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NAGEL-Redaktion – Kinderrechte – Kindeswohl

 Von Antje Meyer

Kinder und Rechte

Wie sich eine Gesellschaft ihren Kindern gegenüber verhält, sagt viel über sie aus. Hinlänglich bekannt sind mittlerweile die uns heute grausam und unverständlich vorkommenden Verhaltenspraxen der letzten Jahrhunderte von Erwachsenen ihren Kindern gegenüber.

Bis ins 16. Jahrhundert hinein gab es die Lebensphase „Kindheit“ gesellschaftlich nicht. Kinder waren keine eigenen Wesen mit dem Recht, versorgt, genährt, erzogen zu werden oder überleben zu dürfen. Sei es aus großer wirtschaftlicher und existentieller Not der Eltern, sei es wegen Krankheiten, Seuchen und hoher Sterblichkeitsrate, wegen Unwissenheit, aus Angst, Argwohn oder Aberglaube, sei es aus der Unfähigkeit der gefühlsmäßigen Bindung zu Kindern: Kinder wurden misshandelt, ermordet, verkauft, ausgebeutet, gequält, geschlagen und vernachlässigt. Kinder waren den Erwachsenen und den sie umgebenden Verhältnissen schutzlos ausgeliefert, da sie eben wie Erwachsene für ihre Existenz selber sorgen mussten oder „entfernt“ wurden (vgl. Johansen: Betrogene Kinder, Frankfurt am Main 1986, S. 118).

Aus Tagebüchern und Briefen ab dem 17. Jahrhundert ist eine Veränderung gegenüber Kindern zumindest in den wohlhabenden bürgerlichen Familien spürbar: Erwachsene genießen es, mit den Kindern „zu tändeln“, sie spüren Zuneigung und geben diese auch; das Leben ihrer Kleinen liegt ihnen am Herzen. Gewaltanwendung gegenüber Kindern nimmt jedoch nicht ab. Prügeln gilt als Erziehungsmittel.

„Die körperliche Strafe war ein traditionelles Erziehungsmittel, um Gehorsam zu erreichen und um die ‚Seele zu retten‘. Man stellte sich noch bis in die Neuzeit hinein lange vor, selbst wenn Kinder unschuldig geboren wurden ? nicht als Wechselbälger oder sonst vom Teufel und von Dämonen Besessene ?, ergreife die allenthalben in der Welt verbreitete Sünde von ihnen Besitz. Ihr Fleisch müsse gepeinigt werden, damit es dem Teufel oder bösen Geistern darin nicht wohlsein könne.“ (Johansen: a.a.O., S. 120).

Zum Zwecke der Erziehung werden Kinder gedemütigt, ihnen wird Angst gemacht, sie werden zum Gehorsam gezwungen durch Herstellung großer Abhängigkeit. Zum Zwecke der Erziehung wird ihr Freiraum unter die völlige Kontrolle des Erwachsenen gebracht.

Mit Erscheinen des Romans „Emile“ von Jean Jacques Rousseau macht die pädagogische Fachwelt einen Wendepunkt im Verhalten von Erwachsenen gegenüber Kindern fest: Rousseau plädiert dafür, Kinder auch als Kinder zu behandeln und anzuerkennen, dass sie sich durch sorgfältige erzieherische Einwirkung auf sie erst entwickeln.

Im Gegensatz zu jahrhundertelanger Ansicht, dass Kinder verdorben oder vom Teufel besessen seien und daher geschlagen werden mussten, wenn sie sich gut entwickeln sollten, ging Rousseau davon aus, dass Kinder von Natur aus gut seien und ihre natürlichen Tugenden nur geschickt freigesetzt werden mussten.

Kinder werden bei ihm zum Objekt elterlicher Planung. Zwar spricht er sich für eine Erziehung ohne Züchtigung aus, jedoch für eine den Willen des Kindes geschickt manipulierende Erziehung, die das Kind ganz der Autorität des Erwachsenen ausliefert.

„Es gibt keine vollkommenere Unterwerfung als die, der man den Schein von Freiheit zugesteht.“ (Johansen, a.a.O., S. 123).

In der Praxis ist das Kind in der Familie den Erwachsenen gänzlich ausgeliefert. Das durch geschickte erzieherische Manipulation traktierte und von Erwachsenen beschützte Kind der bürgerlichen Klasse steht dem unterernährten, um seine Existenz kämpfenden Arbeiterkind gegenüber. Erst im späten 19. Jahrhundert wird Kinderarbeit verboten und werden auch diese Kinder nach bürgerlichen Erziehungsnormen erzogen.

Die beiden Erziehungsvorstellungen, Erziehung durch Härte und Unnachgiebigkeit und Erziehung durch Milde und Verständnis konkurrieren bis heute miteinander (vgl. deMause: Hört ihr die Kinder weinen? Frankfurt am Main 1980, S. 588).

Die Bedeutung des Kindes für die Erwachsenen steigt, insofern auch die Bedeutung des Privaten, der Familie, des Individuums und seiner Leistungen steigt. Kinder werden zum Kapital der Familie und des Staates, sie sind Zukunfts- und Hoffnungsträger. Die Kinder- und Jugendschutzgesetze sind Ausdruck des Interesses und der Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber den Kindern der ganzen Gesellschaft. Das 19. Jahrhundert wird als die Zeit gesehen, in der öffentliche Institutionen begannen – nicht zuletzt durch massives Aufmerksammachen von Seiten privater Initiativen ? Kinder als Kinder zu sehen und ihre Verletzlichkeit und Hilflosigkeit unter Fürsorge zu stellen. Nicht zuletzt prophezeite Ellen Kaye, dass das 20. Jahrhundert das Jahrhundert des Kindes werde.

Kinder heute sind medizinisch, pädagogisch, sozial und ökonomisch gut versorgt. Kinder- und Jugendschutzgesetze sind Grundlagen für die gesunde und freie Entwicklung von Kindern, denn sie schränken z.B. die Kinderarbeit ein und damit die Gefahren für die Entfaltung des Kindes. Grundgesetz, Bürgerliches Gesetzbuch und Kinder- und Jugendhilfegesetz schaffen Grundlagen für den Eingriff des Staates in elterliche Gewalt, falls diese versagt.

Welches Recht aber hat ein Kind?

Im Paragraphen 1 des BGB heißt es:

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.

Dies entspricht auch dem Grundgesetz Art. 2:

Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (…).

Ausgeübt bzw. eingeschränkt wird dieses Recht allerdings durch das Elternrecht, denn: Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern (…). SGB VIII (KJHG) § 1.

Hier entsteht also das Dilemma zwischen dem Haben eines Grundrechts und der Fähigkeit, sein Recht auch kompetent und selbstverantwortlich auszuüben. Das Grundgesetz hat die Ausübung der Rechte des Kindes in die Verantwortung der Eltern gelegt. Sollten diese versagen, kann der Staat eingreifen als Inhaber des Wächteramtes und Schützer der Grundrechte.

Der Status des Kindes ist durch Unmündigkeit gekennzeichnet – trotz vieler kleiner Verbesserungen seiner verfahrensrechtlichen Stellung. Bei Missbrauch der elterlichen Gewalt kann das Kind sich zwar an öffentliche Stellen oder z.B. die Lehrerin wenden, die Pflicht zur Anhörung bleibt aber davon unberührt (vgl. Lutz Dietze: Elternrecht-Kindesrecht, in: Melzer/Sünke (Hrsg.): Wohl und Wehe der Kinder. Weinheim/München 1989, S. 113).

Kinderschutzgesetze haben nicht verhindern können, dass Kinder auch im 20. Jahrhundert misshandelt und missbraucht werden. Kinder können durch den Eingriff des Staates nur bedingt in ihren Rechten geschützt werden, z.B. wenn sie offensichtlich vernachlässigt worden sind; aber sie können nicht vor dem Staat selbst geschützt werden, z.B. bei Versäumnissen in staatlich organisierter Erziehung, wenn sie etwa aus der elterlichen Sorge herausgekommen wurden.

Maßnahmen, die Kinder in ihrer Entwicklung fördern oder schützen sollen, sind bis jetzt Maßnahmen von Erwachsenen für andere Erwachsene, Handlungsanleitungen, Verfahrensregeln und Verbote. Diese Maßnahmen sind ja gar nicht abzulehnen. Häufig sind es Forderungen, die eigentlich Selbstverständlichkeit sein sollten und alle, Erwachsene, Jugendliche und Alte angehen ? so etwa Tempo 30, fußgängerorientierte Ampelschaltung, Naherholungsgebiete, Informations- und Beratungsstellen, Spielecken in Ämtern (vgl. Wiebusch: Stadtkindheit, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 4/1990, S. 101).

Kinderrechte hingegen müssten Rechte sein, die die Interessen von Kindern, und das sind Versorgung, Zuneigung, Bildung, Zukunft, absichern. Für diese Sicherung wäre aber die Einklagbarkeit eines solchen Rechts und die Vertretung der eigenen Sache durch das Kind selbst Voraussetzung. Die Forderung nach mehr Rechten für Kinder müsste zumindest das wesentliche Grundrecht der Selbstbestimmung, der Teilhabe an der Gestaltung dieser Rechte versuchen zu gewährleisten, sollen Kinderrechte über Schutzrechte allein hinausgehen.

Die völlige Gleichstellung und Gleichberechtigung von Erwachsenem und Kind zu fordern, ist jedoch blauäugig und im Grunde kinderfeindlich. Kinder sind keine Erwachsenen; sie können nicht gleichberechtigt ihre Interessen vertreten, da ihr Entwicklungsstand, ihre Ausdrucksfähigkeit usw. sie zu Schwächeren gegenüber den Älteren und Erfahreneren macht, da diese nur ihren Stand und ihre Art der Durchsetzung von Interessen zulassen.

