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NAGEL-Redaktion – Bildung statt Pillen

Von Birgit Taffertshofer

Kinder und Jugendliche brauchen keine Luxusmedizin für einen gesunden Start ins Leben, viel wichtiger sind gute Vorbilder und Lernmöglichkeiten. Vor allem bedürftige Familien können davon profitieren.

Statistisch gesehen geht es den Kindern in Deutschland blendend. Sie sind auffallend gut entwickelt und wachsen fast 20 Zentimeter höher als Kinder noch vor hundert Jahren. Denn im Unterschied zu jenen haben sie heute reichlich zu essen und müssen sich seltener mit Infektionskrankheiten herumschlagen. Doch größerer Wohlstand und eine bessere medizinische Versorgung garantieren noch lange nicht, dass jedem Kind ein guter Start ins Leben gelingt. Dies belegen die Ergebnisse des ersten Kinderberichts, den die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im September 2009 vorstellte.

Im Mittelpunkt der internationalen Studie stehen das Wohlbefinden und die Entwicklungschancen der Kinder und Jugendlichen in den 30 Mitgliedsstaaten der OECD. Die Daten deuten darauf hin, dass die hohen öffentlichen Ausgaben für Familien in Deutschland wenig darüber aussagen, wie gut es den Heranwachsenden hierzulande wirklich geht und ob das Geld bei ihnen ankommt. Obwohl die Bundesrepublik, je nach Altersgruppe, zehn bis 20 Prozent mehr Geld für Bildung, Dienstleistungen und direkte Finanztransfers ausgibt als die Mitgliedsstaaten im Schnitt, lebt hierzulande fast jedes sechste Kind in Armut. Im OECD-Schnitt ist es nur jedes achte. Die besten Werte erzielten nach den Kriterien der Organisation die skandinavischen Länder, in Dänemark gilt lediglich jedes 37. Kind als arm. 

Armut macht krank

Natürlich sind die Armen in einem reichen Land wie Deutschland nur relativ arm, die Folgen für betroffene Kinder und Jugendliche sind aber nicht weniger dramatisch. Armut bedeutet für sie meist nicht nur den Verzicht auf anregende Ferien oder Nachhilfeunterricht, sondern auch höhere Gesundheitsrisiken: Sie ernähren sich häufig schlechter, bewegen sich weniger, sind öfter übergewichtig und leiden stärker an psychischen Problemen. Erkrankte benötigen Zuwendung, Trost und Therapie. Was sie nicht gebrauchen können, sind Schuldzuweisungen von außen, dass sie zu dick, zu faul oder zu schwierig sind. Nach dieser Logik würden die körperlichen oder seelischen Beschwerden aus mangelnder Investition in die eigene Gesundheit resultieren. Doch bei Kindern ist Krankheit nahezu immer unverschuldet. Denn wenn Eltern gesundes Verhalten nicht täglich vorleben, haben ihre Töchter und Söhne schlechte Chancen, es zu erlernen.

Gesundheit bedeutet ja nicht die Abwesenheit von Krankheit, sondern die Fähigkeit einer Person, Erreger und andere Krankheitsursachen erfolgreich zu bekämpfen. Viele Menschen aber leben heute ungesund und glauben, der Arzt oder die Klinik würden es schon richten. Gigantische Summen werden so für Diagnostik und Hightech-Medizin verschwendet, obwohl bereits 40 Prozent der Patienten in Arztpraxen unter psychosomatisch überlagerten Beschwerden leiden, die keiner Labor- und Gerätediagnostik, sondern vor allem einer geschulten Beratung und Gesprächsbegleitung bedürfen.

