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NAGEL-Redaktion – Entspannung mit Kindern

Entspannungsübungen helfen, Konzentration und Kreativität bei Schulkindern zu fördern. Optimal erschließt sich ihre Wirkung jedoch nicht als isolierte Maßnahme ? quasi an Stelle eines fehlenden guten Schulklimas ?, sondern erst im Zusammenspiel verschiedener schulischer Faktoren. Der vorliegende Beitrag bezieht sich zwar auf Grundschulen; empfehlenswert sind Entspannungsübungen aber auch für weiterführende Schulen.

Kinder stehen schon sehr früh unter starken Belastungen. So beginnt bei vielen bereits der Leistungsdruck im Kindergarten. Kinder wissen schon sehr früh, dass von ihnen besondere schulische Leistungen erwartet werden, weil sie eine bestimmte Schul- oder eine besondere Berufsausbildung durchlaufen sollen.

Auch Kinder kennen Stress

So müssen sie mit unterschiedlichstem Stress in ihrem Alltag fertig werden: überfüllte Klassen, Leistungsdruck, überforderte Lehrkräfte, Konflikte in der Familie, Scheidungen, Arbeitslosigkeit usw. Die Medien vermitteln ihnen zusätzlich ständig eine Umwelt, die von Gewalt, Brutalität und Gefahren geprägt ist.

So ist es nicht verwunderlich, wenn Kinder auf Stress mit körperlichen Symptomen reagieren: Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Bettnässen, Bauchweh, Durchfall, Kurzatmigkeit, Asthma, Herzrasen etc. Aber auch im emotionalen Bereich werden Stresssymptome in überhöhter Ängstlichkeit, unkontrollierten Wutausbrüchen, hoher Nervosität und starker Unkonzentriertheit usw. erkennbar.

Kinder profitieren von Entspannungsübungen

Natürlich kann die Schule alle diese Probleme nicht bearbeiten oder gar lösen. Sie kann aber Kindern die Gelegenheit geben, zur Ruhe zu kommen und für einige Minuten abzuschalten ? in einer geleiteten Entspannungsübung. Viele müssen das erst mühsam erlernen; manche Kinder besuchen sogar spezielle Kurse.

In den letzten Jahren arbeiten immer mehr Lehrkräfte im Unterricht mit Entspannungsmethoden. Entspannungsübungen kommen allen Kindern zugute. Sie dienen nicht der Disziplinierung von Kindern. Vielmehr besteht ihre Zielsetzung darin, Konzentration, Fantasie und Kreativität der Kinder zu fördern.

In der Schulklasse sind vor allem jüngere Kinder gewohnt, täglich mit ihrer Lehrerin zu arbeiten. In der Regel vertrauen sie ihr und lassen sich bei ihr problemlos gern auf eine Entspannung ein. Sie erleben Entspannungsübungen als einen angenehmen Zustand. Und weil sie ihn positiv erleben können, wirkt er auch besonders verstärkend.

Immer wieder kann im Unterricht beobachtet werden, dass durch Entspannungsübungen vor allem die Konzentrationsfähigkeit verbessert wird. So genannte psychosomatische Erscheinungsbilder wie Bauch- und Kopfschmerzen, Übelkeit, Schlafstörungen etc. werden ebenfalls beeinflusst. Besonders auffällig ist, dass viele Kinder sich Entspannungsübungen vor Klassenarbeiten wünschen. Hier hat die Entspannung die Funktion, Angstzustände zu mindern und den Kindern die Möglichkeit zu geben, den geforderten Stoff besser zu aktivieren.

Die meisten genießen einfach die Entspannungsübungen, die für sie zur täglichen Psychohygiene gehören.

Entspannung in der Schulklasse

In Grundschulklassen lässt sich die Entspannung leicht als wöchentliches oder tägliches Ritual etablieren. Sie dauert etwa eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten und kann im Sitzkreis durchgeführt werden.

Der hier vorgestellte Trainingsansatz orientiert sich an der Grundstufe des Autogenen Trainings von Prof. J.H. Schultz. Diese Instruktionen reichen für den Einsatz in der Schule völlig aus. Dabei werden vor allem die Vorstellungskraft der Kinder aktiviert und Körperreaktionen beeinflusst bzw. hervorgerufen.

Die Entspannungsgeschichten können im Unterricht vorgelesen werden. Dabei bestimmt die Lehrkraft den Zeitpunkt.

Es ist günstig, den Einsatz von Entspannungsübungen zunächst einzuüben, damit sie dann im ?Ernstfall? besser funktionieren. Die Entspannungsgeschichten sollten so gestaltet sein, dass sie vor allem auch unruhige Kinder ansprechen. Sie sollten von daher inhaltlich immer einen kleinen Spannungsbogen enthalten. Es wird eine Durchführungsdauer von zehn Minuten empfohlen. Fortsetzungsgeschichten erfreuen sich bei Kindern großer Beliebtheit. Traut man sich noch nicht, eine Geschichte selbst zu erfinden, kann man aus der Literatur entsprechende Beispiele auswählen.

Für den Einsatz in der Schule verbindet man die Entspannungsgeschichten am besten mit Musik. Dabei wird eine Musik bevorzugt, die sechzig Taktschläge aufweist, was einem verlangsamten Herzrhythmus entspricht. Bei der Auswahl der Musik hören Kinder Stücke aus der Klassik oder aus dem Fernöstlichen meist nicht gern.

Aufbau einer Entspannungsgeschichte

Alle Entspannungsgeschichten haben den gleichen Aufbau:

1. ein Einstiegsritual

2. die eigentliche Entspannungsgeschichte

3. ein Ausstiegsritual.

Einstiegs- und Ausstiegsritual bleiben bei allen Geschichten in der Wortwahl gleich. Die Entspannungsgeschichte des Mittelteils erfindet man in der Regel selbst.

In das Einstiegsritual, in den Mittelteil und auch in das Aussteigritual bettet man nun entsprechende Instruktionen aus der Grundstufe des Autogenen Trainings: Ruhe-, Schwere- und Wärmeinstruktionen für Arme und/oder Beine.

Dazu kommen Instruktionen zur Förderung des Farbensehens. Die Anweisungen aus dem Autogenen Training werden so integriert, dass sie sich dem Handlungsablauf anpassen:

Wärme wird dann suggeriert, wenn es zur erzählten Entspannungsgeschichte passt (Sonnenstrahlen, glänzend von Gold und Silber etc. werden mit Wärme in Verbindung gebracht). Fantasievorstellungen wie Schwimmen im Wasser, Tragen von schweren Gegenständen etc. assoziiert man mit Schwere.

Solche Vorstellungsbilder helfen den Kindern, Wärme, Schwere und Ruhe leichter wahrzunehmen. Beispiele und genaue Durchführungsinstruktionen finden sich in der entsprechenden Fachliteratur.

Feedback

Nach jeder Entspannungsübung erfolgt ein kurzes Feedback. Es besteht aus den Fragen:

1. Wie war die Übung für dich?

2. Wie fühlst du dich jetzt?

Jedes Kind aus der Gruppe gibt eine kurze Antwort auf die gestellte Frage.

Dabei ist es besonders wichtig, dass jedes Kind die Möglichkeit erhält zu antworten. Bei jüngeren Kindern ist es so, dass die Mehrzahl nur mit einem Wort antwortet. Dies wird akzeptiert.

Für jede einzelne Äußerung bedankt man sich. Dabei schaut man das Kind an. Man nimmt Blickkontakt auf. Gerade unruhige Kinder haben oft keinen Blickkontakt zur Lehrkraft. Egal, was das Kind berichtet oder antwortet, man kommentiert seine Aussage mit einem emphatischen ?Danke?.

Die Feedbackäußerungen der Kinder werden also auf keinen Fall kommentiert oder gar korrigiert. Von daher sollen auch keine weiterführenden ?bohrenden? Fragen gestellt werden. Dem Kind allein ist es überlassen, was und wie viel es sagt.

Die Unruhigen haben vor allem am Anfang der Geschichten Schwierigkeiten, sich auf eine strukturierte Übung, die ruhiges Sitzen erfordert, einzulassen. Es kann günstig sein, diese Kinder neben sich zu setzen und ihnen bei starker Unruhe beruhigend die eigene Hand auf den Arm zu legen. Von den Fantasievorstellungen her lassen sie sich gern auf die Geschichten ein und berichten auch immer begeistert, was sie gesehen haben.

Beispiel: Entspannung in wenigen Sekunden

Besonders in Angstsituationen erwarten Kinder eine Hilfestellung durch entsprechende kurze Entspannungsübungen. Sie müssen schnell durchführbar sein, nur wenige Sekunden dauern und den Stress sofort mindern (z.B. vor Klassenarbeiten). Besonders wichtig ist, dass man sie im Alltag problemlos durchführen kann ? ohne beobachtet zu werden.

Du setzt dich ruhig hin und atmest zunächst fünfmal tief ein und aus.

Dann atmest du tief ein, zählst innerlich bis drei und hältst so lange die Luft an und atmest dann wieder aus.

Jetzt beginnst du von Neuem und atmest wieder tief ein, zählst innerlich bis drei, hältst dabei die Luft an und atmest tief aus.

Das wiederholst du dreimal.

Autor: Dipl.-Psych. Dieter Krowatschek ist Leiter des Schulpsychologischen Dienstes in Marburg und unterrichtet selbst als Klassenlehrer. Therapeutisch arbeitet er vor allem mit verhaltensauffälligen, aggressiven und überaktiven Kindern und hat mehrere Trainingsprogramme für den Einsatz in der Schule entwickelt.

