, was wie eine Alternative zum Herkömmlichen aussah, erwies sich als mangelhafte Kopie. Denn im Grunde machte Offene Arbeit mit Kindern dasselbe, was schon immer lief, bisweilen sogar noch etwas dürftiger“ (Thilke 1987, 10). Thilke deutet damit an, daß das neue Arbeitsfeld nach einem hoffnungsvollen Start in andere als die geplanten Bahnen geriet: 

Mit der „politischen Wende“ von der sozial-liberalen Koalition zur CDU-Regierung wandelte sich das „Reform-Klima“ und auch die Abenteuerspielplatz-Bewegung „ermüdete“. Teilweise hatten die engagierten WegbereiterInnen der Offenen Arbeit mit Kindern die politischen und institutionellen Bedingungen unrealistisch eingeschätzt, und sie machten nun die Erfahrung, daß sie ihre Vorstellungen nicht so einfach umsetzen konnten. In der konkreten, kontinuierlichen Alltagsarbeit stellten sich zum Beispiel andere Probleme als die konzeptionell angedachten. Es ging um Alltagskonflikte, mühsame Materialbeschaffung usw.. Auch die Objekte der Bemühungen, nämlich die Kinder selbst, widersetzten sich so manchen Wünschen der MitarbeiterInnen nach Veränderung. Darüber hinaus haben sich auch die Interessen und Zielsetzungen von PädagogInnen gewandelt und die „neue Generation“ bezieht sich kaum auf die (noch so jungen) „Wurzeln“ der Offenen Arbeit mit Kindern. Als Hauptursache der Dauerkrise wird jedoch zu allen Zeiten und in Ost und West die restriktive Sparpolitik im Sozialbereich ausgemacht. 

Man kann den Wandel vom politischen „Aufbruch“ zur pädagogischen Arbeit in den Institutionen jedoch auch als „Wandel im Verständnis der Praxis“, als „pragmatische Wende“ und einen „Prozeß bewußter Pädagogisierung, der die methodischen und didaktischen Voraussetzungen dauerhafter Lernprozesse ihrer Bezugsgruppen in den Vordergrund rückt“ verstehen, wie es Barabas u.a. schon 1978 taten (Barabas u.a. 1978, 492 ff.). PädagogInnen, die die Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt stellen, kommen nämlich manchmal zu einer ganz anderen Praxis, als sie selbst zunächst gedacht haben. 

Darüber hinaus wandelt sich dieses Arbeitsfeld wie alle anderen Arbeitsfelder auch im Laufe der historischen Entwicklung. Die politischen Bedingungen ändern sich und damit auch die der Offenen Arbeit mit Kindern zugedachten Funktionen (vergleiche Kapitel 3). Auch die Ansprüche und Bedürfnisse aller Beteiligten müssen ständig neu ausgehandelt werden. Es ist gut möglich, daß einige PädagogInnen diesen Wandel nicht wahrhaben wollen, oder daß deren Richtung ihnen nicht behagt – was immerhin (persönliche) Krisen auslösen kann. Unserer Meinung nach hat das nun schon annähernd 15 Jahre andauernde Gerede von einer Krise diesen Begriff entwertet. Das Arbeitsfeld der Offenen Arbeit mit Kindern ist das Kind einer sozialen Bewegung. In dem Moment, in dem sie sich institutionalisiert, erreicht sie ein neues Stadium ihrer Entwicklung. Neue Probleme und Perspektiven stellen sich, die nicht mit einem weinerlichen Rückblick auf vergangene Zeiten zu bewältigen sind. Wir plädieren daher dafür, dieses Arbeitsfeld unter didaktischen Gesichtspunkten neu zu vermessen – in Kenntnis der Geschichtlichkeit der Offenen Arbeit mit Kindern und unter Berücksichtigung der zeitgenössischen gesellschaftlichen Herausforderungen. 

Neue Abenteuerspielplätze werden zur Zeit fast ausschließlich in Ostberlin und den neuen Bundesländern gegründet (etwa in Dresden, Berlin, Magdeburg, Hoyerswerda) und die durch den Vereinigungsprozeß und die wirtschaftliche Rezession zunehmende Finanznot der Kommunen bedroht derzeit viele Einrichtungen der Offenen Arbeit mit Kindern. Doch trotz „finanzieller Krise“ und „Krise des Selbstverständnisses“ gibt es heute eine Vielfalt von Ausprägungen Offener Arbeit mit Kindern. Auf dem „Grauen Markt“ kann man eine unübersehbare Anzahl von Praxisdokumentationen finden, die Trends und Arbeitsprinzipien abbilden. 

Weiterführende Literatur

Als „geschichtliche“ Dokumente bieten sich an: 

● Autorengruppe ASP/MV: Abenteuerspielplatz: wo Verbieten verboten ist. Reinbek 1973 (leider vergriffen, wird möglicherweise demnächst vom ABA Fachverband nachgedruckt)

● Autorengruppe Westberliner Volkstheaterkooperative: Blumen und Märchen. Stadtteilarbeit mit Kindern im Märkischen Viertel Berlin. Reinbek 1974 (leider vergriffen)

● Mayrhofer, Hans; Zacharias, Wolfgang: Aktion Spielbus. Spielräume in der Stadt – mobile Spielplatzbetreuung. Weinheim und Basel 1973

Neuere Aufsatzsammlungen, die auch die bisherige geschichtliche Entwicklung dokumentieren, sind: 

● Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze (Hg.): Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe. Eine Arbeitshilfe. Bezugsadresse: Haldenwies 14, 7000 Stuttgart 80

● Deutsches Kinderhilfswerk e.V.; Landesfachgruppe Spielmobil NRW; IPA – Recht auf Spiel e.V. (Hg.): Das Spielmobilbuch. Berlin 1990 (FIPP Verlag)

Mit der Offenen Arbeit mit Kindern unter den derzeitigen „Krisenbedingungen“ beschäftigen sich:

● Bähnisch, Dieter u.a.: Frostige Zeiten für die Kinder- und Jugendarbeit. Ein Gespräch In: Verbandskurier, 1. Quartal 1993, S. 4 – 15

● Fromme, Johannes: Perspektiven Offener Kinderarbeit. In: Harms, Mannkopf (Hrsg.): Spiel- und Lebensraum Großstadt. Berlin 1989; S. 95 – 102

● Hafeneger, Benno: Offene Kinder- und Jugendarbeit unter Krisenbedingungen. Zwölf Thesen zu neuen Herausforderungen. In: deutsche jugend, Heft 4, 1994, S. 181 – 184

● Hubweber, Norbert: Offene Kinder- und Jugendarbeit in NRW. Entwicklungen, Konzepte – Angebote – Daten. Expertise zum 5. Jugendbericht der Landesregierung. Kath. LAG Heim der Offenen Tür NRW, Marzellenstr. 32, 50668 Köln (Dokumentation der jugendpolitischen, institutionellen, personellen und konzeptionellen Entwicklungen in der Kinder und Jugendarbeit in den vergangenen 10 Jahren; Norbert Hubweber hat darüber hinaus eine Literatursammlung zur Offene Kinder- und Jugendarbeit für die Jahre 1955 – 1990 zusammengestellt.

● Kupfer, Hartmut: Liebe Antje (Ein Leserbrief). In: Verbandskurier, 1. Quartal 1993, S. 34 – 36 (Einschätzungen zum „Weg“ und zur Akzeptanz der Abenteuerspielplätze heute)

● Kupfer, Hartmut: Zur Situation der Offenen Arbeit mit Kindern. Einige kritische Anmerkungen. In:  Der Nagel, 56/1994, S. 63 – 66

● Schottmayer, Georg: Der betreute Spielplatz: Pädagogisches Relikt, zeitgemäßer Spielraum oder unverzichtbarer Lebensraum für Kinder? In: Verbandskurier. 2. – 4. Quartal 1993, S. 27 – 35

NAGEL-Redaktion – Zur Geschichte der Offenen Arbeit mit Kindern Read More »

NAGEL-Redaktion – Die Etablierung der Offenen Arbeit mit Kindern

Ohne dass Deutschland bis dahin davon tangiert wurde, hatte sich im europäischen Ausland eine Variante Offener Arbeit für Kinder etabliert. So hatte der dänische Gartenbauarchitekt, Künstler und Kunstprofessor Carl Theodor Sørensen (1893-1979), der in Kopenhagen zeitweilig zuständig für die Errichtung von Spielplätzen war, bereits im Kriegsjahr 1943 den Prototypen des pädagogisch betreuten Spielplatzes geschaffen. Dieser entstand auf einer Fläche von 6.000 qm in Emdrup, einem Kopenhagener Vorort. Sørensen schlussfolgerte aufgrund seiner Beobachtung, dass die Kinder seine „schönen“ und erwachsenengerechten Spielplätze nicht bzw. nur wenig annahmen, diese müssten sich anderenorts Spielgelegenheiten erobern. Und er entdeckte sie auf Schrotthalden, Brauchflächen, Trümmergrundstücken und Baustellen. Hieraus konzipierte er in Zusammenarbeit mit dem Architekten D. Fink zunächst die Idee der „skrammellegepladsen“ (Gerümpelspielplätze). Das Spielangebot bestand aus Gerümpel, Schrott und Schutt jeglicher Art. Aus den Gerümpelspielplätzen entwickelten sich in Folge in weiten Teilen Dänemarks die „byggelegepladsen“ (Bauspielplätze).


Skrammellegeplads in Kopenhagen (Foto: Königlich Dänisches Ministerium des Äußeren, Kopenhagen, gefunden bei Gerhard Aick: Die Befreiung des Kindes, Schriftenreihe der IGA 1963 Hamburg – Repro: Rainer Deimel)

Auffallendes Merkmal der dänischen Bauspielplätze war die Intention, Kindern die Welt der Erwachsenen auf kindgemäße Art und Weise zugänglich zu machen: im Grunde wurde hier das Leben der Erwachsenenwelt auf Kinderterritorien nachgespielt, um den Umgang damit zu vermitteln. In diesem Kontext sollte erwähnt werden, dass Kinderinteressen in Skandinavien schon wesentlich länger eine wichtigere Rolle als beispielsweise in Deutschland spielen.


Bellhøj Skammellegeplads (Foto: abm.nu, ABA Fotobutikke)


Früher Byggelegeplads 1949 (Foto: Willy F. Hansen)


Byggelegeplads (Foto: Bymuseum Kopenhagen, Kulturministerium Dänemark)

Die britische Gartenbauarchtektin Lady Allen of Hurtwood verschaffte sich gegen Ende der 40er Jahre in Skandinavien einen Eindruck über diese Form Offener Arbeit mit Kindern. Sie nivellierte jenen konzeptionellen Ansatz, indem sie besagten offenen Einrichtungstypus ab 1948 in Großbritannien vornehmlich in verdichteten industriellen Ballungsgebieten (London. Manchester, Leeds usw.), in denen Kindern natürliche Spielräume in besonderem Maße abhanden gekommen waren, einführte, ein „künstliches Abenteuer“ sozusagen. Hier taucht dann auch erstmalig der Begriff „adventure playground“ (Abenteuerspielplatz) auf. (1)

Ein erster Abenteuerspielplatz entstand ebenfalls Anfang der 50er Jahre in den Niederlanden, nämlich in Amsterdam. Sein anfänglicher Name „Jongensland“ deutete bereits auf seine ursprüngliche konzeptionelle Intention hin: dieser im Amsterdamer Osten auf einer Halbinsel im Ijsselmeer gelegene Platz sollte präventtiv und interventiv wirksam werden. Seine Zielgruppe waren Jungen, die durch die Kriegs- und Nachkriegswirren stark gefährdet waren und als Straßenkinder ihr „Unwesen trieben“. Dieser über 40.000 qm große Platz existiert nach wie vor; seit geraumer Zeit ist er ein „normaler“ Abenteuerspielplatz, nennt sich „Jeugdland“ (Jugendland) und ist eingebettet in die Jugendhilfelandschaft der „Stichting Amsterdam-Oost“.


