NAGEL-Redaktion – terre des hommes: Zwölf populäre Irrtümer über die Kinderrechte

Irrtum Nummer Eins

„Kinderrechte sind nicht so wichtig wie andere Rechte und nicht so ernst zu nehmen.“

Aber: Kinderrechte sind Menschenrechte. Menschenrechte sind Rechte der Kinder. Doch die Welt ist derzeit nicht einmal so organisiert, dass alle Kinder ihre einfachsten Grundbedürfnisse befriedigen können – im Gegenteil, vielen Millionen Kindern wird täglich bitteres Unrecht zugefügt. Die UN-Kinderrechtskonvention kann so als Katalog des Versagens gelesen werden, gleichzeitig aber auch als Vision für eine kindgerechte Welt. Die Kinderrechte sind für diese Vision der weltweit anerkannte Maßstab.

Damit aus den Rechten auf Papier gelebte Rechte werden, ist der Einsatz vieler Einzelner, von Gemeinden, Organisationen und der Staatengemeinschaft notwendig. Dieser Kampf um die Menschenrechte der Kinder ist genauso ernsthaft, schwierig, hürdenreich und politisch brisant wie jeder andere Einsatz für den Schutz der Schwachen vor den Mächtigen.

Irrtum Nummer Zwei

„Kinderrechte sind nur für Kinder wichtig“.

Die zentrale Botschaft der UN-Kinderrechtskonvention ist: Kinder sind Menschen, die von Geburt an Rechte haben. Sie dürfen ihnen von niemandem streitig gemacht werden! Und: Kinder befinden sich in einem bestimmten Abschnitt des Lebens. Stärker als in späteren Lebensphasen ist er geprägt durch intensive persönliche Veränderungen und Entwicklungsphasen. Zur Förderung dieser Entwicklung benötigen sie auf diese Phasen zugeschnittene Lebensbedingungen; sie haben darauf einen Rechtsanspruch! Verantwortlich für die Schaffung dieser Mindestbedingungen sind die Erwachsenen. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Erwachsenen diese Pflichten erfüllen – und dies auch können. Dazu gehört zum Beispiel die Berücksichtigung der speziellen Interessen von Kindern bei Entscheidungen, die sie betreffen. Auch der Abschied von Vorurteilen über Kinder kann zur Verwirklichung der Kinderrechte notwendig sein.


Irrtum Nummer Drei

„Wenn Kinder Rechte haben, müssen sie auch Pflichten erfüllen.“

Dieser weit verbreiteten Auffassung liegt ein begrifflicher Irrtum zugrunde. Unrecht und Recht sind das Gegensatzpaar. Von den Pflichten des Menschen ist in diesem Dokument nicht die Rede. Die Staaten-Gemeinschaft hat die UN-Kinderrechtskonvention beschlossen, damit den Kindern nicht fortgesetzt und straflos Unrecht zugefügt wird. Die Konvention ist kein Vertrag zwischen Kindern und Erwachsenen, sondern zwischen Staaten. Kindern bei Nichterfüllung ihrer Pflichten ihre Rechte abzuerkennen, würde dem Charakter von Menschenrechten widersprechen.

Selbstverständlich müssen Kinder die Rechte anderer respektieren und die Übernahme von Verantwortung und Pflichten erlernen. Dies gehört zu ihrem Entwicklungsprozess. Dies altersgemäß möglich zu machen, ist Aufgabe der für die Kinder verantwortlichen Erwachsenen. Die UN-Kinderrechtskonvention respektiert und fördert diese Aufgabe der Eltern oder anderer für das Wohlergehen der Kinder Zuständiger.

Irrtum Nummer Vier

„Die Kinderrechte sind für die Kinder der Dritten Welt gemacht, unseren Kindern geht es gut, die brauchen sie nicht – denn in Deutschland ist alles in Ordnung.“

Diese Haltung vertrat die Bundesregierung in den 80er Jahren bei den UN-Verhandlungen. Sie argumentierte: Deutsche Kinder in der Bundesrepublik seien bereits perfekt geschützt, die Konvention für Deutschland also eigentlich überflüssig. Schon ein Blick ins Grundgesetz hätte ausgereicht, um die Defizite aufzudecken: Kinder kommen nur in einem einzigen Artikel als Anhängsel der Familie vor, von speziellen Rechten der Kinder in ihren besonderen Lebenslagen ist keine Rede.


