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NAGEL-Redaktion – Selbstbestimmung als Bildungsziel in der Praxis eines Mädchentreffs

Von Ulrike Graff

„Selbstbestimmung für Mädchen“, so lautet das grundlegende Anliegen feministischer Mädchenpädagogik. Damit hat sie einerseits dasselbe humanistische Bildungsziel wie andere kritisch emanzipatorische Pädagogiken auch, andererseits unterscheidet sie sich von ihnen in der Frage der Organisationsform in Bezug auf Geschlecht. Da feministische Pädagogik von der These ausgeht, dass die Selbstbestimmung von Mädchen in koedukativer Pädagogik behindert wird, strukturiert sie sich bewusst wieder geschlechtshomogen.

Der folgende Beitrag über den Mädchentreff Bielefeld untersucht, wie sich das Ziel Selbstbestimmung für Mädchen in diesem neuen geschlechtshomogenen Praxisfeld realisiert. Er referiert Ergebnisse einer qualitativen Studie, die von mir als Auswertung der Theorie und Praxis des Mädchenreffs durchgeführt wurde (Graff 1999). Als Mitinitiatorin und pädagogische Mitarbeiterin habe ich das selbstgesteckte Ziel, Mädchen in ihren Selbstbestimmungsprozessen zu unterstützen, evaluiert. In von Pädagoginnen und Mädchen geschilderten Situationen versuche ich, der Beziehung zwischen ihnen auf die Spur zu kommen. Beziehung, realisiert in Interaktion, ist einer der Orte, wo sich Pädagogik konkret abspielt.

Im vorliegenden Beitrag stelle ich zunächst exemplarische Interviewpassagen mit Mädchen aus dem Mädchentreff vor. Sie erzählen, welche Beziehungsmöglichkeiten sie im Mädchentreff zu den Pädagoginnen erleben, welche Art von Unterstützung und Anregung sie bekommen und welche Konflikte es für sie gibt. Dann analysiere ich die Geschichten gelungener und misslungener pädagogischer Situationen, die die Mädchentreff-Pädagoginnen erinnern. Hier wird es immer dann pädagogisch spannend, wenn die Mädchen anders sind oder andere Dinge tun als die Pädagogin erwartet. Die Frage nach Selbstbestimmung ist keine, die sich mit einem feministischen Konzept von selbst erledigt.

Der Mädchentreff wurde 1985 gegründet als eine der ersten Einrichtungen außerschulischer Mädchenbildungs- und Kulturarbeit in Nordrhein-Westfalen. Neu am Mädchentreff ist auch das Konzept einer feministischen Mädchenpädagogik; nach den Erfahrungen der Grenzen koedukativer Jugendarbeit macht es Geschlechtshomogenität bewusst wieder zu einem Prinzip der Arbeit (vgl. hier zunächst stellvertretend Spender 1985).

Im Begriff „Selbstbestimmung“ treffen sich hier zwei Traditionen: zum einen die pädagogische, deren klassisch-humanistische Aufgabe Erziehung zu Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit ist (vgl. Benner 1983 sowie Hornstein in diesem Band), zum anderen die feministische, deren wichtigstes Ziel ebenfalls als „Selbstbestimmung für Frauen“ formuliert wird (vgl. Beyer u.a. 1983).

Im pädagogischen Diskurs nimmt die Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstbestimmung breiten Raum ein: Erziehung zu Mündigkeit, Förderung persönlicher Autonomie, Emanzipation tauchen als „Bildsamkeitspostulat“ in geisteswissenschaftlicher Pädagogik (vgl. Dilthey 1961) ebenso auf wie in analytisch-empirischer (vgl. Brezinka 1974) und emanzipatorisch-kritischer Pädagogik (vgl. Mollenhauer 1974, Gamm 1979).

Dietrich Benner macht dies als „Grundstruktur pädagogischen Denkens und Handelns“ (Benner 1983) in einer Matrix deutlich:

 

 

das Individuelle von Erziehungspraxis

das Gesellschaftliche von Erziehungspraxis

1. prinzipielle Bildsamkeit des Menschen zur Selbstbestimmung für eine produktive Freiheit,

3. Erkennen der gesellschaftlichen Bedingtheit von Erziehung als ihre pädagogische Aufgabe,

2. Aufforderung zur Selbsttätigkeit der Individuen,

4. Verständnis von Pädagogik als gesellschaftliche Praxis neben anderen Praxen (Arbeit, Kunst, Politik), die sich gemeinsam dem Streben für eine „bessere Welt“ verpflichten.

 

 

Selbstbestimmung ist mit diesem Hintergrund klassisch pädagogisches Ziel. Es ist der positiven Utopie verpflichtet, dass alle Menschen frei und demokratisch über ihre Kompromisse zwischen individuellen und kollektiv-gesellschaftlichen Belangen entscheiden können sollen.

Dieses Ziel verweist auf ein Menschenbild, für das ein „Selbst“ als selbstreflexives Bewusstsein konstitutiv ist. Dieses Selbst steht in dialektischem Verhältnis zur Umwelt, d.h. es lernt im Handeln mit anderen als Individuum die Balance zwischen eigenen Interessen und Anforderungen des Kollektivs.

Bezugspunkte für eine feministische Begründung von Selbstbestimmung können zwei Arbeiten bilden, zum einen:

die amerikanische Untersuchung „Die verlorene Stimme“ (Brown/Gilligan 1994). Sie fragt als Weiterentwicklung von Carol Gilligans Studie zu weiblicher Moral (Gilligan 1984) nach dem Wissen, das Mädchen über Beziehungen haben, wie sich dies mit der Adoleszenz verändert und welche Bedeutung erwachsene Frauen für eine „eigene Stimme“ von Mädchen haben.

Zum anderen: die Überlegungen des Mailänder Frauenbuchladens zum Konzept „affidamento“ (Libreria delle donne 1988). Affidamento heißt wörtlich: „sich anvertrauen“, Frauen vertrauen sich einander an.

Dies wird entwickelt als politisch-feministische Strategie in einer patriarchalen Kultur, die Männer und Frauen auf den Vater-Mann-Sohn zentriert und die Beziehungen unter Müttern-Frauen-Töchtern leugnet oder diffamiert. Konkrete und symbolische Frauenbezogenheit will diese Struktur männlicher Herrschaft aufbrechen und gilt als Voraussetzung für weibliche Selbstbestimmung.

Feministische Mädchenpädagogik überträgt dies Konzept der Geschlechtshomogenität sowohl auf die Mädchen als Adressatinnen als auch auf die Pädagoginnen als Professionelle. Intendiert ist hier zum einen die Stärkung der Beziehungen der Mädchen untereinander, zum anderen die bewusste Auseinandersetzung mit dem Mädchen-/Frauenbild der Mädchen durch Prozesse positiver oder negativer Identifikation zwischen Mädchen und Pädagoginnen (vgl. Haasis 2002).

Feministische Pädagogik will „Selbstbestimmung für Mädchen“ anstatt „Gleichberechtigung mit Jungen“ und kombiniert dieses Ziel mit der Form Geschlechtshomogenität. Mädchen sollen ohne direkten männlichen Einfluss entscheiden können, wer und wie sie sein wollen. Feministische Pädagogik überträgt damit die feministische Strategie der Frauenbezogenheit als Voraussetzung für weibliche Selbstbestimmung auf die Pädagogik.

Bildungsziele formulieren einen Horizont für pädagogisches Handeln, sie sagen, was Jungen und Mädchen lernen sollen: „Selbstbestimmung bezeichnet die erlernbare Fähigkeit, Beziehungszusammenhänge in der Lebensumwelt aufzugreifen, ihre Wertgrundlage zu erfassen und in Auseinandersetzung mit ihnen nach eigenem Urteil Handlungsstandards zu entwickeln.“ (Schiefele 1974, S. 12)

Diese Definition stellt Selbstbestimmung als Ziel von Bildung, als erlernbare Fähigkeit, dar.

Im Kontext feministischer Pädagogik werden Bedingungen formuliert, die Selbstbestimmungsprozesse von Mädchen positiv beeinflussen:

  • Formen geschlechtshomogener Pädagogik, die in emanzipatorischer Absicht eingerichtet werden, sind geeignet, Mädchen (und Jungen) ein Lernfeld für persönliche Entwicklungen zu geben, die traditionelle Rollenklischees von Weiblichkeit (und Männlichkeit) überschreiten können (vgl. Lemmermöhle 1996).
  • Selbstbestimmung in der Entwicklung von Geschlechtsidentität braucht einen experimentellen Freiraum. Freiraum heißt im Kontext des Mädchenreffs: die Abwesenheit männlicher Konkurrenz und eines normierenden männlichen Blicks.
  • Das ermöglicht Mädchen sowohl die Übernahme von Positionen und Aktivitäten, die überwiegend Jungen besetzen (Dominanz, Leitung, Aggressivität, Technik, Sport, Rockmusik), als auch das Ausleben sogenannter mädchentypischer Kompetenzen und Vorlieben (Beziehungsorientiertheit, Kooperation, Versorgung, Gestaltung, Körperpflege, Tanz, Schreiben) (vgl. Metz-Göckel 1999).
  • Die Qualität eines Freiraums für Selbstbestimmung liegt dann in der Möglichkeit des Ausprobierens der einen oder anderen Rolle, ohne auf alte traditionelle oder auf neue „feministische“ Mädchenbilder festgelegt zu werden; insofern kann die Eröffnung von „Selbstbestimmung“ auch einen Feiraum von feministischer Normierung beinhalten. Wenn diese Erfahrungen mit pädagogischer Hilfe reflektiert werden können, unterstützt das Selbstbestimmung von Mädchen
  • Selbstbestimmung entwickelt sich an und in Beziehungen. Für Selbstbestimmungsprozesse von Mädchen haben eine starke Mädchen peer group und erwachsene Frauen als Vorbilder einen großen Stellenwert. Die Beziehung zwischen Pädagogin und Mädchen muss sowohl positive Identifikation als auch negative Abgrenzung seitens der Mädchen erlauben, das heißt eine Selbstbestimmungsorientierte Beziehungsgestaltung ist auch „konfliktfreundlich“. Dann fördert sie die aktive Auseinandersetzung der Mädchen mit dem eigenen Mädchen- und Frauenbild und damit einen bewussten Selbstentwurf (vgl. Brown/Gilligan 1994).

Selbstbestimmung ist ein zentraler Begriff in Theorie und Praxis des Mädchentreffs: er ist pädagogische Zielkategorie der Konzeption und er ist thematisch präsent im Mädchentreff als Ort, wo Lebensplanung und Berufsorientierung in Seminaren oder in offenen Alltagsgesprächen stattfinden. Er konkretisiert sich dort in den Situationen, die Mädchen und Pädagoginnen gemeinsam erleben, in pädagogischen Beziehungen.

Als Untersuchungsgegenstand entzieht sich Selbstbestimmung eindeutigen, operationalisierenden Hypothesen: Sie kann nicht an Entscheidungsergebnissen überprüft werden, wie etwa: die Entscheidung für einen technischen Beruf ist „selbstbestimmter“ als die Entscheidung für einen sozialen Beruf. Selbstbestimmung ist ein Begriff, der etwas über die Qualität eines Entscheidungsprozesses aussagt. Insofern geht es in der diesem Text zugrunde liegenden Studie darum zu untersuchen, wieSelbstbestimmungsprozesse von Mädchen unterstützt werden.

Selbstbestimmung als Entscheidungskompetenz braucht Raum und Gelegenheit für Entscheidungen, braucht sowohl Entscheidungsmaterial/-inhalte/-alternativen, als auch die Fähigkeit zu Selbstreflexion, um die Integration von Norm und Individualität, von eigenen und äußeren Perspektiven als bewussten Prozess gestalten zu können. Selbstbestimmung entwickelt und übt sich im Kontakt und in Konflikten. Und sie braucht solidarische Bezugspersonen.

Der Mädchentreff muss auf die Bedingungen hin betrachtet werden, die er für Selbstbestimmungsprozesse von Mädchen schafft. Im Sinne des Konzeptes des pädagogischen Affidamento heißt das, die Beziehungen zwischen Pädagoginnen und Mädchen ins Zentrum der Untersuchung zu setzen.

