Kinder und Jugendliche nicht draußen lassen – Plädoyer für eine nachhaltige kommunale Politik

Von Winfried Pletzer

  1. Riskantes Aufwachsen in erodierenden Sozialgefügen

Eine Bestandsaufnahme insbesondere der städtischen Lebenswelten von Kindern zeigt zunehmend riskanter werdende Chancen des Aufwachsens in unserer Gesellschaft:

„Kinder sind eine Minderheit!“
40 Prozent aller Kinder sind Einzelkinder – nur ca. 15 Prozent aller Haushalte in den Städten sind Familien.

„Kinder sind ein ‚Armutsrisiko’“
Der Anteil von Familien und Alleinerziehenden unter den Sozialhilfeempfängern ist besonders hoch. „Die ‚Normalfamilie’ ist ein Minderheitenmodell?“ Scheidungsraten, Patchwork-Familien und –Identitäten

„Die Toleranz der Gesellschaft gegenüber Kindern ist zu gering!“
Kinderlärm ist Belästigung – Familien werden nicht ausreichend unterstützt.

„Kinder in Städten haben immer weniger Frei- und Spielräume!“
Verbaute Städte – Nachverdichtung – langweilige, genormte Spielplätze

„Spontanes Spielen auf der Straße findet nur noch wenig statt!“
Eltern haben Angst – Eltern verabreden ihre Kinder – Kinder haben Termine

„Autos nehmen Platz und Bewegung!“
Gefahren lauern überall – Autos stehen gesetzlich mehr Stellfläche zu als Kindern Spielflächen.

„Kinder leben zunehmend in Medienwelten!“
Individualisierung durch Fernsehen und PC – Sinneswahrnehmungen schwinden, Gemeinschaft erleben ist ungewohnt.

„Eltern nehmen sich zu wenig Zeit für Kinder!“
Doppelverdiener – Kinder sind anstrengend.

„Kinder werden nicht wirklich ernst genommen!“
Kinderinteressen kommen immer zu kurz.

  1. Widerspruchserfahrungen belasten soziale Bewältigungskapazitäten

Die „riskanter werdenden Chancen von Kindern und Jugendlichen beim Heranwachsen“ entsprechen den Problemen und Gefährdungen der Erwachsenenwelten: Wachsende gesellschaftliche Problemlagen, gesellschaftliche Polarisierungen in den Städten, Strukturumbrüche der Industriegesellschaft verändern den Lebensalltag der Stadtbewohner/-innen. Dabei nehmen soziale und räumliche Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen in den Städten der Bundesrepublik deutlich zu. Die sozial- und wirtschaftsräumlichen Trennungen (Wohnungs- und Arbeitsmärkte) verstärken sich. Ausgegrenzte Bewohner/-innen leiden unter der „Segmentierung“ von Lebens- und Arbeitswelten. Persönliche Notlagen vieler Familien erzeugen wachsende soziale Gefährdungen insgesamt.

In den Sonntagsreden von Politiker/-innen und leider auch in der Alltagsrealität der Kommunalpolitik baut man auf den Fortbestand der Leistungen der Familien, die aber unter den beschriebenen Bedingungen zu den am höchsten belasteten Gesellschaftsteilen zählen. Die immer häufigeren Spannungsverhältnisse der sozialen Existenzgrundlagen, die sich vor allem auf die örtlichen, auf der kommunalen Ebene auswirken, verschärfen die Lebensbedingungen in den Städten deutlich. Insbesondere führen sie zu einer extremen Belastung der heute bei uns lebenden Familien, die sich immer weniger auf den sozialen, nachbarschaftlichen Zusammenhalt und auf gesellschaftliche Solidarität verlassen können.

Einerseits erleben Kinder und ihre Eltern die unendliche Freiheit für die Gestaltung eigener Lebensentwürfe, andererseits muss diese Individualisierung durch die radikale Lockerung von sozialen und kulturellen Bindungen erkauft werden. Dies bedingt eine wertemäßige und moralische Widersprüchlichkeit sowie große Zukunftsunsicherheiten, die sie oftmals an die Grenze ihrer sozialen Bewältigungskapazitäten bringt.