Irrtum Nummer Fünf

„Kinderrechte kosten nichts.“

Leider glauben viele Regierungen, dass die Kinderrechte kostenlos sind. Das Gegenteil ist richtig: Die Konvention garantiert allen Kindern staatliche Dienstleistungen: Schulbildung, Gesundheitsversorgung, Schutz vor Ausbeutung und Missbrauch, Registrierung und Beteiligung am gesellschaftlichen Leben. Und sie geht noch weiter:

„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte. Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte treffen die Vertragsstaaten derartige Maßnahmen unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit.“ (Artikel 4 der UN-Kinderrechtskonvention)

Die englische Originalfassung verlangt sogar die größtmögliche Ausschöpfung aller verfügbaren Ressourcen des Staates für die Umsetzung der Rechte der Kinder. Die Staaten verpflichten sich in der Konvention zu Dienstleistungen für alle Kinder, und zwar mit der höchsten Priorität der staatlichen Aufgaben. Andererseits: Es nützt wenig, die Unterzeichnung und Umsetzung von Konventionen zu fordern, wenn die Staaten nicht den wirtschaftlichen Spielraum für die Umsetzung der Bestimmungen haben. Hier verpflichtet die Konvention die Staatengemeinschaft zur Unterstützung. Und: Investitionen im produktiven Bereich können langfristig wirksamer sein für die Verwirklichung von Kinderrechten als das kurzfristige Stopfen von Löchern im Sozialhaushalt.


Irrtum Nummer Sechs

„Es hätte gereicht, den Schutz der Kinder gegen Missbrauch, Ausbeutung und im Krieg zu verbessern. Alle anderen Bestimmungen sind überflüssig.“

Im Gegenteil: Der ganzheitliche Ansatz der UN-Kinderrechtskonvention ist ein großer Fortschritt, auch im Vergleich zu anderen UN-Dokumenten. Spezielle Schutzbestimmungen sind notwendig, aber sie allein sind bei weitem nicht ausreichend, um allen Kindern zu ihrem Recht auf eine kindgerechte Entwicklung zu verhelfen. Die UN-Kinderrechtskonvention hingegen stellt alle wesentlichen Problembereiche in einen Gesamtzusammenhang. Es sind dies die „vier großen Ps“ – nach englischer Schreibweise:

■ Prinzipien: Altersregelung, Recht auf Leben, Recht auf Identität
■ Protektion (Schutz): Schutz vor Ausbeutung, Misshandlung, sexuellem Missbrauch, Rechte auf Schutz im Krieg und in bewaffneten Konflikten
■ Provision (Versorgung): Kinder haben Anspruch auf Leistungen durch die Eltern (Lebensunterhalt) und den Staat (Bildung, Gesundheit, Unterhalt bei fehlenden Eltern oder wenn diese nicht in der Lage sind, die Kinder zu versorgen)
■ Partizipation: Kinder haben einen Anspruch auf Teilhabe an ihrer Gesellschaft, sie haben das Recht auf freie Meinungsäußerung, sie haben das Recht, gehört zu werden, und das Recht, sich zur Durchsetzung ihrer Interessen zusammenzuschließen.


Irrtum Nummer Sieben

„Die UN-Kinderrechtskonvention ist perfekt und unveränderbar.“

Die 1989 verabschiedete Konvention ist wie alle zwischenstaatlichen Verträge ein Produkt von Verhandlungen und Kompromissen. Sie ist das Beste, was 1989 erreichbar war und hat ihre Bewährungsprobe in vielen Bereichen bereits bestanden. 193 Staaten haben sie ratifiziert, die Kinderrechtskonvention wurde zur erfolgreichsten UNO-Konvention. Trotz dieser Erfolgsgeschichte hat sie auch viele Mängel:

■ Die UN-Konvention enthält sehr oft „weiche“, interpretationsfähige Bestimmungen – Empfehlungen statt Rechte.
■ Es gibt keine Klagemöglichkeiten auf internationaler Ebene.
■ Eine Anzahl von Staaten hat Vorbehalte gegen einzelne Bestimmungen eingereicht, damit ernten sie zwar das Renommee der Ratifikation, aber die Konvention muss nicht vollständig verwirklicht werden – zum Schaden der Kinder.
■ Umgekehrt ratifizieren viele Staaten die Konvention aus Gefälligkeit, ohne den politischen Willen oder die wirtschaftlichen Möglichkeiten, sie auch umzusetzen.
■ Auch in der Bevölkerung vieler Länder gibt es Vorbehalte, besonders dann, wenn sie die kulturellen Besonderheiten nicht genügend berücksichtigt sehen und das Gefühl haben, dass das Kindheitsbild westlich-industrieller Gesellschaften als Idealmodell Pate gestanden hat. Das bremst Kinderrechte mehr, als dass es das Engagement für deren Verwirklichung fördert.

Die UN-Konvention kann aber verbessert werden. Das entscheidende Instrument heißt „Zusatz- oder Fakultativprotokoll“. Mehrere dieser Zusatzprotokolle sind in Kraft: Kindersoldaten werden durch das „Fakultativprotokoll über die Beteiligung von Kindern in bewaffneten Konflikten“ sehr viel besser geschützt und die Altersgrenze wurde auf 18 Jahre angehoben. Sexueller Missbrauch von Kindern wird durch ein entsprechendes Zusatzprotokoll, das „Fakultativprotokoll über den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie“, stärker unter Strafe gestellt. Und in Den Haag wurde ein Vertrag ausgehandelt, der für die Adoption von Kindern ins Ausland strenge Kriterien definiert. Nachteil aller dieser Dokumente: Sie sind eigenständige Verträge, die wiederum von den Staaten einzeln ratifiziert werden müssen.