Literatur:

Krowatschek, D.: Entspannung in der Schule. (Buch und Kassette). verlag modernes lernen, Dortmund 2001
Krowatschek, D. & Zuzak, U.: Entspannung in Kindergarten und Grundschule (Buch und CD). AOL-Verlag, Lichtenau 2000
Krowatschek, D.: Mit dem Zauberteppich unterwegs ? (Buch und CD). AOL-Verlag, Lichtenau 2002
Krowatschek, D.: Entspannung mit Jugendlichen. (Buch und Kassette). verlag modernes lernen, Dortmund 2002
Müller, E.: Hilfe gegen Schulstress (Buch). Rowohlt, Hamburg 1998
Murdock, M.: Dann trägt mich meine Wolke. Wie Große und Kleine spielend leicht lernen (Buch, Kassette oder CD). Verlag Hermann Bauer, Freiburg 1998
Teml, H.: Entspannt lernen (Stressabbau, Lernförderung und ganzheitliche Erziehung) (Buch). Veritas Verlag, Linz 1998
Vopel, K.: Zauberhände (Buch). Iskopress, Salzhausen 1994

Die in dieser Literaturliste aufgeführten Medien stellen nur einen kleinen Ausschnitt des in diesem Bereich vorhandenen Angebots dar. Ein Qualitätsurteil ist damit nicht verbunden.

Vorstehender Beitrag wurde uns freundlicherweise von der Redaktion der Zeit pluspunkt zur Verfügung gestellt, in dessen Ausgabe 4-2003 er veröffentlicht wurde. Herausgegeben wird pluspunkt vom Bundesverband der Unfallkassen. Der Verlag und Vertrieb wird von der Universum Verlagsanstalt vorgenommen. Interessierte finden pluspunkt in der Linkliste der vom ABA Fachverband empfohlenen Zeitschriften unter NAGEL-Redaktion -> Fachzeitschriften.

Die vorgestellte Entspannungsmethode ist auch für die Kinder- und Jugendarbeit sehr geeignet. Nähere Auskünfte erteilt der ABA Fachverband.

 

Nachfolgend ist ein wunderbares Praxisbeispiel, das Dieter Krowatschek dokumentiert hat, zur Nachahmung für einfühlsame PädagogInnen dokumentiert:

Stell dir vor, du unternimmst auf deinem Zauberteppich eine Traumreise. Du setzt dich ganz ruhig hin und atmest tief ein und aus. Nichts stört dich mehr. Du machst es dir ganz bequem. Du vergisst alles, was um dich herum geschieht. Du schließt die Augen und entspannst dich.

Ich zähle jetzt gleich von 1 bis 10, und dabei kannst du dich immer gelöster und entspannter fühlen. Immer sicherer und immer ruhiger. Du schließt die Augen und beginnst, dich zu entspannen.

 

Eins:           Du kannst dich jetzt entspannen.

Zwei:           Du vergisst alles, was um dich herum geschieht.

Drei:           Du atmest tief ein und aus.

Vier:           Du fühlst dich ganz sicher und ruhig.

Fünf:           Du bist immer gelöster und entspannter.

Sechs:          Du merkst: Meine Arme sind ganz ruhig.

Sieben:         Auch bei deinen Beinen stellst du fest:

                    Meine Beine sind ganz ruhig.

Acht:           Du kannst jetzt einfach abschalten.

Neun:           Nichts stört dich mehr.

Zehn:           Du bist jetzt bereit für die Traumreise auf

                  deinem Zauberteppich.

Du bist schon ganz gespannt, wohin der Zauberteppich dich heute bringt. Zuerst fliegt er noch einen weiten Bogen über der Schule und verschwindet dann in den Wolken. Zuerst kannst du gar nichts erkennen. Nach und nach werden die Wolken weniger, und du fliegst durch einen strahlend blauen Himmel.

Die Sonne scheint warm auf dich herab, und während du so fliegst, ist dein Körper auf eine angenehme Art schwer und entspannt.

Du merkst es zuerst an deinen Armen. Du merkst:

Mein rechter Arm ist ganz schwer.

Mein rechter Arm ist ganz schwer.

Und auch bei deinem linken Arm stellst du fest:

Mein linker Arm ist ganz schwer.

Mein linker Arm ist ganz schwer.

Meine beiden Arme sind ganz schwer.

Inzwischen kannst du unter dir das Blau des Meeres erkennen. Vor dir liegt eine Insel mit einem weißen Sandstrand und vielen großen Palmen. Du landest unter der größten Palme und gehst durch den warmen Sand. Du hast die Schuhe und die Strümpfe ausgezogen und spürst den warmen Sand unter deinen Füßen. Du läufst zum Wasser. Es weht ein leichter Wind, und du kannst das Salzwasser auf deinen Lippen schmecken. Kleine Wellen brechen sich an deinen Füßen. Das Wasser ist ebenfalls angenehm warm.

Da siehst du plötzlich vor dir eine alte grüne Flasche. Neugierig hebst du sie auf. Aber was ist das? In der Flasche liegt eine Botschaft! Du öffnest den Korken und ziehst vorsichtig den Zettel durch den engen Flaschenhals.

Auf dem Zettel steht: ?Hilfe, ich bin die Prinzessin Fatima und werde auf einem alten Schiffswrack gefangen gehalten.?

Du beschließt, das Wrack zu suchen, um die Prinzessin zu retten. Du wanderst zum Südende der Insel. Nach einiger Zeit wird die Küste steiniger, und bald befindest du dich am Rande einer Steilklippe, die fast senkrecht zum tosenden Meer abfällt. Von hier oben hast du einen guten Überblick. Zunächst entdeckst du nichts Ungewöhnliches, aber als du näher an den Klippenrand trittst, kannst du eine versteckte Lagune erkennen, die von steilen Felsen umrandet wird. Inmitten des Wassers liegt das halb gesunkene Wrack eines alten Segelschiffes. Die Segel sind verschlissen, und das Holz ist vermodert. Nur der hintere Teil des Rumpfes ragt noch weit genug aus dem Wasser, weil der Bug von einem Riff aufgerissen wurde. Du weißt sofort, hier wird die arme Prinzessin gefangen gehalten. Doch wie kannst du zu dem Wrack hinuntergelangen? Die Felswände sind steil und glatt, und es ist unmöglich hinunterzuklettern.

So beschließt du, zunächst einmal zurückzufliegen. Bei deiner nächsten Reise mit dem Zauberteppich wirst du mit einer Rettungsausrüstung zurückkehren.

Du gehst am Ufer entlang zurück zu deinem Zauberteppich, fühlst den Wind und riechst die Seeluft. Du fliegst zurück ins Hier und Jetzt. Dabei denkst du: Ich bin ganz ruhig, und meine Arme und Beine sind ganz schwer und ganz warm. Es ist schön, so durch die Luft zu schweben.

Und wenn ich jetzt gleich von 10 bis 1 zähle, ist das für dich ein Angebot, dass du allmählich ins Hier und Jetzt zurückkehren kannst. Wenn du wach geworden bist, fühlst du dich ruhig, zuversichtlich, ausgeglichen, stark, selbstbewusst und zufrieden.

Zehn:           Du kannst jetzt zurückkehren ins Hier und Jetzt.

Neun:           Du fühlst dich gelassen, ruhig und zufrieden.

Acht:           Du wirst allmählich wieder wach.

Sieben:        Du genießt deine Ruhe, Schwere und Wärme.

Sechs:        Erstaunlich, wie ruhig du dich fühlen kannst.

Fünf::          Es ist schön zu wissen, dass du entspannt sein kannst.

Vier:           Es macht Spaß, seine Fantasie zu entfalten.

Drei:           Du kannst jetzt deine Hände bewegen.

                  Du streckst die Arme nach oben.

Zwei:           Du atmest tief ein und aus.

Eins:           Du öffnest die Augen und bist zurückgekehrt

                  ins Hier und Jetzt.

Inhalt:

Der Zauberteppich fliegt zu einer Insel, an deren Strand eine Flaschenpost gefunden wird. Sie enthält die Botschaft, dass die Prinzessin Fatima auf einem Schiffswrack festgehalten wird. Das Wrack wird gesucht und gefunden. Um es zu erreichen, wird eine Rettungsausrüstung benötigt.

Durchführungshinweise:

Die Geschichte ist ab der Klasse 1 einsetzbar, wird aber auch in der Klasse 6 noch gern gehört. Sie kann fortgesetzt werden. Die Kinder werden nach weiteren Folgen fragen. Der Schluss kann aber auch so verändert werden, dass die Prinzessin schon in der ersten Geschichte gefunden wird.

Eine weitere Möglichkeit ist es, die Kinder zu befragen, wie sie sich den Fortgang der Geschichte vorstellen. In der Regel erhält man so viele Anregungen, dass man sich schließlich für eine Variante entscheiden muss.

Die Zahlen im Einstiegs- und Ausstiegsritual können miteinander verbunden werden, das heißt, dass nicht bei jeder Zahl unbedingt eine Instruktion notwendig  ist.

Man kann auch nur die Instruktionen sprechen, ohne dabei zu zählen. Allerdings hat sich in   

der Praxis gezeigt, dass Kinder es bevorzugen, wenn gezählt wird, weil sie dann wissen, an welcher Stelle der Entspannung sie sind.

NAGEL-Redaktion – Deutsche Kinder

Der Trend, auf den wir bereits vor geraumer Zeit verwiesen haben (siehe „Kinder, Jugendliche und Gesundheit“ von Rainer Deimel unter -> NAGEL-Redaktion -> Gesundheit von Kindern), setzt sich weiterhin fort.

Bis zu 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen weisen Haltungsschäden auf. Jeder dritte junge Mensch zwischen sieben und 17 Jahren klagt über Kopf- und Rückenschmerzen. Hierauf macht die Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation aufmerksam. Kinder sollten täglich mindestens 45 Minuten Sport treiben (dpa).