Der Mädchentreff Bielefeld als offene Freizeit-, Bildungs- und Kultureinrichtung wurde von mir im Rahmen einer pädagogischen Praxisforschung (vgl. Graff 1997) im Hinblick auf die Realisierung seines Bildungsziels Selbstbestimmung untersucht

Die Studie ist angelegt als qualitativ-empirische Analyse der Pädagogik des Mädchentreffs. Diese Analyse findet auf zwei Ebenen statt:

  1. auf der Ebene pädagogischer Situationen als konkrete Praxis des Mädchentreffs; diese Situationen wurden eingefangen in zehn selbstreflexiven Geschichten von fünf Pädagoginnen zum Thema „Selbstbestimmung“. Dieses Material eröffnet den subjektiv-professionellen Blick z.B. auf Alltagsbedingungen, Beziehungsdynamiken, Handlungsaspekte.
  2. auf der Ebene der Adressatinnen, der Mädchen als Besucherinnen des Mädchentreffs; in Leitfadeninterviews wurden 13 Mädchen daraufhin befragt, was Selbstbestimmung für sie bedeutet und welchen Stellenwert der Mädchentreff in diesem Zusammenhang für sie hat; anders gesagt: welche Erfahrungen und Bedingungen sie im Mädchentreff als förderlich (oder hinderlich) für eigene Selbstbestimmung erlebten.

Das Material wurde in Kontext der Methodologie qualitativer Sozialforschung mit dem Instrument der „strukturellen Beschreibung“ (Schütze 1984) ausgewertet, hier können jedoch nur Zusammenfassungen der ausführlichen Interpretationen des Material vorgelegt werden.

Die Untersuchung bringt Erkenntnisse darüber, wie sich in einem feministischen geschlechtshomogenen Feld Pädagogik realisiert, im Hinblick auf ihr Bildungsziel Selbstbestimmungsprozesse von Mädchen zu unterstützen. Sie erforscht pädagogische Beziehungen in einem Mädchentreff anhand der von den Mädchen und Pädagoginnen erinnerten Begegnungen, Situationen, Ereignisse, Konflikte, Ärgernisse und Highlights. Die „feine“ Analyse dieses empirischen Materials bringt Ergebnisse, die zunächst auf der Ebene der Rekonstruktion pädagogischer Phänomene und dann auf der Ebene von Verstehen alltäglicher pädagogischer Interaktion liegen.

Zum anderen wird die Pädagogik innerhalb eines Mädchentreffs evaluiert, um Leistungen und Probleme der Praxis zu identifizieren, aber auch um Jugendhilfeplanungen und Jugendpolitik empirisch fundierte Hinweise zu geben auf die Bedeutung dieser relativ jungen (wieder) geschlechtshomogenen Einrichtungen im Feld der Jugendarbeit.

Eine Annäherung an konkrete förderliche und hinderliche Bedingungen im Hinblick auf die Realisierung des Bildungsziels „Selbstbestimmung für Mädchen“ soll nun zum einen auf institutioneller Ebene: Mädchentreffs als Einrichtungsform der Jugendarbeit und zum anderen auf der Ebene pädagogischer Praxis als Beziehungsarbeit passieren.

Die Sicht der Mädchen

Die Evaluation einer Pädagogik im Hinblick auf ihr Ziel, Selbstbestimmungsprozesse zu unterstützen, muss nach Brumlik (1992) die Selbstaussagen ihrer Adressatinnen einbeziehen. In der vorliegenden Studie wurden daher Besucherinnen über ihre Zeit im Mädchentreff interviewt.

Ein Mädchentreff als Ort für Mädchen

1. „Wir werden akzeptiert wie wir sind!“

Ein wesentliches Ergebnis der Interviews mit den Mädchen ist ihre durchgängige Aussage, sie fühlen sich im Mädchentreff so akzeptiert, wie sie sind. Dieses Akzeptieren geht für sie über das hinaus, was sie in Schule oder Freizeit erleben: Sie fühlen sich ernst genommen sowohl mit ihren Bedürfnissen nach „abhängen, Spaß, rumflippen“, als auch mit Anliegen und Problemen, die sie außerhalb des Mädchentreffs haben. Dabei ist für sie wichtig, nicht danach beurteilt zu werden, was ein „richtiges“ Mädchen macht. In der Anerkennung der Vorlieben und Neugierden müssen sie nicht mit Jungen konkurrieren.

Diese ungewöhnliche Erfahrung stärkt ihr Selbstbewusstsein und unterstützt sie in ihrer Selbstbestimmung sowohl bei alltäglichen Entscheidungen als auch bei Entscheidungen, die ihre Berufs- und Lebensplanung betreffen. Die Mädchen sagen, dass die Pädagoginnen „für sie da sind“. Dabei geht es um „da sein“ in Bezug auf Interessen bei anderen, in der Schule oder zu Hause. Sie erleben, dass sie legitime Rechte haben und die Pädagoginnen sich für sie und ihre Rechte einsetzen. Sie werden ermutigt, ihre Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen. Insofern macht der Mädchentreff Selbstbestimmung relevant als etwas, was Mädchen zusteht, und bricht mit der kulturellen Haltung Mädchen gegenüber, in erster Linie „nett“ zu sein, und d.h. oft, ihre eigenen Interessen denen anderer unterzuordnen (vgl. Brown/Gilligan 1994).

2. „Der Mädchentreff unterstützt uns Mädchen in Krisen!“.

Viele Mädchen erzählen, dass sich die Pädagoginnen in großen persönlichen Krisen parteilich für sie eingesetzt haben. Dabei machen sie deutlich, dass sie es keineswegs als selbstverständlich erleben, dass Menschen in ihrem Umfeld sich in Konfliktsituationen auf die Seite von Mädchen stellen. In einer Kultur, die Mädchen noch immer sehr viel weniger Experimente und Fehler zugesteht als Jungen, empfinden sie es als besonders, wenn ihre Interessen gegenüber anderen verteidigt, wenn sie bei der Bewältigung von Fehlern unterstützt werden und wenn versucht wird, für die Realisierung ihrer Pläne Raum zu schaffen. Mädchenparteiliche Ressourcen dieser Art scheinen angesichts des aktuellen, ?modernen? Mädchenbildes zunehmend wichtig zu sein. Die Auswirkungen von Pluralisierung und Individualisierung (vgl. Beck 1993) machen es heute nötig zu fragen:

„Wie also können Konflikte/Probleme, auch Zuwendungsbedarf von Mädchen erkannt werden, wenn ihre Bewältigung für das Erscheinungsbild verschwiegen werden muss: ich habe keine Probleme, ich bin nicht benachteiligt, ich bin kompetent.“ (Bitzan/Daigler 2001, S. 209)

3. „Es ist nicht selbstverständlich für uns Mädchen, in den Mädchentreff zu kommen!“

Die Mädchen beschreiben, dass sie immer wieder erklären müssen, warum sie in den Mädchentreff zu gehen. Ein Mädchentreff provoziert eine Stellungnahme zum Geschlechterverhältnis, weil er eine Kategorie Geschlecht explizit macht: „Mädchen“. Warum ein extra Mädchentreff in einer Gesellschaft, die von der Gleichberechtigung ausgeht und getrenntgeschlechtliche Einrichtungen als überholt ansieht? Ein Mädchentreff ist mit der feministischen Begründung für sein geschlechtshomogenes Konzept immer auch Kritik am bestehenden Geschlechterverhältnis. Pädagogik speziell für Mädchen ist traditionell für die, die sie „nötig“ haben. Mädchenarbeit ist nicht wirklich selbstverständlich und positiv anerkannt. Mädchenräume gelten in unserer Kultur nach wie vor als defizitär. Das konstruierte Defizit bezieht sich zum einen auf die Situation selbst, es besteht angeblich im Mangel an Jungen. Es existiert eine Art black box: „Was machen Mädchen denn so ohne Jungen?“ Geselligkeit, Spaß, interessante und relevante Kontakte können demnach nur gemischtgeschlechtlich gedacht werden, genauer: Jungen sind dafür als Anwesende notwendig. Jungen allein hingegen gelten nicht als „allein“. Gesellige Situationen mit Jungen sind mit Attributen wie interessant, spannend, wichtig, richtig belegt. Entsprechend werden gesellige Mädchensituationen als langweilig, unvollständig, vorläufig, nicht wichtig und nicht richtig bezeichnet. Für Mädchen ist es schwer, sich dem herrschenden Bild vom Mädchen, das nur stark und akzeptiert ist, wenn es sich auf Jungen bezieht, entgegenzustellen.

Wenn Mädchen in den Mädchentreff gehen, müssen sie sich mit dem kulturellen Status von Mädchen in dieser Gesellschaft auseinander setzen. Ein Mädchentreff ist eine „kulturkritische“ pädagogische Einrichtung, die Mädchen eine eigene Kultur einräumen will, neben einer von Jungen dominierten Jugendkultur. Ein Mädchentreff sagt: Darauf haben Mädchen ein Recht. Er sagt nicht: das haben Mädchen nötig. Auf diesem Hintergrund reflektieren die Mädchen ihr Selbstbild, wenn sie den Mädchentreff aufsuchen, und sie müssen von außen provoziert Stellung beziehen. Das macht die Hürde für den Besuch des Mädchentreffs als offene Freizeit- und Kultureinrichtung sehr hoch. Andererseits erringt sich ein Mädchen mit Überschreiten dieser Hürde ein Stück Selbstbestimmung gegen die dominante Kultur der Gemischtgeschlechtlichkeit.

Im Rahmen offener Jugendarbeit wird mit einem Mädchentreff Raum für Mädchen geschaffen, ohne geschlechtsspezifische Einschränkungen und Zuschreibungen aufgrund direkter Interaktion mit Jungen. Mit Michael Walzer (1992) könnte man sagen, dass der Mädchentreff eine „Sphäre der Gerechtigkeit“ darstellt, innerhalb einer „Pädagogik der Vielfalt“ (Prengel 1993), in der Mädchenkultur anerkannt wird neben und in einer von Jungen dominierten Jugendkultur (vgl. BKJ (Hg.) 2000). Das ist das eigentlich historisch/gesellschaftlich Neue an einem Mädchentreff: er ist ein öffentlicher, damit im Symbolischen präsenter (vgl. Muraro 1989), positiv besetzter Raum für mädchenbezogene Geselligkeit, ein Freiraum für Selbstbestimmung und Eigensinn jenseits von pädagogischen Defizitkonstruktionen, oder anderen erzieherischen Zumutungen. Mädchen können kommen und gehen, wann sie wollen, ohne etwas lernen zu müssen und ohne Probleme haben zu müssen. Mädchen prägen und gestalten ihre eigene Kultur (vgl. Jaeckel 1998; Möhlke/ Reiter 1995). Mit diesem Bildungspotential wird institutionell umgesetzt, was Annedore Prengel in der „Pädagogik der Vielfalt“ (1993) als Gegenentwurf zu „Assimilationspädagogik“ fordert. Der gleichberechtigten Anerkennung und Pflege differenter Kulturen soll Ausdruck in eigenen Orten gegeben werden.

 

 

Die Beziehung der Mädchen zu den Pädagoginnen

Gerade Selbstbestimmung als Bildungsziel verlangt ihre Konkretisierung durch die Adressatinnen: welches Verständnis haben sie von ihrer Selbstbestimmung in pädagogischen Prozessen, die sie freiwillig suchen?

Im Folgenden wird die Synopse der Interpretationen von Interviewpassagen vorgestellt, in denen die Mädchen über die Pädagoginnen und ihre Beziehungen zu ihnen sprechen. Weiter unten werden die Inhalte dieser Liste an einzelnen Beispielen belegt.

– Es ist eine Beziehung unter Verschiedenen und das finden sie gut so.

– In der Beziehung erwarten sie, dass die Pädagogin ihnen ihr Mehr an Wissen zur Verfügung stellt.

– Sie erwarten Verschwiegenheit von der Pädagogin.

– Sie nutzen die Pädagogin zur Stärkung ihrer eigenen Interessen.

– Sie machen deutlich, wie wichtig ihnen ihre Selbstbestimmung ist.

– Sie kritisieren einen unoffenen Umgang der Pädagoginnen mit den zu befolgenden Regeln im Mädchentreff.

– Sie merken, wenn sie nicht ernst genommen werden und kritisieren das.

– Sie behalten im Kontakt die Verantwortung für sich selbst.

– Sie übernehmen die Verantwortung in der Interaktion, wenn sie meinen, die Pädagogin zu überfordern.

Als Quintessenz aller Deutungen im empirischen Material stellt sich heraus: die Mädchen schätzen die Differenz zwischen sich und der Pädagogin positiv.