Ebenso wie für andere „Benachteiligte“ in unserer Gesellschaft, deren Selbstvertretungsmöglichkeit eingeschränkt ist, muss es einen Delegierten des Kindes geben, einen unabhängigen Vertreter, der mit dem Kind zusammen für das Kind dessen Rechte wahrnimmt. Der Schwerpunkt muss hier einerseits auf Unabhängigkeit dieser Person und andererseits auf das Zusammen mit dem Kind gelegt werden. Ein Rechtsanwalt vertritt die Interessen seines Klienten, Kinder haben in unserer Gesellschaft keinen „professionellen Vertreter“.

Dieses Modell erfordert ein gründliches Umdenken. Hier wäre das Bild der Ebenbürtigkeit, des Rechtes des Kindes auf Achtung für das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern leitend. Eltern und Staat empfinden sich ja bisher als Vertreter des Kindes, aber sie können ja ebenfalls elementare Rechte des Kindes verletzen, sodass Voraussetzung für eine volle Anerkennung der Rechte von Minderjährigen der Rechtsschutz zugunsten des Kindes ist. Im neuen KJHG haben die Gesetzgeber zwar kinderfreundliche Aspekte eingebracht; diese reichen im Sinne der Verwirklichung von Ebenbürtigkeit aber nicht aus. Zwar haben etwa Richter die Pflicht, bei den die Kinder betreffenden Entscheidungen, z.B. Sorgerecht, die Kinder anzuhören ? aber wie macht man das, wer bildet darin aus, dieses Anhören durchzuführen, um zum Beispiel erkennen zu können, wo mit Angst und Manipulation gearbeitet wurde, oder um dem Kind eine Atmosphäre zu schaffen, die es ihm ermöglicht, sich frei zu äußern?

Das Bundesverfassungsgericht hat die rechtliche Stellung von Minderjährigen insofern aufgewertet, als dass es fordert, bei Streitfragen einen eigenständigen und unabhängigen Vertreter des Kindes hinzuzuziehen (vgl. Ludwig Salgo: Kind und Recht, in: Blätter der Wohlfahrtspflege 4/1990, S. 106). Wie sich das umsetzen soll, steht noch aus, ebenso wie die juristische Absicherung der ersten Artikel des Grundgesetzes auch für Kinder. Dass die Grundrechte nicht eindeutig für Kinder gelten, ist im Bürgerlichen Gesetzbuch festgelegt: So bestimmen die Eltern den Aufenthaltsort und den Umgang des Kindes (§§ 1631 und 1634 BGB). Kinder brauchen als Individuen und als Gesamtheit Rechte und Vertretung. Die Konvention der Rechte der Kinder der Vereinten Nationen postuliert das Wahrnehmen des Kindes als Person. Und dies ist die wichtige Grundlage bei der Überprüfung und Neugestaltung rechtlicher Regelungen, die die Kinder betreffen. Die Rechte von Kindern als Schwächere müssen ihnen von den Stärkeren gegeben werden. Erst dann ist auch Hoffnung, dass die kommende Generation einen Schritt weiter in der Humanisierung der Beziehungen zwischen den Menschen kommt. Denn ihr Rechtsbewusstsein entwickelt sich nicht zuletzt daraus, wie sie heute behandelt wird.

 

Das Wohl des Kindes

Zum Wohl des Kindes – damit wurden und werden Maßnahmen, Gesetze, Forderungen, aber auch Eingriffe in die Freiheit des Kindes begründet. Was aber ist das Wohl des Kindes wirklich?

Im juristischen Sinne wird darunter vor allem die Sicherung der materiellen Versorgung verstanden. Ethisch gesehen ist die Antwort auf diese Frage die Antwort auf die Frage nach dem Sinn und Zweck des Lebens. Das Wohl des Kindes ist dann nicht nur, immer „das Beste“ für die Kinder zu gewährleisten, zu organisieren, bereitzustellen und ihnen zukommen zu lassen, sondern dieses „Beste“ auch im historischen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den Generationen, also auf die Zukunft der Menschen hin zu sehen. Dieses „Beste“ verändert sich stets, muss also auch immer wieder überprüft werden. Das „Beste“ kann dann auch nicht nur ein Einziges sein, etwa gute Ernährung, denn Ernährung, Bildung, Kleidung, Wärme, Zuneigung, Freunde, Gesundheit, Zukunft greifen ineinander und machen das „Beste“ ja erst aus.

Um das „Beste für das Kind“ zu definieren, wäre es erforderlich, festzustellen, wie Kinder heute leben. Hier könnte man einen „Bericht zur Lage der Kinder der Nation“ erstellen. Nur hierüber ließe sich ja überhaupt feststellen, was vorhanden ist und was fehlt. Ein solcher Bericht müsste aber so gestaltet sein, dass er eine Grundlage bildet für eine Überprüfung dessen, was bis jetzt ? beim jetzigen Stand der Entwicklung und Erkenntnis ? als „das Beste“ angesehen wurde. Ansätze für Kinderberichte hat es ja schon gegeben: Gesundheitsbehörden haben den Zusammenhang von Stickstoffgehalt in der Luft und Atemwegserkrankungen bei Kindern nachgewiesen (vgl. Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Hamburg, Hamburg 1990); Schulpädagogen stellen fest, dass es offensichtlich in den letzten Jahren immer weniger gelingt, Kindern das Rechnen beizubringen; Krankenkassen haben erforscht, dass Bewegungsmangel die Unfallhäufigkeit bei Kindern steigen lässt.

Was fehlt ist allerdings eklatant angesichts der beunruhigenden Aussagen solcher partiellen Berichte: Die Empfehlung und Forderung geeigneter Maßnahmen, um die erkannten Ursachen abzustellen. Hierfür fehlt es an Möglichkeiten, die Probleme überhaupt an die verantwortlichen Stellen heranzubringen, geschweige denn, diese zur Veränderung zu zwingen.

 

Kinderbeauftragte

Diese Ohnmacht und das Wissen darum, dass vorhandene Institutionen, die für das Kindeswohl zuständig sind, fehlbar sind, versagen oder verweigern, führte zur Forderung nach geeigneten Interessensvertretern für die Belange der Kinder in unserer Gesellschaft. 1987 entstand die sogenannte Kinderkommission im Bundestag, die aus Vertretern der damals vier Parteien des Bundestages SPD, CDU, FDP und den Grünen bestand. Diese erklärten als Beauftragte ihrer Fraktionen den Willen, zur Verbesserung der Situation der Kinder in unserer Gesellschaft eng zusammenzuarbeiten; sie wollten Gesetzesinitiativen und Anträge auf ihre Wirksamkeit auf Kinder überprüfen, Kinderfragen in den Bundestag einbringen, Kontakte mit Kinderverbänden knüpfen. Ihre Aufgaben sahen sie in den Bereichen Verkehr, Gesundheit, Jugendschutz, Wohnungs-, Umwelt- und Familienpolitik, Medien, Erziehung, ohne sich als „Obererzieher der Nation“ zu definieren. Die Hoffnung, „Kinder-Anwalt“ sein zu können, ging nicht in Erfüllung, denn die Kinderkommission hat keine Handhabe, d.h. sie muss nicht gehört werden, ihre Vorschläge haben empfehlenden Charakter. So gesehen schraubten die vier Vertreter die in sie gesetzten Hoffnungen auch schnell selbst wieder herunter, als sie vorrangig in der Schaffung von Aufgeschlossenheit gegenüber Kinderproblemen in ihren Fraktionen und dem Setzen von Impulsen bei bestimmten Fragen, z.B. Kriegsspielzeug, Tempo-30-Zonen und körperliche Züchtigungen ihre Aufgabe sehen. Sie appellieren nicht zuletzt auch als Politiker an ihre Fraktionskollegen mit dem Hinweis darauf, dass es für Politiker sehr wohl ziemlich gefährlich sein kann, Kinder und Jugendliche nicht zu berücksichtigen.

Das Vertrauen der Jugendlichen in den demokratischen Staat ist nicht zuletzt deswegen gestört, weil dessen Vertreter zu arrogant sind, ihre zukünftige Generation wirklich wahrzunehmen.

Kinderbeauftragte gibt es auch in einigen Kommunen. Über das Für und Wider, über die Wirksamkeit wird immer noch gestritten und sollte es auch. Denn Kinderbeauftragte haben natürlich nicht die Macht, Kinder wirklich unmittelbar und direkt zu vertreten, noch nicht einmal ändern können sie selbst etwas. Ebenso begrenzt wie beim Datenschutzbeauftragten oder bei der Ausländerbeauftragten sind auch die Funktionen des Kinderbeauftragten einzuschätzen: Er kann auf Missstände und Missbräuche hinweisen und diese aufdecken; er kann Veränderungen anregen, Vorschläge machen und Stellung beziehen.

So liegt etwa im Kompetenzbereich des Kinderbeauftragten von Pinneberg, Klaus Sommer, der einerseits auf dem Abenteuerspielplatz arbeitet und andererseits im Rathaus ein Büro hat,

– den Bürgermeister in kinderrelevanten Fragen zu beraten;
– zu Planungen der Verwaltung Stellung zu nehmen und Vorschläge zu machen;
– Stellung zu nehmen bei
    – Neu- und Umbau von Kindereinrichtungen
    – Verbesserungsvorschlägen für alte Einrichtungen
    – Spielplatz- und Schulhofgestaltung
    – Wohnflächengestaltung
    – Verkehrsberuhigung
    – Veranstaltungen;
– Beraten von Bürgern, Verbänden und Kindern;
– Ansprechpartner sein für Bürger, Kinder, Verbände, Institutionen.