Auch Kinder und Jugendliche geraten leicht in eine Mühle von übereilten Korrekturmaßnahmen. Wenn sie mit zehn Monaten noch nicht laufen können, bekommen sie eine Lauflernhilfe, wer ein paar Gramm zuviel auf den Hüften hat, wird sofort auf Diät gesetzt, und für unruhige Schüler gibt es eine Tablette. Das Streben nach mehr Gesundheit wird in diesem Fall erst zum krankmachenden Faktor. Stattdessen muss es gelingen, die jungen Menschen zu motivieren, achtsam mit ihrer Gesundheit umzugehen. Dafür muss sich jedoch das Bewusstsein in der Bevölkerung ändern – weg von einer wohlmeinenden Fürsorge für Kranke und Behinderte hin zu einer umfassenden Befähigung und Ermutigung der Betroffenen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.

Schule fürs Leben

Gesundheitsförderung und Prävention stehen auch im Mittelpunkt des 13. Kinder- und Jugendberichts, für den das Deutsche Jugendinstitut (DJI) die Geschäftsführung innehatte. Die Wissenschaftler haben ihn zum Anlass genommen, das Thema Gesundheit in diesem Heft breiter zu diskutieren. Gemeinsam mit renommierten Experten zeigen sie auf, woran das System krankt, das sich in Deutschland um das Wohlbefinden der Kinder kümmern soll. Sie weisen auf Möglichkeiten hin, wie Fachkräfte des Gesundheitswesens, der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung enger zusammenarbeiten können, damit die Schwächsten in unserer Gesellschaft auch die notwendige Hilfe erhalten: chronisch kranke, behinderte und sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Sie alle haben ein Recht auf jene Grundsicherheit, die es ihnen erst erlaubt, sich möglichst frei und gesund zu entfalten.

Wenn die Eltern es nicht schaffen, ihrem Kind ein gutes Vorbild zu sein, müssen andere helfen: Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Lehrer, aber auch Freunde, Nachbarn und Sporttrainer. Wenn sie alle anerkennen, dass Bildung nicht nur bedeutet, auf das Leben vorzubereiten und möglichst viel Wissen anzuhäufen, sondern dass Schulen und Kindertageseinrichtungen selbst Orte sind, wo junge Menschen die Kompetenzen zum Meistern des Lebens einüben, dann versteht es sich fast von selbst, dass dort auch Gesundheit gefördert wird. Der Staat muss großzügig sein bei seinen Ausgaben für Kinder, aber er muss sie auch so lenken, dass das Geld bei den Bedürftigen ankommt. Denn wenn Armut Kindern ihre Gesundheit raubt, dann bleibt vom Versprechen des Sozialstaats, all seinen Bürgern die gleichen Startchancen zu ermöglichen, nicht mehr viel übrig.

Anmerkung der NAGEL-Redaktion: Der Beitrag von Birgit Taffertshofer erschien zunächst im DJI Bulletin 3/2009 (Heft 87). Seitens des ABA Fachverbandes werden die Hefte regelmäßig als sehr brauchbar für die Fortentwicklung der pädagogischen Arbeit auch vor Ort eingestuft. Deshalb stellen wir sie jeweils nach ihrem Erscheinen zum Herunterladen ins ABA-Netz. Auf der Seite befindet sich zur Orientierung immer eine kleine Inhaltsangabe zur jeweiligen Ausgabe. Den 13. Kinder- und Jugendbericht gibt es ebenfalls zum Herunterladen im ABA-NetzDas DJI Bulletin findet man natürlich auch auf den Seiten des Deutschen Jugendinstituts.

Bei Birgit Taffertshofer möchten wir uns für die erfreuliche Zusammenarbeit bedanken. Dank auch für ihre Genehmigung, ihren Beitrag hier zu verwenden.

