Die Profis kommen …

Von Ralf-Erik Posselt

Mit der Etablierung der Offenen Arbeit entstand auch das Problem der verantwortlichen Leitung der Einrichtungen. Ausgebildete Profis gab es immer noch nicht; die Jugendpflege als eigene fachlich Disziplin entwickelte sich gerade erst. Ehemalige Jugendleiter und Pfadfinderführer, engagierte „Jugendfreunde“, umgeschulte Bergarbeiter, freigesetzte Soldaten waren häufig die ersten Leiter von Häusern der Offenen Tür.

Mit dem Aufbau der „Höheren Fachschulen für Sozialarbeit“ (1962) und Sozialpädagogik (1967) wurden auch die ersten professionellen Mitarbeiter(innen) qualifiziert. Mitte der 1960er-Jahre gab es in der Bundesrepublik schon ca. 1.200 Jugendeinrichtungen mit ca. 550 hauptamtlichen Mitarbeiter(innen). Erst im Verlauf der 1970er-Jahre, als der Problemdruck in den Jugendszenen und den Jugendhäusern auch fachlich fundiert in die Öffentlichkeit und die Politik getragen wurde, kam es zu einer Professionalisierungswelle in den Jugendhäusern. Hintergrund dazu war oft auch das (unprofessionelle) Scheitern selbstverwalteter Jugendzentren, in denen häufig „alle für alles – und keiner für etwas Genaues“ zuständig waren. Um dem Chaos bei Abrechnungen, Berichterstattung, Konzeption, Aufsichtspflicht usw. abzuhelfen, wurde politisch häufig die finanzielle Weiterförderung an die Einstellung eines verantwortlichen Profis gekoppelt. Viele Träger kleinerer Einrichtungen sahen sich angesichts der öffentlichen Diskussion um die Problematik in der Jugendarbeit (Probleme, die Jugendliche machen …) genötigt, Profis einzustellen, um das Haus nicht schließen zu müssen. Ende der 1970er-Jahre gab es so allein in NRW mehr als 1.000 professionelle Mitarbeiter(innen) in der Offenen Arbeit.

Seit Mitte der 1960er-Jahre macht die Entwicklung deutlich, dass besonders in der Offenen Arbeit die Zielperspektiven von Jugendarbeit und Politik auseinanderdrifteten. Der Anspruch des Staates auf ideologische Reproduktion, soziale Kontrolle und Fürsorge durch die Jugendarbeit wird von vielen Jugendlichen und Pädagog(inn)en zumindest theoretisch abgelehnt.

Das Konzept „Offene Arbeit“ steht seit Mitte der 1970er-Jahre massiv in der Kontroverse mit der staatlichen Jugendpolitik, was vielfältige Auseinandersetzungen – zum Beispiel auf den Jugendhilfetagen 1970 in Nürnberg und 1984 in Bremen nach sich zog. Protokolle der dortigen „Jugendpolitischen Foren“ sprechen dafür eine deutliche Sprache. Auffallend dabei war, dass aus der Jugendarbeit heraus selber Positionen formuliert, mit Überschriften versehen und offensiv in die Gesellschaft, Politik sowie die pädagogische Diskussion getragen wurden.

Der sozialintegrative Ansatz
scheiterte zumindest als Überschrift und Leitidee in der Offenen Arbeit an der nicht enden wollenden Diskussion darüber, wer sich wo und wie zu integrieren habe und ob damit möglicherweise Unterordnung der Jugend, verstanden als Einfügung der Jugend in die bestehende („verruchte“) Erwachsenengesellschaft, gemeint sein könnte (Assimilation).

Der bedürfnisorientierte Ansatz
versuchte als sozialpädagogische Maxime an den Bedürfnissen der Betroffenen anzusetzen – oder: die Jugendlichen mit ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen und dort abzuholen, wo sie stehen –, was relativ alt und wenig umstritten war. Strittiger waren die Antworten auf die Fragen, welche Bedürfnisse unterstellt werden und wie sie festzustellen und umzusetzen wären.

Dieser eher reformerische Ansatz geriet in der folgenden Diskussion auf eine Nebengleis: „Wer, bitte, definiert hier das Bedürfnis von wem?“, führte zum Protest von vielen Jugendlichen und der Forderung, die eigenen Bedürfnisse selbst zu bestimmen – wenn schon, denn schon! – und auch auszuleben.

