NAGEL-Redaktion – MIT STARREM BLICK AUF DIE KOMMUNE

Zu den Rahmenbedingungen der Offenen Arbeit aus Sicht einer Jugendamtsleiterin

Von Hanna-Elisabeth Deußer

Wie soll es mit der Offenen Kinder- und Jugendarbeit weitergehen, wenn nur noch in den Kommunen über die Vergabe der Mittel entschieden wird? Ich habe mich verstärkt mit dem neuen Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder befasst, vor allem mit den Auswirkungen auf die Kommunen, muss mich verstärkt mit der Frage befassen, wie sollen alle Heimunterbringungen ab 1995 bezahlt werden, wenn die Verpflichtung für den überörtlichen Träger dann endgültig weggefallen ist und habe bei all diesen Gedanken die Offene Kinder- und Jugendarbeit und die kommunale Neuordnung der Mittelvergabe für die Offene Kinder- und Jugendarbeit gedanklich an den Rand gedrängt. Dies schildere ich, weil ich glaube, dass dies symptomatisch für alle Kommunalverwaltungen ist, die immer stärker in die Pflicht genommen werden und immer weniger in der Lage sind, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Dabei geraten die Aufgaben an den Rand, die nicht die eindeutige gesetzliche Absicherung haben, wie das im Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (GTK) oder bei Heimunterbringungen der Fall ist. Der Hinweis, in § 79 Abs. 2, Satz 3 KJHG einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden, ist zwar löblich, aber zu wenig.

Eigentlich bin ich über diese Entwicklung, die Verantwortung für die Jugendhilfeaufgaben eindeutiger den Kommunen zu übertragen, erfreut und begrüße die Entwicklung. Nach meinem Demokratieverständnis müssen die Angelegenheiten, die die Kommunen betreffen, auch dort alleine geregelt werden und freigehalten werden von dirigistischen Maßnahmen seitens der Länder oder sogar seitens des Bundes. Diese Garantie der Selbstverwaltung hat Verfassungsrang, und man sollte sich daher dazu zwingen, dies auch positiv zu sehen, trotz allem Jammern über die fehlenden Gelder. Dies fällt schwer genug, da besonders in den Kommunen viel zu viele Kommunalpolitiker fordern, ein anderer als sie möge doch bitte die eine oder die andere Angelegenheit regeln, nach Möglichkeit das Land oder sogar der Bund.

Korrekterweise ist aber auch zu sagen, dass die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen niemals den Stellenwert hätte, wenn man den Ausbau alleine den Kommunen überlassen hätte. Selbst in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums und wirtschaftlichen Aufschwungs wurde in den Kommunen eher das Geld für Stadthallen, Straßen etc. und nicht für Offene Kinder- und Jugendarbeit ausgegeben. Insofern hat das Land NRW mit seinem Landesjugendplan eine Entwicklung gefördert, von der andere Bundesländer nur träumen.

