18. Landeskonferenz der Spielplatzpaten NRW im ABA Fachverband am Samstag, 18. November 2017, in Essen

© Emanuela Danielewicz

Sandra Borgmann, Schauspielerin aus Hamburg, ist ehrenamtliche Botschafterin der Spielplatzpaten im ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Bei besagter Konferenz wollte sie gern anwesend sein, war leider aufgrund eines kurzfristig geplanten Drehtermins in Prag verhindert. Allerdings ließ sie es sich nicht nehmen, einen Brief an die Teilnehmer_innen der Konferenz zu schreiben. Dieser wurde während der Veranstaltung verlesen und stieß dort auf große Beachtung. Etliche Leute haben uns darum gebeten, den Brief zur Verfügung gestellt zu bekommen, zumal er hilfreiche fachliche und fachpolitische Inhalte enthält. In Absprache mit Sandra Borgmann kommen wir diesem Wunsch gern nach. Das Foto ist übrigens von Emanuela Danielewicz; zu finden ist es auch auf frisch produzierten Karten mit einem Zitat von Sandra Borgmann („Im Spiel wird das Leben geformt.“). Entworfen hat die Karten die Designerin Melanie Albers aus Münster. Dank von hier aus auch an Melanie Albers und Emanuela Danielewicz für ihre wunderbare Arbeiten!

Die Karten (unten abgebildet) können übrigens über den ABA Fachverband kostenlos bezogen werden (gewünschte Stückzahl nicht vergessen!): ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Clarenberg 24, 44263 Dortmund, 0231/985 20 53, oscar.borkowsky@ABA-Fachverband.org

Die Resolution „Kein Rückbau von Spielflächen“ (ursprünglich von der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz/GALK sowie des Beirats des Bündnisses „Recht auf Spiel“ verabschiedet) in der aktualisierten – durch ABA Anmerkungen ergänzten – Version, durch die 18. Spielplatzpatenkonferenz (18.11.2017) einstimmig beschlossen, findet sich hier: Kein Rückbau von Spielflächen.

Hier also nun die Zeilen, die uns Sandra Borgmann kurz vor der 18. Landeskonferenz der Spielplatzpaten aus Prag zugesandt hat: „Gerne wäre ich heute dabei – bei Vorträgen, Exkurs und Gesprächen über die Zukunft urbaner Spielräume, anstatt, wie es jetzt der Fall ist, in einem Prager Waldstück einen Mann umzubringen … Interessanterweise wenden wir uns in Prag dem anderen Ende der Leine zu: einer Gruppe von Delmenhorster Chormitgliedern, die im tschechischen Exil zusammenlebt, weil sie sich zu Hause von ihrer Rente keinen selbstbestimmten Lebensraum mehr leisten kann.

© Melanie Albers

Die Lebensräume aller in den Ballungszentren verengen sich – räumlich und zeitlich. Vor 30 Jahren war Fleisch teuer, Wohnraum bezahlbar und der Feierabend einer Uhrzeit zugeordet. Heute könnten wir uns zwar täglich ein Dutzend Hähnchenschenkel leisten – oder das, was ihnen ähnelt –, hätten aber weder Platz noch Zeit, sie zuzubereiten.

Hamburgs Schulkinder essen und schlafen zu Hause, die restlichen 9-12 Stunden des Tages gehören der Schule. Wenn Kultur und Identität einer Gesellschaft mit Wirtschaftlichkeit und Leistungserbringung gleich gesetzt wird, wird Lebensraum dazu verdammt, effektiv im Sinne der Wertschöpfung zu sein.

Yakamoz Karakurt schrieb 2011 in einem offenen Brief, der in der ZEIT veröffentlicht wurde: ‚Ich gehe in die 9. Klasse eines Hamburger Gymnasiums und habe ein Problem: Ich habe kein Leben mehr. [….] Mein Kopf ist voll. Zu voll. […] Was haben unsere Eltern davon, dass wir ihre Rente in 30 Jahren sichern, aber heute schon kaputt gemacht werden? […] Wir sollen Maschinen sein, die funktionieren, und das mindestens 10 Stunden am Tag. Aber funktionieren heißt nicht gleich lernen. Lernen bedeutet nämlich vor allem eins: Erfahrungen sammeln. […] Was bringt es mir, wenn ich die chemische Formel von Cola kenne? […] Wenn ich nach Hause komme, möchte ich noch die Sonne sehen. Es mag komisch klingen, aber es ist ein Traum von mir, schon um 15:00 Uhr das machen zu können, was ich will. […] Ich hasse es, länger arbeiten zu müssen als manche Erwachsene. Ich hasse es, diesem Druck ausgesetzt zu sein. Ich hasse es, wie manche Erwachsene über unser Leben und unsere Schule bestimmen, obwohl sie selbst in ihrer Schulzeit nie mehr als sieben Stunden in der Schule verbracht haben. Das ist mein Problem.’

Dass in solchen Kontexten die virtuelle Welt, in der Raum und Zeit bedeutungslos werden, weil sie jederzeit, überall und per Mausklick betreten werden kann, zum Fluchtraum, geheimem Treffpunkt und digitalem Freizeitpark wird, ist klar. Hier können sich die Kinder und Jugendlichen endlich ohne Aufsicht autark bewegen, kontakten und spielen. So, wie es die Erwachsenen auch tun. Mit den Augen, den Fingern und vor allem: im Kopf. Dass wir am Rechner nur mit Nullen und Einsen zu tun haben, verstehen auch die meisten Erwachsenen nicht. Sie halten das, was sie im digitalen Guckkasten sehen, für die echte Welt – und werfen das dann ihren Kindern vor.