Jongensland in den 1950-er Jahren (Foto: Het Geheugen van Oost, Amsterdam)

In den Niederlanden hat sich die Idee der betreuten Spielplätze als Einrichtungen der Offenen Kinderarbeit seit Anfang der 50er Jahre verbreitet. Schwerpunkte bilden die Städte Utrecht und Arnheim. Seit Anfang der siebziger Jahre sind diese Plätze meist formell in Bouw- bzw Avontuurenspeelplatsen bzw. -tuins (Bau- bzw. Abenteuerspielplätze bzw. -gärten) umgewandelt worden. Die unterschiedlich starke Verbreitung ist dadurch erklärbar, dass es sich bei der Einrichtung derartiger Angebote um „freiwillige“ kommunale Aufgaben handelt. (2)

1956 wurde in der Schweiz, in Zürich, mit Unterstützung der Stiftung „Pro Juventute“ (3) der erste „Robinsonspielplatz“ eingerichtet, weitere im ganzen Land folgten. „Pro Juventute“ vertrat die Ansicht, ein Spielplatz müsse eine gewisse „Spieldramatik“ besitzen. (4) Der Begriff „Robinsonspielplatz“ wurde in Deutschland anders interpretiert. Hierzulande wurden etwa ab Anfang der 60-er Jahre sogenannte Robinsonspielplätze ohne die auf Abenteuerspielplätzen typische Eigenaktivität der Kinder installiert. Ausgehend von der „IGA 63“ (der Internationalen Gartenbau-Ausstellung, die 1963 in Hamburg stattfand), handelte es sich nicht selten dabei um groß dimensionierte und entsprechend kostspielige Projekte mit (starren) Geräten aus Holz und anderen Materialien: Hängebrücken, Forts, Blockhütten, Aussichts- und Klettertürmen. (5)


Planten un Blomen in Hamburg. Der abgebildete Spielplatz entstand zur IGA 1963. Das Foto stammt aus dem Jahr 2005 (Foto: Wolfgang Feld, eingestellt bei Wikipedia)

Ein vergleichbarer Spielplatztypus wurde auch in der DDR entwickelt. Obwohl diese Einrichtungen im offiziellen Sprachgebrauch „Spielanlagen“ (6) hießen, wurden sie häufig von der Bevölkerung als „Abenteuerspielplätze“ bezeichnet. Dieser Umstand erklärt, weshalb sich die AktivistInnen vor und auch nach „der Wende“ mit dem Begriff „Abenteuerspielplatz“ zunächst schwer taten.


Spielplatz in der DDR: Bewegungsmöglichkeiten für Kinder spielten seinerzeit in der DDR eine große Rolle (Quelle des Bildes: Spielanlagen für Kinder und Jugendliche, Bauakademie der DDR, 1979 – Repro: Rainer Deimel)

Im Gegensatz zu den ursprünglich in Westdeutschland als „Robinsonspielplatz“ und in der DDR als „Abenteuerspielplatz“ bezeichneten Anlagen fand und findet auf den Schweizer Robinsonspielplätzen Offene Arbeit statt. Sie sind betreut und verfügen über typische Bereiche wie Feuerstelle, Wasser, Tierhaltung usw. Der Bauspielplatz ist häufig ein separater Bereich innerhalb des Robinsonspielplatzes. Zeitweilig war oder ist der Bauspielbereich für Erwachsene, die nicht auf dem Platz arbeiten, nicht zugänglich ist, damit die Kinder ungestört sein können.

In Schweden wurde ab 1964, zunächst in Göteborg, ein weiterer offener Einrichtungstypus für Kinder geschaffen, die „Spielparks“, eine Idee, die auch in Finnland und Jahre später in Deutschland, nämlich in Hannover aufgegriffen wurde. In Finnland gibt es für Bauspielplätze auch die Bezeichnung „Konstruktionsspielplätze“.Obwohl Fachleute in Deutschland immer wieder auf die Bedeutung derartiger offener Angebote hingewiesen hatten, konnte bis zu den ausgehenden 60er Jahren diesbezüglich nichts bewegt werden.

Zeitgenössische Bilder


Spielplatz in Hamburg 1963 (Repro: Rainer Deimel)

Das Foto, das Gerhard Aick in der Schriftenreihe zur IGA 1963 unter dem Titel „Die Befreiung des Kindes – Kleine Kulturgeschichte des Spiels und des Kinderspielplatzes“ veröffentlichte, wurde von ihm folgendermaßen untertitelt: „In Deutschland sucht die Spielplatzgestaltung neue Wege. Hier ein Spielplatz in Hamburg mit Geräten in filigraner Stahlröhrenkonstruktion.“


Spielplatz in Zürich 1963 (Repro: Rainer Deimel)

Auch dieses Bild veröffentlichte Gerhard Aick in dem genannten Bändchen. Hier ist folgende Bildunterschrift zu finden: „Die Schweiz ist führend in der Spielplatzgestaltung: Kriechröhren, Pilzhütten, Schaukelbretter und Kletterturm mit Schutzdach auf einem Spielplatz in Zürich.“