An dieser Stelle möchten wir erneut mit Entschiedenheit darauf verweisen, dass die von uns vertretenen Konzepte handlungsorientierter Pädagogik ? beispielsweise Abenteuerspielplätze ? wie keine anderen in der Lage sind, Kinder gesundheitlich zu fördern. Als „Säulen“ unserer Konzepte begreifen wir Bildung, Gesundheitsförderung sowie allgemeine pädagogische Unterstützung, dies zum Teil auch „ersatzweise“ (Stichwort: veränderte Familienkonstellationen). Andererseits erhalten Kinder nach Ansicht von Kinderärzten zu viele Therapien. Sie warnen Eltern, Kinder aus falschem Ehrgeiz behandeln zu lassen.

Die WAZ vom 29. Juli 2003 berichtete: „Jedes vierte nichtbehinderte Kind (27 Prozent) hat nach einer Studie bis zum neunten Lebensjahr mindestens eine Therapie durchlaufen: Ergotherapeuten behandeln Kinder mit Wahrnehmungsstörungen, für Sprachprobleme gibt es Logopäden, für Eingliederungsprobleme Heilpädagogen. Für tatsächlich therapiebedürftig halten Ärzte aber nur zehn Prozent der Kinder. Die Therapie-Nachfrage ist nach Erfahrung nordrheinischer Kinderärzte ungebremst. ´Der Wunsch nach einem möglichst perfekten Kind in dieser schwierigen Welt macht viele Eltern überkritisch´, sagte Verbandssprecherin Dr. Sylvia Schuster. ´Sie gehen bei jeder kleinen Norm-Abweichung ihres Kindes zum Arzt.´ Den Trend kritisiert auch Prof. Hans Georg Schlack, Leiter des Bonner Kinderneurologischen Zentrums: ´Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr in Ruhe groß werden. Der Leistungsdruck beginnt schon im Kindergarten. Doch wenn man ein Kind ständig betuttelt, bespielt und betherapiert, dann hemmt dies die eigenständige Entwicklung.´ Schuster warnt: ´Wird ein gesundes Kind zum Therapeuten geschleppt, dann wird dem Kind vermittelt: Du bist nicht wie andere. Das kann leicht zu Minderwertigkeitskomplexen führen.´“ Auch für solche Kinder könnten die Konzepte handlungsorientierter Pädagogik ein Segen sein. Aber: Wie sag´ ich´s „meinen Eltern“? Und wie bekomme ich Politik und Verwaltung endlich dahin, den Empfehlungen des 10. Kinder- und Jugendberichts (Bonn 1998) zu folgen, die besonders kindgerechten Konzepte „flächendeckend zu verstärken“? Der Kommentar der WAZ zu „unnötigen Therapien“ kann abgerufen werden über versandarchiv@ABA-Fachverband.org – Stichwort: „Unnötige Therapien- Archiv 2003“. Empfohlen sei an dieser Stelle erneut das Buch „Nachdenken über Zappelphilipp ? ADS ? Beweg-Gründe und Hilfen von Eckhard Schiffer (Beiratsmitglied im ABA Fachverband) und Heidrun Schiffer. Die AutorInnen kommen unter anderem zu dem Schluss, dass Abenteuerspielplätze ? im positiven Sinn ? wirksamer als Ritalin sind (Weinheim/Basel 2002).

i-Punkt 9-2003

NAGEL-Redaktion – Depressionen bei Kindern und Jugendlichen

Mit Bauchweh in die Schule

Kinder leiden zunehmend an depressiven Erkrankungen. Die Symptome sind vielfältig und häufig schwer zu erkennen. pluspunkt sprach mit Dr. med. Ulrich Rabenschlag, Diplompsychologe und ehemaliger Oberarzt an der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitätsklinik Freiburg.

pluspunkt: Kindheit ist für viele Menschen Synonym für Glück. Jugend bezeichnen viele als die schönste Zeit im Leben. Sind depressive Kinder und Jugendliche nur traurige Einzelfälle?

Rabenschlag: Die Häufigkeit von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen ist nicht sehr hoch. Bei kleinen Kindern, die noch nicht in die Schule gehen, rechnet man so ungefähr mit einem Prozent eines Jahrgangs. Bei Schulkindern, das heißt sechstes bis zwölftes Lebensjahr, sind es ungefähr zwei bis drei Prozent, bei Jugendlichen etwa 15 Prozent. Dabei ist zu beachten: Unsere Diagnosen sind so definiert, dass wir depressive Symptome über einen Zeitraum von sechs Monaten nachweisen müssen. Verhaltensauffällige Kinder mit einzelnen depressiven Symptomen tauchen in der Depressionsstatistik nicht auf. Würde man sie dazuzählen, käme man auf viel höhere Zahlen. Was wir als Depressionen im Kindesalter bezeichnen, ist nur die Spitze des Eisbergs.

pluspunkt: Was ist depressiv, und worauf lassen sich Depressionen bei Kindern und Jugendlichen besonders im Hinblick auf ihre Erfahrungen mit Schule zurückführen?

Rabenschlag: Hintergründe und Ursachen von Depressionen sind vielfältig. Man stellt sich das am besten so vor: Die depressive Reaktionsfähigkeit eines Menschen ist im Grunde genommen etwas ganz Ähnliches wie die Fähigkeit, bei Infekten Fieber zu produzieren. Das ist eigentlich eine sehr sinnvolle Einrichtung der Natur. Sie zwingt den Betroffenen zur Kurskorrektur. Als Ursache oder Auslöser für depressive Entwicklungen von Kindern in der Schule kommt Folgendes in Betracht: Eine wachsende Zahl von Schulkindern hat in ihrer sozialen Entwicklung überwiegend eine Zweierbeziehung erlebt. Diese Kinder haben nicht gelernt, sich in einer Gruppe zu behaupten und sich an der Gleichaltrigengruppe zu orientieren. Sie erleben Schule als Stressor, was bei ihnen auf Dauer Depressionen auslösen kann. Zweitens wirkt sich in der Schule zunehmend die Weltsicht der Eltern aus, wonach Lebenserfolg vom Schultyp und Leistungsstatus abhängt. Diese Sichtweise führt zu chronischer Überforderung vieler Schüler, die möglichst hohe Schulabschlüsse bringen müssen. Drittens begreifen Lehrkräfte manchmal nicht, dass das soziale Überleben in der Gruppe für Kinder im Schulalltag oft viel wichtiger ist als ihr Zensurenniveau. Sie merken nicht, dass ein Kind ausgegrenzt oder ständig gehänselt wird und als Folge eine Depression entwickelt. Viertens wird häufig unterschätzt, wie negativ sich problematische, meist depressive, desorganisierte Lehrerpersönlichkeiten auf Schüler auswirken können.

pluspunkt: Warum wird eine kindliche Depression von Eltern oder Lehrkräften vergleichsweise selten erkannt?

Rabenschlag: Eine ganze Reihe von kindlichen Verhaltensauffälligkeiten gehen mit Depressionen einher. Ein klassisches Beispiel ist die Schulphobie: Ein Kind hat Bauchweh, wenn es in die Schule soll. Seine Schulphobie hat aber mit der Angst vor der Schule wenig zu tun, sondern ist vielmehr ein depressives Symptom. Kindliche Depressionen können sich unter einer Maske verstecken. Und es gibt viele Masken, zum Beispiel Bauchweh, Angst, Aggressivität mit Destruktivität, Magersuchterkrankungen, Teilleistungsstörungen.

pluspunkt: Wie gefährlich ist eine unerkannte Depression?

Rabenschlag: Wenn Kinder oder Jugendliche, die bereits seit über einem Jahr an den milderen Symptomen einer depressiven Entwicklung (Dysthymie) gelitten haben, plötzlich eine depressive Episode erleben (Double-Depression), so ist die Prognose ganz besonders schlecht. Für sie besteht ein großes Risiko, dass ihr Leiden im Jugendalter in eine chronische depressive Entwicklung übergeht, die unter Umständen bis ins Erwachsenenalter reicht. Wird eine Depression nicht erkannt, kann das im schlimmsten Fall für ein Kind im Suizid enden.

pluspunkt: Auf welche Frühsymptome oder Verdachtszeichen einer kindlichen Depression sollten Lehrkräfte sensibilisiert sein?

Rabenschlag: Das Wichtigste sind die versteckten Mitteilungen: Suizidphantasien, Suizidandeutungen. Gefährdete Kinder und Jugendliche geben ständig Zeichen, zum Beispiel indem sie etwas schwarz umrahmen oder ein Kreuz malen. Wer eine kindliche Depression frühzeitig erkennen will, muss auch darauf achten, ob ein Kind auffallend schüchtern ist. Das gilt vor allem für Mädchen. Ihre Scheu wird häufig als mädchentypisch fehlinterpretiert. In diesem Zusammenhang sollte man wissen, dass bei Mädchen ab der Pubertät die Häufigkeit von Depressionen radikal ansteigt. Das hat unter anderem hormonelle Gründe. Bis zur Pubertät findet man hingegen häufiger depressive Jungen. Als weiteres wichtiges Verdachtszeichen gilt die erhöhte Kränkbarkeit eines Kindes. Zum Beispiel, wenn ein Schüler für eine Arbeit eine Drei statt einer Zwei erhält und extrem verletzt reagiert. Ein zusätzlicher Aspekt, den man bei Jungen nicht übersehen darf, sind aggressive und vor allem destruktive Verhaltensweisen. In depressiven Verstimmungen erleben es Jungen regelrecht als Kick andere zu quälen. Wenn in Raufereien vor allem Quälerisches gegenüber Mitschülern auftaucht, ist das hochverdächtig. Ein weiteres Symptom: Ein Kind wirkt, als sei überhaupt kein Antrieb, kein Funken Lebenskraft mehr in ihm. Es kommt morgens immer zu spät oder fehlt häufig im Unterricht.

pluspunkt: Was kann eine Lehrkraft tun, um diesen Kindern und Jugendlichen zu helfen?