 

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NAGEL-Redaktion – Wie man Ausschuss produziert

Integrationsrassismus und Alltagsrenitenz

Von Thomas Seibert

Das Ekelhafte am Fall Sarrazin sind nicht die Ergüsse eines Geisteskretins aus den besten Kreisen, sondern die Deckung, die ihm auf breitester Front zuteil wird. Perfiderweise werden dabei gleich zwei „Debatten“ verschachtelt. Die eine handelt von gefährdeten BürgerInnenrechten und meint natürlich die des rassistischen Täters. So wünschen Hunderte SPD-Mitglieder den Verbleib Sarrazins und fürchten um die innerparteiliche „Meinungsfreiheit“. Millionen anderer Deutscher stellen sich spontan auf Sarrazins Seite und murmeln dazu mehr oder minder laut: „Man wird doch wohl noch sagen dürfen …“ – die Zauberformel, mit der rassistisches wie antisemitisches Gequatsche immer schon legitimiert wird. Kaum jemand merkt an, dass bei Sarrazins neoliberaler Modernisierung altvölkischer Standards eigentlich zu fragen wäre, ob nicht der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt ist. Dass solche Fragen nicht gestellt werden, hängt an der „Integrationsdebatte“. In der springen JournalistInnen wie PolitikerInnen dem Alltagsrassismus bei, indem sie sich im ersten Zug pflichtschuldigst von der Blödigkeit Sarrazins distanzieren, um im zweiten Zug in der mangelnden „Integration“ der EinwanderInnen das „Problem“ auszumachen, das Sarrazin immerhin „benannt“ hätte. Die Methode ähnelt exakt derjenigen, die dasselbe Personal schon Anfang der 1990er praktiziert hat. Damals – erinnert man sich noch des Mobs von Hoyerswerda und Rostock? – wurde der mörderische Rassismus von Nazischlägern zum willkommenen Anlass, das Asylrecht abzuschaffen – trotz der Lichterketten der Gutwilligen. Wozu der Fall Sarrazin führen wird, ist noch unentschieden – die SPD jedenfalls überlegt, „integrationsunwillige“ EinwanderInnen mit Strafen zu belegen: was rechts von ihr zusammengebraut wird, dürfte nicht unterhalb der Zielvorgaben Gabriels liegen.

Bei solcher Ausgangslage sind zwei Punkte festzuhalten. Den ersten benennt der „Demokratie statt Integration“ überschriebene Aufruf in der taz mit unüberbietbar klaren Worten: „Man kann diese Debatte nicht versachlichen, denn nichts an ihr ist richtig. (…) Wir wollen das Offensichtliche klar stellen. Wir leben in einer Einwanderungsgesellschaft. Das bedeutet: Wenn wir über die Verhältnisse und das Zusammenleben in dieser Gesellschaft sprechen wollen, dann müssen wir aufhören, von Integration zu reden. Integration heißt, dass man Menschen, die in diesem Land arbeiten, Kinder bekommen, alt werden und sterben, einen Verhaltenskodex aufnötigt, bevor sie gleichberechtigt dazugehören. Aber Demokratie ist kein Golfclub. Demokratie heißt, dass alle Menschen das Recht haben, für sich und gemeinsam zu befinden, wie sie miteinander leben wollen. Die Rede von der Integration ist eine Feindin der Demokratie.“ 

Der zweite Punkt geht einen Schritt weiter. Tatsächlich belegen die Beschlüsse zur Neuregelung von Hartz 4 unmissverständlich, dass „unsere Demokratie“ vom Klassenkampf durchzogen wird – wahrnehmbar zunächst vom Klassenkampf von oben. Wenn der Klassenkampf von unten weniger wahrnehmbar ist, liegt das auch daran, dass selbst seinen AkteurInnen nicht immer klar ist, dass und wie sie ihr Leben längst im Widerstand gegen kapitalistische und rassistische Alltagsrealitäten führen. Dasselbe Nicht-Wissen tritt bei denen zu Tage, die gewollt oder ungewollt beim Klassenkampf von oben mitmischen: dort also, wo von „Integrationsunwillen“ statt vom Recht des alltäglichen Widerstands die Rede ist. Im Klartext gesprochen: viele Verhaltensweisen so genannten „Integrationsunwillens“ sind tatsächlich Ausdruck klassenkämpferischer Renitenz. Damit ist nicht gesagt, dass alles super wäre, was da so üblich ist – es geht nicht um Sozialromantik. Doch ist damit gesagt, wie inkriminiertes Verhalten vorgeblicher „anderer“ zunächst einmal wahrzunehmen wäre. Und: Es ist damit gesagt, wie umkämpft die Worte sind, die sich uns scheinbar „neutral“ zur Beschreibung von Verhalten und Verhältnissen zusprechen. Das gilt noch dort, wo eingewandt wird, dass es bei all’ dem nicht um Differenzen der vorgeblich „eigenen“ und der vorgeblich „fremden“ Kultur gehe, sondern um Probleme der „Armut“ deutscher wie nicht-deutscher „Unterschichten“. Nochmals Klartext: wir haben es nicht mit „Armutsproblemen“, sondern mit solchen des gesellschaftlichen Reichtums zu tun – mit Fragen, genau besehen, der ungleichen Verfügung über seine Produktion und seine Produkte. Das meint nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Produkte – Sprache z.B., Wörter und Diskurse. Hier gilt es, Abhilfe zu schaffen, auch mit den Mitteln, die in Gegenkulturen proletarischer Alltagsrenitenz erprobt werden. Deutscht uns nicht voll.