**********

Fußnoten

(1) Großbritannien verfügt über ein dichtes Netz von adventure playgrounds; allein in London gibt es ca. 100.
(2) Ferner gibt es in den Niederlanden gegenwärtig zwischen 300 und 400 „Kinderboerderijen“ (Kinderbauernhöfe). Diese befinden sich in sehr unterschiedlicher Trägerschaft; oft sind die Betreiber Privatpersonen oder private Personenzusammenschlüsse (Hausfrauen, Rentner usw.), aber auch Gemeinden, Kirchen usw. Diese Kinderboerderijen haben eher den Charakter von Streichelzoos. Für diesen Einrichtungstypus tauchte in Belgien vor Jahren zutreffenderweise zeitweilig der Begriff „Vitrine-Zoo“ auf. Die Avontuuren- und Bouwspeelplatsen verfügen regelmäßig auch über eine Kinderboerderij.
(3) Die Stiftung „Pro Juventute“ fungierte längere Zeit als Dachverband für die Schweiz. Für einige Jahre existierte ein weiterer Dachverband für die Offene Kinderarbeit, „SpeuX“. Der Verband hat zwischenzeitlich seien Arbeit wieder eingestellt. „SpeuX“ war ein Kunstwort und wurde aus dem deutschen Begriff „Spiel“ und der französischen Analogie „Jeux“ zusammengesetzt.
(4) Gerhard Aick: Die Befreiung des Kindes, Hamburg 1963, S. 40
(5) Das zuvor genannte Bändchen von Gerhard Aick weist auf die seinerzeitige Entwicklung hin.(6) vgl.: Bauakademie der DDR/Institut für Städtebau und Architektur (Hg.): Spielanlagen für Kinder und Jugendliche, Berlin 1979

Hinweis

Hiltrud von Spiegel: Offene Arbeit mit Kindern – (k)ein Kinderspiel. Erklärungswissen und Hilfen zum methodischen Arbeiten. Münster 1997, Votum Verlag.
Das Buch ist inzwischen vergriffen. Unser Fachbeiratsmitglied Prof. Dr. Hiltrud von Spiegel hat uns das Manuskript dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise können wir es Ihnen hier anbieten. Zum Buch gelangen Sie, wenn Sie vorstehenden Titel anklicken.

Das Kapitel „Zur Geschichte der Offenen Arbeit mit Kindern“ können Interessierte von hier aus auch direkt laden.

NAGEL-Redaktion – Die Etablierung der Offenen Arbeit mit Kindern Read More »

NAGEL-Redaktion – Gautinger Beschlüsse

Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge fasste 1953 die sogenannten Gautinger Beschlüsse (1). Hierbei handelte es sich um eine erste Orientierung für die neu entstehende Offene Jugendarbeit. Die hier formulierten Aussagen machen die damalige Sichtweise auf junge Menschen deutlich. Dort heißt es u.a.:

Die Aufgaben des Heims der offenen Tür

Das Heim der offenen Tür ist eine Freizeit- und Begegnungsstätte im freien Erziehungsraum und ergänzt die Erziehung im Elternhaus, in der Schule und im Beruf. Es dient der gesamten Jugend und muss allen offen stehen. Im Heim der offenen Tür soll der junge Mensch der sozialen Gesamheit begegnen; deshalb muss das Heim der offenen Tür die soziale Struktur der Gemeinde oder Nachbarschaft widerspiegeln.

Das Heim der offenen Tür vermittelt dem jungen Menschen das Gemeinschaftserlebnis und weist ihm Wege zur Welt der Erwachsenen. Dadurch lernt er, dass mit dem Erwerb von Rechten auch die Übernahme von Pflichten verbunden ist. Diese Erkenntnis bildet die Grundlage für die staats- und mitbürgerliche Pflicht.

Das Heim der offenen Tür hat die Aufgabe, im jungen Menschen die Kräfte zu wecken, die zu einer freien, selbstständigen und selbstverantwortlichen Persönlichkeit führen.

Durch Interessengruppen und Arbeitsgemeinschaft werden brachliegende Fähigkeiten und Neigungen erkannt und entwickelt. Damit wirkt das Heim der offenen Tür ausgleichend und fördernd zur Tätigkeit in der Schule und im Beruf.

Die Erziehungsarbeit im Heim der offenen Tür findet da ihre Grenze, wo es um die Formung der Persönlichkeit unter weltanschaulicher oder parteipolitischer Zielsetzung geht. 

Neben diesen allgemeinen Aufgaben ergeben sich aus der jeweiligen sozialen und politischen Situation besondere Aufgaben, für die das Heim der offenen Tür geeigneter Träger sein kann.

Quelle: Willy Klawe: Arbeit mit Jugendlichen, Juventa Verlag 1996, Seite 87 (zitiert nach Hermann Giesecke: Handbuch Kinder- und Jugendhilfe, 1983)

**********
(1) Nach der Tagungsstätte, dem Institut für Jugendarbeit des Bayerischen Jugendrings in Gauting, benannt.

 

NAGEL-Redaktion – Gautinger Beschlüsse Read More »

NAGEL-Redaktion – Nach 1945

Nach 1945 wurde in der Jugendarbeit teils an den Traditionen der Weimarer Republik angeknüpft. Das Fundament für die Offene Jugendarbeit wurde in der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg – zunächst in der amerikanischen Zone – gelegt. Den Amerikanern kam es darauf an, junge Deutsche zu „demokratisieren“: Ehemaligen Faschisten bzw. faschistisch Erzogene sollten zu Demokraten nach US-Vorbild umerzogen werden; wesentliche Inhalte und Prinzipien der GYA-Heime (German Youth Activities) waren Offenheit (Freiwilligkeit), Mitbestimmung, „weltanschauliche Neutralität“ (1) und „staatspolitische Erziehung“, die spätere „politische Bildung“. In der britischen Zone war ein „demokratischer Grundkonsens“ konzeptionell leitend, in der französischen Zone sollte es zu einer Verbindung von Jugendarbeit und Volksbildung kommen und in der russischen Zone (der späteren DDR) wurde antifaschistische Jugendarbeit postuliert. (2)


Ehemaliges GYA-Heim (Anne-Frank-Haus) in Karlsruhe (Quelle: Stadt Karlsruhe – Stadtgeschichte, Foto: Schlesiger)