An der Differenz zwischen Mädchen und Pädagogin lassen sich alle Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, positive Unterstützung und negative Einmischung in der Beziehung zwischen Mädchen und Pädagogin verhandeln (vgl. Bitzan/Daigler 2001, 174ff.; Wolf 1998, S. 172f.).

Die drei nun folgenden Beispiele beziehen sich auf Beziehungssituationen, in denen Ratsuchen und Ratgeben im Mittelpunkt stehen Sie belegen die oben nur zusammengefassten differenzierten Interviewaussagen.

Susanne (15 Jahre alt, Schülerin der Laborschule Bielefeld, Rollifahrerin) entwirft unter dem Motto „… ich brauche die Pädagoginnen auch!“ ein klares Konzept der Beziehung zwischen Mädchen und Pädagogin auf der Basis von Differenz und Gleichheit: Differenz der Rollen bei gleichem Anspruch auf Anerkennung der verschiedenen Rollen. Die Rolle der Pädagogin ist die derjenigen, die für Mädchen da ist, ihnen auf Nachfrage hilft; die Rolle der Mädchen ist die der Ratsuchenden, die sich mit der Bitte um Unterstützung an die Pädagogin wendet. Das ermöglicht Susanne ganz selbstverständlich und ohne sich klein oder abhängig zu fühlen, Rat und Hilfe nachzufragen. Die Differenz der Rolle und das Mehr an Wissen und Erfahrung macht die Pädagogin interessant für Susanne. Sie findet es „angenehm“, dass diese klare und unkomplizierte Art der Beziehung im Mädchentreff möglich ist. Dieses Beziehungsmodell scheint Konsens im Mädchentreff zu sein – sowohl für die Mädchen als auch für die Pädagoginnen.

Carola (19 Jahre alt, ausgebildete Werkzeugmacherin, erwerbslos) schildert ebenfalls einen Kontakt, den sie als Ratsuchende initiiert: „Da bin ich einmal zu Esther (einer Pädagogin) hingegangen, …“. Aufgrund ihres „harten Problems“, sie erwägt eine operative Geschlechtsumwandlung, sucht sie das Gespräch mit einer Pädagogin. Hier ist das Merkmal Differenz in der Weise wichtig, dass es aus Sicht des Mädchens von der Pädagogin nicht beachtet wird, und in der Folge in ihre Selbstbestimmung eingegriffen wird. Die Interviewpassage konzentriert sich im Kern auf die Verhandlungen über den Umgang mit Differenz. Die Differenz zwischen Carola und Esther besteht zunächst darin, dass Carola das Problem hat und Esther nicht. Carola verlangt, dass Esther diese Differenz zwischen ihnen lediglich aushält. Esther macht jedoch Carolas Problem quasi zu ihrem eigenen, denn sie sucht auf eigene Faust eine Lösung. In dem Bemühen, das Problem möglichst schnell aus der Welt zu schaffen, greift sie in Carolas Selbstbestimmung ein, die auch in Bezug auf ihren Prozess der Problemlösung gilt. Carola kritisiert Esthers Verhalten klar als Einmischung, die sie in keiner Weise erwartet.

Carola geht mit der Differenz zwischen sich und der Pädagogin darüber hinaus in der Weise um, dass sie im Kontakt die Verantwortung für sich selbst behält. In der Rolle der Ratsuchenden gibt sie sich nicht an die Pädagogin ab, schiebt ihr nicht die Verantwortlichkeit für die Lösung des Problems zu, sondern signalisiert mit ihrer expliziten Bitte um Verschwiegenheit im Gegenteil klar ihre Eigenverantwortlichkeit.

Als kontrastierender Vergleich zu Carolas negativer Erfahrung liegt im nächsten Fall mit Bärbel (23 Jahre alt, ausgebildete Verkäuferin, erwerbslos) ein Beispiel für den positiven pädagogischen Umgang mit Differenz vor. Ihre Erinnerung an die Ereignisse rund um die gemeinsam erstellte Liste der „Berufe, die Bärbel nicht mag“, beschreibt eine Interaktion zwischen Pädagoginnen und Mädchen, in der Probleme nicht direkt gelöst, sondern zunächst lediglich als existierend wahrgenommen werden. In Bärbels Äußerungen im Interview wird deutlich, wie sie die bloße Anerkennung ihrer Lebenssituation entlastet. Über das Aufschreiben der Zumutungen, die sie während ihrer Erwerbslosigkeit erlebt hat, und die Veröffentlichung dieser Liste im Mädchentreff (sie wurde ans Infobrett gehängt) muss sie lachen. Das ermöglicht ihr Distanz zu sich selbst. Sie sieht sich mit eigenen Ansichten spezifisch und different dargestellt. Obwohl ihre Situation sehr düster und ausweglos erscheint, gibt es in ihren Ausführungen nirgendwo einen Hinweis darauf, dass sie von den Pädagoginnen eine Lösung ihrer Probleme erwartet. Sie sucht Zuwendung, Aufmerksamkeit und Anerkennung. Es wird deutlich, dass sie aus dem Kontakt mit den Pädagoginnen die Bestätigung zieht, die sie zur Stabilisierung ihrer Lebenslage braucht. Sie will standhalten in einer Situation, die sich dadurch auszeichnet, dass ihre nähere Umwelt eng geworden ist, sie bedrängt und ihr unakzeptable Arbeiten zumutet. Beziehung, Arbeitsweise und reflexiver Freiraum des Mädchentreffs unterstützen also Bärbels vorhandene Selbstbestimmungspotentiale, ohne in das Paradox zu geraten, diese „herstellen“ zu wollen.

Die genannten Fälle zeigen beispielhaft empirisch Konzepte und Erfahrungen von Mädchen in pädagogischen Beziehungen. Mit ihnen erschließt sich die von ihnen eingeforderte positive Qualität von Differenz als Abstinenz der Pädagoginnen in Bezug auf Drängen auf Problemlösung. Die Anerkennung der Differenz von Rollen und Lebenslagen zeigt sich als Voraussetzung, Mädchen in ihrer Selbstbestimmung zu unterstützen.

Judith und Mechthild erzählen von anderen Situationen und Verhältnissen im Mädchentreff, für die sie ebenfalls gleiche Anerkennung in der Rollendifferenz fordern.

Bei Judiths (17 Jahre alt, Gymnasiastin) Geschichte von ihrem ersten Besuch im Mädchentreff geht es darum, dass sie sich auf merkwürdige Art nicht ernst genommen fühlt. Sie schildert, wie sie auf eine rhetorische Frage („Kannst du gut Handball spielen?“) hin ihr Selbstbewusstsein demonstrieren soll. Hier geht situativ die Differenz zwischen pädagogischen Zielen der Pädagoginnen und authentischem Kontakt verloren. Judith soll den Wunsch der Pädagogin Rebecca, dass Mädchen selbstbewusst sind, exemplarisch erfüllen. Dieses Paradox spürt Judith und es befremdet sie. Sie fühlt sich als Objekt von Pädagogik. Differenz zwischen Pädagogin und Mädchen zeichnet sich auf dem Hintergrund dieser Geschichte dadurch aus, dass die Pädagogin auf der Basis gleicher Anerkennung der eigenen und der Ansichten des Mädchens die Beziehung gestaltet. Das hieße, dass die Pädagogin um ihre pädagogischen oder feministischen Herzenswünsche weiß und sie bei sich selbst anerkennen kann, etwa: „ich möchte, dass Mädchen selbstbewusst sind“ – in Anerkennung der Wünsche von Mädchen nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmung auch gegenüber der Pädagogin. Das wiederum bietet die Chance, dass die Pädagogin im Kontakt zwischen sich und den Mädchen zu unterscheiden weiß und nicht unbewusst die Erfüllung ihrer Ziele an die Mädchen delegiert (vgl. Brown/Gilligan 1994, S. 247).

Mechthild (16 Jahre alt, im Berufsvorbereitungsjahr) kritisiert die Praxis der „ungeschriebenen Gesetze“ im Mädchentreff. Sie wünscht sich klare Regeln in Bezug auf Programm- und Raumgestaltung. Gleichheit und Differenz zwischen Pädagoginnen und Mädchen sind in diesem Beispiel auf der faktischen Ebene klar: die Pädagogin setzt in ihrer qua Profession verantwortlichen Rolle die Regeln; auf der alltagspraktischen Ebene sind sie unklar, weil es keine erklärten Verbote oder Gebote gibt, die Mädchen ihre Grenzen und Möglichkeiten im Mädchentreff transparent machen würden.

Mechthilds Ausführungen lassen sich als Plädoyer dafür verstehen, dass die Pädagoginnen ihre Rolle als Hausherrinnen des Mädchentreffs insofern übernehmen, dass sie ihre Regeln veröffentlichen. Diese Setzung müsste gegenüber den Mädchen begründet und mit ihnen verhandelt werden.

Ein wesentliches Merkmal der Rollendifferenz zwischen Pädagoginnen und Mädchen in diesem Prozess wäre die Gesamtverantwortung der Pädagoginnen für Leib und Seele der Mädchen als letztes Beurteilungskriterium für Regeln. Gleichheit zwischen Pädagoginnen und Mädchen würde hergestellt in Bezug auf das Recht an der Teilnahme am Aushandlungsdiskurs und das Geltendmachen von plausiblen Argumenten (vgl. dazu beispielhaft Wolf 1998).

Resümee:

Die Aussagen der Mädchen enthalten differenzierte Rückmeldungen, Wünsche und Ansprüche an die Pädagoginnen:

– sie schätzen die Selbstverständlichkeit des Rats und der Unterstützung, die sie im Mädchentreff erfahren

– sie sehen sich in ihrem Anspruch auf Anerkennung ihrer Lebenssituationen selbstbewusst neben den Pädagoginnen

– sie haben ein deutliches Empfinden von ihrer Selbstbestimmung und können Einmischungen, Unklarheiten oder Projektionen seitens der Pädagoginnen klar benennen

– sie wollen jenseits pädagogisch-feministischer Ziele ernst genommen werden.

So wird durch die Mädchen das Beziehungsmodell pädagogischen Affidamentos deutlich mit dem Aspekt parteilicher Unterstützung durch das Mehr an Wissen und Erfahrung der Pädagoginnen, auf der Grundlage gleicher Anerkennung der Wohlergehensansprüche von Mädchen und Pädagoginnen (vgl. Prengel 1993), dem Plädoyer für einen offenen Umgang der Pädagoginnen mit ihrer Machtbefugnis.

 

Differenz und Gleichheit: zum Verständnis produktiver pädagogischer Beziehungen

Die Begriffe „Differenz und Gleichheit“ haben sich für eine Annäherung an die Beschreibung von Selbstbestimmungsprozessen als überaus produktiv erwiesen. Differenz und Gleichheit, verstanden als egalitäre Differenz, bilden die zentrale Denkfigur innerhalb der „Pädagogik der Vielfalt“ (Prengel 1993), die als wesentlicher erziehungswissenschaftlicher Rahmen feministischer Mädchenpädagogik gelten kann.

Was bedeuten die Begriffe Gleichheit und Differenz für die Pädagogik? Gleichheit für Gerechtigkeit, für das allgemeine Recht auf Gleichheit, Differenz steht für Verschiedenheit aller Menschen und Verhältnisse. Das Verhältnis zwischen Gleichheit und Differenz wird als egalitäres begriffen. Das bedeutet, beide Elemente gehören zusammen und sind gleich wichtig: „Denn aus Gleichheit ohne Differenz folgt Gleichschaltung und aus Differenz ohne Gleichheit folgt Hierarchie“ (Prengel 1994, S. 3).

Es folgt nun ein Vergleich der Aussagen der Pädagoginnen mit den Aussagen der Mädchen zu gemeinsamen Situationen und Interaktionen im Mädchentreff Bielefeld.

In den Geschichten der Pädagoginnen, in denen sie gelungene und misslungene Situationen mit Mädchen reflektieren, werden förderliche und hinderliche Herangehensweisen an pädagogische Beziehungen deutlich.

In den Interviews mit Mädchen über ihre Zeit im Mädchentreff gibt es direkte und indirekte Rückmeldungen auf ihre Beziehungen zu den Pädagoginnen. Direkt sind ihre Aussagen über die Pädagoginnen, indirekt lässt sich ihre Haltung deuten, die sie zu den Pädagoginnen einnehmen.