Ein Kinderbeauftragter vertritt also nur indirekt die Interessen des Kindes. Die Streitfrage bei der ganzen Diskussion um die Kinderrechte und beim Für und Wider von Kinderbeauftragten liegt jedoch darin, wer, wie und wann Auftrag und Mandat auch für das einzelne Kind erhalten kann oder soll, um für dieses das Recht einzufordern bzw. auszuüben.

Kinderbeauftragte können also Impulse geben. Und wenn sie, wie Till Eulenspiegel in Düsseldorf, täglich in dieser Verkleidung durch die Straßen gehen, können auch Kinder wirklich einen Menschen für sich erobern, der ihre Interessen – und das sind manchmal Alltagssorgen – mit ihnen vertritt.

Die Zunahme an Kinderbüros, Kindervertretern, Kinderparlamenten usw. lässt befürchten, dass hier viele Erwachsene ein neues und zur Zeit Aufmerksamkeit erregendes Arbeitsfeld für sich aufbauen, das aber nicht von den Kindern ausgeht. Die allerdings, die seit mehr als 20 Jahren mit Kindern und für Kinder arbeiten, die ErzieherInnen und SozialpädagogInnen in Häusern der Jugend, Jugendclubs, auf Abenteuerspielplätzen, Spielhäusern und Kinderbetreuungseinrichtungen und die Elterninitiativen, die sich wegen des Mangels an Betreuungsplätzen zusammengesetzt haben, müssen sich verschaukelt vorkommen, wenn nun „Experten“ ihre langjährig geäußerten und mit Geldmangel abgelehnten Forderungen als „neue Erkenntnisse und neue Forderungen“ verkaufen. Hier müssen alle, denen das Wohl der Kinder am Herzen liegt, die Kinderpädagogen und die Kinderpolitiker, zusammenarbeiten.

aus: DER NAGEL 54/1992

 

Kleine Literaturauswahl

Philippe Ariès: Geschichte der Kindheit
München, 1978 (Deutscher Taschenbuch Verlag) – Original: München, 1975 (Carl Hanser Verlag)


Lloyd deMause (Hrsg.): Hört ihr die Kinder weinen? Einen psychogenetische Geschichte der Kindheit
Frankfurt am Main, 1977 ( Suhrkamp Verlag)


Alice Miller: Am Anfang war Erziehung
Frankfurt am Main, 1980 (Suhrkamp Taschenbuch, 1983)


Katharina Rutschky: Deutsche Kinder-Chronik. 400 Jahre Kindheitsgeschichte. Wunsch- und Schreckensbilder aus vier Jahrhunderten
Köln, 1983 (Verlag Kiepenheuer & Witsch) -> Katharina Rutschky auf Wikipedia


Katharina Rutschky (Hrsg.): Schwarze Pädagogik. Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung
Berlin, Wien, 1977 (Ullstein-Buch) -> Katharina Rutschky auf Wikipedia

 
Martin Schröder (Hrsg.): Kindheit – ein Begriff wird mündig. Miteinander wachsen statt erziehen

Wolfratshausen, 1992 (Drachen Verlag)
Beiträge:
– Hans-Egbert Treu: Wie die Angst Eltern zu Verfolgern ihrer Kinder werden lässt
– Heinz Stefan Herzka: Autoritätskritische Erziehung – dialogische Entwicklung
– Bernd Sensenschmidt: „Erziehung“ als Politk-Ersatz?
– Hans-Joachim Maaz: Eltern und Kinder im Spannungsfeld individueller, familiärer und 
  gesellschaftlicher Konflikte
– Ekkehard von Braunmühl, Martin Schröder: Beziehung ohne Erziehung
– Mike Weimann: ERZIEHUNG? MACHT? SPASS? – eine Wanderausstellung
– Katharina Rutschky: Wozu braucht unsere Gesellschaft Kinder?
– Bertrand Stern: Sind Kinder auch Menschen?
– Gerhard Krusat: Erzieherische Züchtigung – Releikt aus Faustrecht und Leibeigenschaft
– Claudia Prónay: Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien – zwischen Risiko und Chance 
   eines „österreichischen Weges“
– Bernd Sensenschmidt: Schule: Wider die Natur des lernenden Individuums?
– Elke Erb: Die Mitgift der Alten (Zum Thema „Schule“)
– Dokumente im Anhang

 

 

Shulamith Shahar: Kindheit im Mittelalter
München, Zürich, 1991 (Artemis & Winkler Verlag) – Hebräische Originalausgabe: Tel Aviv, 1990 (Dvir Publishing House)

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NAGEL-Redaktion – MIT STARREM BLICK AUF DIE KOMMUNE

Zu den Rahmenbedingungen der Offenen Arbeit aus Sicht einer Jugendamtsleiterin

Von Hanna-Elisabeth Deußer

Wie soll es mit der Offenen Kinder- und Jugendarbeit weitergehen, wenn nur noch in den Kommunen über die Vergabe der Mittel entschieden wird? Ich habe mich verstärkt mit dem neuen Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder befasst, vor allem mit den Auswirkungen auf die Kommunen, muss mich verstärkt mit der Frage befassen, wie sollen alle Heimunterbringungen ab 1995 bezahlt werden, wenn die Verpflichtung für den überörtlichen Träger dann endgültig weggefallen ist und habe bei all diesen Gedanken die Offene Kinder- und Jugendarbeit und die kommunale Neuordnung der Mittelvergabe für die Offene Kinder- und Jugendarbeit gedanklich an den Rand gedrängt. Dies schildere ich, weil ich glaube, dass dies symptomatisch für alle Kommunalverwaltungen ist, die immer stärker in die Pflicht genommen werden und immer weniger in der Lage sind, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Dabei geraten die Aufgaben an den Rand, die nicht die eindeutige gesetzliche Absicherung haben, wie das im Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK) oder bei Heimunterbringungen der Fall ist. Der Hinweis, in § 79 Abs. 2, Satz 3 KJHG einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden, ist zwar löblich, aber zu wenig.

Eigentlich bin ich über diese Entwicklung, die Verantwortung für die Jugendhilfeaufgaben eindeutiger den Kommunen zu übertragen, erfreut und begrüße die Entwicklung. Nach meinem Demokratieverständnis müssen die Angelegenheiten, die die Kommunen betreffen, auch dort alleine geregelt werden und freigehalten werden von dirigistischen Maßnahmen seitens der Länder oder sogar seitens des Bundes. Diese Garantie der Selbstverwaltung hat Verfassungsrang, und man sollte sich daher dazu zwingen, dies auch positiv zu sehen, trotz allem Jammern über die fehlenden Gelder. Dies fällt schwer genug, da besonders in den Kommunen viel zu viele Kommunalpolitiker fordern, ein anderer als sie möge doch bitte die eine oder die andere Angelegenheit regeln, nach Möglichkeit das Land oder sogar der Bund.

Korrekterweise ist aber auch zu sagen, dass die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen niemals den Stellenwert hätte, wenn man den Ausbau alleine den Kommunen überlassen hätte. Selbst in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums und wirtschaftlichen Aufschwungs wurde in den Kommunen eher das Geld für Stadthallen, Straßen etc. und nicht für Offene Kinder- und Jugendarbeit ausgegeben. Insofern hat das Land NRW mit seinem Landesjugendplan eine Entwicklung gefördert, von der andere Bundesländer nur träumen.

Man kann nur darüber spekulieren, welch politischer Hintergrund besteht, die Entscheidungsbefugnis für die Förderung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit auf die Kommunen zu verlagern, ob dies eine weitere Stärkung der Kommunalen Selbstverwaltung ist oder andere Gründe hat; zu ändern ist es nicht mehr, und ich wollte es auch nicht ändern, da diese Neuordnung ungeheure Chancen bietet. Es muss nun vor Ort entschieden werden, welcher Träger Mittel bekommt. Es muss weiter entschieden werden, wie hoch die Mittel sind, es muss entschieden werden, wer keine Mittel bekommt und all dies müssen die Kommunalpolitiker vor Ort verantworten, und zu all diesen Fragen müssen die Kommunalpolitiker vor Ort Antworten geben, vorausgesetzt, sie werden dazu gefragt. In den Haushaltsstellen des Jugendamtes wird in Zukunft über Mittel entschieden – nicht nur über solche für die Offene Kinder- und Jugendarbeit, sondern auch über alle anderen Mittel, wie die für Kindergärten und erzieherische Hilfen -, die Politiker anderer Ausschüsse erblassen lassen werden. Der Jugendhilfeausschuss wird in Zukunft in den Kommunen derart hohe Haushaltsgelder zu verwalten haben, der es notwendig macht, in den Jugendhilfeausschuss nicht mehr ausschließlich Newcomer und Sozialfälle oder Politlehrlinge abzustellen. Bei solch gravierenden Entscheidungen werden sich wohl oder übel die Politiker mit Dingen befassen müssen, die in den Parteien größeren Einfluss haben, als dies derzeit in der Regel die Jugendpolitiker haben. Und diese Politiker, die über diese Mittel zu entscheiden haben, müssen gefordert werden von allen Beteiligten in der Jugendhilfe. Sie müssen Stellung beziehen zu Entscheidungen, die sie vor Jahren niemals treffen mussten, weil sie in der Regel vom Land getroffen wurden. Sie können sich dann auch nicht mehr damit herausreden, das Land habe keine Mittel bereitgestellt, sondern sie müssen erklären, warum sie selbst nur so viel und nicht mehr Mittel bereitgestellt haben. Dabei wird es niemanden interessieren, woher diese Mittel kommen. Sie werden dabei in die Pflicht genommen, ihre Angelegenheiten bzw. die gemeindlichen Angelegenheiten selbst zu regeln im Interesse der Bevölkerung, die sie auch wieder wählen soll. Angelegenheiten der Jugend sind überwiegend und ausschließlich kommunale Angelegenheiten, da die Struktur einer Gemeinde das Jugendalter und die Bedingungen für Jugendliche prägt, und somit die Verantwortung für das Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen alleine in den Kommunen liegt.