Die „Erosion der sozialen Existenzgrundlagen und des Humanvermögens unserer Gesellschaft“ trifft vor allem die Schwachen unserer Gesellschaft: Familien und die Kinder und Jugendlichen.

  1. Riskante Ausgangslagen für das Gemeinwesen als Herausforderung für kommunale Politik

Der soziale und kulturelle Strukturwandel bringt die Kommunen häufig an die Grenzen ihrer sozial- und infrastrukturpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten. Soziale Problemlagen belasten, zusätzlich zu den enormen kommunalen Finanzierungsnöten, immer deutlicher die kommunalen Existenzgrundlagen.

Es wird deutlich, dass sich die Probleme nicht lösen lassen durch strukturelle Manipulationen der Sozialversicherungssysteme. Die Überlastung der Solidarbeziehungen wird letztendlich vor Ort, in den Kommunen, durch die Rekultivierung der sozialen Lebenswelten kompensiert werden müssen. Dort gilt es, geeignete, nachhaltig angelegte Konzepte des kommunalen Sozialwesens zu entwickeln.

Konzepte, die geeignet sind, u. a. Strukturen des Gemeinwesens wieder neu zu beleben und neu zu schaffen, Konzepte, die Kindern und Jugendlichen vor Ort erlauben, ihre sozialen Kompetenzen zu schärfen und zu entwickeln, die Möglichkeiten und Anstöße zum „Empowerment“ für junge Menschen und für Erwachsene bereitstellen.

Die Dynamik dieser Entwicklungen wird nicht bestimmt werden durch die Bildungskultur oder Sozialpolitik der Länder, sie wird sich entscheiden an den Möglichkeiten des Lernens vor Ort, in den Stadtteilen und in den Gemeinden. Diese Möglichkeiten werden bereitgestellt durch die lokale Kommunalpolitik und letztendlich auch durch die Pädagogen und Pädagoginnen vor Ort.

  1. Anfragen an eine nachhaltige Kommunalpolitik für Kinder

Wohlgemeinte Initiativen und Ansätze einer kommunalen Politik für Kinder gibt es zuhauf:
● „Kinder müssen Vorfahrt haben“ (der Bundeskanzler)
● „Kinderpolitik ist nicht nur eine Politik für Kinder, sondern auch eine Politik mit Kindern und durch Kinder“ (die Bundesjugendministerin)

  • „(Die Bundesregierung)… hält es grundsätzlich für sinnvoll, wünschenswert und möglich, Kindern die Chance zu geben, für ihre eigenen Belange einzutreten“ (die Bundesregierung)
    ● „Die Kinderkommission setzt sich dafür ein, dass Ihr, wo immer es vernünftig und sinnvoll ist, entsprechend Euren Alters und Eurer Entwicklung selbst entscheidet oder an Entscheidungen mit beteiligt werdet…“ (Kinderkommission im Deutschen Bundestag)

Die Aufrufe höchster bundespolitischer Instanzen und Mandatsträger/-innen gegen den politischen Generationenegoismus bleiben auf kommunaler Ebene nicht ohne Widerhall. In vielen Stadtteilen, Gemeinden und auch Landkreisen sammeln Stadt- und Gemeinderät/-innen, Bürgermeister/-innen und Verwaltungsmitar-beiter/-innen ihre Erfahrungen mit den vielfach von ihnen selbst inszenierten Kinderparlamenten, Kinderkommissionen, Kinder- und Jugendforen oder den wieder entdeckten Jungbürgerversammlungen. Oftmals erleiden diese Alibi- und Showveranstaltungen schonungslos Schiffbruch. Zu deutlich ist allen Beteiligten die Kurzfristigkeit und Kurzsichtigkeit der Bemühungen.

Forderungen nach ernst zu nehmenden kommunalen Konzepten zur Integration von Kindern und Jugendlichen in das Gemeinwesen nähren sich oftmals an vollmundigen Absichtserklärungen der Politikerinnen, vielerlei Appellen und Aufrufen verschiedener Kinder- und Jugendkommissionen und einer Flut weiterer Veröffentlichungen oftmals selbsternannter (natürlich erwachsener) Experten.