Es ist interessant, dass beide Seiten unterschiedliche Perspektiven auf dasselbe Beziehungsmodell werfen. Es handelt sich um eine Beziehung zwischen einer Frau und einem Mädchen in einem freiwilligen pädagogischen Setting, in dem beide differente Rollen haben: die Rolle der Frau ist die (qua Profession), ihr Wissen unterstützend zur Verfügung zu stellen; die des Mädchens (qua Status der Jugendlichen), Hilfe und Anregung im pädagogischen Rahmen von Mädchenarbeit nachzufragen. Innerhalb dieses Rahmens treffen Pädagogin und Mädchen aufeinander. Gleichheit bezieht sich auf die (auf seiten der Mädchen klar formulierte) gleiche Anerkennung der differenten Rollen – der Differenz.

Die Geschichten der Pädagoginnen zeigen, wie aus ihrer Sicht das Gelingen bzw. Misslingen pädagogischer Situationen mit der Realisierung egalitärer Differenz (Prengel 1993) in pädagogischen Beziehungen zusammenhängt. Die Klarheit der Pädagoginnen in Bezug auf ihre professionelle Rolle stellt sich her in der Wahrnehmung subjektiver Vorlieben und Grenzen. Auf dieser Grundlage können pädagogische Ziele authentisch umgesetzt werden. Pädagogische Vorhaben können dann so gestaltet werden, dass tragfähige, anerkennende Beziehungen möglich sind: z.B. in gemeinsamer Fotoarbeit, einer Freizeitorientierten Mädchengruppe und in der stärkenden Beschäftigung mit Gewalterfahrungen, Ohnmacht, Wut und Trauer.

Als Ursache dafür, dass Rollenklarheit auf Seiten der Pädagoginnen verloren geht, zeigt sich das Ausblenden subjektiver Befangenheiten und Gefühle in der Beziehung zu Mädchen. Aufgrund des normativen Anspruches an die eigene Professionalität, Subjektivität kontrollieren zu können, wird sie negiert. So wird die Beziehung zwischen Pädagoginnen und Mädchen gestört, da auf Seiten der Pädagoginnen das Management „unerlaubter“ Regungen im Mittelpunkt steht und nicht die Wahrnehmung dessen, was Mädchen und Pädagoginnen (aus welchen Gründen auch immer) in die Interaktion mitbringen. Hier wird die paradoxe Wirkung normativer Ansprüche deutlich: sie verhindern genau das, wofür sie antreten. Nur die Anerkennung eigener Subjektivität ermöglicht einen selbstreflexiven und in diesem Sinne pädagogisch-professionellen Umgang mit ihr (vgl. Brown/Gilligan 1994; Thiersch 1998) und damit erst die Öffnung für die Subjekthaftigkeit, für die Selbstbestimmungspotentiale des Gegenübers.

Besonders relevant wird der Zusammenhang von pädagogischer Professionalität und reflexiver Subjektivität, wenn es um die Wahrnehmung negativer Gefühle Mädchen gegenüber geht. Hier scheint der Grundsatz der Parteilichkeit letztlich als Argument für das Vermeiden von Konflikten mit Mädchen zu wirken. Parteilichkeit betont den Aspekt, Mädchen anzunehmen, wie sie sind, und widerständiges Verhalten unter dem Gesichtspunkt ihrer Stärke zu sehen. Diese Maximen sind als Gegenentwurf zu konservativer und koedukativer Mädchenerziehung entstanden, in der von Mädchen Anpassung verlangt wird oder sie im Vergleich mit Jungen defizitär beurteilt werden (vgl. Bitzan/Daigler 2001).

Im Konzept einer feministischen Mädchenpädagogik bedeutet der Grundsatz, Mädchen anzunehmen, wie sie sind, nicht, alles gut zu finden und zu tolerieren, was Mädchen tun. Annehmen meint ernst nehmen im Sinne einer Subjektorientierung Mädchen als Verantwortliche ihres Tuns zu sehen. Es verlangt, ihnen positive Bestätigung und kritische Rückmeldung zuzumuten, und es erlaubt der Pädagogin auch, sich gegen unfaires Verhalten von Mädchen zu wehren und eigene Grenzen körperlicher und psychischer Belastbarkeit zu schützen. Dieser Aspekt von Parteilichkeit ist auf der Ebene bewusster Reflexion sicherlich unstrittig. Wenn jedoch in schnellen und anspruchs-vollen Alltagssituationen Interessen oder Meinungen von Mädchen und Pädagoginnen auseinander gehen, scheint Parteilichkeit normativ zu wirken und das Argument für die Vermeidung von Konflikten mit Mädchen zu liefern und damit die darin liegenden Chancen der Ausweitung von Selbstbestimmung zu verpassen.

An dieser Stelle müsste das theoretische Konzept feministischer Mädchenpädagogik weitergeführt werden. Folgende Frage stellt sich aufgrund der empirischen Untersuchung pädagogischer Beziehungen: was bedeutet Konfliktorientierung für die Beziehungen von Mädchen und Pädagoginnen in Anerkennung der überwiegend negativen Konflikterfahrungen von Mädchen und Frauen in Beziehungen? (Vgl. dazu Bitzan 1998.) Ohne direkte Handlungsanweisungen zu geben, bestätigen sowohl Prengel (1993) als auch Großmaß (1993) diese Frageperspektive. Als analytisches Konstrukt für ein konfliktfähiges professionelles Selbstverständnis der Pädagogin ist das Subjekt-Subjekt-Modell pädagogischer Beziehungen von Prengel hilfreich. Dort werden die Wohlergehensansprüche von Mädchen und Pädagogin gleich anerkannt. Das Recht der Pädagogin auf eigenes Wohlbefinden wird als notwendig dafür angesehen, dass sie auf Bedürfnisse von Mädchen eingehen kann. Als Symbol dafür beschreibt sie zwei Menschen auf einem weiten Strand: Die Pädagogin hat Raum und läßt Raum für die Selbstbestimmung des Mädchens.

Ruth Großmaß analysiert ebenfalls die Notwendigkeit auf Seiten der Pädagogin, persönliche und institutionelle Grenzen anzuerkennen, um eine fördernde pädagogische Beziehung gestalten zu können. Sie betont die unvermeidliche Realität und letztliche Produktivität von Konflikten, die Affidamento, verstanden als ehrliche Beziehung zwischen Pädagogin und Mädchen, bedeutet. Es scheint sich zu lohnen, dieses Wagnis einzugehen, denn:

„Wenn Frauen und Mädchen sich an der Wegkreuzung der Adoleszenz begegnen, öffnet sich die Nahtstelle zwischen den Generationen, die Teil einer patriarchalen Kultur ist. Wenn Frauen und Mädchen sich zusammen dagegen wehren, die Beziehung um der „Beziehung“ willen aufzugeben, dann liegt in dieser Begegnung das Potential für eine soziale und eine kulturelle Veränderung.“ (Brown/Gilligan 1994, S. 256)

Die Mädchen beziehen Aussagen über ihre Beziehung zu den Pädagoginnen im Mädchentreff klar auf die Grenzen und Möglichkeiten eines pädagogischen Settings. In ihren positiven und negativen Rückmeldungen an die Pädagoginnen wird deutlich, was sie sich wünschen. Sie schätzen, dass sie im Mädchentreff auf unkomplizierte Art und Weise Unterstützung, Rat und Entlastung erfahren. Der Kontakt zu erwachsenen Frauen, mit denen sie nicht privat oder familiär verbunden sind, ist ihnen wichtig. „Unverstrickt und doch vertraut“ (Bitzan/Daigler 2001, S. 175) kennzeichnet treffend die positive Qualität pädagogischer Beziehungen für Mädchen. Sie holen sich, was sie in ihrer jeweiligen Lebenssituation brauchen. Die Mädchen kritisieren scharf, wenn die Pädagoginnen mit dem Argument, zu helfen, eigenmächtig handeln und in ihre Selbstbestimmung eingreifen. Dies wird als Verhalten dargestellt, das sie nicht erwartet hätten. Als Eingriff in ihre Selbstbestimmung empfinden sie auch, wenn sie merken, dass sie im Kontakt bestimmte Erwartungen der Pädagoginnen erfüllen sollen und ihr eigenwilliges Agieren nicht gefragt ist.

Die Mädchen akzeptieren die Rolle der Pädagogin als Betreuerin und verantwortliche Hausherrin im Mädchentreff. Aber sie verlangen, dass die Pädagogin mit dieser Rolle eindeutig umgeht, sowohl in Bezug auf authentischen Kontakt als auch in Bezug auf Regeln und Machtbefugnisse im Mädchentreff.

Die Aussagen der Mädchen sind Aufforderung und Ermutigung an die Pädagoginnen, ihre Lebenserfahrung und ihre Ansichten einzubringen, mit ihrem Mehr an Wissen und Macht im Mädchentreff offen umzugehen.Die Mädchen wollen einen klaren Umgang mit der Verschiedenheit zwischen Pädagoginnen und Mädchen auf der Basis gleicher Anerkennung der jeweiligen Lebenssituationen und Bedürfnisse. Sie wollen die Anerkennung ihrer Selbstbestimmung in Bezug auf eigene Entscheidungen und sie wollen die Auseinandersetzung über Regeln im Mädchentreff. Die Haltung der Mädchen in ihren Ausführungen ist selbstbewusst und klar zwischen sich und den Pädagoginnen unterscheidend. Ob sie diese Reife wegen der Beziehungsmöglichkeiten im Mädchentreff zeigen, kann hier nicht entschieden werden. Jedenfalls finden sie dort ein verlässliches Übungsfeld für genau diese Auseinandersetzungen (vgl. Möhlke/Reiter 1995; Wolf 1998).

Die Mädchen haben ein Modell von Gleichheit und Differenz für die Beziehungen zu den Pädagoginnen im Mädchentreff, ein Modell, das auf der Basis gleicher Anerkennung die Verschiedenheit der Beteiligten und ihrer Rollen wahrnimmt und positiv schätzt.

Mädchenarbeit als Bildung zu Selbstbestimmung

Bildungspotentiale von Mädchenarbeit liegen darin, dass Mädchen die Möglichkeit haben, im Prozess des erwachsen Werdens ihre Lebenserfahrung zu thematisieren und sich damit selbstbestimmtem Handeln anzunähern ? aber warum brauchen sie dafür ein geschlechtshomogenes Angebot?

Moderne Mädchen sind starke Mädchen, sie können alles, sie haben keine Probleme. Attraktiv am diesem veränderten Mädchenbild ist die Unterstellung von Durchsetzungsvermögen und Kompetenz. Problematisch daran ist, dass bei Mädchen wirkliche Durchsetzung im Sinne von Eigensinn nicht gefragt ist. Unsere Kultur ist nach wie vor geprägt von der Haltung, dass Mädchen stets den Erwartungen anderer an sie entsprechen sollen. Der Wechsel vom braven zum starken Mädchen ist klischeehaft insofern, als die Qualitäten der Zuschreibungen nicht interessieren. So hat im Grunde gar kein Wechsel des Mädchenbildes stattgefunden. Ironisch zugespitzt ließe sich formulieren: früher sollten Mädchen brav und brav sein, heute sollen Mädchen stark und brav sein.

Das Bild der „Stärke“ dethematisiert Überforderungs- und Unsicherheitserfahrungen von Mädchen. Erfahrungen von Zurücksetzung gegenüber Jungen und Konflikte im Prozess des Vereinbarens Ausbildungsbezogener mit Beziehungsorientierten Wünschen und Zielen werden tabuisiert.

Feministische Parteilichkeit als ein Eintreten für eigene Orte für Mädchen, in denen sie sich untereinander und mit parteilich auf ihrer Seite stehenden Pädagoginnen diesen Verunsicherungen annähern können, erscheinen vor diesem Hintergrund als gesellschaftlich notwendiges Korrektiv gegen die Zumutungen, die die Moderne für heranwachsende junge Frauen bereithält.

In Folge der positiven Erfahrungen der Mädchenarbeit werden im Moment entsprechende Konzepte für Jungen gefordert. Falsch verstanden ist der Zusammenhang, wenn er als „- jetzt sind die Jungen dran!“ formuliert wird. Mädchenarbeit und Jungenarbeit sind Teil qualifizierter Jugendarbeit. Sie sind jedoch nur dann langfristig erfolgreich, wenn sie konzeptionell als Regelangebot verankert sind und nicht als Sonderangebot der Mädchen- oder Jungenförderung. Mädchen und Jungen nehmen ihre Selbstbestimmung so ernst, dass sie dazu mit Recht sagen: „Das haben wir nicht nötig!“

 

Ulrike Graff, ( Jg. 1957) Dr. phil., Dipl. Päd., Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft „Mädchenarbeit in NRW“ e.V., Schwerpunkte: Theorie und Praxis feministischer Mädchenpädagogik, Vernetzung von Pädagoginnen. Ulrike Graff ist Mitglied im Beirat des ABA Fachverbandes. Dieser Beitrag wurde ins Netz gestellt im Oktober 2004.