„Die eigene Erfahrung lehrt, dass Bedürfnisse etwas sehr Persönliches sind: Sie werden geprägt durch die jeweilige Lebensgeschichte und die Schlussfolgerungen, die das Individuum daraus zieht. So können z.B. Vorlieben für oder Abneigungen gegen bestimmte Freizeitaktivitäten zusammenhängen mit positiv oder negativ besetzten Erfahrungen in Familie, Schule oder Clique, mit nur für die jeweilige Person bedeutsamen Schlüsselerlebnissen, mit dem Verhältnis zum eigenen Körper oder zum anderen Geschlecht. Zudem spielen unbewusste Ängste oder auch Allmachtsphantasien, persönliche Motive, Vorbilder, Werte, Ziele und vieles andere mehr eine Rolle …“ (Diethelm Damm in: Ulrich Deinet/Benedikt Sturzenhecker (Hg.): Handbuch Offene Jugendarbeit, Münster 1998, Seite 222)

Der emanzipatorische Ansatz
wurde über die Reformbewegungen an den Universitäten und Schulen – zuerst noch als stark politisch gefärbter (Kampf-)Begriff „Antikapitalistisch und Emanzipatorisch“ – in den 1970er-Jahren in die Jugendarbeit getragen. Aufgegriffen wurde dabei vor allem der emanzipatorische Anteil, verstanden als „Befreiung von Zwang“ und Entwicklung zur Mündigkeit. Die Individualität jedes Einzelnen, die Förderung individueller besonderer Fähigkeiten, die Differenzierung von Programmangeboten, die Parteinahme für Unterprivilegierte, die Unterstützung von „Selbstbefreiung aus Abhängigkeiten“ traten in den Vordergrund und führten zu einer bunten Vielfalt von Initiativen, Selbsthilfegruppen, Schülerinitiativen usw. In den Jugendhäusern entstanden Diskussionen über Entscheidungsprozesse und Beteiligte, Vollversammlungen, Mitbestimmungsmodelle ebenso wie ein häufig ausgesprochenes autoritätskritisches Klima.

Der stadtteilorientierte Ansatz
entwickelte sich als fachlicher Impuls und Praxisprojekt der Hochschulen in Kooperation mit bereitwilligen Jugendhäusern vor allem in großstädtischen Ballungsräumen (Berlin, Ruhrgebiet, Frankfurt, München). Dabei standen das alltägliche Leben, die Lebensbedingungen, die Wohn- und Nachbarschaftsverhältnisse, die Treffpunkte, geheimen Rückzugsorte und „Trampelpfade“ der Jugendlichen als Anknüpfungspunkte für das, was geschehen sollte, im Vordergrund. Viele Jugendeinrichtungen versuchten, im Vordergrund. Viele Jugendeinrichtungen versuchten kooperierende Projekte und Initiativen unter Einbeziehung von benachbarten Vereinen, Gruppen und Firmen (Nachbarschaftsfeste, gemeinsame Konzerte, Trödelmärkte, sportliche Veranstaltungen, Ausflüge, ökologische Projekte, kulturelle Feste usw. bis hin zu öffentlichen Hearings zur Lage und Perspektive von Jugendarbeit im Stadtteil).

Der geschlechtsspezifische Ansatz
formulierte sich aus zuerst eher zaghaften Versuchen, Anfang der 1980er-Jahre Mädchen aus den von ihnen zugewiesenen Rollen (als Anhängsel der Jungen) herauszulösen. Weil die Frage nach der Rolle und der Beteiligung von Mädchen in der (jungend- und männerdominierten) Offenen Arbeit lange ungehört und unbeantwortet blieb, gründeten couragierte Frauen aus der Offenen Arbeit Mitte der 80er-Jahre in Gladbeck das erste Mädchenzentrum und legten damit das Fundament für ein Forschungsvorhaben mit weitreichenden Konsequenzen. In der Folge kam es zu weiteren Gründungen von Mädchenhäusern ebenso wie zur Initiierung von Mädchenarbeit, Mädchenräumen, Mädchentagen, Mädchenfreizeiten, Mädchentheatergruppen und Mädchenaktionstagen in den Jugendzentren. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre stabilisierte sich der Trend zur geschlechtsspezifischen Arbeit als „parteiliche Mädchenarbeit“ und „reflektierte Arbeit mit Jungen und Männern“ neben der koedukativen Praxis als Querschnittsaufgabe.