Wie sehen aber die strukturellen Bedingungen vor Ort für eine nachhaltig positiv gestaltete Integration von Kindern und Jugendlichen in die Gesellschaft aus?

Welche Sozialisationsbedingungen müssen wir arrangieren und anbieten, die es erlauben, dass Kinder und Jugendliche wieder mehr soziale Kompetenzen und Ressourcen erwerben, damit sie erfahren und erlernen, was Zusammenhalt, Solidarität und Gemeinwesen bedeutet?

Wie vermitteln wir den Jüngsten unserer Gesellschaft Sicherheit, Rückhalt, nicht nur im familiären Nahraum, sondern auch im Stadtteil, innerhalb der Nachbarschaft?

  1. Orientierungspunkte zur Dimensionierung einer nachhaltigen Kommunalpolitik für Kinder

Im Folgenden sollen Skizzen und Impulse zur Dimensionierung einer nachhaltigen kommunalen Politik für Kinder und Jugendliche in den Gemeinden dargestellt werden. Einer kommunalen Kinderpolitik, die sich nicht nur als Fußnote der Kommunalpolitik für Erwachsene darstellt, sondern die Sorge für das Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen in den Kernbereich einer verantwortungsbewussten kommunalpolitischen Tätigkeit stellt.

5.1. Kinder und Jugendliche als integralen Teil des Gemeinwesens identifizieren

Kinder sind Teil des lebendigen Gemeinwesens. Sie orientieren sich in kleinen, überschaubaren und politischen gesellschaftlichen Bereichen, mit ihren Möglichkeiten und Grenzen. Deshalb stellt ihr Stadtteil, ihre Gemeinde einen idealen und natürlichen Bezugsrahmen bereit. Kinder und Jugendliche benötigen in ihrer unmittelbaren Umgebung Lern- und Erfahrungsfelder, um ihre Aufgabe als zukünftige Bürgerinnen und Bürger kennen zu lernen und einzuüben. Damit sie sich mit ihrem Wohnort, mit ihrer Gemeinde identifizieren und an ihrer Entwicklung aktiv Anteil haben, benötigen sie Impulse, Aufforderung und Gelegenheiten, auch Hilfestellungen und Begleitung zur Mitwirkung und Beteiligung.

Zukunft gestalten für Kinder und Jugendliche im Stadtteil und in der Gemeinde ist damit eine Querschnittsaufgabe der Kommunalpolitik. Kommunale Kinder- und Jugendpolitik wird zum roten Faden in der Stadt- und Gemeindeentwicklung:
● bei der Erstellung des Flächennutzungsplanes
● bei der Bearbeitung des Bebauungsplanes
● bei der Abwägung der verschiedenen Belange
● bei der Behandlung der Tagesordnung nicht nur in den Kultur-, Jugend- und Sozialausschüssen
● beim Einräumen eines Mitwirkungs- und Mitspracherechtes von Experten/-innen für Zukunftsfragen, den Kindern und Jugendlichen
● bei der Gestaltung einer lebendigen, kulturellen und sozialen Infrastruktur, in der die gemeindliche Kinder- und Jugendarbeit ihren festen Platz hat.

Einen positiven Status für Kinder und Jugendliche im Stadtteil zu entwickeln bedeutet, die besonderen Lebensbedingungen von Jungen und Mädchen in den Gemeinden differenziert wahrzunehmen und bei sie betreffenden Entscheidungen zu berücksichtigen. Angebote für Jugendliche, ihre alters- und geschlechtsspezifischen Interessen und Bedürfnisse dürfen nicht nur Randthemen der Stadtteilentwicklung bleiben. Letztlich bewirkt nur Mitbeteiligung und Ernst-genommen-werden eine Integration in die Gemeinde und in das Leben des Stadtteils.

Dafür ist ein neuer Dialog erforderlich. Für ein Gelingen ist es notwendig, Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen und falsche Bilder voneinander zu revidieren. Dies ist nur in einem längerfristigen und gemeinsamen Prozess möglich, der auf der Bereitschaft aufbaut, mit- und voneinander lernen zu wollen. Diese Herangehensweise verschafft auf lange Sicht Jugendlichen einen Platz in der Gesellschaft und erzeugt ein positives Klima, welches grundlegend präventiv wirkt.