Die Jugendpolitik der Allierten wirkt bis in die Gegenwart hinein. Während sich die Briten in ihrer Besatzungszone deutlich „laxer“ in Bezug auf staatliche Einflussnahme als die Amerikaner verhielten, entstanden adäquate Trägerstrukturen: So ist nachvollziehbar, dass es bislang bezüglich der Trägerschaft (in der alten Bundesrepublik) ein deutliches Nord-Süd-Gefälle gab und gibt: Im Norden ist nach wie vor ein Übergewicht der kommunalen Träger feststellbar, während im Süden fast ausschließlich freie Träger vorzufinden sind. (3)

Während die FDJ (Freie Deutsche Jugend), die Jugendorganisation der KPD, in Westdeutschland durch die Adenauer-Regierung 1951 verboten wurde (4), erhielt die 1946 gegründete Organisation in der DDR den Status eines staatlichen – monopolistischen – Verbandes mit der Untergliederung der „Jungen Pioniere“ für Kinder von sechs bis 14 Jahren. Die Wertigkeit der FDJ als staatliche Organisation war insofern immens, als „Erziehung und Bildung“ in der DDR unter das Staatsmonopol fielen. Die Strukturen in der DDR waren mit denen in der BRD kaum vergleichbar. (5)


Gründungsfeier der FDJ im Berliner Friedrichstadtpalast in der DDR 1947 (Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-T1017-326)

Symptomatisch für die Jugend nach dem zweiten Weltkrieg war sowohl in den drei Westzonen als auch in der Ostzone die immense Zahl von Arbeitslosen und generell katastophale Lebensverhältnisse: viele Väter waren gefallen bzw. noch in Kriegsgefangenschaft, es herrschte absolute Wohnungsnot und Schulnotstand; es mangelte an Nahrung, Kleidung usw. Verschärft wurde dieser Zustand durch ein hohes Maß an Vertriebenen aus dem Osten, die häufig in provisorischen Massenunterkünften untergebracht waren.

Parallel zu den entstehenden Strukturen der Offenen Jugendarbeit nahmen in der 50er Jahren in Westdeutschland auch die Jugendverbände ihre Aktivitäten wieder auf. Diesen gelang es zunehmend, Einflüsse auf die entstehende bzw. entstandene Offene Jugendarbeit zu nehmen, sodass oftmals die Differenzierung zwischen verbandlicher und Offener Arbeit verwischt wurde: wenngleich das Postulat der freiwilligen Teilnahme nach außen hin erklärt wurde, stellte sich der Absicht, weltanschauliche und religiöse Tendenzen in die Offene Arbeit einzubringen, als nicht unproblematisch dar. Vor allem nach dem Rückzug der Amerikaner (GYA) führte dies zu einer Beschneidung der bisherigen Angebote, gepaart mit Jugendfürsorgeabsichten. Die Jugendfreizeitheime mussten „den Jugendverbänden ideologisch ihre Referenz erweisen, … möglichst viele ihrer Besucher zu einer (…) Mitgliedschaft zu animieren“. (6) Diese Intervention ging zu Lasten von Mitbestimmung und Freiwilligkeit; die Träger definierten in der Regel, was für die Jugendlichen „sinnvoll“ war. In der Folge dominierten dementsprechend „angepasste“ (Mittelschichts-)Jugendliche die Heime.


Gewagte Jugend (Foto: Chargesheimer, veröffentlicht in: Lutz Nierhammer et al.: „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“, Essen 2006)

Ferner war festzustellen, dass sich die Träger bis in die 50er Jahre koedukativen Freizeitmöglichkeiten widersetzten; dies nicht etwa in der heutigen Absicht, den Geschlechtern in emanzipatorischer Hinsicht Hilfestellungen zu gewähren, sondern um vermeintliche Gefährdungen, die vom anderen Geschlecht ausgingen, zu vermeiden. So findet sich noch in einem Tagungsbericht des Landesjugendamtes Rheinland aus dem Jahre 1960 der Hinweis, Mädchen würden in gemischten Heimen einen störenden Einfluss dadurch ausüben, indem sie „mit ihren Stöckelschuhen und Petticoatröcken durch das Heim gehen und es nach kurzer Zeit verlassen mit dem Ergebnis, dass die Jungen mit ihren Motorrädern hinterherjagen.“ (7)


Mädchen in gemischten Heimen stören (Quelle: Universität Ulm)

Die „Heime der teiloffenen Tür“, die ab 1950 in Nordrhein-Westfalen gegründet wurden, sind ein Ergebnis dieser Verschiebungen; waren es die Verbände, in deren Trägerschaft diese Variante „Offener Arbeit“ sich befanden. Giesecke vermisste hinter diesem Vorgang ein pädagogisches Konzept. Seiner Meinung nach ging es nicht darum, Angebote für nicht organisierte Jugendliche zu schaffen, sondern sich öffentliche Subventionen in die Verbandskasse einzuverleiben. (8)

1953 gab es 110 Freizeitheime, davon die meisten in Großstädten. Der überwiegende Teil (70 %) wurde kommunal getragen, ferner fungierten die Kirchen (9 %) und separate Vereine als Träger. (9)

Die ersten Richtlinien für die Offene Jugendarbeit wurden 1953 in Gauting, in Form der sogenannten Gautinger Beschlüsse gefasst. Hierin wurde eine Definition der Einrichtung sowie die Festschreibung bestimmter Standards vorgenommen, z.B. über die Öffnungszeiten. Ferner wurden konzeptionelle, programmatische und methodische Vorgaben gemacht. Wenngleich gewisse inhaltliche Analogien zu den GYA-Ansätzen nicht zu übersehen waren, blieben etliche Kritikpunkte bestehen, z.B. die sehr starke Orientierung an einer Mittelschichtsklientel, die Traditionsverhaftung in überkommenen Ansichten, die Ausklammerung des schwierigen Verhältnisses zwischen Offener Arbeit und der Verbandsjugendarbeit sowie die völlige Ausklammerung des (unverarbeiteten) Nazivermächtnisses. (10)