Diese lange Vorrede war notwendig , um deutlich zu machen, dass ich diese Entwicklung befürworte und auch hoffe, dass sich die Jugendämter dieser Entwicklung stärker stellen, habe dabei jedoch meine Bedenken: Die interessante Frage für PraktikerInnen in den Einrichtungen dabei ist, wie diese bei diesem Spiel mitspielen können, wie können sie beteiligt sein, wenn die Karten verteilt werden, wie können sie Einfluss nehmen auf Entscheidungen in den Kommunen, und wie können sie vor allem von der Verwaltung der Mittel für ihre Arbeit jeweils profitieren:

Die Vorentscheidungen über die Vergabe der Mittel wird im Jugendhilfeausschuss getroffen und erst danach im Rat. Bevor der Jugendhilfeausschuss sich jedoch damit befasst, befasst sich in der Regel ein Unterausschuss damit, vor allen Dingen aber die Verwaltung des Jugendamtes. Es ist nicht zu unterschätzen, welche Wirkungen die Beschlussvorlagen haben, die von der Verwaltung ausgearbeitet werden. Das Jugendamt hat viele Möglichkeiten, Anträge positiv wie auch negativ zu beeinflussen. Da dies häufig im Vorfeld geschieht, gibt es für die Träger kaum Möglichkeiten, darauf einzuwirken. Aus diesem Grund ist es notwendig, erforderlich und für die gesamte Arbeit wünschenswert, wenn eine Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Jugendamtes erfolgt. Das Jugendamt sollte dann auch Einblick in die Arbeit bekommen, um so viel wie möglich über die Arbeit erzählen zu können, denn eine Arbeit, die man umfangreicher kennt, kann besser und positiver beurteilt werden. Dies ist jedoch nur eine von vielen Notwendigkeiten, die nicht zu unterschätzen ist. Weiterhin sollte es allen in der Offenen Arbeit Tätigen gelingen, ein Gremium zu schaffen, das paritätisch besetzt ist und dadurch auch einen gewissen Einfluss haben kann. In Remscheid wurde Ende 1990 eine Arbeitsgemeinschaft gemäß Â§ 78 KJHG gegründet, die sich „Arbeitsgemeinschaft Offene Jugendarbeit“ nennt. In dieser Arbeitsgemeinschaft sind sowohl die städtischen, vor allem aber auch die freien Träger vertreten. Leider sind es bei den freien Trägern meistens nur kirchliche Träger. Es fehlen in Remscheid zusätzliche freie Träger und Jugendverbände, die auch Offene Kinder- und Jugendarbeit machen. Diese Arbeitsgemeinschaft hat einen Geschäftsführer für zwei Jahre, verfügt über einen eigenen Haushaltstitel für die Geschäftsführung und hat sich zur Aufgabe gesetzt, im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu koordinieren, zu beraten und vorab Entscheidungen zu treffen. Dies hat zur Folge, dass Entscheidungen, die in dieser Angelegenheit getroffen wurden, vom Jugendhilfeausschuss in der Regel einstimmig beschlossen und weiter empfohlen werden. Der Jugendhilfeausschuss billigt dieser Arbeitsgemeinschaft das Fachverständnis zu, die Entscheidungen fachlich ausreichend zu beurteilen. Diese Beurteilung der Arbeitsgemeinschaft ist jedoch auch davon geprägt, dass die Verwaltung des Jugendamtes diese Arbeitsgemeinschaft als sehr positiv beurteilt, ja die Arbeitsgemeinschaft selbst initiiert hat, in der Arbeitsgemeinschaft vertreten ist und sehr viel Hilfestellung gibt. Diese Zusammenarbeit wird im Jugendhilfeausschuss als so positiv gewertet, dass die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Remscheid derzeit auf offene Ohren trifft. Dies ist nichts besonderes, da die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Remscheid so stiefmütterlich behandelt wurde und ein solches Randgruppendasein führte, dass es nur besser werden konnte, ohne dass wir eine Vorreiterrolle gewonnen haben. Für die Aufstockung des Haushaltstitels für die Offene Kinder- und Jugendarbeit war es aber notwendig, entsprechende Überzeugungsarbeit zu leisten, die seitens der Verwaltung geleistet wurde, die ihren Rückhalt aber auch bei den freien Trägern braucht. So haben wir in Remscheid ein ganz anderes Problem, als es in anderen Städten wohl der Fall ist, nämlich befürchten zu müssen, dass die Haushaltsmittel in 1991 nicht in vollem Umfang abgerufen werden, was wiederum Auswirkungen auf den Haushalt für 1992 hätte, der seitens der Verwaltung durchaus erhöht wurde.

Die Initiative seitens der Verwaltung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit stärker an der politischen Entscheidung zu beteiligen, rührte in Remscheid daher, dass die freien Träger unterrepräsentiert sind im Jugendhilfeausschuss. Von den Jugendverbänden wurden Vertreter in den Jugendhilfeausschuss gewählt, die zur Offenen Arbeit, ja zur Kinder- und Jugendarbeit überhaupt, kaum oder wenig Beziehungen haben. Hier müssen die Interessen der Jugendverbände anders vertreten werden, als dies bei uns der Fall ist. So denke ich, dass nach der nächsten Kommunalwahl die Politiker an der Arbeitsgemeinschaft „Offene Jugendarbeit“ nicht so ohne weiteres vorbeikommen können, da ich hoffe, dass diese Arbeitsgemeinschaft dann darauf aufmerksam machen wird, nach welchen Kriterien der Rat die stimmberechtigten Mitglieder des Jugendhilfeausschusses wählt. Dies wurde nach der letzten Wahl zum Jugendhilfeausschuss unwidersprochen hingenommen und wäre ein möglicher Weg gewesen, bereits damals auf die fehlende Beteiligung von Jugendhilfe bzw. Offener Arbeit im Jugendhilfeausschuss hinzuweisen. Zwar wäre es auch damals bereits zu spät gewesen, hätte aber einiges bewirken können.

Die Vertretung im Jugendhilfeausschuss ist aus vielen Gründen wichtig (Entscheidungsbefugnis, Antragsrecht, Mitspracherecht). Da die stimmberechtigten Mitglieder von der Vertretungskörperschaft gewählt werden, muss die Vertretungskörperschaft deutlich darauf hingewiesen werden, wen sie wählt. Dies bedeutet, dass die Vertreter der Kinder- und Jugendarbeit vorher Kontakt zu allen Parteien und nicht nur zu den GRÜNEN suchen müssen. Bei diesen Kontakten zu den Parteien muss deutlich werden, dass es hier nicht um Interessenvertretung von Trägern, sondern allein um Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen geht, und dass eine Nichtwahl zur Folge hat, dass hier Kinder- und Jugendinteressen nicht oder zu wenig berücksichtigt werden. Bei den Vertretern der Träger, die dann in den Jugendhilfeausschuss entsandt werden bzw. genannt werden, sollte es sich um kompetente Mitarbeiter handeln, nicht um Randfiguren, die zu der Sache wenig beizutragen haben. An einem starken Jugendhilfeausschuss, vor allem aber an starken Vertretern der freien Träger und der Jugendverbände kommt kein Rat ohne weiteres Drumherum. Die freien Träger unterliegen nicht dem Vorwurf, sie würden Parteipolitik machen, und sie haben nicht die Beschränkungen der Verwaltung auf sich zu nehmen, eine abgestimmte Verwaltungsmeinung in die Öffentlichkeit zu tragen. Entscheidungen, die gegen Kinder- und Jugendinteressen gehen, können von freien Verbänden in anderer Form in die Öffentlichkeit getragen werden, als dies bei Parteien der Fall ist.

Dies alles setzt natürlich eine hohe Fachlichkeit und eine hohe Kompetenz voraus. Die Fachlichkeit muss mehr sein als das Wissen um pädagogische Arbeit in der Kinder- und Jugendarbeit. Die Vertreter der freien Verbände in den Jugendhilfeausschüssen sollten durchaus in der Lage sein, die Vertreter der politischen Parteien argumentativ „in die Tasche zu stecken.“

Für eine seriöse Vertretung von Kinder- und Jugendangelegenheiten kommt es meines Erachtens auch noch darauf an, von einer „Kirchturmpolitik“ abzusehen und unabhängig von eigenen Trägerinteressen auch die Kinder- und Jugendinteressen zu sehen. Dazu ist es aber notwendig, eine Mehrheitsmeinung hinter sich zu wissen und auch zu wissen, dass diese Mehrheit für ihre Meinung durchaus streiten wird. Einzelkämpfer fallen, selbst wenn sie im Jugendhilfeausschuss als stimmberechtigte Mitglieder vertreten sind, mit Sicherheit schnell „auf die Nase“, wenn andere Einzelkämpfer besser argumentieren können.