Yakamoz schreibt: ‚Ich bin hobbylos, nicht weil ich keine Interessen habe, sondern weil ich keine Zeit habe. Meinen Freunden geht es genauso. Ist es nicht verantwortungslos, eine Generation heranwachsen zu lassen, die keine Hobbys hat? Das heißt – eines haben wir alle. Aber soll ich meinen Kindern später erzählen, wie Facebook funktioniert, wenn sie mich fragen, wie es früher war?’

© Melanie Albers

Unter ‚Hobby’ verstand man in vergangenen Zeiten eine Tätigkeit, die kein Geld brachte, aber Spaß machte. Einer Sache, der man sich mit Hingabe widmete, weil sie Freude und Kraft gab und einen Ausgleich schaffte zu Tätigkeiten, mit denen man sich weniger verbinden konnte. Hobbys erzählten etwas über die Persönlichkeit eines Menschen. Wenn jemand sagte ‚Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht’, meinte das: Ich mache hauptberuflich genau das, was ich immer schon geliebt habe.

Das Hobby erzählte etwas über die Beziehung des Menschen zur Sache, es spiegelte nicht ein Ergebnis, sondern einen zweckungebundenen Prozess, in dem der Mensch seine vollen Kompetenzen einbringen und erweitern konnte.

Der Spielplatz, die freie Fläche – örtlich wie geistig –: ohne diese Räume wird unser Menschsein in den Städten verkümmern und verrohen. Und die Städte werden ihre Identität verlieren. Wir brauchen ‚nutzlose’ Räume, lebendige Räume ohne Vorgaben, ohne Ziel. Weil wir uns selbst sonst nicht mehr kennen lernen. Weil wir sonst nicht mehr verarbeiten können, was wir kennen gelernt haben. Weil wir die Gelegenheit brauchen, einfach ‚sein’ zu können, um eine Idee davon zu bekommen, wo es uns hin zieht und was wir gestalten wollen.

Spielräume stellen sicher, dass unsere Kinder keine Hamster werden, die nur noch rennen oder sich verkriechen und nicht mehr unterscheiden können zwischen dem, was wichtig ist, was echt ist, was sie selbst sind, und dem, was nicht.

© Melanie Albers

Wir brauchen jetzt und in der Zukunft kreative, kräftige und optimistische Menschen, die ein gesundes Selbst entwickelt haben, gesunde Körper, ein reifes Verhältnis zu sich und ihrer Umwelt und Lust haben, über den Tellerrand zu kucken. Die gelernt haben, sich selbst zu vertrauen und mit anderen zusammenzuarbeiten.

Diese Fähigkeiten erlernen wir in Freiräumen, die uns gleichermaßen in Ruhe lassen und herausfordern. Die wir gemeinsam mit anderen entdecken können. Die uns öffnen für neue Erfahrungen und uns Halt geben.

Spielplätze sind kein Luxus, sie sind eine Notwendigkeit!

Yakamoz ist 15 Jahre alt, wächst auf in einer der schönsten Städte Deutschlands und beschreibt einen Zustand des Überlebens. Wir müssen aber Orte zum Spielen haben – als Kind, Jugendlicher und Erwachsener –, um uns mit unserer Stadt zu verbinden, um sie unsere Heimat nennen zu können. Sonst verkommt sie zum Standort, der auswechselbar ist. Firmen und Investoren kommen und gehen – Menschen aber schaffen Heimat.

Wohnraum- und Schulpolitik sowie der Umgang mit öffentlichen Freiflächen oder alter Gebäudesubstanz, die in ihrer Funktion ausgedient hat, spielen hier gleichermaßen mit hinein. Die Österreicher gehen an der Stelle mit gutem Vorbild voran, indem unter anderem von jedem Arbeitnehmer ein Teil seines Lohns in den sozialen Wohnungsbau abgeführt wird. In vielen Bezirken Wiens ist es unmöglich, nach spätestens 10 Minuten nicht auf einen Ort zu treffen, der ausschließlich dafür gemacht ist, dass Klein und Groß eine gute Zeit verbringt. Das begründet einen Großteil der Identifizierung der Wiener mit ihrer Stadt.

© Melanie Albers

Alle Städte sind als Arbeitszentren entstanden, und das Ruhrgebiet ist darin vergleichsweise jung. Aber der Bergbau hat eine starke Identität geschaffen und Ruhrgebietler sind nach wie vor sehr verbunden mit ihrer Heimat – trotz ‚Strukturwandels’, der vor allem Struktur weg nahm, statt zu wandeln.

Nur wenn die junge Generation sich unsere Städte zu eigen machen kann über Freiräume – Orte zum Spielen, Klettern, Abstürzen / Parks zum Flanieren, Flirten und Verstecken / bewirtschaftete Höfe mit Sand- und Rasenflächen neben Caféständen und Rumhäng-Lounges – Freiräume, die vom Land und den Kommunen sicher gestellt werden: nur dann wird diese Generation bleiben. Bleiben und helfen, den Wandel zu vollziehen.

Ich wünsche Euch und Ihnen allen einen anregenden guten Tag und schicke meine herzlichen Grüße, insbesondere an die Spielplatzpaten und -patinnen!

Mit herzlichen Grüßen,
Sandra Borgmann

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