NAGEL-Redaktion – Hagener Erklärung

zum Thema: „Risiko als Spielwert“

Versicherungsträger, PolitikerInnen und Aufsichtspflichtige sind in der Regel bemüht, Situationen für Kinder und Jugendliche „risikofrei“ zu gestalten. Dieses Bemühen läuft vielfach ins Leere. Junge Menschen sind häufig dann am stärksten gefährdet, wenn Behütung und Aufsicht überspannt werden.
Risikofreies Leben ist eine nicht erreichbare Utopie. Leben sicher zu gestalten, geht nicht selten mit eigenen Unsicherheiten von PädagogInnen, PlanerInnen, SicherheitsexpertInnen und PolitikerInnen einher und führt in der Praxis von Pädagogik und Planung zu bisweilen kuriosen Erscheinungen. Langjährige Erfahrungen „gefährlicher Einrichtungen“, wie z.B. von Abenteuerspielplätzen, sowie entsprechende Untersuchungen belegen, dass der Gefährdungsgrad für junge Menschen sinkt, je gezielter und bewusster sich diese mit Risiken vertraut machen können.
Mehr Risiko bedeutet ein erhöhtes Maß an Gefahren; ein erhöhtes Maß an Gefahren ermöglicht eine Steigerung der Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten; diese bewirken bei jungen Menschen eine Steigerung des Risikobewusstseins. Ein erhöhtes Maß an Risikobewusstsein führt im Resultat zu einer Steigerung der Lebensqualität und zu mehr Sicherheit.
Zur Steigerung der Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen sind Pädagogik in Schule und Freizeit, Stadt- und Raumplanung sowie Politik und Verwaltung gefordert, Bedingungen für ein Höchstmaß an Spielwert zu schaffen. Der Rahmen administrativer und rechtlicher Einschränkungen muss in diesem Kontext so gering wie möglich gehalten werden.
Die Pädagogik ist gefordert, die genannten Aspekte in ihren Konzeptionen zu berücksichtigen und bei PädagogInnen bewusstseinsfördernd aktiv zu werden, Kausalitäten zu verdeutlichen sowie zu einer erhöhten und wohl reflektierten Risikofreude anzuregen. Die Planung ist gleichermaßen gefordert, öffentliche Spiel- und Erlebniswerte stärker in den Fokus ihres Interesses zu rücken. Die Politik ist angehalten, diese Bemühungen zu unterstützen. Ein wichtiger Schritt hierzu wäre eine Gesetzesinitiative, die zum Ziel hat, alle Kinder, die sich in der Öffentlichkeit aufhalten, in den Kreis der versicherten Personen im Sinne des § 2 SGB VII aufzunehmen.
Ferner ist die Politik ausdrücklich aufgefordert, Ungleichgewichte hinsichtlich der realen Gefährdung von Kindern stärker zu thematisieren und zu kompensieren. In diesem Zusammenhang wird auf den für junge Menschen unkalkulierbaren Straßenverkehr, dem jährlich zahlreiche Kinder zum Opfer fallen, sowie auf andere ökologische Gefährdungen hingewiesen. Ökologische Kinderrechte müssen mittelfristig in Anlehnung an das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Art. 24) in geltendes deutsches (und somit einklagbares) Recht überführt werden.
Ziel ist eine allseits bespielbare und für Kinder sichere Stadt. Zum Erlebniswert einer Stadt gehören für junge Menschen wahrnehmbare und kalkulierbare Risiken, die mit zur größtmöglichen Entfaltung ihrer motorischen, kognitiven wie sozialen Fähigkeiten beitragen.

Diese Erklärung wurde einstimmig von den TeilnehmerInnen des Kongresses des ABA Fachverbandes „Risiko als Spielwert“, der am 29. November 1995 in Hagen stattfand, verabschiedet. Der Kongress wurde von ca. 80 TeilnehmerInnen besucht.

ReferentInnen waren:

  • Otto Herz, Dipl. Psychologe und seinerzeit Mitglied im Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
  • Dr. Torsten Kunz, Dipl. Psychologe und seinerzeit Leiter der Präventionsabteilung der Eigenunfallversicherung der Stadt Frankfurt am Main
  • Julian Richter, Dipl. Ing., Vorsitzender der Europäischen Normierungsgruppe für Spielgeräte und Kinderspielplätze, Mitglied der DIN-Kommission und Geschäftsführer der Fa. Richter Spielgeräte in Frasdorf
  • Manfred Schmidt, Jurist und Sozialarbeiter, stellvertretender Geschäftsführer des Gemeindeunfallversicherungsverbandes Westfalen-Lippe in Münster
  • Wolfgang Bort-Gesella, Spielpädagoge und Leiter der Spielewerkstatt Rhinozeros in Essen
  • Norbert Rixius, verantwortlicher Mitarbeiter für das Sachgebiet „Gestaltung des Schullebens und Öffnung von Schule/GÖS“ im Landesinstitut für Schule (des nordrhein-westfälischen Schulministerium) in Soest
  • Stefan Melulis, Dipl. Soz. Päd. und Leiter des Kinder- und Jugendbereiches des Ruhrwerkstadt in Oberhausen
  • Peter Apel, Dipl. Ing., Raumplaner und Mitarbeiter des Planungsbüros Stadtkinder in Dortmund, Mitglied im Vorstand des ABA Fachverbandes
  • Dr. Ulrich Deinet, Dipl. Päd., Fachreferent für Jugendarbeit beim Landesjugendamt Westfalen-Lippe in Münster
  • Helga Schlünder, Lehrerin an der Fritz-Steinhoff-Gesamtschule in Hagen
  • Peter Ogrodowski, Dipl. Soz. Päd., z.Zt. Mitarbeiter des AKI Meschede (ASP)

Eine Tagungsdokumentation ist erschienen in der Reihe DER NAGELKOPF als Ausgabe 22/1997.

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