 

 

 

 

Literatur

Beck, U: Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Frankfurt/M. 1993

Benner, D.: Grundstrukturen pädagogischen Denkens und Handelns. In: Lenzen (Hg.): Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Band 1, 1983, S. 283-300

Beyer, J. / Lamott, F./ Meyer, B.: Frauenhandlexikon. Stichworte zur Selbstbestimmung. München 1983

Bitzan, M./ Daigler, C.: Eigensinn und Einmischung. Einführung in Grundlagen und Perspektiven parteilicher Mädchenarbeit. Weinheim und München 2001

BKJ – Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung e.V. (Hg.): Kulturarbeit mit Mädchen. Remscheid 2000

Brezinka, W.: Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft. München 1974

Brown, L. M./ Gilligan, C.: Die verlorene Stimme. Wendepunkte in der Entwicklung von Mädchen und Frauen. Frankfurt/New York 1994

Brumlik, M.: Advokatorische Ethik. Bielefeld 1992

Dilthey, W.: Pädagogik. Gesammelte Schriften, Bd. IX. Stuttgart 1961

Gamm, H.-J.: Allgemeine Pädagogik. Die Grundlage von Erziehung und Bildung in der bürgerlichen Gesellschaft. Reinbek 1979

Gilligan, C.: Die andere Stimme. München 1984

Graff, U.: Selbstbestimmung für Mädchen. Pädagogische Auswertung der Theorie und Praxis des Mädchentreffs Bielefeld. Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hg.), Ideen & Konzepte Band 13, Münster 1999

Graff, U.: Selbstevaluative Forschung in einem feministischen Projekt. Überlegungen zu einem Prozess in Nähe und Distanz. In: Friebertshäuser, B./Prengel, A.. (Hg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. 1997, S. 731-744

Haasis, M.: Die feministische pädagogische Beziehung. Ausgewählte pädagogische Konzepte und der Beitrag des Affidamento. Königstein/Taunus 2002

Heinemann, G.: Mädchenarbeit im Stadtteil. In: Stiftung SPI – MÄDEA, Interkulturelles Zentrum für Mädchen und junge Frauen (Hg.): Mädchen in sozialen Brennpunkten. 2000, S. 193-207

Hornstein, W.: Bildungsziele und Bildungsaufgaben der Kinder- und Jugendarbeit auf der Grundlage jugendlicher Entwicklungsaufgaben. In diesem Band 2003

Jaeckel, M.: Weibliche Gegenkultur als Chance selbstbestimmten Lebens für Mädchen und junge Frauen. In: Hartmann u.a. (Hg.): Lebensformen und Sexualität. 1998, S. 122-126

Lemmermöhle, D.: Persönlichkeitsentwicklung und Geschlecht. Ziele und Ansatzpunkte einer geschlechterbewußten Mädchen- und Jungenbildung. In: Die Deutsche Schule, H.2, 1996, S.192-197

Libreria delle Donne di Milano: Wie weibliche Freiheit entsteht. Berlin 1988

Metz-Göckel, S.: Koedukation – nicht um jeden Preis. Eine Kritik aus internationaler Perspektive. In: Behm, B.L. u.a. (Hg.): Das Geschlecht der Bildung. Die Bildung der Geschlechter. 1999, S. 131-147

Möhlke,G. / Reiter, G.: Feministische Mädchenarbeit – Gegen den Strom. Münster 1995

Mollenhauer, K.: Vergessene Zusammenhänge. München 1983

Muraro, L.: Weibliche Genealogie und Geschlechterdifferenz. Vorträge. Herausgegeben vom Verein Sozialwissenschaftliche Forschung und Bildung für Frauen e.V., Frankfurt/M. 1989

Prengel, A.: Pädagogik der Vielfalt. Opladen 1993

Schiefele, H.: Lernmotivation und Motivlernen. München 1974

Spender, D.: Frauen kommen nicht vor. Sexismus im Bildungswesen. Frankfurt/M. 1985

Sturzenhecker, B. (Hg.): Leitbild Männlichkeit. Was braucht die Jungenarbeit? Münster 1996

Thiersch, H.: Profession und Person. Zur Berufsidentität der SozialpädagogInnen. In: Böhnisch u.a. (Hg.): Jugendarbeit als Lebensort. 1998, S. 263-270

Walzer, M.: Sphären der Gerechtigkeit. Ein Plädoyer für Pluralität und Gleichheit. Frankfurt/M. 1992

Wolf, B.: Kann Jugendarbeit Halt bieten? In: Böhnisch u.a. (Hg.): Jugendarbeit als Lebensort. 1998, S. 169-181

Wollstonecraft, M.: Thoughts on the Education of Daughters. London 1787

Woolf, V.: Ein Zimmer für sich allein. Frankfurt/M. 1994

NAGEL-Redaktion – Selbstbestimmung als Bildungsziel in der Praxis eines Mädchentreffs Read More »

NAGEL-Redaktion – Beiträge zur Mädchenarbeit

Mädchenarbeit – Selbstbestimmung als Bildungsziel in der Praxis eines Mädchentreffs

 Ein Beitrag von Dr. Ulrike Graff
Zum Beitrag „Mädchenarbeit – Selbstbestimmung als Bildungsziel in der Praxis eines Mädchentreffs“

 

Leitlinien zur strukturellen Verankerung von Mädchenarbeit 

Leitlinien zur strukturellen Verankerung der Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen in der Jugendhilfe. Eine Arbeitshilfe der Landesjugendämter Westfalen-Lippe und Rheinland, Münster 2003 (317 KB, 73 Seiten)

 

Handbuch „Mädchenarbeit in der Migrationsgesellschaft“

Das Handbuch Mädchenarbeit in der Migrationsgesellschaft – Eine Betrachtung aus antirassistischer Perspektive von Güler Arapi und Mitja Sabine Lück (Girls Act-Projekt am Mädchentreff Bielefeld) kann hier geladen werden. (65 Seiten, 615 KB)

Literaturliste der LAG Mädchenarbeit NRW

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Landesarbeitsgemeinschaft Mädchenarbeit NRW

NAGEL-Redaktion – Beiträge zur Mädchenarbeit Read More »

NAGEL-Redaktion – Geschlechterbewusste Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

Der ABA Fachverband befasst sich seit etlichen Jahren mit den Ansätzen „Mädchen- und Jungenarbeit“. Aus diesem Grund gibt es auch eine gezielte Zusammenarbeit mit den nordrhein-westfälischen Verbänden Landesarbeitgemeinschaft Mädchenarbeit und Landesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit.

Mittlerweile hat sich auch der Sozialverein für Lesben und Schwule e.V. (SVLS) dem ABA Fachverband als Mitglied angeschlossen. In der Broschüre „Wir sind viele! Geschichten von jungen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*Menschen“ geben ein paar junge Menschen authentische Einblicke in sehr persönliche Momente aus ihrem Leben – über Coming Out, erste große Liebe und andere positiven und negativen Erfahrungen. Sie sprechen aus, was andere sich nicht trauen und beweisen damit sehr viel Mut. Sie lassen uns teilhaben an ihren Ängsten, Sorgen, Gedanken, Gefühlen und Erfahrungen.

Der ABA Fachverband und die LAG Mädchenarbeit unterstützen sich darüber hinaus durch eine gegenseitige Mitgliedschaft. Bei der LAG Jungenarbeit ist der Referent des ABA Fachverbandes, Rainer Deimel, persönliches Gründungsmitglied.

Wir haben einige Dokumente hier und auf weiteren Unterseiten eingestellt. Darüber hinaus empfehlen wir die Nutzung der Internetseiten der genannten Verbände.

Hier finden Sie Weiteres auf inzwischen separaten Seiten (Links siehe weiter unten).

Beiträge auf dieser Seite

Leitlinien zur Mädchenarbeit in der offenen Arbeit in der Schweiz

Jungen vernachlässigt: Studie kritisiert einseitige Berufsberatung in Europa

So titelt die WAZ vom 8. Juni 2010 unter Berufung auf den Bericht „Geschlechterunterschiede bei Bildungsresultaten: Derzeitige Situation und aktuelle Maßnahmen in Europa“. Der Bericht wird verantwortet vom EU-Bildungswerk „Eurydice“ und am 7. Juni 2010 veröffentlicht. Die WAZ schreibt weiter, geschlechterspezifische Berufsberatung konzentriere sich meist auch Mädchen. Diese würden ermutigt sich für einen technischen oder naturwissenschaftlichen Beruf zu entscheiden. Bei den Jungen hingegen verfüge kein Land über eine Strategie, diese in einen traditionell weiblichen Beruf zu vermitteln. Die Tatsache, dass Jungen in der Schule schlechter abschnitten, würde darüber hinaus vernachlässigt. Interessierte können sich die Studie (158 Seiten) per Mausklick über vorstehenden Titel herunterladen. 

Väter

DJI Bulletin 83/84 (Heft 3/4 2008): Wege in die Vaterschaft – Vorstellungen vom Vatersein – Kinder wünsche junger Väter – Ältere Väter – Inhaftierte Väter. Bulletin PLUS: Väterbilder – Vätertypen – Stichworte zu historischen und empirischen Variationen (56 Seiten, 2,8 MB)
Herunterladen

Mädchen und Jungen in Deutschland – Lebenssituationen, Unterschiede, Gemeinsamkeiten

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat gemeinsam mit dem Deutschen Jugendinstitut die gegenwärtige Lebenssituation von Mädchen und Jungen in Deutschland untersucht. Dabei zeigt sich, dass die meisten jungen Frauen und Männer heute mit Selbstvertrauen und klarem Bewusstsein für die eigene Verantwortung in die Zukunft blicken. Sie können und wollen ihre Chancen nutzen und ihre Lebenswege selbst gestalten. Die vorliegende Broschüre gewährt einen differenzierten Einblick in die vielfältigen Lebenswelten von Mädchen und Jungen. Sie stellt dabei die bestehenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Jungen und Mädchen gegenüber. Außerdem werden Initiativen und Maßnahmen vorgestellt, die für junge Frauen und Männer günstige Rahmenbedingungen und gleiche Chancen für einen guten Start ins Leben schaffen. (96 Seiten, 596 KB, November 2007)
Publikation herunterladen

 

Gender – (k)ein Thema für Erzieherinnen? Typisch männlich, typisch weiblich – oder die Frage: Wer erzieht hier wie?

 Ein Beitrag von Katrin Kogel

Gilt der Beruf der Erzieherin immer noch als typisch weiblich? Ist es für manchen Mann unter seiner Würde, in einem von Frauen dominierten Beruf zu arbeiten? Sind (nur) Männer die geeigneten Personen für (Gruppen-)Leitungspositionen in sozialpädagogischen Arbeitsfeldern? Welche Faktoren machen das Genderprinzip notwendig, wenn auch schwierig in seiner Umsetzung? Diese und weitere Fragen werde ich im Folgenden diskutieren und darüber hinaus meine Erfahrungen aus Schule und Praxis einfließen lassen.
Beitrag herunterladen

 

Gender * Gleichstellung * Projekte

 Texte und Beispiele vom Zentrum polis – Politik – Herausgegeben vom österreichischen Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
Herunterladen

Gender-Mainstreaming: Mädchen- und Jungenarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe in NRW. Expertise zum 8. Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung NRW. (881 KB, 96 Seiten 

Gender – Geschlechterdebatten – Angleichung der Geschlechter – Gewalt und Geschlecht – Jungenarbeit – ein Defizit? – Gender Mainstreaming – Kinder- und Jugendhilfe – ohne Männer? (DJI Bulletin 75/2006, 40 Seiten, 2,2 MB)

Mädchen- und Jungenarbeit in Bewegung (Schwerpunkt LVR – Jugendhilfe-Report 1/2005) (19 Seiten, 558 KB)

 

Spezialseiten

Zur ABA-Seite „Jungenarbeit“

Zur ABA-Seite „Mädchenarbeit“

Fachorganisationen in Nordrhein-Westfalen

Überregionale Kontakte und Empfehlungen

Landkarte zur Chancengleichheit: Das Online-Portal zum Gender-Index zeigt den regionalen Stand der Chancengleichheit – Zum Portal: Auf das Logo klicken!