Für wichtig halte ich es, unabhängig von den Erprobungen in Neuss und Oberhausen, auf örtlicher Ebene sich an den Planungen zu beteiligen. Diese Planung muss meines Erachtens gemeinsam mit den örtlichen Jugendämtern erfolgen. Dazu halte ich eine Arbeitsgemeinschaft nach § 78 KJHG für das richtige Forum. Auch in die Debatte über Förderungsgrundsätze muss sich die Arbeitsgemeinschaft einschalten. Grundsätze, die dort gemeinsam mit den örtlichen Jugendämtern erarbeitet wurden und von den freien Trägern im Jugendhilfeausschuss vertreten werden, werden weniger gekippt als unabgestimmte Vorlagen verschiedener Träger.

aus: DER NAGEL 54/1992

Kommentar der NAGEL-Redaktion (August 2004): Hanna-Elisabeth Deußer war seinerzeit Jugendamtsleiterin in Remscheid. Die Zusammenarbeit mit ihr war ein gutes Erlebnis. Inzwischen ist sie Leiterin der Sozialabteilung im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein und hat ? nach eigenem Bekunden ? „(leider) mit der Jugendhilfe nichts mehr zu tun“. Wir glauben dennoch, dass sie ihre Arbeit in Sachen Sozialhilfe, Behindertenpolitik, Pflegeversicherung usw. kompetent ausführt und für das nördliche Bundesland eine Bereichung ist.

 

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NAGEL-Redaktion – Kinderbeauftragte als aktuelles Auslauf-Modell des Jugendhilfe-Marktes

Von Michael Polubinksi

Als Institution sind Kinderbeauftragte/Kinderbüros   vergleichsweise jung. Allerdings sind sie – in der Sprache der „Kids“ ausgedrückt – bereits „Dinos“ der Jugendhilfe. Spätestens seitdem sich die Ansätze outputorientierter Jugendhilfe   verbreiten, besitzen Kinderbüros das Qualitätsmerkmal „Auslaufmodelle“. Dabei hat es in der Nachkriegsgeschichte jugendpolitisch ohnehin nie eine Begründung gegeben, Kinderbüros zu installieren. Schon das alte Jugendwohlfahrtsgesetz wie das gegenwärtige Kinder- und Jugendhilfegesetz   mit seinem querschnittspolitischen Einmischungsauftrag boten/bieten ausreichende Instrumentarien für eine engagierte Kinderpolitik, wenn Politik es denn nur gewollt hätte – oder will. Es ist offensichtlich nie laut genug die Frage nach der Sinnhaftigkeit gestellt worden. Auch jetzt noch verlieren sich Gegner und Befürworter von Kinderbüros in Fragestellungen nach organisatorischer Ansiedlung von Kinderbeauftragten  , ohne die Notwendigkeit der Existenz bewiesen zu haben. Dieser Beitrag will den angedeuteten, zugebenermaßen provokanten Thesen nachgehen. Es werden Ansätze zur Diskussion gestellt, die Wege seriöser Interessenvertretung von Kindern abseits populistischer Pfade aufzeigen. Indes werden jeder Gemeinde und jedem Verband, die Kinderbüros betreiben, nur gute Absichten unterstellt.

1. Zur Notwendigkeit

Um es vorweg zu sagen: Die Gründe, mit denen mancherorts die Einsetzung von Kinderbeauftragten gefordert wird, sind ernst zu nehmen. Fast jeder Lebensbereich in den Städten und Gemeinden betrifft Kinder direkt oder mittelbar. Das gilt für die Stadtplanung, Umwelt, Wohnungen, Arbeitslosigkeit, Medien u.a.m. Es gibt gegenüber Kindern keine neutrale Politik. Es gibt Politik für und Politik gegen Kinder.   Von daher sollte sich Jugendhilfe als Anwalt mit Einmischungsstrategien verstehen, damit stabile und förderliche Sozialisationsbedingungen entstehen.   Es gab bereits vor Jahren warnende Hinweise, wonach die Institution „Kinderbeauftragter“ genau für die erwähnten anspruchsvollen Aufgaben untauglich ist. Nordrhein-Westfalens ehemaliger Innenminister Schnoor sieht eine Gefahr von Beauftragten darin, dass Verantwortung von der Gesamtpolitik abgewälzt wird. Auf einer kinderpolitischen Tagung formulierte er weiter: „Nach dem Motto: Für Kinderfragen ist der Kinderbeauftragte verantwortlich, stehlen sich die Politiker aus ihrer Zuständigkeit und Verantwortung. Solche Alibiinstitutionen nützen uns gar nichts, im Gegenteil, sie schaden nur.“   Der Einsatz von Kinderbeauftragten muss im Kontext jener Unfähigkeit gesehen werden, Gesamtzusammenhänge kommunaler Politik adäquat bearbeiten zu können – letztlich eine Bankrotterklärung der Kommunalpolitik.  

2. Zum Beauftragten(un)wesen

Die Frage, ob Beauftragte ein bewährtes Lösungsmuster oder nur Feigenblatt für komplexe Querschnittsaufgaben sind, verdient vertieft erörtert zu werden. Die Wissenschaft sieht das Beauftragtenwesen kritisch. Das verrät beispielsweise eine pointierte Beschreibung der drei Kennzeichen von Beauftragten:
„Zum einen die Ausgliederung aus der herkömmlichen Behördenorganisation mit sachlicher Unabhängigkeit und eigenem bürokratischen Unterbau; zum anderen die Freistellung von linearer Verwaltungstätigkeit zugunsten eines administrativen Sonderanliegens; und zum dritten die dadurch angestrebte Beschwichtigung eines politischen Störungsbefundes (sei es allgemeine Unüberschaubarkeit des Apparates, sei es ein sachspezieller Ansprechbarkeitsmangel für die Bürger, sei es ein Zukurzkommen bestimmter gesellschaftlicher Zwecke im bisherigen Verwaltungsansatz).“  
Der strukturelle Webfehler im Beauftragtenwesen liegt offenbar darin, dass begrenzte Aspekte einen selbstständigen, absolutierten Stellenwert erhalten und resistent gegenüber Abwägungsprozessen verschiedener Interessen sind.   Wenn Aufgaben von Beauftragten wahrgenommen werden, bleibt es häufig unbemerkt, dass eine Aufgabe von den Zuständigen auf die Unzuständigen verlagert worden ist. Witzigerweise münden Beauftragtenstrukturen häufig in Ämter, Abteilungen oder andere „klassische“ Organisationsformen  , die eigentlich ersetzt werden sollten. Es ist offenkundig, dass Defizite in der täglichen Verwaltungsarbeit selber anzugehen sind. Etwaige Störungen zwischen Bürgern und Verwaltung sind nur bei der Behörde selbst, ihrem Aufbau, Ablauf und Selbstverständnis zu bekämpfen und nicht durch die Sonderinstallation von Beauftragten.   So kommen Kinderbeauftragte erwartungsgemäß zu dem Ergebnis, dass sie unter einem besonderen Legitimationsdruck stehen. In einer Selbsteinschätzung erklären sie zur eigenen Wirksamkeit, dass sie „mittelmäßig“ sei, wenn sie etwa die öffentliche Meinung oder kommunales Handeln zugunsten von Kindern beeinflussen wollen.   Wenn es richtig ist, dass „das Verwaltungsimperium keine Veranstaltung zur sozialen Auslastung oder Sinnentfaltung der Amtswalter darstellt und auch keine Arbeitsbeschaffungseinrichtung bedeutet“  , sind Kinderbeauftragte verzichtbar.

3. Zum Umbau von Verwaltungen

Mit Hochdruck werden gegenwärtig viele Gemeindeverwaltungen umstrukturiert. „Neues Steuerungsmodell“ ist das Stichwort, bei dem sich Verwaltungen produktorientiert organisieren. Das andere Zauberwort ist „lean management“. Dieses Konzept ist aus Japan importiert worden: Das „schlanke“ Management will Produkte und Dienstleistungen mit niedrigem Aufwand und hoher Qualität erstellen. Bei den Reformbestrebungen wollen sich die Verwaltungen von bisheriger „organisierter Unverantwortlichkeit“ verabschieden. Ziel ist die Ergebnisverantwortung möglichst auf einer tiefen Hierarchiestufe. Auch die Institution Kinderbüro muss sich dieser Strukturdiskussion stellen. Wenn es zu dem Leitbild einer Gemeinde gehört, dass Belange von Kindern einen hohen Stellenwert besitzen, dann ist jeder Mitarbeiter diesem Leitbild in seinem Tagesgeschäft verpflichtet. Dann bedarf es keiner ständigen personellen Begleitung (= Kinderbüro), dass an selbstverständliche Pflichten erinnert wird. Das Kinderbüro ist dann so notwendig wie die in der Sozialarbeit häufig belächelte „konfliktfreie Moderation einer Tupper-Party“.  