Dr. Thomas Seibert ist studierter Philosoph und bei Medico International in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit zuständig als Referent für Netzwerkarbeit. Sein Beitrag wurde zunächst veröffentlicht im „attac-Rundbrief 4/2010“

 

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NAGEL-Redaktion – Der tägliche und weit verbreitete Rassismus

 

Von Grazyna Gintner

Der Rassismus hat viele Gesichter, nicht nur das von Neonazis. Er begleitet den Menschen auf Schritt und Tritt. Kaum jemand ärgert sich darüber.

Wenn man in den Tagen nach dem schrecklichen Massaker in Norwegen hierzulande nach einem Abbild des Rassismus sucht, stolpert man über einen bekannten Namen: Thilo Sarrazin, SPD-Mitglied, Autor des Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ und der Buhmann der Nation. Seine Person gilt nach wie vor als Auslöser für polemische, hitzige Debatten. Dennoch hat er eigentlich nur das laut gesagt, was viele leise denken. Anders lässt sich der enorme Erfolg seines Buches nicht erklären. Wie auch der Fakt, dass man von einem Ausschluss aus der SPD abgesehen hat.

Sarrazin ist nicht allein

Es fällt einem normalen Bürger meist nicht schwer, sich über die Neonazis zu empören und laut gegen sie in beeindruckenden Demonstrationen zu protestieren. Dies hindert ihn jedoch wenig, im Alltag über „die Türken“ zu schimpfen und sich über die angebliche niedrige Kultur der Zugewanderten zu mokieren. Man spricht eben ungeniert nicht über den konkreten Menschen, sondern über eine Nation, ein Volk, eine ganze Gruppe, deren man bestimmte einheitliche Eigenschaften zuschreibt und als angeborene – also in Genen zwingend übertragbare – erklärt. In einer beinahe Ku-Klux-Klan-Manier äußert sich nicht nur ein Besoffener am Stammtisch; diese Lesart ist auch in der Politik und den Medien derart verbreitet, dass sich niemand mehr darüber entrüstet. So prägt die regierende Kanzlerin im öffentlichen Bewusstsein die Verknüpfung zwischen den Migranten und Kriminellen und verbindet die Frage der Integration mit der Gewaltprävention.