5.2. Infrastrukturen der Kinder- und Jugendarbeit weiter entwickeln: Offene Arbeit mit Kindern als ein Schlüsselbereich für Partizipation von Kindern

Eine gute Infrastruktur der Kinder- und Jugendarbeit im Stadtteil stellt viele Möglichkeiten bereit, damit Kinder und Jugendliche ihre Rolle als aktive und engagierte Mitbürgerinnen und Mitbürger erfahren und erproben können.

● Die Städte stellen Räumlichkeiten für das Eigenengagement und die Eigeninitiative von jungen Menschen zur Verfügung. Der selbstorganisierte und selbst verwaltete Jugendtreff gehört in vielen Gemeinden und Stadtteilen zum Standard der Offenen Kinder- und Jugendarbeit.
● Die Kommunen fördern die örtlichen Jugendgruppen, Jugendgemeinschaften und Jugendverbände und stärken auf diese Weise das Eigenengagement von Kindern und Jugendlichen.
● Sie schaffen und unterstützen eigene politische Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche.
● Sie bieten ergänzend zu den freien Trägern eigene Jugendfreizeitaktivitäten an, mit denen Kinder und Jugendliche zur Beteiligung aufgefordert werden.
● Die Kommunen errichten in eigener Trägerschaft Einrichtungen der Jugendarbeit oder beteiligen sich an den Betriebskosten von Einrichtungen anderer Träger,
● Sie beschäftigen pädagogische Mitarbeiter/-innen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit.
● Städte und Gemeinden fördern die Beschäftigung von hauptberuflichen Fachkräften der Jugendarbeit bei den freien Trägern.
● Sie unterstützen die Zusammenarbeit im Bereich der Kinder und Jugendarbeit.

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit stellt dabei einen Schlüsselbereich dar, mit dem und über den Kinder und auch Jugendliche Einfluss auf das Gemeinwesen ihres Stadtteils nehmen können. Denn gerade die Elemente einer offensiven offenen Arbeit mit Kindern stellen viele Ansatzpunkte für einen geeigneten Einstieg in eine beteiligungsorientierte Jugendpolitik in den Stadtteilen und in den Kommunen dar.

5.3. Offensive familienpolitische Konzepte auch in der Kommunalpolitik erarbeiten

Kommunale Politik für Kinder und Jugendliche wird sich in erster Linie als kommunale Familienpolitik darstellen müssen. Kommunale Familienpolitik,
● die sich gegen die strukturelle Benachteiligung von Familien wendet,
● die sich gegen eine soziale Ausgrenzung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen wendet,
● die sich gegen materielle Not von Familien mit Kindern und den unteren Schichten unserer Bevölkerung wendet.

Es gilt also Rahmenbedingungen für Familien zu schaffen, die bestehende Benachteiligungen abbaut, und die eine gezielte Armutsbekämpfung in den Vordergrund rückt.

Es wird um die Stützung und den Aufbau einer sozialen Solidarität gehen, die eine Wiederbelebung eines funktionierenden Gemeinwesens erlaubt.

Es wird auf eine soziale Kommunalpolitik ankommen, die mit dem Ziel erfolgreich ist, Selbsthilfe und Selbstverantwortung neu zu beleben und zu stärken.

Dies muss einhergehen mit Impulsen zur Stärkung der informellen Hilfsbeziehungen in und zwischen den Familien und in der Nachbarschaft.

Selbsthilfe im Rahmen der Stadtteile muss Vorrang haben, lokale Selbsthilfestrukturen müssen gefördert, lokale Initiativen unterstützt werden.

Familienergänzende Angebote, also auch eine bedarfsgerechte Versorgung mit Tageseinrichtungen müssen zunehmend geschaffen werden, damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Eltern, vor allen Dingen aus sozial unteren Schichten ermöglicht wird.