SOWIT – Sozialwissenschaftliches Institut Tübingen

Netzwerk Männergesundheit des SOWIT

Zur Newsletter-Seite des Netzwerks Männergesundheit

NAGEL-Redaktion – Geschlechterbewusste Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Read More »

NAGEL-Redaktion – Archiv der Jugendkulturen retten!

Der ABA Fachverband ruft zur Rettung des Archivs der Jugendkulturen auf!

Nur noch wenige Tage, um das Archiv der Jugendkulturen zu erhalten!

Noch nie war das Archiv der Jugendkulturen so viel in den Medien wie in den letzten Wochen, so zum Beispiel der Kulturzeit-Beitrag auf www.jugendkulturen.de. In mehr als 60 Blogs wird derzeit zu Spenden aufgerufen. Doch leider schlägt sich diese Präsenz nicht in Spenden nieder: Rund 400 Euro gehen bei uns täglich ein – das ist durchaus beeindruckend, wenn zum Beispiel ein 14-Jähriger uns 10 Euro überweist und in der Mail dazu mitteilt, er würde gerne mehr spenden, „aber ich bekomme nur 20 Euro Taschengeld im Monat, vielleicht geht nächsten Monat wieder was“. Dennoch: Es wird nicht reichen!

Am 31. Oktober 2010 müssen die Verantwortlichen des Archivs der Jugendkulturen definitiv entscheiden, ob sie ihren Mietvertrag kündigen oder verlängern. Letzteres wird ohne die Perspektive einer Stiftung nicht möglich sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen es nicht mehr, jeden Monat privat das Defizit auszugleichen (derzeit rund 2.000 Euro monatlich). Und mit dem bisherigen Spendeneingang wird es am 31. Oktober leider heißen: Alles muss raus!

Dabei wäre es eigentlich so einfach: Wenn nur jeder Leser und jede Leserin des i-Punkts heute 10 Euro überweist, wäre das Ziel bereits erreicht! „10 Euro“, so Klaus Farin, einer der Engagierten beim Archiv für Jugendkulturen, „ich denke, das kann sich jede/r leisten. Und ich hoffe sehr, dass unser Engagement im Archiv der Jugendkulturen Ihnen diese 10 Euro wert sind. Helfen Sie bitte mit, dass unsere derzeit 29 MitarbeiterInnen in der Fidicinstraße 3 (davon 21 ehrenamtlich!) auch nach dem 31. Oktober hier noch einen Ort für ihr Engagement finden!“ Das Spendenkonto ist weiter unten zu finden. Klaus Farin steht übrigens gern für weitere Informationen zur Verfügung!

Kontakt:

Archiv der Jugendkulturen e.V.
Fidicinstraße 3
10965 Berlin
Telefon 030/612 03 318
Fax 030/691 30 16
klaus.farin@jugendkulturen.de
www.jugendkulturen.de
www.klaus-farin.de
www.culture-on-the-road.de

Kurzpräsentation Archiv (Film):

http://cms.cityguide.com/myvideo.jsp?movieRef=90903153947341950_ArchivderJugendkultu_de

Ust.-ID: DE203272846

Registergericht : Amtsgericht Charlottenburg, 18139 Nz

Spendenaufruf

Das Archiv der Jugendkulturen geht stiften!

Und Sie können ein Teil davon sein.

Das Berliner ARCHIV DER JUGENDKULTUREN e.V. existiert seit 1998 und hat sich zur Aufgabe gemacht, den Klischees und Vorurteilen über „die Jugend“ und ihre Lebens- und Freizeitwelten differenzierte Informationen entgegenzusetzen. Zu diesem Zweck betreibt es eine eigene umfangreiche Jugendforschung, publiziert deren Ergebnisse, aber auch autobiografische Texte und vieles mehr in seiner archiveigenen Verlagsreihe. Das Archiv der Jugendkulturen sammelt zudem Zeugnisse aus und über Jugendkulturen (Bücher, Diplomarbeiten, Medienberichte, Fanzines, Flyer, Musik etc.) und stellt diese in seiner Präsenzbibliothek der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung. Punk, Techno, HipHop, Gothic, Skinhead, Emo … von der Bravo über Punk-Fanzines, den ersten Techno-Flyern bis hin zu Schülerzeitungen – hier ist alles zu finden.

Mit dem Projekt „Culture on the Road“ wird kulturelle und politische Bildung in interaktiven Workshops mit Informationen über die Geschichte und Wurzeln der Jugendkulturen verbunden. Ziel ist es, jugendkulturelle Vielfalt fundiert und authentisch zu vermitteln, politisches Bewusstsein zu schärfen, tolerante Haltungen zu unterstützen und einen Beitrag zur Gewalt- und Rechtsextremismusprävention zu leisten. Schon mehrfach wurde das Archiv der Jugendkulturen für seine Arbeit ausgezeichnet, so zum Beispiel

2003 vom Bündnis für Demokratie und Toleranz
2007 vom Jugendforum im Berliner Abgeordnetenhaus
2009 von der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“

Nun geht das Archiv stiften! Das seit 12 Jahren erfolgreich als gemeinnütziger Verein arbeitende Archiv der Jugendkulturen will nun eine Stiftung gründen. Warum das? Das Archiv erhält bis heute keinen Cent Regelförderung und arbeitet seit seinem Bestehen mit auf Zeit geförderten Stellen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel ehrenamtliches Engagement sich dort findet. Doch auf Dauer braucht eine derartige Einrichtung wenigstens eine oder zwei hauptamtliche Stellen und die Sicherung der Grundkosten. Das ist zurzeit nicht gegeben – immer wieder müssen Vereinsmitglieder oder MitarbeiterInnen sogar privat Gelder spenden, um die laufenden Kosten zu zahlen. Damit ist die Existenz dieser in Europa einmaligen Einrichtung in regelmäßigen Abständen akut gefährdet.

Eine Stiftung bietet Sicherheit und Kontinuität im Fortbestand des Archivs der Jugendkulturen und der daraus resultierenden kulturellen und politischen Arbeit mit und für Jugendliche(n) – und das unabhängig von der Vergabe von Fördergeldern.

Wozu brauchen wir ein Archiv der Jugendkulturen?

Wir alle sind die Summe unserer Geschichte, wir alle handeln, leben und beziehen Position aufgrund unserer Erfahrungen, die wir in unserer Jugend gemacht haben; Jugendkultur, auch in all ihren Extremen, nimmt Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung – und wir alle brauchen das Wissen um unsere Wurzeln, um unseren Standort zu bestimmen, um nicht ges(ch)ichtslos zu sein – gerade in einer so schnelllebigen Zeit wie der heutigen.

Die Ziele der Stiftung

Förderung der Jugendkulturforschung – auch international! Die zu gründende Stiftung hat sich jedoch viel mehr vorgenommen als „nur“ die Erhaltung des Berliner Archivs der Jugendkulturen. In der Satzung heißt es dazu: „Gesamtgesellschaftliches Ziel der Stiftung ist stets die Förderung von Toleranz und Weltoffenheit, der Abbau und die Ächtung von Gewalt, Rassismus, Sexismus und anderen totalitären und menschenfeindlichen Einstellungen und Verhaltensweisen von Einzelpersonen wie auch Institutionen und der Ausbau und die Förderung demokratischer Partizipation nicht nur von Jugendlichen mit dem Ziel einer lebendigen Demokratie.“ Zweck der Stiftung ist die Sammlung, Erforschung und Vermittlung von Kenntnissen über jugendliche Kulturen und Lebenswelten bzw. die Förderung solcher Aktivitäten sowie die Förderung von Toleranz und kultureller Vielfalt in und zwischen allen Generationen.

Weitere Informationen: http://www.jugendkulturen.de/home/stiftungsaufruf/162-auszug-aus-der-stiftungssatzung

Was können Sie tun, um ein Teil davon zu sein?

Ermöglichen Sie jetzt durch Ihre Spende die Gründung der Stiftung! Helfen Sie mit, die engagierte und einmalige Arbeit des Archivs der Jugendkulturen langfristig zu sichern und auszubauen! Stiftungen sind Projekte für die Ewigkeit. Sie können ganz am Anfang dabei sein und einen der ersten Bausteine setzen für ein Haus, das auch in Jahren und Jahrzehnten noch von engagierten BewohnerInnen belebt sein wird!

Was haben Sie davon?

Neben der Tatsache, dass Sie noch Ihren Enkeln erzählen können, wie Sie dazu beigetragen haben, dieses einzigartige Projekt zu sichern, 

• sind Stiftungsgelder zu einem erheblichen Teil steuerlich absetzbar.
• Sie können Ihre Stellungnahme über die Wichtigkeit der Bewahrung von Jugendkulturen auf der Internetseite des Archivs veröffentlichen und als Stifter präsent sein.
• Sie können sich still für sich ganz alleine über Ihr Mitwirken freuen.
• Sie können die Form Ihres Engagements individuell und Ihren Bedürfnissen entsprechend mit Klaus Farin vom Archiv der Jugendkulturen besprechen.

Was können Sie nun konkret tun?

100.000 Euro sind notwendig, um die Stiftung zu gründen. Helfen Sie uns mit Ihrer Spende – jede Summe ist ein weiterer Baustein zur Realisierung unserer Vision. Hierhin können Sie Ihre Spende überweisen:

Spendenkontonummer: 1241383853

BLZ: 500 502 01

Bank: 1822direkt Frankfurter Sparkasse

Konto-Inhaber: Klaus Farin

Zweck: Spende Stiftung

Für internationale Überweisungen:

IBAN: DE85 5005 0201 1241 3838 53

BIC: HELADEF1822

Bitte senden Sie parallel eine E-Mail über das Internet an das Archiv (http://www.jugendkulturen.de/home/spenderinnenverzeichnis/161-ihre-daten). Dann werden Sie über den Fortgang auf dem Laufenden gehalten.

Alle SpenderInnen werden (wenn Sie es möchten) im Spendenverzeichnis (http://www.jugendkulturen.de/home/spenderinnenverzeichnis) im Internet genannt.

Der ABA Fachverband ruft dazu auf, sich an dieser Gründungsaktion zu beteiligen!

 

Die „taz“ vom 16. August 2010 berichtete:

 

Archiv der Jugendkulturen vor dem Aus: Gefahr fürs Seelenheil

Das Berliner Archiv der Jugendkulturen erforscht seit zwölf Jahren den Alltag von Teenagern. Es nimmt sie ernst, statt Panikthesen zu verbreiten. Jetzt steht die bundesweit einmalige Einrichtung vor dem Aus.

Konzentrierte Stille herrscht im Raum, der bis obenhin vollgestopft ist mit Büchern und Zeitschriften. Am Tisch sitzt eine junge Frau und blättert in Büchern über Skinheads. Sie ist extra aus Österreich angereist, um für ihre Diplomarbeit zu recherchieren. Auf dem Boden wühlt sich ein Pärchen im Erstsemesteralter durch einen Stapel Street-Art-Magazine. Eine Grundschulklasse stürmt die Zeitschriftenregale – die Jungs und Mädchen wollen alles über ihre Lieblingszeitschrift Bravo erfahren. Nach der stichprobenhaften Sichtung der Jahrgänge 1956 bis 2010 („Was, so sah Madonna mal aus?!“) ziehen sie beeindruckt von dannen.

Ein normaler Vormittag im Archiv der Jugendkulturen in Berlin-Kreuzberg. Auf 700 Quadratmetern forschen Jung und Alt über die Jugend und können dabei auf rund 6.000 Bücher, 400 wissenschaftliche Arbeiten, 28.000 Zeitschriften sowie unzählige Tonträger, Presseausschnitte und Flyer zurückgreifen. Wer an einer Masterarbeit über malayischen Punk schreibt oder wissen will, ob Black Metal Gefahren fürs Seelenheil birgt, ist hier richtig.

Wie lange noch, ist aber fraglich: Das Archiv steht vor dem finanziellen Aus. Seit zwölf Jahren wurstelt man sich mit Projektgeldern, Spenden und ehrenamtlichem Engagement durch. Monatlich schießen die 28 MitarbeiterInnen nach eigenen Angaben rund 1.500 Euro aus eigener Tasche zu. Eine langfristige Perspektive erhoffen sie sich durch Gründung einer Stiftung: denn Stiftungen bringen Spendern Vorteile und bekommen leichter Fördergelder.