Menschen und Umstände

Nicht die Menschen sind schlecht, sondern die Umstände, in denen sie leben, behauptete einmal Bertolt Brecht. Die Schlussfolgerung aus dieser These müsste lauten: Endlich sollen sich die Machthaber richtig um die Verbesserung in dieser Hinsicht kümmern. Dies ist doch die primäre Aufgabe der Volksvertreter: dem Volke zu dienen. Der Staat ist für die Rahmenbedingungen verantwortlich, und dieser Verantwortung darf er sich nicht entziehen. Stattdessen wird jedoch lieber auf die Sündenböcke (Türken, Migranten und so weiter) mit dem gestreckten Finger gezeigt. Dabei muss man die Frage „Wer ist für die Kriminalität hierzulande verantwortlich?“ viel differenzierter diskutieren. Niemand kommt als Krimineller auf die Welt. Die Verantwortung des Staates muss man thematisieren. Jene beginnt gleich mit der Geburt oder noch früher, wie die Diskussion um die PID-Diagnostik zeigte. Weiter geht es mit den Kinderkrippen und Schulen. Wenn es beispielsweise eine Schulpflicht gibt – also eine Beschränkung der Elterngewalt für eine bestimmte Zeit am Tag – kann man sich nicht hinter Ausreden verstecken. „Die Eltern müssen es richten“. Wer eine Schulpflicht anordnet, muss auch erzieherische Aufgaben übernehmen. Die Schule darf nicht ein „erziehungsfreier“ Raum sein. Übrigens, viele Länder – im Gegenteil zu Deutschland – kennen keine Schulpflicht, sondern nur eine Unterrichtspflicht, wo die Kinder auch zu Hause unterrichtet werden dürfen.

Täglicher Rassismus – nicht gewalttätig, nur herablassend

Der alltägliche Rassismus begegnet dem Menschen mit weißen Handschuhen und höflichem Lächeln. Er kennt die verpönten Ausdrücke und meidet sie bewusst. Man trifft ihn in der Schule, im Amt, in der Arbeit: überall dort, wo man einen Grund findet, jemanden nicht wegen seiner Qualifikationen und Fähigkeiten, sondern wegen Herkunft oder Hautfarbe zu beurteilen. So schimpfen die überlasteten Lehrer auf die Migranten-Kinder, die in Überzahl die Schulen bevölkern, statt nach Verantwortlichen für diese Verteilung oder nach neuen Wegen zu suchen. Die normalen Bürger, die sonst gegen die Braunen gerne mitmarschieren, warnen mitfühlend von bestimmten Gegenden, wo die Türken, Russen und so weiter wohnen. Der alltägliche Rassismus ist nicht gewalttätig. Er schaut lediglich auf den anderen von oben herab und sieht in ihm keinen gleichwertigen Menschen. Dort, wo es an der gleichen Behandlung und den gleichen Chancen fehlt, ist er zu Hause.

Türken haben es bewiesen

Wie ein Schluckauf kommen wieder und wieder die alten Thesen zurück, von Sarrazin zuletzt aufgewärmt, von erblicher Intelligenz oder vererbten kriminellen Neigungen. Dies soll die Missstände jeglicher Art erklären. Natürlich ist es einfacher, die Verantwortlichen für die eigene schlechte Politik woanders zu suchen, statt sich selbst um Lösungen zu bemühen. Diese Methode ist so alt wie der Mensch selbst. Als Schuldige nannte man abwechselnd: Juden, Zigeuner, Schwarze … Und das, noch bevor man über die Gene Bescheid wusste. Vor vielen Jahrhunderten gingen die Türken einen anderen Weg – und damit waren sie Sarrazin & Co. weit voraus. Sie ließen Jungen von 8 bis 18 Jahren, die sie sich aus verschiedenen Ländern holten, zu Janitscharen, den treuesten Truppen des Sultans, ausbilden. Damit haben sie auf eine spektakuläre Weise bewiesen, dass die Herkunft gar keine Rolle spielt, wenn man die Sache richtig anpackt.

 

Grazyna Gintner, Journalistin, hat in Polen gearbeitet und lebt seit Jahren in Deutschland. Kürzlich brachte sie unter dem Pseudonym Lydia Sanojar im BoD-Verlag den Märchenroman „In einem Atemzug“ heraus. Vorstehender Beitrag wurde zunächst in www.suite101.de veröffentlicht. Der Kontakt zur Autorin wird über Facebook gepflegt.

 

Wir danken Grazyna Gintner für die freundliche Genehmigung, ihren Text verwenden zu dürfen.