Rabenschlag: Das Beste ist, die Lehrkraft spricht erst einmal alleine mit dem Kind. Erhält sie von ihm Andeutungen und Hinweise, die den Verdacht auf eine Depressionskrankheit erhärten, sollte sie sich an eine kompetente Person im Bereich der Schule wenden, zum Beispiel den Vertrauenslehrer oder Schulpsychologen. Der nächste Schritt wäre, den Eltern eine therapeutische Behandlung ihres Kindes nahe zu bringen. Das ist schwierig. Lehrkräften empfehle ich meist, den Eltern gegenüber deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass ihr Kind gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, am Unterricht teilzunehmen. Lehrkräfte sollten Eltern in diesem Fall dringend empfehlen, einen Kinderarzt aufzusuchen.

pluspunkt: Die Zunahme schwerer Verhaltensstörungen bei Schülern ist mit einem typischen Lehrerthema verbunden: der chronischen Überforderung im Schulalltag, dem Burn-out-Syndrom. Wie können Lehrkräfte ihren Unterricht gestalten, um nicht selbst Opfer einer schleichenden Depression zu werden?

Rabenschlag: Lehrkräfte tun gut daran, in ihrem Unterricht für ein möglichst stressfreies Arbeitsklima zu sorgen, das Depressionen verhindern kann. Die wichtigsten Aspekte sind: Erstens klare und sachbezogene Strukturierung der Zeit, der Aufgaben und der Rollen, zweitens saubere, intakte, helle und lärmabgeschirmte Arbeitsräume, drittens häufige positive Rückmeldungen, Vermeiden von Kränkungen und Ungerechtigkeiten, viertens keine Vermischung von persönlicher und sachbezogener Ebene, fünftens Gruppenziele formulieren, Cliquenbildungen entgegentreten, sechstens keine Toleranz gegen Intoleranz, zum Beispiel gegen Gewalt und Drogen.

Prinzipiell sollten sich Lehrkräfte schneller weigern, ein verhaltensauffälliges Kind weiter zu unterrichten, wenn es keine psychologische oder kinderpsychiatrische Hilfe bekommt. Würden Sie nicht auch ein Kind mit Fieber, Erbrechen oder einer ansteckenden Erkrankung nach Hause schicken? Das verlangt von der Lehrkraft Zivilcourage. Aber ohne das Nein der Lehrkraft kommen wir nicht voran.

pluspunkt: Wo erhalten Lehrkräfte Rat und Hilfe, wenn sie mit verhaltensauffälligen Kindern im Unterricht selbst nicht mehr zurechtkommen, und wohin können sie sich wenden, wenn sie sich über kindliche Depressionskrankheiten weiter informieren wollen?

Rabenschlag: Supervisionsgruppen sind genau der Ort, wo man Probleme wie Angst vor der Klasse ansprechen kann. Die haben sehr viele Lehrkräfte und darüber muss man sprechen. Hilfreich kann auch der Kontakt zu einer Balint-Gruppe sein. Adressen von Balint-Gruppen erhält man bei Psychotherapie-Instituten oder psychosomatischen Ambulanzen. Mit medizinischen und psychologischen Fragen über kindliche Depressionskrankheiten wenden sich Lehrkräfte am besten an schulpsychologische Dienste, an Erziehungsberatungsstellen oder kinderpsychiatrische Ambulanzen.

Mit Dr. med. Ulrich Rabenschlag sprach pluspunkt-Mitarbeiterin Gabriele Mosbach.

Zum Weiterlesen: Wenn Kinder nicht mehr froh sein können. Depressionen bei Kindern erkennen und helfen, Ulrich Rabenschlag unter Mitarbeit von Rudolf Heger, Verlag Herder Freiburg im Breisgau 2000,  192 Seiten, EUR 12,50

Vorstehender Beitrag wurde uns freundlicherweise von der Redaktion der Zeit pluspunkt zur Verfügung gestellt, in dessen Ausgabe 4-2003 dieses Interview veröffentlicht wurde. Herausgegeben wird pluspunkt vom Bundesverband der Unfallkassen. Der Verlag und Vertrieb wird von der Universum Verlagsanstalt vorgenommen. Interessierte finden pluspunkt in der Linkliste der vom ABA Fachverband empfohlenen Zeitschriften unter NAGEL-Redaktion -> Fachzeitschriften.

NAGEL-Redaktion – Bewegungsmangel -Störquelle für eine Balance von Lernen und Leben bei Kindern

Aus dem Rhythmus geraten
Von Klaus Hurrelmann

Kinder haben heute keine Kinderkrankheiten mehr. Akute Infektionskrankheiten, die noch vor einer Generation vorherrschten, sind durch moderne Medikamentierung fast völlig zurückgedrängt worden. Auch die vorherrschenden chronischen Erkrankungen sind dank einer sehr guten Diagnose, Behandlung und Nachsorge, bei Kindern selten. Auf den ersten Blick ist die junge Generation heute so gesund wie noch nie, wenn uns auch die wachsenden Probleme bei Stoffwechselkrankheiten und Allergien zu denken geben sollten.

Deswegen lohnt sich der zweite Blick, und der offenbart eine sehr problematische Konstellation. Inzwischen zeigt die Forschung, dass mehr Kinder und Jugendliche gesundheitliche Störungen aufweisen, die im Schnittbereich zwischen Körper, Psyche und Umwelt liegen. Beeinträchtigungen des Immunsystems, der Sinneskoordination und der psychischen und sozialen Belastungsregulation werden auffälliger. Kinder mit dem Hyperaktivitäts-Syndrom und Übergewicht sind zunehmend in Kindergärten und Schulen zu finden. Viele dieser Störungen haben eine genetische, in der Persönlichkeit tief verankerte Komponente, die aber nur deshalb zum Zuge kommt, weil psychische, soziale und ökologische Schutzfaktoren verloren gegangen sind. Bei Kindern mit erheblichen Gesundheitsstörungen im psycho-, sozio- und ökosomatischen Bereich sind die elementaren Prozesse des Austauschs der inneren mit den äußeren Lebensbedingungen aus dem Rhythmus geraten. Diese Kinder haben ihre Lebenstüchtigkeit und ihre Kompetenz eingebüßt, sich mit Körper, Seele, sozialer und physischer Umwelt angemessen auseinander zu setzen.

Der gemeinsame Nenner aller Störungen hat heute drei Ausgangsfaktoren: Fehlernährung, Bewegungsmangel und falsches Stressmanagement. Die Konzepte von Prävention und Gesundheitsförderung in Kindertageseinrichtungen und Schulen kreisen deswegen um jene Trias von elementaren gesundheitlichen persönlichen Merkmalen. Die Erkenntnis ist klar: Über die Beeinflussung des Bewegungs- und Ernährungsverhaltens und das Training in einem kompetenten Stressmanagement lassen sich sehr viele der Probleme bearbeiten, die mit dem schlecht trainierten Immunsystem, der fehlenden Anregung und Schulung der Sinne, der Verbesserung der motorischen Koordination, des Abbaus von Aufmerksamkeitsdefiziten und Hyperaktivität sowie der Stärkung von Konfliktfähigkeit und Frustrationstoleranz zu tun haben.

Die vielleicht entscheidende Störquelle für die gelingende Balance von Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen sehe ich heute in dem Mangel an alters- und körperangemessener Bewegung. Bewegung reguliert einerseits die Nahrungszufuhr und den Kalorienverbrauch, sie trägt andererseits aber auch zum Stressabbau und zur Abfuhr innerer Spannungen und Aggressionen bei.

Angemessene Bewegung ist so gesehen das wichtigste Medium der körperlichen und psychischen Entwicklung, es ermöglicht die Erkundung und Aneignung der sozialen und physikalischen Umwelt, sorgt für die Koordination aller Sinneserfahrungen und ist der Motor für die gesamte körperliche, psychische und soziale Entwicklung eines Kindes.

Kinder haben einen natürlichen Bewegungstrieb, der heute offensichtlich durch eine unglückliche Gestaltung ihrer sozialen und räumlichen Lebenswelt eingeengt und gezähmt wird. Wenn Achtjährige täglich neun Stunden sitzen und ihre aktive Bewegungszeit nur eine Stunde beträgt, gerät der gesamte Stoffwechselhaushalt ebenso durcheinander wie das natürliche Hungergefühl und die Koordination ihrer Sinne. Haltungs- und Koordinationsschwächen, Seh- und Hörstörungen, Übergewicht und Allergien sind die Konsequenzen dieser ungesunden Verhaltensweisen. Durch übertriebene Sauberkeit und Hygiene wird auch die Fähigkeit des kindlichen Immunsystems geschwächt, körpereigene Widerstände zu erzeugen.

Alle sensiblen Konzepte der Gesundheitsförderung setzen aus diesen Gründen auf die Förderung von Aktivität und handelnder Tätigkeit einschließlich der Kunst, Aggressionspotenziale spielerisch aufzunehmen, zu kanalisieren und freizugeben, etwa durch Musik, Kunst und Theater, aber auch durch Gestaltung von Schulhöfen und Spielplätzen.

Diese Ansätze der Gesundheitsförderung sind inzwischen zu einer wichtigen Voraussetzung für Bildungs- und Unterrichtsprozesse geworden. Kindergärten und Schulen, welche die körperlichen, psychischen und sozialen Voraussetzungen von Bildung und Lernen übersehen, erzielen auch keine guten Resultate.

Lern- und Leistungsbereitschaft können bei Kindern und Jugendlichen nur geweckt werden, wenn sie sich körperlich, psychisch und sozial wohl fühlen. In diesem Sinne gehören Gesundheitsförderung und Leistungsförderung unbedingt als eine Einheit zusammen.

Die „Erlebnispädagogik“ von Kurt Hahn hat diese Erkenntnis schon in den 1920er-Jahren anschaulich auf den Punkt gebracht. Es wird Zeit, diese Konzepte wieder zu entdecken und sie auf die heutigen Bedingungen in Kindergarten und Schule zu übertragen.