Am Interesse für die Arbeit der Forscher mangelt es jedenfalls nicht. „Es gibt großen Aufklärungsbedarf über die Jugend“, sagt Klaus Farin und grinst breit. Der 52-Jährige mit ergrauter Haarmatte und Muskelshirt ist so etwas wie Deutschlands oberster Jugendversteher. Im Gegensatz zu anderen sogenannten Jugendexperten – Soziologen, Kriminologen oder selbst ernannten Trendforschern – bemüht sich Farin um Nähe zu den Jugendlichen, die er erforscht.

„Der optimale Jugendforscher war selbst mal Teil einer Jugendkultur, hat aber genug Distanz zur Szene aufgebaut, um von außen draufzuschauen“, sagt er. Farin war früher Punk – schon während seiner Schulzeit in Gelsenkirchen grub er sich in die Szene ein und hortete mit Forschungseifer sämtliche Hervorbringungen, von Flyern bis zu selbst gemachten Fanzines. Später kamen andere Jugendkulturen dran, Skinheads, Hooligans, Gothics. Als Farin seine Sammlung einer Universität spenden wollte und auf Desinteresse stieß, beschloss er, ein eigenes Archiv für die flüchtigen Gegenkulturzeugnisse zu eröffnen – in Berlin, dem Treffpunkt für alle möglichen Jugendkulturen.

Vielen der 28 zumeist ehrenamtlichen MitarbeiterInnen sieht man ihre Szenezugehörigkeit an: Irokesen, Dreadlocks, Symbole auf Haut und T-Shirts. Monica Hevelke, die BesucherInnen durchs Archiv führt, trägt dicke HipHopper-Turnschuhe zu bunten Tatoos. Die 28-Jährige stieß über das Breakdancen zum Archiv. Jetzt hält sie Jugendgruppen Vorträge über HipHop-Geschichte und berät Pädagogen beim Erstellen von Kursangeboten.

„Ein bisschen Neugier auf andere Szenen muss man mitbringen“, sagt sie und zeigt auf das Regal mit den Eigenpublikationen des Archivs: Bücher über Vietnamesinnen in Deutschland, Hausbesetzer in Potsdam, Skinheads. Hevelke hat fast überall mal reingeschaut. Auch ins Schriftgut der rechten Szene, das in einem verschlossenen Schrank lagert und nur für spezifische Forschungszwecke herausgegeben wird. „Ekelhaft“, findet Hevelke. Aber: „Man muss doch wissen, worüber man redet – alles andere wäre peinlich.“

Wissen, worüber man redet – es ist diese Einstellung, die das Archiv der Jugendkulturen so besonders macht. Pauschales Gejammer über Verrohung oder Oberflächlichkeit der Jugend lässt man hier nicht gelten. Besonders Klaus Farin ist jederzeit bereit, für die Jugendlichen Partei zu ergreifen. „Wir haben die bravste Jugendgeneration seit langem“, sagt er und liefert aktuelle Entwicklungen gleich mit: Der Alkoholkonsum stagniere, der Tabakkonsum befinde sich auf einem historischen Tiefstand.

Auch die Jugendkriminalität sei in fast allen Bundesländern rückläufig. Trotzdem begegne man der Jugend mit Skepsis und Repressionen. „Der Umgang mit Jugendlichen wird immer autoritärer“, sagt Farin und berichtet von Baggy-Pant-Verboten in Freibädern. In seinen Worten klingt mit: Das hat die Jugend nicht verdient.

Teenager verdienen es, ernst genommen zu werden, das ist das Motto des Jugendarchivs. Ob eine Jugendkultur erst durch die Bravo zum Massenphänomen wurde, wie bei den androgyn auftretenden „Emos“, oder ob es wie beim „Parcours“ darum geht, über urbane Hindernisse zu hüpfen: Wenn es genug Leute tun und damit öffentliche Aufmerksamkeit erregen, handelt es sich um eine Jugendkultur, die es verdient, erforscht zu werden.

Auch wenn die Szenen immer schneller wechseln – die Motive, sich einer Jugendszene anzuschließen, sind seit der Wandervogel-Bewegung im 19. Jahrhundert gleich geblieben: Freunde finden, sich gegen den langweiligen Rest der Gesellschaft abgrenzen und zusammen etwas Eigenes schaffen. Gemeinsame Rituale, Mode, Sprache und Musik sind der Kitt dieser Gemeinschaften. Dass die heute weniger langlebiger sind als früher – Jugendliche zwischen 13 und 20 wechseln im Schnitt viermal die Szene – tue dem Gebot, sie ernst zu nehmen, keinen Abbruch, sagt Jugendforscher Farin.

Neben dem Archivieren ist das Vermitteln Hauptaufgabe der Kreuzberger Einrichtung. Workshops für Schulklassen und Projektgruppen, Wanderausstellungen zu Street Art oder den Lebenswelten von Berliner Einwanderern – die Nachfrage ist groß. Auch von Seiten der Polizei: Der jährliche Graffiti-Workshop für Beamte mit anschließendem Expertenrundgang durch Kreuzberg erfreue sich reger Beliebtheit, erzählt Farin. Lehrer und Politiker holten sich ebenso gern eine Portion Sachverstand, um sich auf dem Laufenden zu fühlen. Der Pluspunkt des Archivs – die aktive Beteiligung Jugendlicher – ist zugleich die offene Flanke der Einrichtung, die seit ihrem Bestehen ums finanzielle Überleben kämpft.

Für wissenschaftliche Fördertöpfe sind die Methoden der Jugendforscher zu unorthodox, für die Sozialarbeit zu wenig pädagogikorientiert. Außerdem reden Farin und seine MitstreiterInnen mit allen, ob Skins, Punks, Sprayer oder Hooligans. Das öffentliche Interesse ist aber nicht an allen gleich. Während Geld für MigrantInnenprojekte derzeit leicht aufzutreiben ist, haben es Forschungen im Punkmilieu eher schwer. „Vielleicht sollten wir mehr zu Linksextremismus forschen“, sagt Farin sarkastisch und bezieht sich damit auf die derzeitigen Debatten zu autonomer Gewalt und Regierungsprogrammen gegen Linksextreme.

HipHop-Expertin Monica Hevelke sieht ihre Forschungstätigkeit eher pragmatisch. Mit einem Zweitjob und viel finanzieller Bescheidenheit kommt die Slawistikstudentin knapp über die Runden. Dafür hat sie gerade Projektmittel für einen Radio-Workshop mit Jugendlichen genehmigt bekommen. „Wie viel Geld man hat, ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, was Sinnvolles zu tun“, sagt sie. Und verschwindet dorthin, wo sich zwischen den „Mitteilungen der Karl May Gesellschaft“, einem Berg aus Schülerzeitungen und Magazinen aus der Technoszene noch jede Menge ungeordnetes Archivmaterial stapelt. Es gibt noch viel zu ordnen im Gedächtnis der Jugendkulturen.

Archiv geht stiften

Problem: Dem 1998 gegründeten Archiv der Jugendkulturen geht langsam die Puste aus. Seit der Gründung lebt die Kreuzberger Einrichtung von Spenden, ehrenamtlicher Arbeit und Projektmitteln. Unter anderem aus dem Bundesprogramm „Vielfalt tut gut“ und der Bundeszentrale für politische Bildung. Institutionelle Förderung gab es noch nie. Nun können die 28 MitarbeiterInnen um den Jugendforscher Klaus Farin den Unterhalt ihres auf 700 Quadratmeter angewachsenen Archivs nicht mehr zahlen: 1.500 Euro zahle man monatlich aus der eigenen Tasche für die Miete drauf.

Lösung: Das Jugendarchiv, das mit seinen 6.000 Büchern und 28.000 Zeitschriften eine weltweit einzigartige öffentlich zugängliche Sammlung besitzt, will eine Stiftung gründen. Mit der Kampagne „Das Archiv geht stiften“ sammeln die Macher die notwendigen 100.000 Euro Kapital. Bislang erhielten sie ein Drittel und außerdem jede Menge Unterstützung – unter anderem ausgerechnet von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Die ist wahrscheinlich froh darüber, dass die ganzen Black-Metal-Videos, HipHop-Tonträger und Skinhead-Blättchen schön übersichtlich an einem sicheren Ort verwahrt werden. Mehr Informationen über das Archiv und seine Rettung unter www.jugendkulturen.de.

taz vom 16. August 2010 – Von Nina Apin

NAGEL-Redaktion – Archiv der Jugendkulturen retten! Read More »

NAGEL-Redaktion – Virtuelles Museum: Geschichte der Pädagogik

Vieles von dem, was uns vielleicht einmal lieb und teuer, vielleicht auch unangenehm oder verhasst war, droht im Laufe der Zeit mehr oder weniger unbemerkt „unterzugehen“. Aus diesem Grunde hat suich die NAGEL-Redaktion überlegt, in lockerer Folge hin und wieder Beiträge vor dem Vergessen zu retten und in diesem „virtuellen Museum“ unterzubringen. Wir wünschen viel Spaß beim Stöbern und freuen uns, wenn Sie uns mit passenden Schätzen versorgen mögen, die Ihrer Meinung nach hierher gehören. Und raten Sie mal, wen Sie auf dem vorstehenden Foto entdecken? Und wann kann das wohl gewesen sein? Und wo?


Pieter Bruegel d.Ä.: Kinderspiele

Der Geschichte der Offenen Arbeit haben wir eigene Seiten gewidmet. Gern nehmen wir weitere Beiträge zum Einstellen auf dieser Seite entgegen.

NAGEL-Redaktion

 

Herbst 2010

Der ABA Fachverband ruft zur Rettung des Archivs der Jugendkulturen auf!

Nur noch wenige Tage, um das Archiv der Jugendkulturen zu erhalten!

Noch nie war das Archiv der Jugendkulturen so viel in den Medien wie in den letzten Wochen, so zum Beispiel den Kulturzeit-Beitrag auf www.jugendkulturen.de. In mehr als 60 Blogs wird derzeit zu Spenden aufgerufen. Doch leider schlägt sich diese Präsenz nicht in Spenden nieder: Rund 400 Euro gehen bei uns täglich ein – das ist durchaus beeindruckend, wenn zum Beispiel ein 14-Jähriger uns 10 Euro überweist und in der Mail dazu mitteilt, er würde gerne mehr spenden, „aber ich bekomme nur 20 Euro Taschengeld im Monat, vielleicht geht nächsten Monat wieder was“. Dennoch: Es wird nicht reichen!

Am 31. Oktober 2010 müssen die Verantwortlichen des Archivs der Jugendkulturen definitiv entscheiden, ob sie ihren Mietvertrag kündigen oder verlängern. Letzteres wird ohne die Perspektive einer Stiftung nicht möglich sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, schaffen es nicht mehr, jeden Monat privat das Defizit aufzubringen (derzeit rund 2.000 Euro monatlich). Und mit dem bisherigen Spendeneingang wird es am 31. Oktober leider heißen: Alles muss raus!

Dabei wäre es eigentlich so einfach: Wenn nur jeder Leser und jede Leserin des i-Punkts kurzfristig 10 Euro überweist, wäre das Ziel bereits heute erreicht! „10 Euro“, so Klaus Farin, einer der Engagierten beim Archiv für Jugendkulturen, „ich denke, das kann sich jede/r leisten. Und ich hoffe sehr, dass unser Engagement im Archiv der Jugendkulturen Ihnen diese 10 Euro wert sind. Helfen Sie bitte mit, dass unsere derzeit 29 MitarbeiterInnen in der Fidicinstraße 3 (davon 21 ehrenamtlich!) auch nach dem 31. Oktober hier noch einen Ort für ihr Engagement finden!“ Das Spendenkonto ist weiter unten zu finden. Klaus Farin steht übrigens gern für weitere Informationen zur Verfügung!