5.4. Eine neue Chance für die Schule: Schule als Teil des Gemeinwesens begreifen und umgestalten

Die Diskussion zu Schule und Bildungslandschaft ist in Gang gekommen. Die Schule auf dem Prüfstand muss sich kritische Fragen gefallen lassen:

● Trägt sie tatsächlich zur Verbreiterung der Erfahrungsräume von Kindern und Jugendlichen bei oder beschränkt sie sich nach wie vor lediglich auf einseitige Wissensvermittlung?
● Wird der pädagogische Auftrag in den Grundschulen ernst genommen oder wird dort nur eine zielgerechte Form des Lernens praktiziert?
● Werden Kinder und Jugendliche in Entscheidungsprozesse innerhalb der Schule mit einbezogen, ist ihnen eine reale Mitbestimmung möglich?
● Wie verfährt die Schule mit Integration von ausländischen Kindern und Jugendlichen?

Die derzeitige Diskussion zur Bildungs- und Schulpolitik ist in erster Linie für die Schule eine Chance, sich selbst – in ihrer eigenen Verantwortung und Zuständigkeit – so zu verbessern, dass die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen Eingang finden in den schulischen Alltag. Damit gäbe es endlich auch eine Chance, die Schule nicht nur als „abstrakt-verkopften Wissenstrichter“ zu begreifen und sie weiterhin als eine, von der sonstigen Lebenswelt der Kinder abgegrenzte Institution zu erfahren.

Die neuen Möglichkeiten wie Ganztagesschule, Nachmittagsangebote usw. bergen Spielräume, um neue Lern- und Lehrformen zu entwickeln und die Schule stärker als bisher als Lebensraum für Kinder und Jugendliche zu gestalten. Dazu ist es allerdings notwendig, dass die Schule in Zukunft mehr mit ihren Partnern aus dem gesellschaftlichen Umfeld kooperiert und vor allem auch die Schüler und Schülerinnen selbst ernsthaft an ihrer Weiterentwicklung beteiligt.

Lebenswelt- und Gemeinwesenorientierung bedeutet eine Öffnung der Schule – hin zum Gemeinwesen. Dies stellt auch eine Befreiung der Schule aus ihrem vormittäglichen Bildungsisolationismus dar.

5.5. Für eine Kommunalpolitik der aktiven Mitwirkung: Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder schaffen

Das örtliche Gemeinwesen lebt durch die Beteiligung und durch das Engagement möglichst vieler Personen und Organisationen. Innerhalb der Gemeinde sollen deshalb ausgeprägte Möglichkeiten der Beteiligung für andere bestehen.

Durch Beteiligung
● sichert die Erwachsenenwelt den Kindern und Jugendlichen die Grundrechte zu, die ihnen als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zustehen,
● erhalten junge Menschen bereits heute die Möglichkeit, verantwortungsbewusst an politischen Entscheidungen in ihrem Lebensumfeld mitzuwirken,
● werden politische Zusammenhänge für Mädchen und Jungen lebendiger und durchschaubarer, dadurch können sie sich stärker mit dem demokratischen Gemeinwesen ihres Stadtteils identifizieren,
● wird sichergestellt, dass die Belange von Kindern und Jugendlichen nicht übersehen werden.

Beteiligung kann damit ein Beitrag zur besseren Qualität von politischen Entscheidungen sein.

Eine Pädagogik des Sozialraums bedeutet die Realisierung einer Pädagogik der aktiven Beteiligung und der aktiven Mitwirkung. Eine (Wieder-)Belebung der sozialen Landschaft beginnt mit einer Wiederbelebung des Beteiligungs- und Mitwirkungsgedankens.

Wo bleibt diesbezüglich aber die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, z. B. an den Belangen der Bauleitplanung? Wo bleibt die geforderte Beteiligung an der Jugendhilfeplanung der Jugendämter? Reale Mitwirkungsaktionen bleiben allzu oft Show- und Alibiveranstaltungen, Einmal-Aktionen, die nur eine Pseudo-Beteiligung ermöglichen. Vielfach ist zwar guter Wille vorhanden, es fehlt in der Kommunalpolitik aber oftmals an den entscheidenden Impulsen zur Umsetzung und zur kontinuierlichen Vitalität der Veranstaltungen der kommunalen Kinderpolitik.