Die Praxis dieser betulichen Offenen Jugendarbeit sorgte dann dafür, dass ein Großteil der Jugendlichen sich anderweitig orientierte, nämlich in Szenen, in denen Raum für ihre Interessen vorhanden war. Ihren Ausdruck fand diese Kultur im Rock’n Roll und (1955/56) in den sogenannten „Halbstarkenkrawallen“. „Der Rock’n Roll war die Musik der Halbstarken in Blue Jeans und Lederjacken, die gegen Muff, enge und erotische Enthaltsamkeit zu rebellieren begann.“ (11)


„Halbstarke“ 1956 (Quelle: Bildarchiv Preussischer Kulturbesitz)

Wie erwähnt war in der DDR als einzige Jugendorganisation die FDJ offiziell zugelassen. Ihr wesentliches Ziel war es, Parteikonformität gegenüber der SED zu erreichen. Sie diente als Kaderreserve nicht nur für die Partei, sondern suchte den Anschluss an alle relevanten Instanzen im Staat, etwa die Wirtschaft, das Militär, Schulen, Hochschulen und Betriebe. Ferner war die FDJ für eine systemkonforme Freizeitgestaltung verantwortlich. Sie war als Karrieresprungbrett für junge Menschen erforderlich (12). Jutta Ecarius und Cathleen Grunert beschreiben Kindheit und Jugend in der DDR als gegenüber der seinerzeitigen westdeutschen Sozialisation als „viel stärker institutionalisiert“. (13)


FDJ-Delegation beim Festumzug bei den 2. Weltjugendspielen im August 1949 in Budapest (Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-R78424)

***********

Fußnoten

(1) vgl. Lothar Böhnisch: Historische Skizzen zur offenen Jugendarbeit I, in: deutsche jugend 10/1984, S. 461
(2) vgl. Wolfgang Bauer: JugendHaus. Geschichte, Standort und Alltag Offener Jugendarbeit. Weinheim/Basel 1991, S. 28
(3) Seit Inkrafttreten des SGB VIII/KJHG (ab dem 1.1.1991) und mehr noch in Folge jüngerer Haushaltskonsolidierungsbemühungen seitens der Kommunen scheint es zu einer stärkeren Anpassung zu kommen: Es kann eine Art „Privatisierungstrend“ beobachtet werden; ehemals kommunale Einrichtungen werden in freie Trägerschaft überführt.
(4) vgl. Lutz von Werder: Sozialistische Erziehung in Deutschland 1848-1973, Frankfurt am Main 1974, S. 253
(5) Gleichwohl mag es erstaunen, dass in den über 40-Jahren BRD- und DDR-Geschichte die Interessenlagen der Jugendlichen sich nicht eklatant unterschieden. Dies kann beispielsweise auch dem Film „Das Jahrhundert des Kindes im Jahrhundert des bewegten Bildes“ entnommen werden, den Otto Schweizer und Donata Elschenbroich vom Deutschen Jugendinstitut im Auftrage der FernUniversität Hagen produziert haben, Hagen 1998.
(6) Hermann Giesecke: Die Jugendarbeit. München, 3. Auflage 1975, S. 91
(7) Sabine Doll: Wir lassen uns nicht verdrängen. Mädchenarbeit in Offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen (DER NAGELKOPF Nr. 9/1988), Unna (ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern) 1988, S. 7
(8) vgl. Hermann Giesecke 1975, a.a.O., S. 91 f.
(9) vgl.Franz-Josef Krafeld: Geschichte der Jugendarbeit, Weinheim 1984, S. 151
(10) vgl. hierzu auch: Wolfgang Bauer, a.a.O., S. 30 f; Hermann Giesecke: Politische Bildung in der Jugendarbeit, München 1980, S. 47; Lothar Böhnisch, a.a.O., S. 466; Peter Kohrs: Jugendliche in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1985, S. 31
(11) Wolfgang Bauer, a.a.O., S. 31
(12) vgl. Ulrich Mählert/Gerd-Rüdiger Stephan: Blaue Hemden – Rote Fahnen. Die Geschichte der Freien Deutschen Jugend, Opladen 1996. Weitere Informationen zu dieser Thematik können entnommen werden aus: Hans-Jürgen von Wensierski: Freie Deutsche Jugend?, in: deutsche jugend 4/1998 sowie: Neunter Jugendbericht der Bundesregierung, Bonn 1994
(13) vgl. Jutta Ecarius/Cathleen Grunert: Verselbständigung als Individualisierungsfalle, in: Jürgen Mansel (Hg.): Glückliche Kindheit – Schwierige Zeit? Über die veränderten Bedingungen des Aufwachsenens, Opladen 1996, S. 196

Weiterführende Links

Zweiter Weltkrieg (Wikipedia)

Die 1940er-Jahre (Wikipedia)

Die 1950er-Jahre (Wikipedia)

NAGEL-Redaktion – Nach 1945 Read More »

NAGEL-Redaktion – Die Anfänge

Jugendarbeit kann als Element des Ausdifferenzierungsprozesses der Jugendpflege (Armenpflege) gewertet werden, die sich ab dem 17. und 18. Jahrhundert entwickelt hat. Verwiesen werden soll exemplarisch auf die von Friedrich Fröbel (1782 – 1852) konzipierte Idee der „Kinderverwahranstalten“ und Spielplätze, der späteren „Kindergärten“ und auf die Einrichtung des Rauhen Hauses für verwahrloste Jugendliche (1833) durch Johann Heinrich Wichern (1808 – 1881), dem Begründer der „Inneren Mission“ (Diakonisches Werk) der Evangelischen Kirche.