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NAGEL-Redaktion – Ulla Keienburg’s Blog

 

In Hamburg befinden sich Office und Wohnsitz – mein Zuhause. Hamburg – meine Perle. Das Haupnest meiner Kleinfamilie.

Von hier aus toure ich durch die Welt – und erlebe sie: als Touristin, Counselor, Frau, Mutter, Freundin, Journalistin, Autorin oder Fotografin. Als Ulla begegne ich spannenden Menschen in faszinierenden Gegenden, lerne mit und von Weisen – großen und kleinen- und bin im Dialog mit Suchenden, halte die Eindrücke mitunter fest – in Bild und Wort – wohl wissend, dass kein Foto und kein Text die Tiefe, die Komplexität und die Emotionen des Erlebens wirklich wiedergeben kann.

Welcome to my reality!

Ulla Keienburg

 

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NAGEL-Redaktion – Normal besonders oder besonders normal?

Von Ulla Keienburg

„Eigentlich kann ich nicht meckern!“, sagte ich mitunter, nachdem ich mal wieder etwas durchgekämpft hatte. Seit mein Sohn vor genau 28 Jahren auf die Welt kam, sind Behörden und Organisationen bis heute eine echte Herausforderung. Was hatte ich zuvor mit Sozialamt, Versorgungsamt, Frühförderstellen, Sozialen Hilfsdiensten, Familienkassen und Pflegekassen zu tun? Als ein Mittelschichts- und Bildungsbürgerkind: NICHTS. Rein gar nichts.

Sehr schnell wurde das Antreten am Amt, das Vorsprechen, das Erklären, das Auflisten zur Routine. Anträge hier, Bestimmungen dort, Nachteilsausgleich, Bescheinigungen. Steuerberater, Sozialarbeiter, Arbeitsamtsangestellte, Jugendamtsmitarbeiterin, Chefs, Arbeitgeber hatten für meine Anliegen jeweils nur eine Ansage: „Das hatten wir so noch nicht!“ Meine Antwort war immer die gleiche: „Dann wird es Zeit!“

Ich nahm nicht hin, dass mein Sohn in einen „Sonderkindergarten“ sollte. Ich ersparte ihm die organisierte „Frühförderung“ und wollte keine vermeidbare „Besonderung“. Was ich aber gern für ihn wollte: Alles, was jedes andere, auch nicht behinderte, Kind angeboten bekam. Das sollte sich schnell als ein Marathon herausstellen – wenn die Streckenbezeichnung überhaupt passt, um die auszuhaltenden Anstrengungen, Respektlosigkeiten und Kränkungen zu beschreiben, die ich mir und uns damit eingehandelt habe.

An dem Tag, als „WIR“ mit der Diagnose „Downsyndrom“ etikettiert wurden, entschied ich, ihn nicht therapieren zu lassen. Die Chance sollte er bekommen, MIT mir, meiner Familie und Freunden, Erwachsenen wie Kindern zu lernen, zu erfahren, zu erproben, zu entwickeln, was heute „Soziale Kompetenz“ genannt wird.

Wie hätte er lernen sollen auszuhandeln, Rücksicht zu nehmen, Geduld zu haben, ggf. zurückzustecken, zu helfen, sich zu engagieren, gemeinsam etwas zu planen, zu bewerkstelligen, außer im Kontakt mit anderen Kindern und Erwachsenen? Therapie erschien mir zu „individuell“ und nicht sehr förderlich. Wenn mir die Therapeuten predigten, wie wichtig ihre Interventionen seien, sah ich schon einen Angepassten vor mir, der aus ihm zu werden drohte: Ausschließlich „behandelt“ – und damit „auf Spur gebracht“ – und stellte mir sein Leben vor: einsam, gebeugt und mit erlerntem Anspruch auf Besonderung. So entschied ich, alles daranzusetzen, ihn in einem „ganz normalen“ Kontext groß werden zu lassen. Für ihn war schon normal, ohne Vater groß zu werden. An Geschwister war also nicht zu denken. So landete er, dank für Neues offener Menschen, in einem Regelkindergarten – erst in der Nähe von Flensburg, später in Dortmund.