4. Alternative

Als billiger populistischer Trick von Politikern ist die Installierung von Kinderbeauftragten einmal kritisiert worden. Zu den vermuteten Motiven weiter: „… und können sich dann wieder desinteressiert ihren alten ‚Spielwiesen‘ widmen oder zurücklehnen; sie haben Kinderpolitik gemacht.“   Wie lässt sich also Politik tatsächlich in die Verantwortung nehmen, damit Kinderinteressen in möglichst allen Politikbereichen kompetent und seriös berücksichtigt werden? Wie rückt Kinderpolitik vom Rand in den Mittelpunkt? Solange Kommunitarismus-Ansätze   in Westeuropa noch nicht verbreitet sind, wird es erfolgreiche amerikanische Beispiele wie KidsPlace   in Seattle hier wohl nicht geben. Das Wohl der Kinder muss stattdessen zur „Chefsache der Politik“ gemacht werden. Ein vorzeigbares wie übertragbares Modell ist die Philosophie der Frauenförderung in Wuppertal. Die Gleichstellungsstelle für Frauenfragen war früher wie herkömmliches Beauftragtenwesen mit all den Schieflagen als Stabsstelle des Oberstadtdirektors organisiert: Das Problembewusstsein in den Ämtern war unzureichend, Zielvorgaben waren unklar, Erfolge waren von Kooperationspartnern (Zufallsprinzip) abhängig.   Zwischenzeitlich ist Frauenförderung als „Gemeinschaftsaufgabe“ definiert und zu einem zentralen Thema der Wuppertaler Verwaltungsreform erhoben worden. Politik für Frauen ist nunmehr integraler Bestandteil der Verwaltungsmodernisierung. Frauenförderung ist gleichsam Teil der Unternehmensstrategie. Die Chefebene (Zentrale Steuerung) hat die Zielvorgabe „Frauenförderung“ implementiert. Die Fachbereiche haben frauenfördernde Unternehmensziele eigenverantwortlich zu realisieren.
Auf die Jugendhilfe/Kinderpolitik übertragen bedeutet das: Verwaltungsführung und Gremien in der Gemeinde definieren sehr genau, wie etwa eine kinder- und jugendfreundliche Stadt auszusehen hat. Die Ämter und Dienste haben das Ergebnis verantwortlich umzusetzen. Letztlich müssten Planungsamt, Gartenamt … in einen Wettbewerb treten und genau dokumentieren, inwieweit ihre Produkte kinder- und jugendpolitische Gütesiegel tragen/verdient haben. Wichtigste Vorab-Investition dafür dürften gründliche Diskussionen über das Leitbild   sein, wie Kinder- und Jugendpolitik künftig aussehen soll. Es müssen hinreichend klare Vorstellungen zur angestrebten Entwicklung erarbeitet werden. Leitbildarbeit ist Ausgangspunkt einer systematischen Stadtentwicklung.   Bei der Umsetzung der Gemeinschaftsaufgabe „Kinder- und Jugendpolitik“ müssen die einzelnen (Fach-)Bereiche eine Hilfestellung (Service) erhalten. Schließlich muss ein Controlling installiert werden. Anhand von Messgrößen werden Zielvorgaben und Ergebnisse durch ein kinder- und jugendspezifisches Controlling   überprüft.

5. Fazit

Die jeweiligen Situationen in den Gemeinden und Städten sind zu unterschiedlich, als dass ein für alle verbindliches Rezept geliefert werden könnte. Daher kann dieser Beitrag nur Eckpunkte bieten, die künftig berücksichtigt werden können. Der Zeitpunkt für eine inhaltliche Neuorientierung dürfte günstig sein, da viele Städte und Gemeinden gegenwärtig neue Strukturen entwickeln. Festhaltenswerte Eckpunkte aus der Sicht des Verfassers sind:

  • Kinderbüros/Kinderbeauftragte sind untauglich, um Interessen von Kindern wirkungsvoll zu verfolgen. Sie schaden sogar.
  • Interessen von Kindern sind zu wichtig, als dass sie nach dem Prinzip „Hoffnung“ am Rande mitbearbeitet werden. Jugendhilfeausschüsse müssen sich ihrer großen Verantwortung bewusst werden und Kinderpolitik effektiv in Gesamtpolitik einspielen.
  • Mithin muss Kinderpolitik integraler Bestandteil von Stadtentwicklung sein.
  • Damit Kinderpolitik diese Gemeinschaftsaufgabe wird, muss sie zu den Leitbildern einer Gemeinde zählen. Das setzt mühsame, aber lohnenswerte Ziel- und Prioritätendiskussionen voraus.
  • Die Seriosität von Kinderpolitik ist ablesbar an Organisationsformen und Instrumenten: Es sind Messgrößen – so schwierig das sein mag – zu entwickeln, womit Zielvorgabe und Ergebnisse abgepüft werden (Controlling).

Vorstehender Artikel erschien in DER NAGEL 57/1995. Michael Polubinski arbeitete seinerzeit als Sozialarbeiter und Diplompädagoge in der Jugendförderung. Gegenwärtig ist er Leiter des City-Managements bei der Stadt Herten.

Eingestellt ins Internet im April 2003

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NAGEL-Redaktion – terre des hommes: Zwölf populäre Irrtümer über die Kinderrechte

Irrtum Nummer Eins

„Kinderrechte sind nicht so wichtig wie andere Rechte und nicht so ernst zu nehmen.“

Aber: Kinderrechte sind Menschenrechte. Menschenrechte sind Rechte der Kinder. Doch die Welt ist derzeit nicht einmal so organisiert, dass alle Kinder ihre einfachsten Grundbedürfnisse befriedigen können – im Gegenteil, vielen Millionen Kindern wird täglich bitteres Unrecht zugefügt. Die UN-Kinderrechtskonvention kann so als Katalog des Versagens gelesen werden, gleichzeitig aber auch als Vision für eine kindgerechte Welt. Die Kinderrechte sind für diese Vision der weltweit anerkannte Maßstab.

Damit aus den Rechten auf Papier gelebte Rechte werden, ist der Einsatz vieler Einzelner, von Gemeinden, Organisationen und der Staatengemeinschaft notwendig. Dieser Kampf um die Menschenrechte der Kinder ist genauso ernsthaft, schwierig, hürdenreich und politisch brisant wie jeder andere Einsatz für den Schutz der Schwachen vor den Mächtigen.

Irrtum Nummer Zwei

„Kinderrechte sind nur für Kinder wichtig“.

Die zentrale Botschaft der UN-Kinderrechtskonvention ist: Kinder sind Menschen, die von Geburt an Rechte haben. Sie dürfen ihnen von niemandem streitig gemacht werden! Und: Kinder befinden sich in einem bestimmten Abschnitt des Lebens. Stärker als in späteren Lebensphasen ist er geprägt durch intensive persönliche Veränderungen und Entwicklungsphasen. Zur Förderung dieser Entwicklung benötigen sie auf diese Phasen zugeschnittene Lebensbedingungen; sie haben darauf einen Rechtsanspruch! Verantwortlich für die Schaffung dieser Mindestbedingungen sind die Erwachsenen. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Erwachsenen diese Pflichten erfüllen – und dies auch können. Dazu gehört zum Beispiel die Berücksichtigung der speziellen Interessen von Kindern bei Entscheidungen, die sie betreffen. Auch der Abschied von Vorurteilen über Kinder kann zur Verwirklichung der Kinderrechte notwendig sein.


Irrtum Nummer Drei

„Wenn Kinder Rechte haben, müssen sie auch Pflichten erfüllen.“

Dieser weit verbreiteten Auffassung liegt ein begrifflicher Irrtum zugrunde. Unrecht und Recht sind das Gegensatzpaar. Von den Pflichten des Menschen ist in diesem Dokument nicht die Rede. Die Staaten-Gemeinschaft hat die UN-Kinderrechtskonvention beschlossen, damit den Kindern nicht fortgesetzt und straflos Unrecht zugefügt wird. Die Konvention ist kein Vertrag zwischen Kindern und Erwachsenen, sondern zwischen Staaten. Kindern bei Nichterfüllung ihrer Pflichten ihre Rechte abzuerkennen, würde dem Charakter von Menschenrechten widersprechen.

Selbstverständlich müssen Kinder die Rechte anderer respektieren und die Übernahme von Verantwortung und Pflichten erlernen. Dies gehört zu ihrem Entwicklungsprozess. Dies altersgemäß möglich zu machen, ist Aufgabe der für die Kinder verantwortlichen Erwachsenen. Die UN-Kinderrechtskonvention respektiert und fördert diese Aufgabe der Eltern oder anderer für das Wohlergehen der Kinder Zuständiger.

Irrtum Nummer Vier

„Die Kinderrechte sind für die Kinder der Dritten Welt gemacht, unseren Kindern geht es gut, die brauchen sie nicht – denn in Deutschland ist alles in Ordnung.“

Diese Haltung vertrat die Bundesregierung in den 80er Jahren bei den UN-Verhandlungen. Sie argumentierte: Deutsche Kinder in der Bundesrepublik seien bereits perfekt geschützt, die Konvention für Deutschland also eigentlich überflüssig. Schon ein Blick ins Grundgesetz hätte ausgereicht, um die Defizite aufzudecken: Kinder kommen nur in einem einzigen Artikel als Anhängsel der Familie vor, von speziellen Rechten der Kinder in ihren besonderen Lebenslagen ist keine Rede.


Irrtum Nummer Fünf

„Kinderrechte kosten nichts.“

Leider glauben viele Regierungen, dass die Kinderrechte kostenlos sind. Das Gegenteil ist richtig: Die Konvention garantiert allen Kindern staatliche Dienstleistungen: Schulbildung, Gesundheitsversorgung, Schutz vor Ausbeutung und Missbrauch, Registrierung und Beteiligung am gesellschaftlichen Leben. Und sie geht noch weiter:

„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte. Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte treffen die Vertragsstaaten derartige Maßnahmen unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit.“ (Artikel 4 der UN-Kinderrechtskonvention)

Die englische Originalfassung verlangt sogar die größtmögliche Ausschöpfung aller verfügbaren Ressourcen des Staates für die Umsetzung der Rechte der Kinder. Die Staaten verpflichten sich in der Konvention zu Dienstleistungen für alle Kinder, und zwar mit der höchsten Priorität der staatlichen Aufgaben. Andererseits: Es nützt wenig, die Unterzeichnung und Umsetzung von Konventionen zu fordern, wenn die Staaten nicht den wirtschaftlichen Spielraum für die Umsetzung der Bestimmungen haben. Hier verpflichtet die Konvention die Staatengemeinschaft zur Unterstützung. Und: Investitionen im produktiven Bereich können langfristig wirksamer sein für die Verwirklichung von Kinderrechten als das kurzfristige Stopfen von Löchern im Sozialhaushalt.