Man kann nur darüber spekulieren, welch politischer Hintergrund besteht, die Entscheidungsbefugnis für die Förderung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit auf die Kommunen zu verlagern, ob dies eine weitere Stärkung der Kommunalen Selbstverwaltung ist oder andere Gründe hat; zu ändern ist es nicht mehr, und ich wollte es auch nicht ändern, da diese Neuordnung ungeheure Chancen bietet. Es muss nun vor Ort entschieden werden, welcher Träger Mittel bekommt. Es muss weiter entschieden werden, wie hoch die Mittel sind, es muss entschieden werden, wer keine Mittel bekommt und all dies müssen die Kommunalpolitiker vor Ort verantworten, und zu all diesen Fragen müssen die Kommunalpolitiker vor Ort Antworten geben, vorausgesetzt, sie werden dazu gefragt. In den Haushaltsstellen des Jugendamtes wird in Zukunft über Mittel entschieden – nicht nur über solche für die Offene Kinder- und Jugendarbeit, sondern auch über alle anderen Mittel, wie die für Kindergärten und erzieherische Hilfen -, die Politiker anderer Ausschüsse erblassen lassen werden. Der Jugendhilfeausschuss wird in Zukunft in den Kommunen derart hohe Haushaltsgelder zu verwalten haben, der es notwendig macht, in den Jugendhilfeausschuss nicht mehr ausschließlich Newcomer und Sozialfälle oder Politlehrlinge abzustellen. Bei solch gravierenden Entscheidungen werden sich wohl oder übel die Politiker mit Dingen befassen müssen, die in den Parteien größeren Einfluss haben, als dies derzeit in der Regel die Jugendpolitiker haben. Und diese Politiker, die über diese Mittel zu entscheiden haben, müssen gefordert werden von allen Beteiligten in der Jugendhilfe. Sie müssen Stellung beziehen zu Entscheidungen, die sie vor Jahren niemals treffen mussten, weil sie in der Regel vom Land getroffen wurden. Sie können sich dann auch nicht mehr damit herausreden, das Land habe keine Mittel bereitgestellt, sondern sie müssen erklären, warum sie selbst nur so viel und nicht mehr Mittel bereitgestellt haben. Dabei wird es niemanden interessieren, woher diese Mittel kommen. Sie werden dabei in die Pflicht genommen, ihre Angelegenheiten bzw. die gemeindlichen Angelegenheiten selbst zu regeln im Interesse der Bevölkerung, die sie auch wieder wählen soll. Angelegenheiten der Jugend sind überwiegend und ausschließlich kommunale Angelegenheiten, da die Struktur einer Gemeinde das Jugendalter und die Bedingungen für Jugendliche prägt, und somit die Verantwortung für das Lebensumfeld von Kindern und Jugendlichen alleine in den Kommunen liegt.

Diese lange Vorrede war notwendig , um deutlich zu machen, dass ich diese Entwicklung befürworte und auch hoffe, dass sich die Jugendämter dieser Entwicklung stärker stellen, habe dabei jedoch meine Bedenken: Die interessante Frage für PraktikerInnen in den Einrichtungen dabei ist, wie diese bei diesem Spiel mitspielen können, wie können sie beteiligt sein, wenn die Karten verteilt werden, wie können sie Einfluss nehmen auf Entscheidungen in den Kommunen, und wie können sie vor allem von der Verwaltung der Mittel für ihre Arbeit jeweils profitieren:

Die Vorentscheidungen über die Vergabe der Mittel wird im Jugendhilfeausschuss getroffen und erst danach im Rat. Bevor der Jugendhilfeausschuss sich jedoch damit befasst, befasst sich in der Regel ein Unterausschuss damit, vor allen Dingen aber die Verwaltung des Jugendamtes. Es ist nicht zu unterschätzen, welche Wirkungen die Beschlussvorlagen haben, die von der Verwaltung ausgearbeitet werden. Das Jugendamt hat viele Möglichkeiten, Anträge positiv wie auch negativ zu beeinflussen. Da dies häufig im Vorfeld geschieht, gibt es für die Träger kaum Möglichkeiten, darauf einzuwirken. Aus diesem Grund ist es notwendig, erforderlich und für die gesamte Arbeit wünschenswert, wenn eine Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Jugendamtes erfolgt. Das Jugendamt sollte dann auch Einblick in die Arbeit bekommen, um so viel wie möglich über die Arbeit erzählen zu können, denn eine Arbeit, die man umfangreicher kennt, kann besser und positiver beurteilt werden. Dies ist jedoch nur eine von vielen Notwendigkeiten, die nicht zu unterschätzen ist. Weiterhin sollte es allen in der Offenen Arbeit Tätigen gelingen, ein Gremium zu schaffen, das paritätisch besetzt ist und dadurch auch einen gewissen Einfluss haben kann. In Remscheid wurde Ende 1990 eine Arbeitsgemeinschaft gemäß Â§ 78 KJHG gegründet, die sich „Arbeitsgemeinschaft Offene Jugendarbeit“ nennt. In dieser Arbeitsgemeinschaft sind sowohl die städtischen, vor allem aber auch die freien Träger vertreten. Leider sind es bei den freien Trägern meistens nur kirchliche Träger. Es fehlen in Remscheid zusätzliche freie Träger und Jugendverbände, die auch Offene Kinder- und Jugendarbeit machen. Diese Arbeitsgemeinschaft hat einen Geschäftsführer für zwei Jahre, verfügt über einen eigenen Haushaltstitel für die Geschäftsführung und hat sich zur Aufgabe gesetzt, im Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit zu koordinieren, zu beraten und vorab Entscheidungen zu treffen. Dies hat zur Folge, dass Entscheidungen, die in dieser Angelegenheit getroffen wurden, vom Jugendhilfeausschuss in der Regel einstimmig beschlossen und weiter empfohlen werden. Der Jugendhilfeausschuss billigt dieser Arbeitsgemeinschaft das Fachverständnis zu, die Entscheidungen fachlich ausreichend zu beurteilen. Diese Beurteilung der Arbeitsgemeinschaft ist jedoch auch davon geprägt, dass die Verwaltung des Jugendamtes diese Arbeitsgemeinschaft als sehr positiv beurteilt, ja die Arbeitsgemeinschaft selbst initiiert hat, in der Arbeitsgemeinschaft vertreten ist und sehr viel Hilfestellung gibt. Diese Zusammenarbeit wird im Jugendhilfeausschuss als so positiv gewertet, dass die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Remscheid derzeit auf offene Ohren trifft. Dies ist nichts besonderes, da die Offene Kinder- und Jugendarbeit in Remscheid so stiefmütterlich behandelt wurde und ein solches Randgruppendasein führte, dass es nur besser werden konnte, ohne dass wir eine Vorreiterrolle gewonnen haben. Für die Aufstockung des Haushaltstitels für die Offene Kinder- und Jugendarbeit war es aber notwendig, entsprechende Überzeugungsarbeit zu leisten, die seitens der Verwaltung geleistet wurde, die ihren Rückhalt aber auch bei den freien Trägern braucht. So haben wir in Remscheid ein ganz anderes Problem, als es in anderen Städten wohl der Fall ist, nämlich befürchten zu müssen, dass die Haushaltsmittel in 1991 nicht in vollem Umfang abgerufen werden, was wiederum Auswirkungen auf den Haushalt für 1992 hätte, der seitens der Verwaltung durchaus erhöht wurde.

Die Initiative seitens der Verwaltung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit stärker an der politischen Entscheidung zu beteiligen, rührte in Remscheid daher, dass die freien Träger unterrepräsentiert sind im Jugendhilfeausschuss. Von den Jugendverbänden wurden Vertreter in den Jugendhilfeausschuss gewählt, die zur Offenen Arbeit, ja zur Kinder- und Jugendarbeit überhaupt, kaum oder wenig Beziehungen haben. Hier müssen die Interessen der Jugendverbände anders vertreten werden, als dies bei uns der Fall ist. So denke ich, dass nach der nächsten Kommunalwahl die Politiker an der Arbeitsgemeinschaft „Offene Jugendarbeit“ nicht so ohne weiteres vorbeikommen können, da ich hoffe, dass diese Arbeitsgemeinschaft dann darauf aufmerksam machen wird, nach welchen Kriterien der Rat die stimmberechtigten Mitglieder des Jugendhilfeausschusses wählt. Dies wurde nach der letzten Wahl zum Jugendhilfeausschuss unwidersprochen hingenommen und wäre ein möglicher Weg gewesen, bereits damals auf die fehlende Beteiligung von Jugendhilfe bzw. Offener Arbeit im Jugendhilfeausschuss hinzuweisen. Zwar wäre es auch damals bereits zu spät gewesen, hätte aber einiges bewirken können.