Er liebte die Kita und die Erzieherinnen – und die Kinder haben einander geliebt und gefordert, geärgert und besänftigt, gestritten und geschützt – er hatte dort das pralle Leben. Die Kinder agierten unreflektiert und respektierten seine Grenzen – und er die ihren. Und wenn mal nicht – dann gab es halt Krach und sie hatten zusammen etwas Neues gelernt. Welch ein Wunder. Und alle hielten das für normal.

Das Land spendierte jeweils eine zusätzliche Stelle zwecks Förderung – und wir vereinbarten , dass sie ihn in Ruhe lassen und somit die gewonnene Zusatzkraft im Kita-Alltag aufgehen konnte.

Ich habe ihn mitgenommen auf Demonstrationen gegen Atomkraft, Kürzungen bei der Bildung, habe mit ihm für Integration gekämpft, bin mit ihm Motorrad gefahren; er war mit in der Sauna, auf dem Sportplatz, zum Surfen, zum Tanzen und im Sonntags-Familien-Konzert. Letzteres führte zu größten Protesten, an mich gerichtet. Motto: Was hat ein behindertes Kind in einem klassischen Konzert zu suchen? Alles lebend überstanden! Er wusste früh, welche Arbeit im Haushalt anfällt, hat auch seine Aufgaben darin bekommen und erledigt. Nicht immer freiwillig – das aber fand ich normal. Die Polizisten waren unsere Freunde. Sie warteten auch keine 24 Stunden, wenn ich verzweifelt anrief, um mitzuteilen, dass er mal wieder auf eigene Faust unterwegs war und auf seinen Streifzügen nicht zu finden war.

Er hat extrem von seinen Erkundungstouren profitiert. Das habe ich zwar in dem Moment nicht so empfunden – aber im Rückblick …

Das Drama mit der Schulzeit erspare ich dem geneigten Leser. Als Fazit: Wir haben es überstanden!!! Mit viel Krach und Auseinandersetzungen, die nicht immer das Ziel hatten, sich wieder zusammenzusetzen, zumindest nicht von beiden Seiten. Irgendwann war sie einfach vorbei – die Pflichtzeit in der Abrichtungsanstalt. 28 Jahre alt wird er heute. An diesem Tag bin ich immer wieder etwas melancholisch. Aber auch stolz.

Als er 17 Jahre alt war, habe ich für die Lebenshilfe Zeitung einen Artikel geschrieben: „Wir haben zusammen Laufen gelernt – und jetzt geht jeder seiner Wege!“

Irgendwann bekam ich mal diese Geschichte geschenkt:

Vier Hände und ein Herz voll Liebe (von Erma Bombeck)

Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, nach welchen Gesichtspunkten die Mütter dieser Kinder ausgewählt werden?

Ich stelle mir Gott vor, wie er über der Erde schwebt und sich die Werkzeuge der Arterhaltung mit größter Sorgfalt und Überlegung aussucht. Er beobachtet genau und diktiert dann seinen Engeln Anweisungen ins riesige Hauptbuch. Neumann, Lisa: Sohn. Schutzheiliger: Mathias. Förster, Ute: Tochter, Schutzheilige: Cäcilie, Bollman, Karola: Zwillinge. Schutzheiliger? Gebt ihr Gerhard, der ist es gewohnt, dass geflucht wird. Schließlich nennt er dem Engel einen Namen und sagt lächelnd: Ihr gebe ich ein Kind mit einer Behinderung. Der Engel wird neugierig: „Warum gerade ihr, oh Herr? Sie ist doch so glücklich.“ „Eben deswegen,“ sagt Gott lächelnd. „Kann ich einem behinderten Kind eine Mutter geben, die das Lachen nicht kennt? Das wäre grausam!“ „Aber hat sie denn die nötige Geduld?“, fragt der Engel. „Ich will nicht, dass sie zuviel Geduld hat, sonst ertrinkt sie in einem Meer von Selbstmitleid und Verzweiflung. Wenn der anfängliche Schock und Zorn erst abgeklungen sind, wird sie es tadellos schaffen. Ich hab sie heute beobachtet. Sie hat den Sinn für Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, die bei Müttern so selten und so nötig sind. Verstehst du: Das Kind, das ich ihr schenken werde, wird in seiner eigenen Welt leben. Und sie muss es zwingen, in der ihren zu leben, das wird nicht leicht werden.“ „Aber, Herr, soviel ich weiß, glaubt sie nicht einmal an dich.“ Gott lächelt. „Das macht nichts, das bringe ich schon in Ordnung. Nein, sie ist hervorragend geeignet. Sie hat genügend Egoismus.“ Der Engel ringt nach Luft. „Egoismus? Ist das denn eine Tugend?“