Irrtum Nummer Acht

„Das Gute an den Kinderrechten ist, dass sie nicht eingeklagt werden können.“

Das ist nichts Gutes, sondern ein wesentlicher Mangel. Es ist dringend, dieses Problem anzugehen. Notwendig wäre eine Möglichkeit der Individualbeschwerde bei den Vereinten Nationen, wie sie bei anderen Konventionen bereits existiert. Andererseits sind die Berichte an die UNO und deren Empfehlungen ein Instrument, Kinderrechten international Nachdruck zu verleihen.

Irrtum Nummer Neun

„Millionen Kindern auf der Welt geht es elend und schlecht. Dies ist der Beweis, dass die Konvention nichts nützt und nur eine PR-Aktion der UNO ist.“

Es stimmt – obwohl seit der Verabschiedung der UN-Konvention bereits fast 20 Jahre vergangen sind, müssen über hundert Millionen Kinder und Jugendliche unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten. Noch immer sterben Millionen Kinder an Hunger und vermeidbaren Krankheiten, müssen Hunderttausende im Krieg kämpfen. Allen diesen Kindern geschieht Unrecht – aber nicht, weil es eine Konvention dazu gibt. Wirtschaftliche Probleme, politische Konflikte, Staatsversagen, Auflösung sozialer Netze, Wertekrise, Autoritarismus, Gewalt … es gibt viele Faktoren, die zur Verletzung von Kinderrechten führen. Die Rechtslage ist nur ein Faktor und in der Regel nicht der wichtigste. Ein Blick auf andere Rechtsgebiete zeigt den Kurzschluss in der Argumentation: Niemand verlangt die Streichung des Mordparagraphen wegen Erfolglosigkeit aus dem Strafgesetzbuch, nur weil täglich Morde geschehen.


Irrtum Nummer Zehn

„Die UN-Konvention soll der UNO ermöglichen, den Familien die Kinder wegzunehmen.“

Kein Irrtum, sondern eine bewusst lancierte Falschmeldung, wie sie in den USA zur Diskreditierung der UNO eingesetzt wird. Verleumdungskampagnen von einflussreichen fundamentalistischen Kreisen haben dazu geführt, dass die USA die Konvention nicht nur nicht ratifizieren, sondern aktiv bekämpfen.

Irrtum Nummer Elf

„New York und die UNO sind weit weg, das ist für uns hier doch nicht wichtig. Außerdem kann man doch nichts positiv verändern.“

Zunächst einmal: Deutschland ist UN-Mitgliedsstaat und hat die Konvention ratifiziert. Damit hat die Konvention auch bei uns Gültigkeit. Darüber hinaus ist die Konvention auch ein politisches Programm zur Verbesserung der Lebenssituation von Kindern. Die Regierungen haben zu handeln, aber die Bürgerinnen und Bürger können die Regierungen zum Handeln drängen oder in ihrem Handeln unterstützen. Hier haben auch Nichtregierungsorganisationen wie terre des hommes eine wichtige Aufgabe. Indem Pilotprojekte gefördert werden, die von Regierungen in Sozialpolitik umgesetzt werden können; oder indem soziale Initiativen in den Ländern unterstützt werden, die in ihrer Gesellschaft für die Rechte von Kindern eintreten, aber auch durch Lobbyarbeit gegenüber der eigenen Regierung. Auch hier gab es Erfolge: So wurde die Konvention in Deutschland bekanntgemacht, die Zusatzprotokolle wurden ratifiziert.

Irrtum Nummer Zwölf

„Die UN-Kinderrechtskonvention ist in einer völlig unverständlichen Sprache geschrieben.“

Dieser Irrtum enthält leider ein Körnchen Wahrheit. Aber – es gibt Bearbeitungen der Konvention, die spannend zu lesen sind – für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene. Zum Beispiel das Buch „Die Rechte der Kinder“ von Reinhardt Jung. Damit bekommt man einen guten Überblick. (Bestellnummer 221.1483.01, siehe Online-Shop http://www.tdh.de/tdhshop) Allerdings: Wer es genau wissen will, kommt um das Original nicht herum.

Quelle: terre des hommes/www.tdh.de, ohne Datum

Mitglied werden

ABA-Mitglieder begreifen sich als Solidargemeinschaft. Sie setzen sich in besonderer Weise für die Belange der Offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein.

Mehr …

Aktuelle Projekte

Was macht der ABA Fachverband eigentlich? Hier stehts´s! Besuchen Sie die derzeitigen ABA-Baustellen.

Mehr …

Der i-Punkt Informationsdienst: handverlesene Infos aus der ABA-Welt, regelmäßig und kostenlos, direkt in Ihr Postfach.
Hinweis: Ihre E-Mail Adresse wird gespeichert und verarbeitet, damit wir Ihnen eine Bestätigungsmail schicken können. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Nach oben scrollen
Cookie Consent mit Real Cookie Banner