Die Vertretung im Jugendhilfeausschuss ist aus vielen Gründen wichtig (Entscheidungsbefugnis, Antragsrecht, Mitspracherecht). Da die stimmberechtigten Mitglieder von der Vertretungskörperschaft gewählt werden, muss die Vertretungskörperschaft deutlich darauf hingewiesen werden, wen sie wählt. Dies bedeutet, dass die Vertreter der Kinder- und Jugendarbeit vorher Kontakt zu allen Parteien und nicht nur zu den GRÜNEN suchen müssen. Bei diesen Kontakten zu den Parteien muss deutlich werden, dass es hier nicht um Interessenvertretung von Trägern, sondern allein um Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen geht, und dass eine Nichtwahl zur Folge hat, dass hier Kinder- und Jugendinteressen nicht oder zu wenig berücksichtigt werden. Bei den Vertretern der Träger, die dann in den Jugendhilfeausschuss entsandt werden bzw. genannt werden, sollte es sich um kompetente Mitarbeiter handeln, nicht um Randfiguren, die zu der Sache wenig beizutragen haben. An einem starken Jugendhilfeausschuss, vor allem aber an starken Vertretern der freien Träger und der Jugendverbände kommt kein Rat ohne weiteres Drumherum. Die freien Träger unterliegen nicht dem Vorwurf, sie würden Parteipolitik machen, und sie haben nicht die Beschränkungen der Verwaltung auf sich zu nehmen, eine abgestimmte Verwaltungsmeinung in die Öffentlichkeit zu tragen. Entscheidungen, die gegen Kinder- und Jugendinteressen gehen, können von freien Verbänden in anderer Form in die Öffentlichkeit getragen werden, als dies bei Parteien der Fall ist.

Dies alles setzt natürlich eine hohe Fachlichkeit und eine hohe Kompetenz voraus. Die Fachlichkeit muss mehr sein als das Wissen um pädagogische Arbeit in der Kinder- und Jugendarbeit. Die Vertreter der freien Verbände in den Jugendhilfeausschüssen sollten durchaus in der Lage sein, die Vertreter der politischen Parteien argumentativ „in die Tasche zu stecken.“

Für eine seriöse Vertretung von Kinder- und Jugendangelegenheiten kommt es meines Erachtens auch noch darauf an, von einer „Kirchturmpolitik“ abzusehen und unabhängig von eigenen Trägerinteressen auch die Kinder- und Jugendinteressen zu sehen. Dazu ist es aber notwendig, eine Mehrheitsmeinung hinter sich zu wissen und auch zu wissen, dass diese Mehrheit für ihre Meinung durchaus streiten wird. Einzelkämpfer fallen, selbst wenn sie im Jugendhilfeausschuss als stimmberechtigte Mitglieder vertreten sind, mit Sicherheit schnell „auf die Nase“, wenn andere Einzelkämpfer besser argumentieren können.

Für wichtig halte ich es, unabhängig von den Erprobungen in Neuss und Oberhausen, auf örtlicher Ebene sich an den Planungen zu beteiligen. Diese Planung muss meines Erachtens gemeinsam mit den örtlichen Jugendämtern erfolgen. Dazu halte ich eine Arbeitsgemeinschaft nach § 78 KJHG für das richtige Forum. Auch in die Debatte über Förderungsgrundsätze muss sich die Arbeitsgemeinschaft einschalten. Grundsätze, die dort gemeinsam mit den örtlichen Jugendämtern erarbeitet wurden und von den freien Trägern im Jugendhilfeausschuss vertreten werden, werden weniger gekippt als unabgestimmte Vorlagen verschiedener Träger.

aus: DER NAGEL 54/1992

Kommentar der NAGEL-Redaktion (August 2004): Hanna-Elisabeth Deußer war seinerzeit Jugendamtsleiterin in Remscheid. Die Zusammenarbeit mit ihr war ein gutes Erlebnis. Inzwischen ist sie Leiterin der Sozialabteilung im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Schleswig-Holstein und hat ? nach eigenem Bekunden ? „(leider) mit der Jugendhilfe nichts mehr zu tun“. Wir glauben dennoch, dass sie ihre Arbeit in Sachen Sozialhilfe, Behindertenpolitik, Pflegeversicherung usw. kompetent ausführt und für das nördliche Bundesland eine Bereichung ist.

 

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