Die Vielzahl an Beteiligungsmöglichkeiten ist groß. Jede Kommune und jeder Stadtteil hat bei entsprechendem Engagement die Möglichkeit, die bestmögliche Form zu entwickeln. Kleine, auf einen Ortsteil bezogene Modelle sind dabei oftmals besser, als unüberschaubare, langwierige Projekte, denen dann nach wenigen Monaten der Schwung fehlt. Beteiligung muss wachsen können – die Chancen zur Weiterentwicklung sollte man nutzen.

5.6. Integration von Kindern und Jugendlichen ernst nehmen: die Verinselung, Spezialisierung und Expertisierung der Kindheit aufheben

Selbst in kleineren Kommunen gelingt es immer seltener, sich offensiv mit der Gestaltung von Lebensräumen für Kinder und Jugendliche zu beschäftigen. Die Alltagsdiskussion in der (Kommunal-)Politik wird bestimmt durch Detail- und Sachfragen. Aufgrund deren Überdimensionierung ist es nicht mehr möglich, die elementaren Lebensfragen von Kindern, Jugendlichen und Familien zukunftsweisend zu verhandeln. Es entsteht ein „Bermudadreieck“ der sozialen Lebensräume und dadurch eine strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber den Schwächsten in unserer Gesellschaft. Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen geraten ob dieser Dominanz in hoffnungslosen Rückstand bzw. sie sind hoffnungslos unterlegen in der Konkurrenz zu Partikularinteressen unterschiedlichster Interessensgruppen.

Wenn also Integration von Kindern und Jugendlichen in die Gesellschaft ernst genommen werden will, dann muss sie auch ausdrücklich zugelassen werden: So z. B. bei Planungsvorhaben in den Gemeinden, indem die Mitsprache- und Entscheidungsrechte der Kinder und Jugendlichen konsequent miteinbezogen werden. Nur durch die Verstärkung von Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche selbst wird es gelingen, die Anliegen der Heranwachsenden deutlich zu machen, nur so wird es gelingen, auch der Kommunalpolitik die berechtigten Anliegen der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen aufzuzeigen, nur so wird es gelingen, ein geeignetes kommunalpolitisches Bewusstsein zu schaffen, aus dem aktives kommunales Handeln resultieren kann. Damit sind Kinder und Jugendliche nicht nur Objekte von Planungen und Entscheidungen, sondern sie haben die Möglichkeit, als Träger von Grundrechten ernst genommen zu werden.

Solange Kinder und Jugendliche als eigenständige Bevölkerungsgruppe nicht mehr Gewicht erlangen, solange die Lebenswelt „Kindheit“ nicht als Ganzes wahrgenommen wird, müssen wir uns weiterhin mit einer Institutionalisierung der Kindheit, eine Spezialisierung und Expertisierung dieses Thema auseinander setzen und müssen damit leben, dass die Belange von Kindern und Jugendlichen in den Gemeinden auf viele politische Ressort- und Verwaltungsebenen aufgespaltet bleiben. Damit werden die Belange der Kinder nachrangig behandelt, hin- und hergeschoben, gegenseitig abgeblockt und oftmals instrumentalisiert.

Die Anforderungen einer Regeneration eines Neuwachsens einer demokratischen Gesellschaft machen jedoch eines notwendig: Kinder und Jugendliche dürfen nicht die Erfahrung des Nichtgebrauchtwerdens sammeln, dies schreckt ab, dies macht uninteressiert und konterkariert die Zielsetzung, Kinder und Jugendliche zu demokratisch-politischer Willensbildung zu befähigen.

Diese Anforderungen gelten auch für die fachpolitische Ebene. Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, aktiv in die Gestaltung des Gemeinwesens einzugreifen, ist gleichzeitig Aufforderung, Auftrag und Chance für die pädagogischen Mitarbeiter/-innen der Kinder- und Jugendarbeit in den Kommunen.

  1. „Kinder und Jugendliche fähig für ein lebendiges Gemeinwesen machen!“

Gemeinwesenorientierte Offene Arbeit mit Kindern als Chance für lebendige Stadtteilarbeit

Erziehung für Kinder und Jugendliche ist Aufgabe des Stadtteils, Teil der Nachbarschaft, Teil des Gemeinwesens. Erziehung definiert sich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur erfolgreich als Teil eines sich formierenden Gemeinwesens gestaltet werden kann. Erziehung ist deshalb auch kommunale Aufgabe und diese Aufgabe reduziert sich nicht nur auf das Zur-Verfügung-Stellen von Ressourcen im Bereich der Jugendhilfe, sie reduziert sich nicht auf den Bau eines vorbildlichen Abenteuerspielplatzes oder auf die Schaffung von kindgerechten Fußgängerüberwegen.