Abbildung: Aus Leipzigs Schreber-Plätzen in: Die Gartenlaube 1, 1883 (Repro: Rainer Deimel)

„Offene“ Formen von Jugendarbeit sind seit Anfang des Jahrhunderts 20. Jahrhunderts festzustellen, parallel dazu auch der weitere Ausbau verbandlicher Jugendarbeit. Im Zuge der Industrialisierung etablierten sich Arbeiterbildungsbewegungen. In dem Maße, wie innerhalb sozialistischer und sozialdemokratischer Strömungen der Wille, sich weiterzubilden und zu emanzipieren feststellbar war, kann auch der Versuch des Staats, Einfluss auf „die Jugend“ zu gewinnen, nicht übersehen werden. Aus diesem (staatlich orientierten) Kontext heraus entwickelten sich in Folge z.B. die Volkshochschulen. Dem wilhelminischen Staat lag wenig an der Erstarkung der Arbeiterbewegung. Insofern hatte er ein deutliches Interesse an Einflussnahme, was vor allem in Preußen zu beobachten war. Da sich Jugendarbeit um die Jahrhundertwende (vom 19. zum 20. Jahrhundert) – unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung – ausschließlich an männliche Jugendliche wand  (1), bot sich als „Nebeneffekt“ eine militärische Rekrutierungsmöglichkeit an (2). Bürgerliche Bewegungen spielten für die weitere Differenzierung ebenso eine wichtige Rolle. Erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang die sogenannte „Wandervogel“-Bewegung.

Reigentanz der Wandervögel 1920 (Quelle: M. Andritzky/K. J. Friedrich: Klappholttal/Sylt 1919 – 1989 – Repro: Rainer Deimel)

Während dieser Zeit, in den ersten 20 Jahren des vergangenen Jahrhunderts, wurde die Jugend als „spezifisches Lebensalter“ quasi entdeckt; es entstand ein förmlicher „Jugendkult“.


Strandleben in der 1920-er Jahren (Quelle: M. Andritzky/K. J. Friedrichs: Klappholttal/Sylt 1919-1989, Repro: Rainer Deimel)

Im Spektrum der reformpädagogischen Schulkonzepte wurden vor und vor allem nach dem ersten Weltkrieg (1914-1918) teilweise Ausnahmeprojekte organisiert, die bis heute von der Schule nicht mehr bzw. nur in seltenen Fällen Fällen wieder aufgegriffen wurden. Am ehesten sind diese Vorbilder gegenwärtig in den „am ehesten originär kinderspezifischen Ansätzen“ realisiert worden, etwa auf Abenteuerspielplätzen und Kinderbauernhöfen. (3) Exemplarisch sei hier etwa die 1910 gegründete Odenwaldschule genannt. Die traditionelle Drillschule – die „Buch- und Lernschule“ (4) – sollte zugunsten einer Schule überwunden werden, in der sich die Selbsttätigkeit und die schöpferischen Kräfte der jungen Menschen entfalten konnten. Unabhängig vom „Fach“, sollten handwerkliches Geschick, der konstruktive Umgang mit Material und Werkzeug sowie gemeinschaftliche Arbeit auf der Grundlage der „Schülerselbstverwaltung über die pseudodemokratischen Formen hinaus entfaltet werden“. (5)


Bemalung des Bibliothekszimmers auf der Schulfarm Scharfenberg, reformpädagogisches Projekt. Scharfenberg ist eine Insel im Tegeler See in Berlin. (Foto: Veröffentlicht in: Weimarer Republik, siehe Fußnote 5)


Heuernte auf der Schulfarm Scharfenberg (Foto: Veröffentlicht in: Weimarer Republik, siehe Fußnote 5)


Offenes“ Singen bei den „Kinderfreunden“ in den 1920er-Jahren. Die „Kinderfreunde“ waren eine sozialdemokratische Jugendpflegeorganisation. Quelle: Kunstamt Kreuzberg/Institut für Theaterwissenschaft der Universität Köln (Hg.): Weimarer Republik, Berlin/Hamburg, 3. Auflage 1977

Einen Hinweis auf – möglicherweise erste – offene Angebote für Kinder (vergleichbar den späteren Abenteuerspielplätzen) in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts liefert Wilhelm Reich (1897 – 1957). Er verweist auf die Kulturparks in Moskau: Während die Eltern den Park für ihre eigenen Reproduktionsinteressen nutzen konnten, gab es für Kinder eigene, pädagogisch betreute Angebote. „Auf diese Weise verschwand das öde, trostlose Bild des Kindes, das gelangweilt und widerwärtig an der Hand der Eltern im Park dahinschlendert. So lernten fremde Kinder einander kennen, freundeten sich gegenseitig an und trennten sich ebenso leicht und rasch wieder; gelegentlich führten sie eine geschlossene Freundschaft weiter. Die Kinder vom 2. bis 10. Lebensjahr wurden ganz ‚unordentlich‘ … zusammengebracht, jedes Kind bekam irgendein Instrument primitivster Art, wie einen Schlüssel, einen Löffel, einen Teller usw. in die Hand. Ein musikalischer Pädagoge setzte sich ans Klavier…, und im Laufe weniger Minuten hatte sich das wunderbarste Orchester hergestellt. … dass in diesem Kulturpark Kinder in einer derart fabelhaften Weise zusammengefaßt und unterhalten werden, ist spezifisch lebenspositiv.“ (6) Reich bezeichnet die beschriebene Form der Freizeitgestaltung für Kinder als „unorganisiert organisiertes Spiel“. Die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) berichtete bereits 1930 von betreuten Bauspielplätzen in der Sowjetunion. (7) In der Stalin-Ära scheinen sich diese frühen Ansätze allerdings völlig zu verlieren.


Spielanlage in einem Kulturpark in Moskau in den 1920-er Jahren. Foto: Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) 40/1930 – (Repro: Rainer Deimel)

In Deutschland geschah der bis dahin deutlichste staatliche Zugriff auf die Jugendarbeit während des 3. Reiches: Die gesamte Jugend wurde gleichgeschaltet und zur „Hitlerjugend“ (HJ) zusammengefasst. Damit wurde eine Weiterentwicklung der Jugendarbeit gewaltsam für mehr als über ein Jahrzehnt unterbrochen.