Kontakt:

Archiv der Jugendkulturen e.V.Fidicinstraße 310965 BerlinTelefon 030/612 03 318Fax 030/691 30 16
E-Mail
Internet

Zur Extra-Seite

Beiträge

Zur Geschichte der Spielplätze

Dr. Daniel Rimbach, Landschaftsarchitekt aus Bad Liebenstein, ist es gelungen, im Rahmen seiner Dissertation eine tiefgründige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Gesamtentwicklung der öffentlichen Freiräume für Kinder zu führen und damit einen Blick auf die Frühgeschichte der Spielplätze (bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs) zu werfen. Hieraus wurde in der „FreeLounge – Fachmagazin für kommunale Frei-Räume“ in den Jahren 2009 und 2010 eine vierteilige Serie publiziert. Im Rahmen der Kooperation zwischen dem Bundesverband für Freiraum-Gestaltung (BFG) und dem ABA Fachverband ist es gelungen, diese äußerst interessanten Beiträge zu bekommen. Wir haben daraus eine Internetseite gestaltet und wünschen erhellende Erkenntnisse. Zur Seite gelangt man über vorstehenden Schriftzug. Wir empfehlen ferner einen Besuch auf den Seiten des BFG. Neugierig? Nachfolgendes Logo anklicken!

Spielen

Erprobungsmaßnahme des Landes Nordrhein-Westfalen: Verbesserung der Spielsituation für Kinder

In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre hat das Land Nordrhein-Westfalen verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zum „Spielen im Freien“ erprobt. Die Arbeiten begannen mit der Sammlung von Erfahrungen auf pädagogisch betreuten Spielplätzen. Die Ergebnisse wurden 1982 veröffentlicht (siehe weiter unten: „Pädagogisch betreute Spielplätze“). 

In der hier vorgelegten Broschüre wird deutlich, dass es nicht ausreicht, Spielplätze im herkömmlichen Sinne zu errichten; vielmehr komme es darauf an, Spielmöglichkeiten der verschiedensten Art mit unterschiedlichen Nutzungmöglichkeiten in den Wohngebieten zu integrieren. Der alltäglich Spielraum der Kinder müsse wieder bespielbarer gemacht werden; damit werde auch der Wohnwert der gesamten Umgebung positiv beeinflusst.

An der seinerzeitigen Modellmaßnahme haben sich neben den Landesjugendämtern Rheinland und Westfalen-Lippe die Jugendämter Aachen, Arnsberg, Bielefeld, Bonn, Düsseldorf, Gelsenkirchen, Gütersloh, Herne, Iserlohn, Köln, Mönchengladbach, Münster, Obverhausen und der Hochsauerlandkreis beteiligt. 

Die damaligen Bemühungen um angemessene Spielräume für Kinder ließen es uns sinnvoll erscheinen, die Dokumente hier für Interssierte unterzubringen. Wollen Sie stöbern? Dann klicken Sie auf vorstehendes Titelbild!

Pädagogisch betreute Spielplätze

Erfahrungsbericht der Mitarbeiter der Erprobungsmaßnahme des Landes Nordrhein-Westfalen

1982 wurde eine mehrjährige Erprobungsmaßnahme zu den Abenteuer- und Bauspielplätzen in Nordrhein-Westfalen abgeschlossen. Diese stand im Kontext zur Verbesserung der Spielsituation für Kinder im Lande. In jüngerer Zeit fand und findet das eine oder andere Jubiläum von pädagogisch betreuten Spielplätzen statt, bei dem bisweilen auch an dieses Projekt erinnert wird. Beteiligt waren seinerzeit 12 Abenteuer- und Bauspielplätze aus verschiedenen Gebieten des Landes. Seit 1971 gibt es in NRW Abenteuer- und vergleichbare Spielplätze. Im selben Jahr wurde auch der ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als „Landesarbeitsgemeinschaft Abenteuer-, Bau- und Aktivspielplätze NRW“ gegründet. Mitbegründer war übrigens der heutige Regierungspräsident von Arnsberg, Prof. Dr. Gerd Bollermann.

1998 wurden die Abenteuerspielplätze vom 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (S. 222) als „besonders bemerkenswertes kinderbezogenes Angebot“ bezeichnet; hier schienen sich „am ehesten orignäre kinderspezifische Ansätze entwickelt zu haben“. Vor diesem Hintergrund empfahl die seinerzeitige Bundesregierung (unter dem Kanzler Helmut Kohl), Abenteuerspielplätze „flächendeckend zu verstärken“. Dies ist angesichts der Entwicklung kindlichen Aufwachsens in der Zwischenzeit dringender denn je.

In unserem Archiv ruhte noch eine Broschüre zur Probemaßnahme, die ca. 10 Jahre nach dem Entstehen von Abenteuerspielplätze in NRW veröffentlicht wurde. Wir fanden sie zu schade, dass sie dort ein Mauerblümchendasein fristet und haben uns dazu entschlossen, sie hier wieder zugänglich zu machen, zumal etliche der damals geäußerten Erkenntnisse und Thesen nach wie vor ihre Richtigkeit haben. Interesse? Mit einem Mausklick auf den vorstehenden Titel gelangen sie auf die Seite mit den Inhalten der Broschüre.

Nicht nur Verstaubtes …

Für die ABA-Mitglieder werden nach und nach frühere, vom ABA Fachverband veröffentlichte Schriften ins ABA-Netz gestellt. Was in diesen zu finden ist, kann gesehen werden, wenn man vorstehenden Schriftzug anklickt.

 

Kinderläden

2008 jährte sich die Gründung der Kinderläden zum 40. Male. In „Kinderläden“ konnte man nicht etwa Kinder kaufen; vielmehr handelte es sich in der Gründerzeit vielmehr um ehemalige Ladenlokale, in den antiautoritär gesinnte Eltern ihre Kinder unterbrachten. Später nannten sich derartige Einrichtungen zumeist etwas umständlich „Elterninitiativen“.

Die „taz“  lieferte eine schöne Beschreibung unter dem Titel

Die Kinderläden

Im geschwätzigen Jubiläumsjahr kamen die Kinderläden nicht oder nur in Nebensätzen vor. Oder in diesem eigenartig hysterisierten Sound wie bei Sophie Dannenberg, selbst ein ehemaliges Ladenkind. Diese behauptete auf einer Veranstaltung im Mai dieses Jahres allen Ernstes, die antiautoritäre Erziehung sei in erster Linie eine „Anleitung zum Kindesmissbrauch“ gewesen.
Bei anderen Gelegenheiten war die Autorin der Meinung, Kinderläden seien „kryptostalinistische“ Umerziehungslager gewesen, die die „Entstrukturierung der Welt“ befördern. Die Wirklichkeit war harmloser, widersprüchlicher und vergnüglicher zugleich. Die Mütter waren es, die sich am politischen Aufbruch beteiligen wollten und deshalb 1968 in Berlin begannen – wie zuvor schon in Frankfurt – die Betreuung ihrer Kinder in leer stehenden Ladenwohnungen zu organisieren. Staatliche Kindergarten und -hortplätze waren knapp, die Erziehung war dort autoritär, und die dazugehörigen Männer zeigten sich tendenziell desinteressiert. 
Während des Internationalen Vietnamkongresses im Februar 1968 galt es, das Problem der Kinderbetreuung zu lösen. Daraus entstand im neu gegründeten „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ die Idee der gemeinschaftlichen Kindererziehung, zunächst als eine Art Selbsthilfe. Zum aufblühenden Feminismus kamen später die Impulse der Reformpädagogik, die auf Kinderbefreiung und Selbstverwaltung setzte.
Der wenig später gegründete „Zentralrat der sozialistischen Kinderläden“ versuchte, den antiautoritären Anteil zugunsten einer „proletarischen Erziehung“ zurückzudrängen. „Der Versuch, möglichst schnell andere Bevölkerungsschichten mit unseren Kinderläden zu erfreuen, mag darauf zurückzuführen sein, dass sich die Männer nach wie vor weigern, ihre eigenen Konflikte zu artikulieren. Im Augenblick haben wir der Arbeiterschaft nichts zu bieten“, kommentierte Helke Sander dieses Ansinnen in ihrer berühmten Rede auf dem SDS-Delegiertenkongress im September 1968.
Das Kinderladenexperiment konsolidierte sich, aus den autonomen wurden staatlich bezuschusste Kinder- und Schülerläden. Man zahlte nach Einkommen, ließ sich zu Koch- und Putzdiensten einteilen und diskutierte auf wöchentlichen Elternabenden die kindliche Psyche. Was die ersten von den heutigen Läden – neben einer ausgeprägten Diskussionswut – unterschied, war vor allem, dass dort stabile Gruppen beieinander waren, die schon vor der Schule zusammenkamen und sich die Schulzeit hindurch begleiteten.
Der Laden, von dem in diesem Beitrag die Rede ist, wurde Anfang 1969 in einer ehemaligen Tischlerei in Wilmersdorf bezogen. Er funktionierte rund zwanzig Jahre lang als Kinder- und später als Schülerladen. Danach hatte ihn eine neue Initiative bezogen, die dort – wenn auch um einiges pragmatischer organisiert – noch weitere sechzehn Jahre als einer von 180 senatsgeförderten Schülerläden verblieb. 2007 wurden die Berliner Schülerläden dann geschlossen, die Kinderbetreuung wird von nun an im schulnahen Hort abgewickelt.
Neben Anna Freud, Wilhelm Reich oder Erich Fromm war vor allem der Brite Alexander S. Neill ein wichtiger Stichwortgeber der Kinderladenbewegung. Sein Klassiker über die 1921 gegründete freie Schule Summerhill wurde in Deutschland 1969 bei Rowohlt unter dem Titel „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“ veröffentlicht – übrigens ein Begriff, den Neill selbst gar nicht verwendete. Er bezeichnete sein Konzept vielmehr als selbstregulative Praxis.
Bei Kindern beliebter war sein Abenteuerbuch „Die grüne Wolke“, 1971 erstmals bei Rowohlt erschienen: eine tolle Gute-Nacht-Geschichte, in dem auch das eine oder andere Blutbad vorkommt. Doch als V-Effekt, die das Gemetzel auf Abstand halten, sind nach jedem Kapitel die Spontankritik der zuhörenden Kinder eingebaut. Kindliche Gewaltfantasien, so Neill, wollen erst mal – gedanklich – ausgelebt werden, bevor sie sanft entschwinden können.
taz vom 13. Dezember 2008

In derselben Ausgabe der „taz“ gab es ferner den eindrucksvollen Beitrag „Wir Ladenkinder“ von Anne Huffschmid, die aus eigener Erfahrung berichtet.
„Wir Ladenkinder“ herunterladen

Zur Wikipedia-Seite „Kinderladen“

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Zur Wikipedia-Seite „Antiautoritäre Erziehung“

Zur Wikipedia-Seite „Schwarze Pädagogik“

Echte Museen

Spielzeugmuseen


Deutsches Historisches Museum, Berlin

Die Spielzeugsammlung des Deutschen Historischen Museums besteht als eigenständiger Sammlungsbereich innerhalb der Alltagskultur erst seit 1992. Inzwischen umfasst die Sammlung rund 4.000 Objekte.


Spielzeugmuseum Nürnberg

Die umfangreiche und außergewöhnlich qualitätvolle Sammlung des Spielzeugmuseums Nürnberg umfasst den Zeitraum von der Antike bis zur Gegenwart mit dem Schwerpunkt auf den beiden letzten Jahrhunderten.


Deutsches Spielzeugmuseum Sonneberg

Auf drei Etagen finden Sie hier Spielzeuge von der Antike bis zur Gegenwart: Ein tönernes Räderpferd, eine ratternde Dampfmaschine, Karussell, Achterbahn und eine große Modelleisenbahnanlage fesseln die Aufmerksamkeit. Im Reich der Puppen trifft man auf zarte Gebilde aus Papiermaché und Porzellan jeden Alters und aller Art.

 
Spielzeugmuseum Trier

 

Im Herzen der ältesten Stadt Deutschlands präsentiert das Spielzeugmuseum Trier auf über 500 qm, verteilt auf zwei Etagen,Spielzeugträume von der Antike bis zur Neuzeit: Blechspielzeug, Eisenbahnen, Zinnfiguren, Puppen, Puppenstuben, Plüschtiere, Dampfmaschinen und vieles mehr. In den verwinkelten Räumlichkeiten des Museums erzählen die Spielzeuge Geschichten aus über hundert Jahren, erfreuen die kleinen Besucher und lassen die großen von der eigenen Kindheit träumen; denn viele der mehr als 5.000 Exponate werden den älteren unter unseren Besuchern bekannt erscheinen.

Kindergartenmuseum, Bergisch Gladbach

Schulmuseen


Schulmuseum Hamburg

Westfälisches Schulmuseum in Dortmund

Die Seite wird fortgesetzt.

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ABA-Mitglieder begreifen sich als Solidargemeinschaft. Sie setzen sich in besonderer Weise für die Belange der Offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein.

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