Klaus Hurrelmann ist Professor an der Universität Bielefeld – Mitglied im Fachbeirat des ABA Fachverbandes. Vorstehender Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift „Erziehung und Wissenschaft“ 12/2003 der GEW entnommen. Eingestellt auf diese Internetseite wurde er im Dezember 2003.

NAGEL-Redaktion – Kleine Kinder nicht zu oft baden

Für Kleinkinder gilt das Gleiche wie für Erwachsene: Zuviel Baden ? vor allem mit Seife ? entzieht der Haut das erforderliche Fett und schwächt so den natürlichen Säureschutzmantel, der wiederum erforderlich ist, um Menschen gegen Infektionen zu schützen. Diese falsch verstandene Hygiene macht also eher krank. Kinder sollen nicht öfter als ein bis zwei Mal pro Woche gebadet werden und dies nicht länger als für Minuten in etwa 37° warmen Wasser.

 

InformationsDienst 7-2002

NAGEL-Redaktion – Altersdiabetes bei Kindern

Übergewicht und mangelnde Bewegung sind laut Deutschem Diabetes-Forschungsinstitut (Düsseldorf) ursächlich an der Entstehung von Diabetes Typ II beteiligt. An diesem Diabetes-Typ (Altersdiabetes) litten insgesamt 95 Prozent der Betroffenen. Beim Typ I produziert die Bauchspeicheldrüse kein Insulin, sodass der Zucker aus dem Blut nicht in die Körperzellen aufgenommen werden kann. Beim Typ II wird zwar Insulin produziert, die Körperzellen können dies aber nicht mehr „erkennen“. Von 1985 bis heute stieg die Zahl der DiabetikerInnen weltweit von 30 Millionen auf 177 Millionen (in Deutschland fünf Millionen). Zwei Millionen Deutsche (500 000 in Nordrhein-Westfalen) sind laut Forschungsinstitut unwissend erkrankt. Symptome: Müdigkeit, Schwäche, Durst und starker Harndrang. Mögliche Folgen: Herzinfarkt, Schlaganfall, Amputationen und Erblindungen. Alarmierend, dass bereits Grundschulkinder betroffen sind. Ernährung und Bewegung seien hilfreicher als Tabletten. Dies zeigten Studien aus Finnland und den USA. Wieder ein Argument, das für die flächendeckende Erweiterung kinderspezifisch entwickelter Konzepte spricht (Abenteuerspielplätze, Kinderbauernhöfe usw.). Infos unter http://www.diabetes-nrw.de/ und http://www.diabetikerbund.de/

InformationsDienst 12-2002

NAGEL-Redaktion – Zu viel Hygiene Schuld an Allergien

In Deutschland, Großbritannien und den USA habe bereits jeder fünfte Einwohner zumindest eine Nahrungsmittel-Unverträglichkeit, sagte der hannoversche Professor Stephan Bischoff bei einem internationalen Kongress von Ernährungs-Medizinern in Göttingen. Ein bis zwei Prozent aller Erwachsenen und zwei bis sechs Prozent aller Kinder hätten mit „echten“ Allergien zu kämpfen. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist nach den Worten Bischoffs ein Übermaß von Hygiene schon im Kindesalter. Das Immunsystem könne sich nur dann normal entwickeln, wenn es einer gewissen Belastung durch Krankheitserreger ausgesetzt sei. „Wir leben zu sauber“, erklärte Bischoff. (Göttingen dpa/vista verde news ? Wissenschaft & Technik vom 17.11.2003)

i-Punkt 2-2004

NAGEL-Redaktion – Haustiere mindern das Allergie-Risiko

Der Umgang mit Haustieren hilft, Kinder besser zu immunisieren. Hierauf wurde bereits in dem Beitrag „Kinder, Jugendliche und Gesundheit“ von Rainer Deimel im NAGEL 63 verwiesen. Mit Datum vom 21. Oktober 2002 greift die WAZ das Thema erneut auf. Sie berichtet: „Allergien zählen zu den häufigsten Zivilisationskrankheiten unserer Zeit. Eltern achten sehr sorgfältig darauf, mögliche Allergierisiken von Kindern fernzuhalten. Irrtümlicherweise wird dabei oft der Kontakt zu Heimtieren unterbunden. Ein Fehler in zweifacher Hinsicht, denn ersten seien Haustiere für die positive Entwicklung von Kindern wichtig für die spätere Sozialkompetenz, so eine Untersuchung der Universität Utah (USA). Zweitens zeigt eine Studie der Uni im schwedischen Göteborg, dass das Allergie-Risiko bei Kindern durch den Kontakt zu Heimtieren sinkt. Deshalb sei es wichtig, Kindern den Umgang mit Tieren zu ermöglichen. Werden dabei einige Regeln beachtet, besteht aus hygienischer Sicht kein Grund zur Besorgnis. Entscheidend ist, das Tier medizinisch gut zu versorgen. Ansonsten reicht es, Futterstelle, Toilette und Lager des Tieres regelmäßig zu säubern. Die Göteborger Studie zeigt weiter, dass Kinder, die in den ersten Lebensjahren intensiven Kontakt zu Tieren hatten, im Grundschulalter nicht so häufig an allergischem Schnupfen litten. Im Jugendalter waren außerdem weniger Asthma-Erkrankungen zu verzeichnen.“

 

InformationsDienst 11-2002

NAGEL-Redaktion – Allergien bei Kindern

Nachdem sich die Zahl der allergiekranken Kinder innerhalb von zehn Jahren verdoppelt hatte und erschreckenderweise Kinder doppelt so häufig wie Erwachsene betroffen sind (Prof. Dr. Claus Krögel, vgl. Rainer Deimel: „Kinder, Jugendliche und Gesundheit“, in: DER NAGEL 63/2001, S. 30), gibt es Hinweise auf eine Stagnation. Laut einer Umfrage von Emnid sei die Zahl von 248 Fällen pro Quartal pro Arzt gleich geblieben. Dies berichtete die WAZ am 20. September 2002 mit Bezug auf eine ap-Meldung. Die Zahl der Allergietests bei Kindern hingegen sei seit 1997 von einen Drittel auf nunmehr 54 Prozent angestiegen. Von einer „Trendwende“ zu sprechen scheint allerdings verfrüht. Nie zuvor waren derart viele Kinder betroffen. Dies wird auch durch eine Einschätzung des Allergologen Wolfgang Leupold bestätigt. Seiner Auffassung zufolge sind 35 Prozent aller Deutschen potentielle Allergiker. Als Tagungspräsident des Kongresses des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA), der vom 13. ? 15. September 2002 stattfand, führte er aus, dass der Grundstein für spätere Allergien nicht selten in den letzten Schwangerschaftswochen und den ersten Lebensmonaten gelegt wird. Nach Leupold sind Kinder verstärkt Allergien ausgesetzt. Leupold bestätigte, dass eine Desensibilisierung ? also eine Immuntherapie ? das probateste Mittel sei, Allergien zu begegnen. Hierauf hatten wir bereits im erwähnten Beitrag in DER NAGEL 63/2001 hingewiesen. Dieser Beitrag wird in Kürze auch über das Internet abrufbar sein.

 

InformationsDienst 10-2002

NAGEL-Redaktion – ADS: Hunde beruhigen fast jeden „Zappelphilipp“

Hunde vermitteln Kindern ein Gefühl der Sicherheit und stärken ihr Selbstwertgefühl. Denn Hunde nähern sich ihnen ohne Vorbehalte und Forderungen; sie geben ihre Zuneigung stets bedingungs- und rückhaltlos und haben immer Zeit ? nie ist einem Hund etwas anderes wichtiger als sein „kleiner Freund“. „Viele aufmerksamkeitsgestörte Kinder, viele hyperaktive, aber auch Kinder, die durch Clownereien und Hampeleien auffallen, können doch ganz ruhig und selbstverständlich mit dem Tier spielen“, schreibt der Psychologe Prof. Dr. Erhard Olbrich von der Universität Erlangen/Nürnberg. Was den Hund vor anderen Heimtieren auszeichnet, ist seine außerordentliche Fähigkeit, mit dem Menschen zu kommunizieren. Er stellt sich auf seine Halter ein und versteht rasch, was sie von ihm wollen. Für das Kind bedeutet jedes Kommando, das der Hund ausführt, ein Erfolgserlebnis, das ihm Selbstvertrauen gibt. Besonders wichtig ist dies für nervöse und unruhige Kinder, die Schwierigkeiten haben, eine Sache zu Ende zu bringen. Die positive Erfahrung mit dem Hund motiviert sie dazu, auch andere Aufgaben konzentriert und mutig anzugehen (IHV/ Tip der Woche vom 3. Mai 2004).

