Ohne dass Deutschland bis dahin davon tangiert wurde, hatte sich im europäischen Ausland eine Variante Offener Arbeit für Kinder etabliert. So hatte der dänische Gartenbauarchitekt, Künstler und Kunstprofessor Carl Theodor Sørensen (1893-1979), der in Kopenhagen zeitweilig zuständig für die Errichtung von Spielplätzen war, bereits im Kriegsjahr 1943 den Prototypen des pädagogisch betreuten Spielplatzes geschaffen. Dieser entstand auf einer Fläche von 6.000 qm in Emdrup, einem Kopenhagener Vorort. Sørensen schlussfolgerte aufgrund seiner Beobachtung, dass die Kinder seine „schönen“ und erwachsenengerechten Spielplätze nicht bzw. nur wenig annahmen, diese müssten sich anderenorts Spielgelegenheiten erobern. Und er entdeckte sie auf Schrotthalden, Brauchflächen, Trümmergrundstücken und Baustellen. Hieraus konzipierte er in Zusammenarbeit mit dem Architekten D. Fink zunächst die Idee der „skrammellegepladsen“ (Gerümpelspielplätze). Das Spielangebot bestand aus Gerümpel, Schrott und Schutt jeglicher Art. Aus den Gerümpelspielplätzen entwickelten sich in Folge in weiten Teilen Dänemarks die „byggelegepladsen“ (Bauspielplätze).
Skrammellegeplads in Kopenhagen (Foto: Königlich Dänisches Ministerium des Äußeren, Kopenhagen, gefunden bei Gerhard Aick: Die Befreiung des Kindes, Schriftenreihe der IGA 1963 Hamburg – Repro: Rainer Deimel)
Auffallendes Merkmal der dänischen Bauspielplätze war die Intention, Kindern die Welt der Erwachsenen auf kindgemäße Art und Weise zugänglich zu machen: im Grunde wurde hier das Leben der Erwachsenenwelt auf Kinderterritorien nachgespielt, um den Umgang damit zu vermitteln. In diesem Kontext sollte erwähnt werden, dass Kinderinteressen in Skandinavien schon wesentlich länger eine wichtigere Rolle als beispielsweise in Deutschland spielen.
Bellhøj Skammellegeplads (Foto: abm.nu, ABA Fotobutikke)
Früher Byggelegeplads 1949 (Foto: Willy F. Hansen)
Byggelegeplads (Foto: Bymuseum Kopenhagen, Kulturministerium Dänemark)
Die britische Gartenbauarchtektin Lady Allen of Hurtwood verschaffte sich gegen Ende der 40er Jahre in Skandinavien einen Eindruck über diese Form Offener Arbeit mit Kindern. Sie nivellierte jenen konzeptionellen Ansatz, indem sie besagten offenen Einrichtungstypus ab 1948 in Großbritannien vornehmlich in verdichteten industriellen Ballungsgebieten (London. Manchester, Leeds usw.), in denen Kindern natürliche Spielräume in besonderem Maße abhanden gekommen waren, einführte, ein „künstliches Abenteuer“ sozusagen. Hier taucht dann auch erstmalig der Begriff „adventure playground“ (Abenteuerspielplatz) auf. (1)
Ein erster Abenteuerspielplatz entstand ebenfalls Anfang der 50er Jahre in den Niederlanden, nämlich in Amsterdam. Sein anfänglicher Name „Jongensland“ deutete bereits auf seine ursprüngliche konzeptionelle Intention hin: dieser im Amsterdamer Osten auf einer Halbinsel im Ijsselmeer gelegene Platz sollte präventtiv und interventiv wirksam werden. Seine Zielgruppe waren Jungen, die durch die Kriegs- und Nachkriegswirren stark gefährdet waren und als Straßenkinder ihr „Unwesen trieben“. Dieser über 40.000 qm große Platz existiert nach wie vor; seit geraumer Zeit ist er ein „normaler“ Abenteuerspielplatz, nennt sich „Jeugdland“ (Jugendland) und ist eingebettet in die Jugendhilfelandschaft der „Stichting Amsterdam-Oost“.
Jongensland in den 1950-er Jahren (Foto: Het Geheugen van Oost, Amsterdam)
In den Niederlanden hat sich die Idee der betreuten Spielplätze als Einrichtungen der Offenen Kinderarbeit seit Anfang der 50er Jahre verbreitet. Schwerpunkte bilden die Städte Utrecht und Arnheim. Seit Anfang der siebziger Jahre sind diese Plätze meist formell in Bouw- bzw Avontuurenspeelplatsen bzw. -tuins (Bau- bzw. Abenteuerspielplätze bzw. -gärten) umgewandelt worden. Die unterschiedlich starke Verbreitung ist dadurch erklärbar, dass es sich bei der Einrichtung derartiger Angebote um „freiwillige“ kommunale Aufgaben handelt. (2)
1956 wurde in der Schweiz, in Zürich, mit Unterstützung der Stiftung „Pro Juventute“ (3) der erste „Robinsonspielplatz“ eingerichtet, weitere im ganzen Land folgten. „Pro Juventute“ vertrat die Ansicht, ein Spielplatz müsse eine gewisse „Spieldramatik“ besitzen. (4) Der Begriff „Robinsonspielplatz“ wurde in Deutschland anders interpretiert. Hierzulande wurden etwa ab Anfang der 60-er Jahre sogenannte Robinsonspielplätze ohne die auf Abenteuerspielplätzen typische Eigenaktivität der Kinder installiert. Ausgehend von der „IGA 63“ (der Internationalen Gartenbau-Ausstellung, die 1963 in Hamburg stattfand), handelte es sich nicht selten dabei um groß dimensionierte und entsprechend kostspielige Projekte mit (starren) Geräten aus Holz und anderen Materialien: Hängebrücken, Forts, Blockhütten, Aussichts- und Klettertürmen. (5)
Planten un Blomen in Hamburg. Der abgebildete Spielplatz entstand zur IGA 1963. Das Foto stammt aus dem Jahr 2005 (Foto: Wolfgang Feld, eingestellt bei Wikipedia)
Ein vergleichbarer Spielplatztypus wurde auch in der DDR entwickelt. Obwohl diese Einrichtungen im offiziellen Sprachgebrauch „Spielanlagen“ (6) hießen, wurden sie häufig von der Bevölkerung als „Abenteuerspielplätze“ bezeichnet. Dieser Umstand erklärt, weshalb sich die AktivistInnen vor und auch nach „der Wende“ mit dem Begriff „Abenteuerspielplatz“ zunächst schwer taten.