Irrtum Nummer Sechs

„Es hätte gereicht, den Schutz der Kinder gegen Missbrauch, Ausbeutung und im Krieg zu verbessern. Alle anderen Bestimmungen sind überflüssig.“

Im Gegenteil: Der ganzheitliche Ansatz der UN-Kinderrechtskonvention ist ein großer Fortschritt, auch im Vergleich zu anderen UN-Dokumenten. Spezielle Schutzbestimmungen sind notwendig, aber sie allein sind bei weitem nicht ausreichend, um allen Kindern zu ihrem Recht auf eine kindgerechte Entwicklung zu verhelfen. Die UN-Kinderrechtskonvention hingegen stellt alle wesentlichen Problembereiche in einen Gesamtzusammenhang. Es sind dies die „vier großen Ps“ – nach englischer Schreibweise:

■ Prinzipien: Altersregelung, Recht auf Leben, Recht auf Identität
■ Protektion (Schutz): Schutz vor Ausbeutung, Misshandlung, sexuellem Missbrauch, Rechte auf Schutz im Krieg und in bewaffneten Konflikten
■ Provision (Versorgung): Kinder haben Anspruch auf Leistungen durch die Eltern (Lebensunterhalt) und den Staat (Bildung, Gesundheit, Unterhalt bei fehlenden Eltern oder wenn diese nicht in der Lage sind, die Kinder zu versorgen)
■ Partizipation: Kinder haben einen Anspruch auf Teilhabe an ihrer Gesellschaft, sie haben das Recht auf freie Meinungsäußerung, sie haben das Recht, gehört zu werden, und das Recht, sich zur Durchsetzung ihrer Interessen zusammenzuschließen.


Irrtum Nummer Sieben

„Die UN-Kinderrechtskonvention ist perfekt und unveränderbar.“

Die 1989 verabschiedete Konvention ist wie alle zwischenstaatlichen Verträge ein Produkt von Verhandlungen und Kompromissen. Sie ist das Beste, was 1989 erreichbar war und hat ihre Bewährungsprobe in vielen Bereichen bereits bestanden. 193 Staaten haben sie ratifiziert, die Kinderrechtskonvention wurde zur erfolgreichsten UNO-Konvention. Trotz dieser Erfolgsgeschichte hat sie auch viele Mängel:

■ Die UN-Konvention enthält sehr oft „weiche“, interpretationsfähige Bestimmungen – Empfehlungen statt Rechte.
■ Es gibt keine Klagemöglichkeiten auf internationaler Ebene.
■ Eine Anzahl von Staaten hat Vorbehalte gegen einzelne Bestimmungen eingereicht, damit ernten sie zwar das Renommee der Ratifikation, aber die Konvention muss nicht vollständig verwirklicht werden – zum Schaden der Kinder.
■ Umgekehrt ratifizieren viele Staaten die Konvention aus Gefälligkeit, ohne den politischen Willen oder die wirtschaftlichen Möglichkeiten, sie auch umzusetzen.
■ Auch in der Bevölkerung vieler Länder gibt es Vorbehalte, besonders dann, wenn sie die kulturellen Besonderheiten nicht genügend berücksichtigt sehen und das Gefühl haben, dass das Kindheitsbild westlich-industrieller Gesellschaften als Idealmodell Pate gestanden hat. Das bremst Kinderrechte mehr, als dass es das Engagement für deren Verwirklichung fördert.

Die UN-Konvention kann aber verbessert werden. Das entscheidende Instrument heißt „Zusatz- oder Fakultativprotokoll“. Mehrere dieser Zusatzprotokolle sind in Kraft: Kindersoldaten werden durch das „Fakultativprotokoll über die Beteiligung von Kindern in bewaffneten Konflikten“ sehr viel besser geschützt und die Altersgrenze wurde auf 18 Jahre angehoben. Sexueller Missbrauch von Kindern wird durch ein entsprechendes Zusatzprotokoll, das „Fakultativprotokoll über den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie“, stärker unter Strafe gestellt. Und in Den Haag wurde ein Vertrag ausgehandelt, der für die Adoption von Kindern ins Ausland strenge Kriterien definiert. Nachteil aller dieser Dokumente: Sie sind eigenständige Verträge, die wiederum von den Staaten einzeln ratifiziert werden müssen.

Irrtum Nummer Acht

„Das Gute an den Kinderrechten ist, dass sie nicht eingeklagt werden können.“

Das ist nichts Gutes, sondern ein wesentlicher Mangel. Es ist dringend, dieses Problem anzugehen. Notwendig wäre eine Möglichkeit der Individualbeschwerde bei den Vereinten Nationen, wie sie bei anderen Konventionen bereits existiert. Andererseits sind die Berichte an die UNO und deren Empfehlungen ein Instrument, Kinderrechten international Nachdruck zu verleihen.

Irrtum Nummer Neun

„Millionen Kindern auf der Welt geht es elend und schlecht. Dies ist der Beweis, dass die Konvention nichts nützt und nur eine PR-Aktion der UNO ist.“

Es stimmt – obwohl seit der Verabschiedung der UN-Konvention bereits fast 20 Jahre vergangen sind, müssen über hundert Millionen Kinder und Jugendliche unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten. Noch immer sterben Millionen Kinder an Hunger und vermeidbaren Krankheiten, müssen Hunderttausende im Krieg kämpfen. Allen diesen Kindern geschieht Unrecht – aber nicht, weil es eine Konvention dazu gibt. Wirtschaftliche Probleme, politische Konflikte, Staatsversagen, Auflösung sozialer Netze, Wertekrise, Autoritarismus, Gewalt … es gibt viele Faktoren, die zur Verletzung von Kinderrechten führen. Die Rechtslage ist nur ein Faktor und in der Regel nicht der wichtigste. Ein Blick auf andere Rechtsgebiete zeigt den Kurzschluss in der Argumentation: Niemand verlangt die Streichung des Mordparagraphen wegen Erfolglosigkeit aus dem Strafgesetzbuch, nur weil täglich Morde geschehen.


Irrtum Nummer Zehn

„Die UN-Konvention soll der UNO ermöglichen, den Familien die Kinder wegzunehmen.“

Kein Irrtum, sondern eine bewusst lancierte Falschmeldung, wie sie in den USA zur Diskreditierung der UNO eingesetzt wird. Verleumdungskampagnen von einflussreichen fundamentalistischen Kreisen haben dazu geführt, dass die USA die Konvention nicht nur nicht ratifizieren, sondern aktiv bekämpfen.

Irrtum Nummer Elf

„New York und die UNO sind weit weg, das ist für uns hier doch nicht wichtig. Außerdem kann man doch nichts positiv verändern.“

Zunächst einmal: Deutschland ist UN-Mitgliedsstaat und hat die Konvention ratifiziert. Damit hat die Konvention auch bei uns Gültigkeit. Darüber hinaus ist die Konvention auch ein politisches Programm zur Verbesserung der Lebenssituation von Kindern. Die Regierungen haben zu handeln, aber die Bürgerinnen und Bürger können die Regierungen zum Handeln drängen oder in ihrem Handeln unterstützen. Hier haben auch Nichtregierungsorganisationen wie terre des hommes eine wichtige Aufgabe. Indem Pilotprojekte gefördert werden, die von Regierungen in Sozialpolitik umgesetzt werden können; oder indem soziale Initiativen in den Ländern unterstützt werden, die in ihrer Gesellschaft für die Rechte von Kindern eintreten, aber auch durch Lobbyarbeit gegenüber der eigenen Regierung. Auch hier gab es Erfolge: So wurde die Konvention in Deutschland bekanntgemacht, die Zusatzprotokolle wurden ratifiziert.

Irrtum Nummer Zwölf

„Die UN-Kinderrechtskonvention ist in einer völlig unverständlichen Sprache geschrieben.“

Dieser Irrtum enthält leider ein Körnchen Wahrheit. Aber – es gibt Bearbeitungen der Konvention, die spannend zu lesen sind – für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene. Zum Beispiel das Buch „Die Rechte der Kinder“ von Reinhardt Jung. Damit bekommt man einen guten Überblick. (Bestellnummer 221.1483.01, siehe Online-Shop http://www.tdh.de/tdhshop) Allerdings: Wer es genau wissen will, kommt um das Original nicht herum.

Quelle: terre des hommes/www.tdh.de, ohne Datum

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NAGEL-Redaktion – Bundesjugendkuratorium: Konturen einer neuen Jugendpolitik

Konturen einer neuen Jugendpolitik

Auszüge aus der Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums

Die Lebenswelt von Jugendlichen hat sich gravierend verändert. Das stellt nicht nur sie selbst, sondern auch die Politik vor große Herausforderungen. Was Sachverständige der Bundesregierung empfehlen.

Ökonomische, politische und soziale Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte haben längst die Lebenslage Jugend erreicht. Diese Entwicklungen stellen die Jugendpolitik vor gravierende Herausforderungen. Mit seiner neuen Stellungnahme greift das Bundesjugendkuratorium (BJK) die aktuelle Debatte um die Notwendigkeit einer Neupositionierung von Jugendpolitik auf und bestimmt den konzeptionellen Rahmen und die notwendigen Elemente für einen zukunftsweisenden, kohärenten und ressortübergreifenden Ansatz von Jugendpolitik. Es ist der Überzeugung, dass jenseits institutioneller und strategischer Grenzen eine profilierte, an der Lebenslage Jugend und an den Interessen und Bedürfnissen von Jugendlichen orientierte Politik für, mit und von Jugendlichen notwendig ist. Eine ressortübergreifende jugendpolitische Praxis muss die Situation Jugendlicher insgesamt in den Blick nehmen und ihre Sichtweisen, Erfahrungen und Lebenslagen unter aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen thematisieren. Jugendpolitik in diesem Sinn beschränkt sich weder auf einzelne problembelastete Teilgruppen von jungen Menschen, noch akzeptiert sie die historisch gewachsene institutionelle Verengung auf Jugendhilfepolitik (Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit). In seiner Stellungnahme weist das BJK auf mögliche Schritte der Umsetzung hin und leistet einen weiterführenden Beitrag zur Orientierung und künftigen Praxis einer ressortübergreifenden Jugendpolitik.

