Die WM ist vorbei
Als sich Daniel Cohn-Bendit während der Fußball-Weltmeisterschaft meldete und angab, im Gegensatz zur französischen Nationalmannschaft sei der deutschen die Integration nicht gelungen, bin ich zugegebenermaßen ein wenig ins Grübeln gekommen. Der Idealdeutsche sei Beckenbauer, der Idealfranzose Zidane, Sohn algerischer Einwanderer. Gut, die französischen Jungs kommen nicht selten aus der Vorstadt, wo es immer wieder mal brennt, nicht nur Autos. Insofern: gelungen! Leider kann eine Fußballelf auch nur in überschaubarem Maße Massen unterbringen. Dort, wo ich das Endspiel sah, in Dortmund, waren mindestens 90 Prozent der ZuschauerInnen Fans der Franzosen; auf anderen Plätzen war es durchaus auch umgekehrt. Gewonnen haben trotzdem die Italiener, jene Jungs, deren Mütter ihnen liebevoll ein Schwalbennest gebaut haben, das sie durchschnittlich 34 Jahre benutzen, ohne zu vergessen, ihre Mutter mit „Hostia“ oder „Porca Madonna!“ zu beschimpfen. Und sie weinen, diese Jungs! Bei jedem Sturz weinen sie. Selbst bei ihren „Schwalben“ weinen sie. Wir feiern diesen italienischen Sieg tagtäglich mit dem Schwalbenlied von Heintje, dem Oranjenen. Nun der Katzenjammer zu Hause: Abstieg mancher Stars in die Zweitklassigkeit. Das wird schon wieder: Mama hilft. Italienische Knaben wohnen tatsächlich im Schnitt 34 Jahre bei Mama (europäischer Rekord)! Das wird möglicherweise nur noch von polnischen Ministerpräsidenten getoppt.
Blicken wir noch einmal auf die von Cohn-Bendit benörgelte nichtmultikulturelle Nationalmannschaft: Sehen wir David Odonkor flitzen und helfen, Tore zu machen, und hören wir die Mädchen schreien, sobald sie ihn nur sehen, den Mann aus dem westfälischen Bünde. Schauen wir auf Gerald Asamoah, der bei der WM zwar selten mitspielen durfte, dafür aber um so lauter „Marmor, Stein und Eisen bricht“ vom soeben verstorbenen Drafi Deutscher anstimmte und mit David Odonkor und Lukas Podolski im Fernsehen intonierte; Lukas Podolski, der in seinem Geburtsort Gleiwitz/Polen inzwischen so bekannt wie in Deutschland ist und des Öfteren dort seine Oma besucht. Aus Polen ebenfalls Miroslav Klose, geboren in Oppeln, und über Frankreich in die Pfalz gelangt. Laut eigener Internetseite war die Schule in Deutschland ein Hammer. Der achtjährige Mirek wurde wegen schlechter Deutschkenntnisse gar zurückgestuft. Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze nennt sich Europastadt Görlitz-Zgorzelec und wirbt mit seinem „Konzept der grenzüberschreitenden kulturellen Integration und des Dialogs zwischen den verschiedenen Kulturen“. Geboren wurde hier übrigens Michael Ballack. Und woher kommt Oliver Neuville? Er stammt aus Locarno und gelangte von dort aus über Genf und Teneriffa nach Deutschland. Ein wenig Internationalismus also auch in der deutschen Nationalmannschaft!
Während der Weltmeisterschaft waren geradezu rührende Szenen internationaler Verständigung zu beobachten. Vielleicht lässt sich von dieser Offenheit ein wenig bewahren; dann hätte „das Volk“ in nur einem Party-Monat mehr Integration geleistet, als Politik dies über Jahrzehnte vollbracht hat. Vielleicht sollte Politik sich etwas mehr zurückhalten bei Dingen, die die Leute viel besser allein schaffen. Ganz zu schweigen von rassistischen Sprüchen wie die des italienischen Senators Roberto Calderoli, der laut „taz“ vom 12. Juli 2006 den italienischen Sieg über die „gemischtrassige Mannschaft“ Frankreichs als „politischen Sieg“ feierte. Die reinrassigen Italiener hätten „eine Mannschaft geschlagen, die dem Streben nach Erfolg ihre Identität geopfert hat, indem sie Schwarze, Muslime und Kommunisten aufstellte“. Calderoli! Schweigen wäre Gold gewesen – wenn man solche Gedanken schon nicht verhindern kann!
Rainer Deimel
i-Punkt 8/2006