Solange Offene Arbeit mit Kindern lediglich in den Sandkisten der Abenteuerspielplätze stattfindet, solange sich Entwicklungen der Offenen Jugendarbeit lediglich auf Diskussionen zum Jugendhaus reduzieren, bleibt die Pädagogik der Offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Sinne des Postulats „Gemeinwesenorientierung“ so leer, wie die Sprache der Politiker/-innen zum Thema „Partizipation“. Eine Pädagogik oder eine Jugendplanerische Fachdiskussion, die sich lediglich auf die Schaffung von gestalteten Spielräumen, auf die Ausstattung von Jugendzentren bezieht, greift zu kurz – solange sie nicht in einem sozialen, und auch kommunalpolitischen Gesamtzusammenhang eingebunden ist.

Eine nachhaltige pädagogische Arbeit mit Kindern ist im Gesamtkontext „Sozialraum und Gemeinwesen“ direkt verwurzelt. Die Offene Arbeit mit Kindern bietet mit der Gemeinwesenorientierung ihrer Arbeitskonzepte große Chancen für eine lebendige Stadtteilarbeit

● Chance Mitgestaltung des Gemeinwesens – mit und im Interesse der Kinder: In der Regel vertreten Kinder keine Partikularinteressen, sie vertreten nicht ausschließlich „Inselwünsche“. Ihre Wünsche, Bedürfnisse und Vorstellungen sind Grundbedürfnisse zur Gestaltung des Gemeinwesens schlechthin. Offene Arbeit mit Kindern ist damit nicht nur Arbeit mit den Kindern als Teilmenge des Gemeinwesens, Offene Arbeit mit Kindern entwickelt sich aufgrund dieser Vorgaben zur Gemeinwesenarbeit – zur gemeinwesenorientierten Kinder- und Jugendarbeit. Der § 11 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, in dem die gemeinwesenorientierte Jugendarbeit als ein Teilbereich der Jugendarbeit schlechthin definiert wird, erfährt so eine neue Dimension. Offene Arbeit setzt sich nicht nur für die Interessen der Kinder ein – sondern darüber hinaus – im Interesse der Kinder, für die Gestaltung des ganzen Gemeinwesens.
● Chance Weiterentwicklung der Schule: Offene Arbeit mit Kindern kann Schule in ihrer Weiterentwicklung wirkungsvoll unterstützen. Die Offene Jugendarbeit besitzt ein riesiges Repertoire an Erfahrungen, Methoden, Arbeitsgrundsätzen, Inhalten und schließlich an Kompetenzen um Schule zu unterstützen. Zusammenarbeit ist deshalb gefordert.
● Chance Lebenssouveränität: Die Angebote der Offenen Arbeit unterstützen Kinder und Jugendliche beim Aufbau ihrer sozialen Kompetenzen und beim Erlernen von Lebenssouveränität.
● Chance Nachbarschaftserfahrungen: Gemeinwesenorientierte Aktionen der Abenteuer- und Bauspielplätze wirken auch in die Nachbarschaft und in den Stadtteil. Mit den Aktionen der Offenen Arbeit können damit die wichtigen Soiidarerfahrungen in der Nachbarschaft gesammelt werden. Offene Arbeit ermöglicht den Kindern die Erfahrung von Zusammenhalt, Verbundenheit, Nachbarschaft und Gemeinwesen
● Chance Solidarerfahrungen: Gemeinwesenorientierte Offene Arbeit mit Kindern ermöglicht Erfahrung von sozialem Eingebundensein, von Solidarität, von Hilfe und Unterstützung innerhalb des Stadtteils.
● Chance Verstärkung der Kinderrechte: Offensive gemeinwesenorientierte Arbeit mit Kindern verstärkt die Bedeutung der Kinderwelt in der Öffentlichkeit. Mit ihrer Arbeit wird auf die Rechte und Erwartungen der Kinder aufmerksam gemacht.
● Chance Interessensvertretung: Gemeinwesenorientierte Kinder- und Jugendarbeit verschafft den Anliegen von Kindern innerhalb des Gemeinwesens Raum und unterstützt sie bei der Verwirklichung ihrer Interessen.
● Chance: Interessensvermittlung: Offene Arbeit mit Kindern vermittelt zwischen den Bedürfnissen der Kinder und der Kommunalpolitik.