Jugendpolitik muss die Spannung zwischen Zukunfts- und Gegenwartsorientierung im Blick haben und umfassend angelegt sein, um die Differenziertheit jugendspezifischer Interessen, Bedürfnisse und Anliegen berücksichtigen und aufgreifen zu können. Dieser Gesamtentwurf des BJK integriert in einem aufeinander abgestimmten Konzept vier Kernelemente von Jugendpolitik: (1) Schutz- und Unterstützungs-, (2) Befähigungs-, (3) Teilhabe- und (4) Generationenpolitik (siehe Grafik).


Jugendliche fördern und schützen

Jugendpolitik ist als Schutz- und Unterstützungspolitik zur Förderung und Begleitung des Erwachsenwerdens junger Menschen zu konzipieren. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt in unterschiedlichen Lebenslagen von Jugendlichen und versucht auf die Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse Einfluss zu nehmen. Im Mittelpunkt steht die Schaffung fördernder und unterstützender Bedingungen für die Entwicklung der Persönlichkeit auf der Grundlage eines differenzierten Konzepts sozialer Ungleichheit. Parallel zum Bezug auf die Lebenslagen Jugendlicher zielt Schutz- und Unterstützungspolitik darauf, die mannigfaltigen biografischen Wege der Jugendlichen durch eine gegenwärtig wenig konturierte Jugendphase zu rahmen und zu begleiten. Das BJK geht davon aus, dass eher traditionelle Risiken und Probleme sich durch den Wandel der Jugendphase nicht einfach erledigt haben. Eine Neupositionierung von Jugendpolitik muss jedoch berücksichtigen, dass neue Schwierigkeiten und Situationen einer möglichen Gefährdung hinzugekommen sind.

Jugendpolitik hat einen Rahmen zu schaffen, dass Jugendliche die Gestaltungsmöglichkeiten sowie die Anforderungen und Risiken dieser Lebensphase produktiv bewältigen und ihre persönliche Entwicklung selbst gestalten können. Für kritische Situationen und in Hinblick auf ein drohendes Scheitern in diesen Prozessen hätte sie vernetzte Unterstützungssysteme bereitzustellen. Sie gibt Raum, damit Jugendliche kreativ agieren können und angesichts einer ungewissen Zukunft und sich stetig verändernder Lebensbedingungen ihre Handlungsfähigkeiten erweitern, falls erforderlich auch völlig neue Wege einschlagen und die sich ergebenden Chancen erkennen und wahrnehmen können.

Bildung bedeutet mehr als Schule

Jugendpolitik als Befähigungspolitik kommt die Aufgabe zu, das Interesse von jungen Menschen an umfassender Bildung einzubringen. Sie hat den Auftrag, eine umfassende Befähigung junger Menschen zur reflexiven und selbstgesteuerten Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Zumutungen der Gesellschaft zu sichern und sich für Bildung als Bürgerrecht einzusetzen. In diesem Sinne klagt Jugendpolitik ein, dass Bildung mehr ist als Schule. In eine Gesamtbetrachtung des Zusammenhangs von Bildung und Befähigung gehören daher die vielfältigen Beziehungen zwischen formeller, non-formaler und informeller Bildung, die Verknüpfung unterschiedlicher Lernorte in ihren Auswirkungen auf die Bildungsbiografie junger Menschen und die Sicherung ihrer Teilhabechancen in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft.

Jugendpolitik als Befähigungspolitik ist darauf ausgerichtet, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten optimal zu fördern und sie darin zu unterstützen, die Kompetenzen für eine aktive und gestaltende Teilhabe am Leben in einer demokratischen Gesellschaft zu erwerben. Jugendliche haben das Recht auf Befähigung zur Teilhabe an Gesellschaft. Jugendpolitik als Befähigungspolitik heißt für das BJK auch, sich für die Verwirklichung von Chancengerechtigkeit im Bildungsbereich einzusetzen und Bildung als umfassende Befähigung, als Faktor sozialer Inklusion und als Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe zu begreifen.

Gesellschaftliche Teilhabe erleichtern

Jugendpolitik als Teilhabepolitik zielt sowohl auf die Verbesserung der Teilhabe junger Menschen an den Chancen und Möglichkeiten der Gesellschaft als auch auf die Stärkung der Partizipation junger Menschen im Sinne von Mitbestimmung und Selbstorganisation. Im Unterschied zur Jugendpolitik als Befähigungspolitik liegt hier der Fokus stärker (wenn auch nicht ausschließlich) auf den Teilhabe- beziehungsweise Mitbestimmungschancen in der Gegenwart. Die entscheidende Frage lautet: Wo lassen sich Barrieren der Teilhabe und Partizipation junger Menschen in spezifischen Bereichen der Gesellschaft identifizieren, wie werden diese gegebenenfalls legitimiert und inwiefern sind diese Einschränkungen vor dem Hintergrund des Strukturwandels von Jugend unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen obsolet geworden?

Eine explizite Jugendpolitik hätte die Aufgabe, altersbezogene rechtliche Teilhabebeschränkungen kritisch auf ihre Legitimation und ihre Sinnhaftigkeit unter den jeweils gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen und der konkreten Ausformung der Jugendphase zu hinterfragen und gegebenenfalls deren Veränderung oder Abschaffung einzufordern. Durch eine systematische Verknüpfung von Jugendpolitik als Teilhabe- und Befähigungspolitik muss dafür gesorgt werden, dass junge Menschen die Fähigkeiten und Fertigkeiten tatsächlich entwickeln können, um an verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen teilhaben zu können.

Ungerechtigkeiten zwischen Generationen bekämpfen

Wenn Jugendpolitik sich dem Anspruch stellt, die gesellschaftlichen Prozesse zu analysieren, in denen Jugend als Lebensphase und Lebenslage durch gesellschaftliche Einflüsse neu und umgestaltet wird, dann rückt auch die Frage nach den Generationenverhältnissen in den Aufmerksamkeitshorizont einer neu positionierten Jugendpolitik. Relevant ist dann, ob junge Menschen in gerechter Weise Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen haben oder ob sie in dieser Hinsicht gegenüber den Erwachsenen benachteiligt werden. In erster Linie geht es hierbei um materielle Ressourcen (Geld), allerdings gibt es auch weitere knappe Ressourcen, die intergenerational ungleich verteilt sein können, wie etwa Raum und Zeit. Jugendpolitik als Generationenpolitik trägt eine Verantwortung dafür, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten im Hinblick auf die Teilhabechancen am materiellen Reichtum der Gesellschaft auf ihre Legitimation hin zu befragen und verbesserte Zugänge zu den finanziellen Ressourcen der Gesellschaft einzuklagen.

Lebensbedingungen erforschen und gestalten

Im Hinblick auf diese vier Kernelemente entwickelt das BJK Prüfkriterien, um die Frage beantworten zu können, ob eine konkrete Maßnahme oder ein konkretes Programm Bestandteil einer übergreifenden und abgestimmten Politikstrategie im Sinne kohärenten und ressortübergreifenden Handelns ist.

Jugendpolitik hat in der Zusammenarbeit mit Familien-, Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Integrations- oder auch Gesundheitspolitik stets die besonderen Interessen und Belange junger Menschen einzubringen. Eine solche Jugendpolitik muss sowohl in ihrem eigenen Ressort gestärkt als auch in ihrer Kommunikationsfähigkeit gegenüber anderen Ressorts qualifiziert werden, um als kompetenter Partner in kooperativen Aktivitäten wahrgenommen zu werden. Zugleich benötigt eine ressortübergreifende Jugendpolitik eine breite Öffentlichkeit, die für jugendspezifische Belange sensibilisiert wird. Zur konkreten Umsetzung dieses Gesamtkonzepts muss das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Fachministerium gestärkt und die interministerielle Zusammenarbeit ausgebaut werden. Zudem bedarf es der Entwicklung strategisch angelegter akteursübergreifender Projekte. Die erforderliche Wissensbasis für einen solchen Ansatz von Jugendpolitik bedarf regelmäßiger wissenschaftlicher Beobachtung und Berichterstattung, die systematisch über die Lebensbedingungen verschiedener Gruppen von Jugendlichen informiert („Jugendmonitoring“).

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Bundesjugendkuratorium

Das BJK ist ein von der Bundesregierung eingesetztes Gremium. Es berät die Bundesregierung in grundsätzlichen Fragen der Kinder- und Jugendhilfe und in Querschnittsfragen der Kinder- und Jugendpolitik. Dem BJK gehören bis zu 15 Sachverständige aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Wissenschaft an. Die Mitglieder werden durch die Bundesministerin/den Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die Dauer der laufenden Legislaturperiode berufen. Das BJK wird seit 2007 in seiner Arbeit durch eine vom Bundesministerium finanzierte Arbeitsstelle Kinder- und Jugendpolitik unterstützt, die in der Institutsleitung des Deutschen Jugendinstituts in München angesiedelt ist. Die Originalversion der Stellungnahme gibt es hier und in Broschürenform in der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendpolitik am DJI.

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Quelle: Deutsches Jugendinstitut – DJI Bulletin 2/2009, Heft 86 – Kontakt: Dr. Tanja Betz, betz@dji.de

 

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