Gott nickt. „Wenn sie sich nicht gelegentlich von dem Kind trennen kann, wird sie das alles nicht überstehen. Diese Frau ist es, die ich mit einem Kind beschenken werde, das besondere Hilfe braucht. Sie weiß es zwar noch nicht, aber sie ist zu beneiden. Nie wird sie ein gesprochenes Wort als etwas Selbstverständliches hinnehmen. Nie einen Schritt als etwas Alltägliches. Wenn ihr Kind zum ersten Mal Mama sagt, wird ihr klar sein, dass sie ein Wunder erlebt. Wenn sie ihrem blinden Kind einen Baum, einen Sonnenuntergang schildert, wird sie ihn so sehen, wie nur wenige Menschen meine Schöpfung sehen. Ich werde ihr erlauben, alles deutlich zu erkennen, was auch ich erkenne – Unwissenheit, Grausamkeit, Vorurteile –, und ich werde ihr erlauben, sich darüber zu erheben. Sie wird niemals allein sein. Ich werde bei ihr sein, jeden Tag ihres Lebens, jede einzelne Minute, wie sie meine Arbeit ebenso sicher tut, als sei sie hier neben mir.“ „Und was bekommt sie für einen Schutzheiligen?“ fragt der Engel mit gezückter Feder. Da lächelt Gott. „Ein Spiegel wird genügen.“

Ein solcher Spiegel war mein Sohn mir, ist er mir und wird er mir bleiben. Dafür bin ich dankbar und fühle mich nach wie vor „blessed“ … hört sich besser an als „gesegnet“.

Zum Geburtstag hat er sich von mir Tickets für ein Handballspiel der SG Flensburg-Handewitt gewünscht. „Eigentlich kann ich nicht meckern!“, denke ich wieder – schmunzelnd und stolz. Und danke von Herzen allen, die es normal fanden und finden, dass wir wohl beide besonders sind!

Erstveröffentlichung: Ulla Keienburgs’s Blog: Welcome to my Reality! 17. Oktober 2011. Wir danken Ulla Keienburg für die freundliche Genehmigung, den Text hier zu verwenden!

 

Ulla Keienburg über sich:

„In Hamburg befinden sich Office und Wohnsitz – mein Zuhause. Hamburg – meine Perle. Das Haupnest meiner Kleinfamilie.

Von hier aus toure ich durch die Welt – und erlebe sie: als Touristin, Counselor, Frau, Mutter, Freundin, Journalistin, Autorin oder Fotografin. Als Ulla begegne ich spannenden Menschen in faszinierenden Gegenden, lerne mit und von Weisen – großen und kleinen – und bin im Dialog mit Suchenden, halte die Eindrücke mitunter fest – in Bild und Wort – wohl wissend, dass kein Foto und kein Text die Tiefe, die Komplexität und die Emotionen des Erlebens wirklich wiedergeben kann.“

 

Und wir – der ABA Fachverband – möchten den einen oder anderen „Ausflug“ auf Ullas Seiten wärmstens empfehlen. Dank sozialer Netzwerke im Internet konnten wir uns kennenlernen.

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