Spielplatz in der DDR: Bewegungsmöglichkeiten für Kinder spielten seinerzeit in der DDR eine große Rolle (Quelle des Bildes: Spielanlagen für Kinder und Jugendliche, Bauakademie der DDR, 1979 – Repro: Rainer Deimel)
Im Gegensatz zu den ursprünglich in Westdeutschland als „Robinsonspielplatz“ und in der DDR als „Abenteuerspielplatz“ bezeichneten Anlagen fand und findet auf den Schweizer Robinsonspielplätzen Offene Arbeit statt. Sie sind betreut und verfügen über typische Bereiche wie Feuerstelle, Wasser, Tierhaltung usw. Der Bauspielplatz ist häufig ein separater Bereich innerhalb des Robinsonspielplatzes. Zeitweilig war oder ist der Bauspielbereich für Erwachsene, die nicht auf dem Platz arbeiten, nicht zugänglich ist, damit die Kinder ungestört sein können.
In Schweden wurde ab 1964, zunächst in Göteborg, ein weiterer offener Einrichtungstypus für Kinder geschaffen, die „Spielparks“, eine Idee, die auch in Finnland und Jahre später in Deutschland, nämlich in Hannover aufgegriffen wurde. In Finnland gibt es für Bauspielplätze auch die Bezeichnung „Konstruktionsspielplätze“.Obwohl Fachleute in Deutschland immer wieder auf die Bedeutung derartiger offener Angebote hingewiesen hatten, konnte bis zu den ausgehenden 60er Jahren diesbezüglich nichts bewegt werden.
Zeitgenössische Bilder
Spielplatz in Hamburg 1963 (Repro: Rainer Deimel)
Das Foto, das Gerhard Aick in der Schriftenreihe zur IGA 1963 unter dem Titel „Die Befreiung des Kindes – Kleine Kulturgeschichte des Spiels und des Kinderspielplatzes“ veröffentlichte, wurde von ihm folgendermaßen untertitelt: „In Deutschland sucht die Spielplatzgestaltung neue Wege. Hier ein Spielplatz in Hamburg mit Geräten in filigraner Stahlröhrenkonstruktion.“
Spielplatz in Zürich 1963 (Repro: Rainer Deimel)
Auch dieses Bild veröffentlichte Gerhard Aick in dem genannten Bändchen. Hier ist folgende Bildunterschrift zu finden: „Die Schweiz ist führend in der Spielplatzgestaltung: Kriechröhren, Pilzhütten, Schaukelbretter und Kletterturm mit Schutzdach auf einem Spielplatz in Zürich.“
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Fußnoten
(1) Großbritannien verfügt über ein dichtes Netz von adventure playgrounds; allein in London gibt es ca. 100.
(2) Ferner gibt es in den Niederlanden gegenwärtig zwischen 300 und 400 „Kinderboerderijen“ (Kinderbauernhöfe). Diese befinden sich in sehr unterschiedlicher Trägerschaft; oft sind die Betreiber Privatpersonen oder private Personenzusammenschlüsse (Hausfrauen, Rentner usw.), aber auch Gemeinden, Kirchen usw. Diese Kinderboerderijen haben eher den Charakter von Streichelzoos. Für diesen Einrichtungstypus tauchte in Belgien vor Jahren zutreffenderweise zeitweilig der Begriff „Vitrine-Zoo“ auf. Die Avontuuren- und Bouwspeelplatsen verfügen regelmäßig auch über eine Kinderboerderij.
(3) Die Stiftung „Pro Juventute“ fungierte längere Zeit als Dachverband für die Schweiz. Für einige Jahre existierte ein weiterer Dachverband für die Offene Kinderarbeit, „SpeuX“. Der Verband hat zwischenzeitlich seien Arbeit wieder eingestellt. „SpeuX“ war ein Kunstwort und wurde aus dem deutschen Begriff „Spiel“ und der französischen Analogie „Jeux“ zusammengesetzt.
(4) Gerhard Aick: Die Befreiung des Kindes, Hamburg 1963, S. 40
(5) Das zuvor genannte Bändchen von Gerhard Aick weist auf die seinerzeitige Entwicklung hin.(6) vgl.: Bauakademie der DDR/Institut für Städtebau und Architektur (Hg.): Spielanlagen für Kinder und Jugendliche, Berlin 1979
Hinweis
Hiltrud von Spiegel: Offene Arbeit mit Kindern – (k)ein Kinderspiel. Erklärungswissen und Hilfen zum methodischen Arbeiten. Münster 1997, Votum Verlag.
Das Buch ist inzwischen vergriffen. Unser Fachbeiratsmitglied Prof. Dr. Hiltrud von Spiegel hat uns das Manuskript dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise können wir es Ihnen hier anbieten. Zum Buch gelangen Sie, wenn Sie vorstehenden Titel anklicken.