 

i-Punkt 7-2004

NAGEL-Redaktion – ADS: Fernsehen macht zappelig

Je früher und je öfter Kleinkinder in die Röhre schauen, desto unkonzentrierter sind sie später in der Schule. Eine US-Studie, die in der Fachzeitschrift „Pediatrics“ veröffentlicht wurde, verglich das Verhalten von 1300 Grundschulkindern mit der Zeit, die sie ? nach Angaben ihrer Mütter ? im Krabbelalter vor dem Fernseher verbracht hatten. Die Kinder, die im Unterricht durch Konzentrationsschwierigkeiten und Unruhe auffielen, waren in der Mehrzahl diejenigen, die schon in den Windeln die bunten Bilder im Fernsehen verfolgt hatten. Mit jeder Fernseh-Stunde pro Tag steigt das Risiko für Aufmerksamkeits-Probleme um 10 Prozent, ermittelten die Wissenschaftler. Die Mediziner raten deshalb, zumindest Kinder unter zwei Jahren gar nicht vor die Mattscheibe zu lassen. (alverde 6/2004)

 

i-Punkt 7-2004

NAGEL-Redaktion – Abwehrkräfte bei Kindern

Armin Heils von der Klinik für Epileptologie an der Uni Bonn weist darauf hin, dass Fieberkrämpfe bei Kindern meist harmlos sind. Dass sie auftreten, hänge vermutlich mit dem Stadium der Hirnreifung im Alter von unter sechs Jahren zusammen. Wiederholte Fieberkämpfe mit rasch steigendem Fieber, zuckenden Gliedmaßen, Bewusstlosigkeit und Schaum vor dem Mund werden eher als bedenklich eingeschätzt. (ap) Dies bestätigt die auch vom ABA Fachverband vertretene Position, dass man dem kindlichen Organismus nach Möglichkeit die Chance geben sollte, Abwehrkräfte aufzubauen, sein Immunsystem zu stärken. In eine vergleichbare Richtung geht auch eine Verlautbarung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, die diese am 10. April 2003 in Düsseldorf abgegeben haben: Übermäßige Reinheit schadet Kindern. Angesprochen wird unter anderem die Verwendung von desinfizierendem Haushaltsreiniger. Das Gegenteil der elterlichen Absichten werde erreicht: Das Training des Immunsystems, sich gegen Keime von außen zu Wehr zu setzen, wird unterbunden. Damit werden die Grundsteine für künftige Allergien gelegt. In den Reinigungsmitteln selbst könnten ebenfalls allergieauslösende Stoffe vorhanden sein. Ab und zu die Händewaschen reicht aus. (ap/dpa) Eine bundesweite ?Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen?, an der 18.000 junge Leute unter 18 Jahren beteiligt sind, hat das Robert-Koch-Institut (Berlin) im Auftrag der Bundesregierung begonnen. Die Untersuchung läuft über drei Jahre. Nähere Informationen gibt es unter www.kinder-jugend-gesundheit21.de. 

NAGEL-Redaktion – Kopfläuse

Berichte aus dem „i-Punkt“

Kopfläuse sind seit Jahrzehnten in Einrichtungen, in denen sich Kinder aufhalten, ein Thema. Der Leiter der Hygieneabteilung im Kasseler Gesundheitsamt geht beispielsweise davon aus, dass keine Schule läusefrei sei. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Kopfläuse vor allem Ekel bewirken. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich einen so genannten „Weichselzopf“ vorstellt. So wird die Verfilzung des Haares durch Nissen bei hochgradiger Verlausung bezeichnet. Läusefall ist nicht frei von Mythen: Läuse können zwar in Ausnahmefällen Wundinfektionen (als Folge des Kratzens bei Jucken) und möglicherweise Allergien, nicht aber gefährliche Krankheiten auslösen. Der Befall mit Läusen geschieht zumeist über nahen körperlichen Kontakt, die Nutzung gemeinschaftlicher Bettwäsche, Kuscheltiere, Kämme, Bürsten oder auch das Übereinanderhängen von Kopfbedeckungen an der Garderobe und hat nichts mit mangelnder Hygiene zu tun. Im Gegenteil: Läuse bevorzugen Köpfe, die oft gewaschen werden, da eine saubere Kopfhaut von den Tierchen viel besser anzuzapfen ist. Um zu überleben, benötigen Läuse in ihrem drei bis vier Wochen dauernden Leben Blut, das sie ihren Wirten entsaugen. Bereits nach 48 Stunden ohne Blut sind sie verhungert. Ein Lausweibchen legt bis zu 200 Eier. Durch die genannten Übertragungswege ist erklärbar, warum Kopfläuse im Winter zahlreicher auftreten als zu wärmeren Zeiten. Grundsätzlich ist Verlausung gesundheitsbehördlich meldepflichtig. Befallene Kinder dürfen erst wieder in die Einrichtung (z.B. die Schule), wenn sie lausfrei sind. Mittel gegen Kopfläuse gibt es in der Apotheke. Hilfreich sollen vor allem Mittel sein, die auf Chysanthemen-Blüten basieren. Diese töten nicht nur die Läuse, sondern auch die Nissen, die Verursacher des Weichselzopfes. Auch die Wäsche ist im Betroffenheitsfall bei 60 Grad zu waschen.

InformationsDienst 12/2002

 

Das Thema „Läuse“ hatten wir bereits vor einiger Zeit schon einmal im i-Punkt aufgegriffen. Da die Kopfläuse-Saison sich wieder einmal ihrem Höhepunkt nähert, hier erneut ein paar Informationen. Wir übernehmen einen Bericht der WAZ vom 20. Oktober 2003. Nach den Ferien eingeschleppt, haben Läuse in Kindergärten und Grundschulen (sowie anderen Einrichtungen, die Redaktion) leichtes Spiel: Dort stecken Kinder ihre Köpfe zusammen, tauschen Kleidung aus – ruck zuck ist eine Laus übergelaufen. „In unseren Breiten sind Läuse keine Krankheitsüberträger“, betont Dr. Petra Freynik, beim Gesundheitsamt Essen zuständig für den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst. Läuse sind lästig – und bedeuten viel Arbeit. Denn nicht nur die Haare müssen mit abtötenden Substanzen behandelt werden. Auch Kleidung, Bettwäsche, Kuscheltiere, Haarbürsten, Teppiche, Polster und das Auto müssen lausfrei sein. Denn wenn nur wenige Tiere überleben – oder auch die Lauseier, die Nissen, nicht komplett getötet werden – vermehren sich die Plagegeister wieder. Dr. Freynik rät, nach acht Tagen zu kontrollieren – vor allem in der Nackengegend, hinter den Ohren und an den Schläfen. Läuse vertragen starke Kälte und Wärme nicht; wenn sie kein Blut saugen können, verhungern sie. Das hilft: Textilien mit mindestens 60 Grad waschen, Kissen und alles, was nicht waschbar ist, im Plastikbeutel verschließen und drei bis vier Wochen lagern. Polster und Teppiche oft saugen. Stichwort Hygiene: Läuse besiedeln auch supersaubere Köpfe (Hierauf hatten wir bereits schon in einem frühren i-Punkt hingewiesen: Je häufiger die Kopfhaut gewaschen wird, um so attraktiver ist sie für das lausige Mahl. Die Redaktion), und wer sie schon hat, kriegt sie durch Waschen allein nicht mehr weg. Die drei Millimeter großen Insekten können sich mit einer 2000fachen Zugkraft ihres Gewichtes ans Haar klammern. Ihre Eier kleben bombenfest und lassen sich nur durch Auskämmen mit dem Nissenkamm entfernen. Dazu rät Dr. Freynik, um kein Risiko einzugehen, Essigwasser (ein Teil Essig auf zwei Teile Wasser) macht die Aktion leichter. Man kann auch die weichen Haare an den zumeist betroffenen Stellen (Schläfen, Ohren, Nacken) wegschneiden. Von dem Tipp, Läuse mit einem Saunabesuch oder unter der Trockenhaube den Garaus zu machen, rät Dr. Freynik ab: „Unter dem Hygieneaspekt ist ein Saunabesuch nicht witzig“, meint sie, und warnt vor Trockenhauben: „Bei Kindern kann die Kopfhaut geschädigt werden.“ Schwangere sollten vor der Anwendung eines Antiparasitikums mit ihrem Arzt sprechen. Bettina Kutzner in der WAZ

i-Punkt 11/2003

 

Foto: WAZ

 

Angesichts des mehr oder weniger fragwürdigen „Läuseatlasses“ eines Arzneimittelherstellers, der in diesen Tagen durch die Medien „geistert“, haben wir uns dazu entschlossen, diese Seite zu aktualisieren, um unseren Leser(inne)n eine einigermaßen brauchbare Hilfestellung zu geben.

ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Oktober 2008)

 

Befall erkennen und bekämpfen

Erste Kennzeichen eines Läusebefalls sind Pusteln hinter den Ohren, die als Reizung vom Speichel der Läuse auftreten. später entwickelt sich ein Ekzem im Nacken, und Juckreiz tritt auf. Beweis für die Anwesenheit der Parasiten sind dann die Läuseeier, die nahe der Haarwurzeln zu finden sind. Sie ähneln Schuppen, lassen sich aber nicht wegschütteln, sondern kleben fest. Die Läuse sollten möglichst rasch bekämpft werden. Chemische Mittel schädigen das Nervensystem der Tiere, physikalische verstpopfen etwa ihre Atmewege: Die Läsue ersticken. Mittel gegen Läusebefall sind – wenn von Arzt verordnet – für Kinder bis zwölf Jahren eine Kassenleistung.

Quelle: WAZ vom 10. Oktober 2008

 

 Foto: WAZ

 

Sensible Blutsauger

Ein Interview mit dem Läuseexperten Michael Forßbohm über die angebliche Zunahme des Läusebefalls

Jedes Jahr zehn Prozent mehr Läuse, meldet der Arzneimittelhersteller Dr. Wolff. Können Sie das bestätigen?

Forßbohm: Nein. Es gibt keine belastbaren Daten, dass es mehr werden. Denn es gibt ja keine Meldepflicht bei Ärzten. Auch der Verkauf von Mitteln ist überhaupt kein verlässlichen Indiz.

Aber viele Eltern sagen, bei uns hat es das früher nicht gegeben …

Forßbohm: Mit Sicherheit hat es in früheren Zeiten genauso viele Läuse gegeben wie heute. Nur früher wurde das bewusst vertuscht. Heute wird zum Glück darüber gesprochen. Das kommt in der Öffentlichkeit als Zunahme an.

Viele schämen sich aber auch heute noch für Läuse.

Forßbohm: Die Laus ernährt sich von menschlichem Blut. Nicht von Schmutz, auch nicht von Teddyhaar. Sie kann weder fliegen noch springen, und geht sie auf einem Teddy verloren, dann blüht ihr am dritten Tag das sichere Ende.

Aber man hört doch immer wieder, dass man sich Läuse auch dort holt, wo der hygienische Standard noch nicht so hoch ist?