HJ-Gruppe 1933 (Quelle: Bundesarchiv, Bild 119-5592-14A)


Reichsjugendtag 1934 (Quelle: Renzo Vespinani: Faschismus, Berlin/Hamburg 1976)


Nähstube des Bundes Deutscher Mädel (BDM), Berlin 1942. Die BDM-Gruppen galten als „Schwesternschaften der Hitlerjugend“ (Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-J02938)


Missbrauchte Jugend: Hitlerjugend im Kriegseinsatz 1943 (Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1974-120-37)

Gleichsam gibt es aus der Nazi-Epoche Hinweise auf das Entstehen von Formen offerer Arbeit mit Kindern: Derartige Formen – vornehmlich Spielplätze, Klubs und „Kinderecken“ (8) – wurden nämlich von den jüdischen Gemeinden in den Ghettos und Internierungslagern errichtet.


Spielende Kinder im Lodzer Ghetto 1941/42 (Archiv des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles, veröffentlich in George Eisen: Spielen im Schatten des Todes – Kinder und Holocaust, München/Zürich 1993)

Dies geschah zum einen vor dem Hintergrund, Kontrollen über die Kinderbanden einzurichten, die dort häufig zu einem massiven Problem wurden. Die Eltern waren aufgrund ihrer Zwangsarbeit häufig bis 14 Stunden fort, und von daher bestand dringender Betreuungsbedarf.


Trotzdem Ja zum Leben sagen: Im Ghetto erfanden die Kinder ihre eigenen Spiele und Spielsachen. Ghetto in Lodz, 1942. (Veröffentlicht in George Eisen: Spielen im Schatten des Todes – Kinder und Holocaust, München/Zürich 1993. Quelle: Museum der Ghettokämpfer, Israel)

Gleichermaßen gab es die Befürchtung, dass die Nazis bei „formaler“ gestalteten Einrichtungen für Kinder einen leichteren Zugriff auf jene gehabt hätten und sie schneller in Vernichtungslager hätten abtransportieren können. In diesen Bemühungen steckte unübersehbar auch die Hoffnung, das Grauen doch noch überleben zu können, wie von George Eisen dokumentiert wird (10).


Warschauer Ghetto 1943 (Quelle: jafi.org – Shoa)


Ghetto Warschau 1943 (Quelle unbekannt)

 

**********
Fußnoten

(1) Dies gilt übrigens bis in die jüngere Zeit hinein: Erst im Laufe der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden Konzepte auf ihre Geschlechtsspezifik hin untersucht und in Folge dazu stärker an Mädcheninteressen orientierte Korrekturen begonnen. Inzwischen gibt es ebenso Ansätze, eine geschlechtsbewusste Arbeit mit Jungen zu organisieren. 
(2) Aus unter anderem diesem Grund wurde übrigens 1717 von König Friedrich Wilhelm I. in Preußen auch die Schulpflicht eingeführt. Vgl. hierzu: Martin Schlu: Kulturgeschichte(martinschlu.de) und Wikipedia (Schulpflicht)
(3) Vgl. 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (Bonn 1998). Dort heißt es auf Seite 223: „Bei … Abenteuerspielplätzen scheinen sich am ehesten kinderspezifische Ansätze entwickelt zu haben.“ Dementsprechend heißt es in der Kommentierung der Bundesregierung in dem besagten Bericht in Punkt 19 auf Seite IX: „Die Bundesregierung sieht als wünschenswert an, die kinderbezogenen Angebote wie unter anderem Abenteuer-, Bau und Aktivspielplätze … und Spielmobile flächendeckend zu verstärken.“
(4) Volker Hoffmann: Anmerkungen zum Verhältnis von Massenschule und Versuchesschulen in der Weimarer Republik, in: Kunstamt Kreuzberg/Institut für Theaterwissenschaft der Universität Köln (Hg.): Weimarer Republik, Berlin/Hamburg, 3. Auflage 1977, Seite 565
(5) ebenda, eite 565 f.
(7) Wilhelm Reich: Die sexuelle Revolution, Frankfurt am Main, 8. Auflage 1979, S. 241 f.
(8) Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) 47, Berlin 1930, S. zitiert nach: Amt für industrielle Formgestaltung (AIF) der DDR/Finnischer Designerverband (ORNAMO): Plätze zum Spielen, Berlin/Helsinki 1985, S. 65
(9) Der Begriff „Kinderecken“ taucht übrigens nach dem Weltkried II. in Finnland erneut auf.
(10) vgl. George Eisen: Spielen im Schatten des Todes. Kinder und Holocaust. München/Zürich (Piper) 1993, S. 51 ff.

Weiterführende Links

Die 1900er-Jahre (Wikipedia)

Das 19. Jahrhundert (Wikipedia)

Die Wilhelminische Zeit (Wikipedia)

Die 1910er-Jahre (Wikipedia)

Der Erste Weltkrieg (Wikipedia)

Weimarer Republik (Wikipedia)

Die 1930er-Jahre (Wikipedia)

Der Hitlerfaschismus (Wikipedia)

Die 1940er-Jahre (Wikipedia)

Reformpädagogik (Wikipedia)

NAGEL-Redaktion – Die Anfänge Read More »

Mitglied werden

ABA-Mitglieder begreifen sich als Solidargemeinschaft. Sie setzen sich in besonderer Weise für die Belange der Offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein.

Mehr …

Aktuelle Projekte

Was macht der ABA Fachverband eigentlich? Hier stehts´s! Besuchen Sie die derzeitigen ABA-Baustellen.

Mehr …

Der i-Punkt Informationsdienst: handverlesene Infos aus der ABA-Welt, regelmäßig und kostenlos, direkt in Ihr Postfach.
Hinweis: Ihre E-Mail Adresse wird gespeichert und verarbeitet, damit wir Ihnen eine Bestätigungsmail schicken können. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Nach oben scrollen