Die Offene Arbeit mit Kindern kann Kindern und Jugendlichen eine reale Chance geben, ihre Fantasien und kreativen Lebensentwürfe umzusetzen. Die Abenteuer- und Bauspielplätze geben Kindern und Jugendlichen nicht nur eine Chance, ihre Fantasie zu entfalten, sondern sie geben ihnen auch eine Chance, diese Fantasie Wirklichkeit werden zu lassen. Dies kann nur gelingen durch eine nachhaltige Offene Arbeit, die in enger Verbindung zum Gemeinwesen, zur Kommunalpolitik steht. Deshalb definiert sich die Qualität der Offenen Arbeit weniger im Rahmen der pädagogisch-animatorischen Leistungsfähigkeit, sondern an der Anfrage nach nachhaltiger Wirksamkeit der Arbeit bei den Kindern sowie im Lebensumfeld der Kinder.

  1. Chancen einer offensiven kommunalen Politik für Kinder nutzen!

Kinder- und Jugendarbeit im Stadtteil und in den Gemeinden stärken!

Einrichtungen und Dienste der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind heute anerkanntermaßen ein notwendiger Bestandteil der sozialen Infrastruktur von Städten und Gemeinden (Jugendprogramm der Bayerischen Staatsregierung). Damit ist die Jugendarbeit Teil des roten Fadens einer zukunftsweisenden „Städtischen bzw. Kommunalen Jugendpolitik“. Die Gestaltung einer Infrastruktur der Jugendarbeit in den Stadtteilen und Gemeinden ist ein Beitrag zur Erhaltung und Sicherung eines funktionierenden Gemeinwesens schlechthin. Im Verhältnis zu diesen „Chancen“ bleiben die finanziellen Belastungen der Kommunen relativ gering. Die Aufwendungen zur Unterstützung und Förderung der Kinder- und Jugendarbeit kosten nicht die Welt. Die relativ geringen Haushaltsmittel dafür können auch in Zeiten der kommunalen Finanzkrisen – entsprechende Aufgeschlossenheit und guten Willen vorausgesetzt – von den Städten und Gemeinden durchaus erbracht werden.

Und abseits aller „Zuständigkeitsargumentationen und Finanzierungsprobleme“: Ist die Sorge der örtlichen Gemeinschaft für die Entwicklung ihrer jüngsten Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht eine Investition, die sich auf Dauer rechnet?

Kommunalpolitik ist damit aufgefordert, aktive Konzepte für die Entwicklungschancen von Kindern und jungen Menschen in den Gemeinden zu verwirklichen. Beispiele und Elemente dieser örtlichen Politik für Kinder und Jugendliche liegen vor. Es geht letztendlich um den „langen Atem“ der Umsetzung und Verwirklichung vor Ort.

Zum Autor

Winfried Pletzer, Politologe und Dipl.-Sozialpädagoge, mehrjährige leitende Tätigkeit im Rahmen der Infrastrukturentwicklung für Jugendarbeit in einer kommunalen Gebietskörperschaft; seit 1993 beim Bayerischen Jugendring zuständig für Organisationsentwicklung und Fachberatung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie der Gemeinde-Jugendarbeit in Bayern, Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen. Dem ABA Fachverband ist er seit vielen Jahren fachlich verbunden.

Diesen Beitrag verfasste Winfried Pletzer anlässlich des 30jährigen Bestehens des Bauspielplatzes Langwasser (Nürnberg). Erschienen ist der Beitrag zunächst in dem Buch „Wo die Kinder spielen(d) lernen“, erschienen 2003 im emwe-Verlag, Nürnberg 2003. Die Verwendung hier geschieht mit freundlicher Genehmigung des Teams vom Bauspielplatz und des emwe-Verlages.

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