Forßbohm: Nochmal: Läuse sind keine Urlaubsmitbringsel. Sie kommen in den besten Vierteln vor, gedeihen dort am besten, wo man nicht drüber redet. Läuse und Dreck haben nichts miteinander zu tun, weder von Körperpflege noch von Putzmitteln lassen sie sich schrecken. Und: Sie sind auch keine Krankheitserreger, es handelt sich schlicht um Insektenbefall.

Was also tun, wenn man befallen ist?

Forßbohm: Fakt ist: Ist ein Läusemittel einmal richtig angewendet worden, sind alle Läuse vernichtet. Und das heißt: Es kann keine Laus übertragen werden. Die Eier werden von den Mitteln aber nicht angegriffen, deswegen sollte man nach einer Woche etwa die Anwendung wiederholen. So lange dauert es, bis die Larven schlüpfen. Die müssen sich drei Mal häuten, können in dieser ganzen Zeit den Kopf nicht verlassen, stellen also keine Ansteckungsgefahr dar. Übertragen werden nur erwachsene Läuse, sonst nichts! Außerdem muss gewaschen werden: die Bett- und die Leibwäsche, alles was mit dem Kopf in Berührung gekommen ist – oder man packt es mindestens drei Tage in eine Tüte.

Was ist dann mit der oft geforderten Nissenfreiheit?

Forßbohm: Das ist schlimm: Die Nisse ist nur die Hülle, nicht das Ei! Dennoch hält sich die Forderung hartnäckig. Dabei gilt: Alles was weiter als ein Zentimeter von der Kopfhaut entfernt an den Haaren klebt, muss leer sein – das ist biologisch anders gar nicht möglich. Es gehört zu den Abstrusitäten in unserem Land, dass Kinder nach Hause geschickt werden, weil irgendwo in ihren Haaren eine Nisse entdeckt wurde.

Was ist also Ihre Empfehlung gegen Läuse?

Forßbohm: Reden! Es den anderen sagen, mit denen man zusammen war, das ist das Allerwichtigste. Dann alle umgehend untersuchen, die Betroffenen behandeln, so bekommt man jede Gruppe lausfrei. Außerdem fordere ich die Gesundheitsämter auf, ihrer Beratungs- und Aufkärungspflicht nachzukommen. Das ist eine richtige und wichtige Aufgabe. Wer sich hier wegduckt, entzieht Hilfe.

Dr. Michael Forßbohm ist Leiter der Abteilung für Infektionsschutz im Gesundheitsamt Wiesbaden und war als Läuseexperte mehrfach für die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZgA) tätig.

Quelle: WAZ vom 10. Oktober 2008 – Das Interview führt Britta Bingmann

 

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Zur Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) zum Thema gelangt man hier. Eine PDF-Broschüre der BzgA kann hier geladen werden.

NAGEL-Redaktion – Was Kinder brauchen

Gesundheit ist nicht konsumierbar

Kinder und Jugendliche von heute erleben vielfach ein Wechselbad zwischen Über- und Unterforderung, Überfluss und Mangel. Immer mehr Kinder reagieren darauf mit psychosomatischen und mentalen Störungen. Der Einsatz von Medikamenten dagegen sollte kritischer hinterfragt werden. Der Schlüssel zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden liegt im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule

Von Prof. Dr. Klaus Hurrelmann

Gesundheit ist viel mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit und Krankheit haben neben der körperlichen auch eine psychische und soziale Komponente. Die Weltgesundheitsorganisation drängt seit 50 Jahren auf diese umfassende Betrachtung, die im Bewusstsein der Menschen noch wenig verankert ist. In der gesundheitswissenschaftlichen Forschung hat sie sich inzwischen durchgesetzt. Danach bildet Gesundheit ein Gleichgewicht von störenden und schützenden körperlichen und geistigen Faktoren, die täglich ins Gleichgewicht zu bringen sind. Das gelingt nur, wenn der Mensch seinen Körper, seine genetische Ausstattung und seine Persönlichkeit akzeptiert und souverän damit umgehen kann. Aber auch die allgemeine Lebenssituation trägt maßgeblich zu Wohlbefnden und Lebensfreude bei: Familie und Freundschaften, Wohn- und Ernährungsbedingungen, der Ausgleich zwischen Leistungsanforderungen und entspannenden Freizeitaktivitäten.

Genau hier haben Kinder und Jugendliche heute die größten Probleme. Gesundheitliche Störungen liegen im Schnittbereich zwischen Körper, Psyche und Umwelt. Die Alarmsignale sind nicht zu übersehen.

Alarmsignal 1: Bei immer mehr Kindern und Jugendlichen streikt das Immunsystem

Etwa 20 Prozent aller Kinder leiden unter allergischen Erkrankungen. Darunter sind eher harmlose Beeinträchtigungen wie zum Beispiel leichter Heuschnupfen oder eine gelegentliche Bindehautentzündung. Es treten aber auch gefährliche, teils lebensbedrohliche Atemwegsstörungen vom Typ Asthma sowie schwere Hauterkrankungen vom Typ Neurodermitis auf. Ganz offensichtlich hat ein mangelhaft trainiertes Immunsystem mit der sprunghaften Ausbreitung dieser Krankheiten zu tun.

Es rächt sich, dass Kinder in klimatisierten Räumen mit kuscheligen Teppichböden groß werden und nur noch in hygienisch einwandfreien Sandkästen spielen. Die Widerstandskräfte des Körpers werden nicht trainiert, Belastungen durch psychischen Druck können nicht richtig abgewehrt werden. Dabei fällt auf, dass von Asthma und Neurodermitis verstärkt Kinder aus den wohlhabenden Familien heimgesucht werden – es handelt sich um echte Zivilisationskrankheiten. 

Alarmsignal 2: Fehlsteuerungen in der Ernährung

Hier sind es vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schlechter gestellten Familien, die preiswerte, kalorienreiche Fast-Food-Gerichte zu essen bekommen. Diese Produkte sind zu fett, zu süß, zu salzig und enthalten zu wenig Ballaststoffe. Der Darm wird gerade noch zu „Teilzeitarbeit“ ermuntert. Die Folge von überschüssigen Kalorien bei gleichzeitigem Bewegungsmangel ist Übergewicht. Der Haltungsapparat wird völlig überlastet, die Blutfettwerte übersteigen den Normbereich. In Deutschland weisen inzwischen rund zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen erschreckendes Übergewicht auf.

Alarmsignal 3: Fehlende Anregung und Schulung der Sinne

Bewegungsmangel und eine einseitige Anregung des Hör- und Sehsinns treten oft zusammen auf. Riechen, Fühlen und Sprechen werden vernachlässigt und verkümmern immer mehr. Gameboy und Bildschirm, teils aber auch Familie, Kindergarten und Schule bieten eine unausgewogene „Sinneskost“. Dieser Mangel führt bei Kindern und Jugendlichen verstärkt zu motorischen Koordinationsproblemen. Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen klagen bereits bei kleinen Kindern über eine schlechte Feinmotorik. Die Verbindungen zwischen den Schaltzentren im Gehirn werden nicht hergestellt, es kommt zu Unsicherheiten und Ungeschicklichkeiten. Bereits bei zehn Prozent aller Kinder und Jugendlichen. Viele können nicht sicher mit einem Bleistift zeichnen, andere können kaum richtig gehen. Überschneiden sich diese Probleme mit schlechtem Ernährungsverhalten und mangelnder Bewegung, wird die Entwicklung mehrfach beeinträchtigt. 

Alarmsignal 4: Aufmerksamkeitsdefzite und Hyperaktivität steigen

An und für sich hoch intelligente Kinder können sich nicht konzentrieren, sind unruhig und außerstande, eine Arbeit oder eine Aktivität zu Ende zu führen – man schätzt bis zu vier Prozent eines Jahrgangs. Zugrunde liegt eine Stoffwechselstörung im Gehirn, die aber offensichtlich durch hektischen Lebensstil und unsichere Beziehungen zu den Eltern erst freigelegt wird. Mitunter neigen Ärzte zu einer Behandlung mit Psychostimulanzien (z. B. Ritalin), vergessen aber die psychische und soziale Einbettung dieser Störung, die nach ruhiger und konsequenter Erziehung und zumindest zeitweiser psychotherapeutischer Begleitung verlangt.

Alarmsignal 5: „Bewältigungsverhalten“ mangelhaft

Viele Kinder und Jugendliche können mit seelischen Konflikten und sozialen Anspannungen nicht richtig umgehen. Sie haben nicht gelernt, Enttäuschungen hinzunehmen, einen Misserfolg wegzustecken oder mal ein kritisches Wort zu verdauen: Sie knicken bei den kleinsten Irritationen ein. So ist es wohl zu erklären, dass in allen Untersuchungen immer mehr psychosomatische Störungen wie Verdauungsprobleme, Kopf-, Magen- und Rücken schmerzen, bis hin zu Depressionen und Suizidversuchen festgestellt werden, vor allem bei den Mädchen. Jungen reagieren ihre innere Anspannung häufiger mit Überaktivität, Gereiztheit und Aggressivität nach außen ab, bis hin zu gewalttätigem und kriminellem Verhalten. Bei fünf Prozent der Mädchen und zehn Prozent der Jungen ist diese nach innen oder nach außen gerichtete krankhafte Form der Spannungsbewältigung zu beobachten – Tendenz steigend.

Alarmsignal 6: Druckabbau durch Drogen und Medikamente

Eine weitere Variante dieses krankhaften Spannungsausgleichs ist der Konsum von Medikamenten und psychoaktiven Substanzen. Schmerzstillende Arzneimittel, Zigaretten und Alkohol werden in immer jüngerem Alter genutzt, in einer so intensiven Form, dass schon früh körperliche und psychische Schäden entstehen. Die Kinder weichen den Problemen und Konfikten in Familie und Schule damit aus und flüchten in die Clique, die oft nur durch Tabak und Alkohol, später auch illegale Drogen zusammengehalten wird. In den letzten Jahren macht vor allem der früh einsetzende unkontrollierte Alkoholkonsum große Sorgen, der zu regelrechten Vergiftungserscheinungen vorwiegend bei Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren führt.

Diese Alarmsignale zeigen, wodurch heute die meisten Krankheiten von Kindern und Jugendlichen entstehen: Der elementare Ausgleich zwischen den Anforderungen der inneren und äußeren Welt gelingt nicht, es kommt zu keinem befriedigenden Gleichgewicht von Risiko- und Schutzfaktoren. Die Folgen können die genannten Gesundheitsstörungen sein, Vorboten oftmals chronischer Krankheiten mit immer mehr psychischen und mentalen Komponenten. Viele Kinder leben heute wie kleine Erwachsene: Sie sind viel allein und müssen sich selbst managen. Sie haben häufig den gleichen Zugang zu Medien und Konsumartikeln wie ihre Eltern. Sie sind schon früh verantwortlich für ihre Schullaufbahn mit allen Folgen für die spätere Berufskarriere. Den Wertekompass, den sie in dieser komplex gewordenen Gesellschaft brauchen, müssen sie sich selbst entwickeln. Das ist zu viel für manche kleine Seele. In der stürmischen Phase der Pubertät spitzen sich diese Überforderungen dann noch weiter zu.

Wie können Eltern auf diese Herausforderung reagieren?

Meist fühlen Eltern sich entlastet, wenn sie einen Arzt finden, der auf die psychosomatische und mentale Gesundheitsstörung ihres Kindes mit medizinischer Behandlung und geeigneten Arzneimitteln einwirkt. Aber Eltern spüren zugleich, dass sie damit nicht aus der Verantwortung entlassen sind. Die eigentliche Antwort liegt darin, in die Beziehung zu ihrem Kind und in die Erziehung immer neu zu investieren.

Diese Beziehungsgestaltung ist in einer Gesellschaft mit viel Individualität und Freiheit eine komplizierte Gratwanderung zwischen Ausübung gesunder Autorität als Mutter oder als Vater und Berücksichtigung der kindlichen Bedürfnisse. Das „Erziehungsdreieck“, das jeder Vater und jede Mutter zu lösen hat, hat es in sich: Es besteht aus der richtigen Dosierung von Anerkennung, Anregung und Anleitung.

Das richtige Maß Anerkennung mit Wärme und Zuwendung ist zu finden. Nicht leicht, wenn eine Mutter oder ein Vater selbst unter voller Anspannung steht und durch das Kind beansprucht wird – aber auch dann, wenn das Kind ein geliebtes Einzelkind und die Projektion aller eigenen Wünsche ist. Erziehungsprobleme entstehen heute durch Beziehungen, in denen es einfach nicht zu der notwendigen Anerkennung und Würdigung der Persönlichkeit des Kindes kommt, aber auch durch eine „Überhitzung“ oder eine Überidentifzierung mit dem Kind, die keine emotionale Distanz für eine selbstständige Entwicklung lässt.

Das richtige Maß Anregung soll die Selbstständigkeit fördern und Impulse setzen, die dem Kind zur Weiterentwicklung helfen. Hier machen fast alle Eltern heute den Fehler, überehrgeizig auf die schulische Entwicklung zu achten und nervös auf jedes kleine Versagen zu reagieren. Überforderung und viel innerer Entwicklungsdruck entstehen deshalb schon bei Grundschulkindern. Stattdessen brauchen sie Mitdenken und Mitfühlen und ganz individuelle Unterstützung.

Die richtige Anleitung bildet den dritten Pol. Hier geht es um das Setzen von Regeln, Grenzen und Vereinbarungen, und das fällt Vätern und Müttern heute ebenfalls schwer. Die meisten versuchen, einem autoritären Stil auszuweichen und ohne feste Vereinbarungen und Sanktionen auszukommen. Dabei übersehen sie aber, dass sie damit das Kind ins Leere laufen lassen und eine verbindliche Beziehung verweigern. Richtig strafen zu lernen, wenn Vereinbarungen gebrochen wurden, das gelingt vielen Eltern nicht.

Werden diese drei Pole des „Erziehungsdreieckes“ nicht richtig eingestellt, dann leidet die Beziehung. Viele gesundheitliche Störungen der Kinder haben hier ihre Ursachen. Deshalb brauchen wir nicht nur einfühlsame Ärzte und Psychologen und gute Medikamente, sondern vor allem kompetente Eltern. Wichtig sind Elternseminare, die Tipps und Anleitungen geben, wie sie Persönlichkeit und Gesundheit ihrer Kinder fördern können.

Alle müssen mithelfen – auch in Kindergärten und Schulen sind mehr Aktivitäten zur Gesundheitserziehung und Persönlichkeitsbildung notwendig.

Viele Schulen machen bereits ermutigende Erfahrungen, indem sie Ernährung, Bewegung, Sinneskoordination und Stressbewältigung, Gewalt- und Drogenprävention in ihre Lehrpläne einbeziehen. Die Vorstellung von Gesundheit als einer gelungenen Auseinandersetzung mit den inneren und äußeren Lebensanforderungen hat sich pädagogisch durchgesetzt.

Es wird Zeit, neben den Pädagoginnen und Pädagogen auch die Eltern und dann andere Berufe in die Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche mit einzubeziehen: Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter, Arbeitstherapeuten, Architekten, Raumgestalter, Physiotherapeuten. Besonders wichtig bei der Gesundheitsförderung sind Kindergärten, Schulen und auch Jugendzentren. Dort müssen Ärzte, Psychologen und andere Fachleute in Beratungsstunden gezielt mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Klaus Hurrelmann ist seit 2009 Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin. Zuvor war es als Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften lange Jahre in Lehre und Forschung an der Universität Bielefeld tätig sowie u. a. Leiter des Kooperationszentrums für Kinder- und Jugendgesundheit der Weltgesundheitsorganisation.

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann ist Mitglied im Beirat des ABA Fachverbandes Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Sein Beitrag wurde von der „GESUNDHEIT konkret 3/2010“, dem Versichertenmagazin der BARMER GEK, veröffentlicht. Die Veröffentlichung im ABA-Netz erfolgte mit freundlicher Genehmigung der leitenden Redakteurin Doris Goedecke-Vorberg. Wir bedanken uns sehr.

NAGEL-Redaktion – Allergieschützender Stoff im Stallstaub identifiziert

Zuckermolekül aus Futterpflanzen dämpft Überreaktion des Immunsystems

Forscher haben im Stallstaub den Stoff identifiziert, der Landkinder möglicherweise vor Allergien und allergischem Asthma schützt: Arabinogalaktan, ein pflanzliches Zuckermolekül, hindert das Immunsystem an überschießenden Abwehrreaktionen, wenn es im ersten Lebensjahr in hoher Konzentration eingeatmet wird. Das Molekül kommt in großen Mengen in Futterpflanzen vor, wie Wissenschaftler im „Journal of Allergy and Clinical Immunology“ berichten.

Dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufwachsen, seltener an Allergien und allergischem Asthma leiden, ist lange bekannt. Was sie allerdings davor schützt, war lange rätselhaft. „Die Suche nach der schützenden Substanz war wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen“, erklärt Marcus Peters, Pneumologe an der Ruhr-Universität Bochum. Gemeinsam mit Kollegen aus München und Borstel analysierte er Stallstaub, der in den Stallungen von verschiedenen Bauernhöfen in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingesammelt worden war.

Zuckermolekül Arabinogalaktan entscheidend

Die Analyse des Staubs ergab, dass er sich hauptsächlich aus pflanzlichen Bestandteilen zusammensetzt, darunter mehr als zehn Prozent Arabinogalaktan, einem großen Zuckermolekül, das sich somit als verdächtig qualifizierte. Die Forscher prüften nun, wie sich das Immunsystem von Mäusen gegenüber potenziellen Allergenen verhält, wenn Arabinogalaktan-Moleküle anwesend sind. „Es hat sich gezeigt, dass die dendritischen Zellen, die den Immunzellen schädliche Eindringlinge präsentieren, so dass diese dagegen vorgehen, in Anwesenheit von Arabinogalaktan ihr Verhalten ändern“, beschreibt Peters. „Sie produzieren dann einen bestimmten Botenstoff, der die Immunreaktion dämpft.“

Überreaktion des Immunsystems verhindert

Welche Rezeptoren der dendritischen Zellen für den Mechanismus verantwortlich sind, muss noch untersucht werden. Zuckerrezeptoren sind generell wichtig für die Erkennung von fremden Partikeln durch das Immunsystem. „Die Abschwächung der Immunreaktion auf diesem Wege ist uns nicht neu“, erklärt Peters. „Auch manche Bakterien machen sich den Mechanismus gezielt zunutze, um die Immunantwort des Wirts abzuschwächen.“ Durch Arabinogalaktan wird aber nur die übersteigerte Wachsamkeit des Immunsystems verhindert – die Abwehr von Krankheitserregern funktioniert weiterhin normal.

Dass ausgerechnet ein Gras-Bestandteil vor Heuschnupfen schützt, wundert die Forscher nicht: „Das ist eine Konzentrationsfrage“, meint Peters. „In kleineren Konzentrationen können die Pollen des Wiesenfuchsschwanzes Allergien auslösen, in großen Dosen und sehr früh im Leben aber auch verhindern. Nichts anderes als eine Dosissteigerung ist ja auch die Strategie bei der Hyposensibilisierung.“

Ob sich Arabinogalaktan zur Prophylaxe oder auch zur Therapie von Allergien und allergischem Asthma einsetzen lässt, werden die Forscher jetzt untersuchen. Denkbar wäre eine Anwendung als Spray oder Nasentropfen, da die Substanz gut wasserlöslich ist.

Ruhr-Universität Bochum vom 20. Juli 2010

 

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