Der Ansatz der akzeptierenden Arbeit
wurde nach den gewalttätigen und rassistischen Übergriffen Anfang der 1990er-Jahre zuerst als „Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen“ entwickelt. Hintergrund dazu bildete eine stark angewachsene Attraktivität von rechten Deutungsmustern, rechtsextremistischen Gruppen und neuen, jugendlich wirkenden „Führerfiguren“ (Kühnen, Borchert, Worch …) in den Jugendszenen. Bei der akzeptierenden Jugendarbeit ging es vor allem darum, mit sonst kaum erreichbaren Jugendlichen – mit Kontakten zum rechtsextremistischen Spektrum durch Hinwendung zu ihrem Lebensmilieu, ihren Lebenslagen, ihrer Alltagswelt über Vertrautheit und Akzeptanz – Umgang zu entfalten „Jugendarbeit mit diesen Jugendlichen ist in ganz besonderer Weise darauf angewiesen, deren Ideen und Vorstellungen aufzugreifen und deren Umsetzung zu fördern …“ (Krafeld, LzpB, Band 4, 1992). Dieser Ansatz – ausgehend von hochmotivierten und fachlich wie menschlich qualifizierten Pädagog(inn)en mit klaren Perspektiven – geriet in immer heftigere Kritik. Weil für viele Erwachsene und Szenen die Maßstäbe nicht so genau genommen wurden, weil oft das geeignete Personal für diesen pädagogisch-politischen Drahtseilakt fehlte, kam es häufiger vor, dass angesichts des Rumorens in der Szene jene zu Jugendleitern wurden, die zwar von den Jugendlichen akzeptiert waren, aber selber aus dem rechtsextremistischen Milieu entstammten. Damit war der politische und pädagogische Konflikt programmiert und die akzeptierende Jugendarbeit so gut wie erledigt.

Zur Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen
entwickelten sich mit Ende der 1990er-Jahre unterschiedliche Strategien in der Offenen Arbeit. Zum einen ging es dabei um die strikte Ausgrenzung bis hin zur gewalttätigen Auseinandersetzung („Haut die Glatzen, bis sie platzen …“), zum anderen um die Erkenntnis: Nicht mehr bei den Problemen ansetzen, die Jugendliche machen, sondern bei denen, die sie haben. Action- und erlebnisorientierte Projekte, riskante Abenteuererfahrungen, „Kampftrinken“, „Sau raus lassen“, Fan-Initiativen, Kooperation mit Streetwork usw. sind nur Stichworte für eine Vielfalt von Projekten zur Kontaktaufnahme und Einbeziehung von Jugendlichen, um Ohnmächtigkeiten und Vereinsamungsprozesse (Individualisierung) zu überwinden. In diesem Zusammenhang tauchte der Begriff „Empowerment“ auf, der einen Entwicklungsprozess beschreibt, in dem Menschen Kraft gewinnen, um ein nach eigenen Maßstäben „besseres“ Leben zu leben. Dabei geht es darum, Menschen zur Entdeckung ihrer eigenen Stärken zu ermutigen und ihre Fähigkeiten zur Selbstbestimmung und Selbstveränderung zu stärken. Offene Jugendarbeit bekommt so den Auftrag, sich mit jungen Menschen zu verständigen, um herauszufinden, zu begreifen, zu erfahren und zu versehen, was Sinn ergibt, Wert hat, als Regel taugt und deshalb für alle gelten kann und soll.

Der sozialräumliche Ansatz
kennzeichnet sich durch die zentralen Begriff „Raum“ und „Aneignung“, durch die Kritik der „Enteignung“ sozialer, kultureller, kreativer Räume und Territorien und der konzeptionellen Entwicklung und „Aneignung von Räumen“, d.h. deren Inbesitznahme, Gestaltung und Veränderung …“ (vgl. Ulrich Deinet, in: Ulrich Deinet/Benedikt Sturzenhecker (Hg.): Handbuch Offene Jugendarbeit, 1998)

Über die Schritte

  1. Analyse der Ort und Räume von Kindern und Jugendlichen
  2. Analyse des Jugendhauses als Bestandteil sozialer Infrastruktur
  3. Entwicklung konzeptioneller Differenzierung
  4. Sozialräumliche Orientierung als kontinuierlicher Prozess der Konzeptevaluation
    entfaltet sich eine neue pädagogische Qualität zwischen strukturierter Kompetenz und Beziehungsarbeit.

Zur Person

Ralf-Erik Posselt

● Pädagoge und Diakon
● Referent im Amt für Jugendarbeit und dem
● Bündnisbüro für Toleranz und Zivilcourage der
● Evangelischen Kirche von Westfalen
● Gründungsmitglied von ARIC-NRW, IDA, Aktion Courage, Schule ohne Rassismus
● Koordinator von SOS-Rassismus-NRW und dem Villigster Deeskalationsteam Gewalt und Rassismus/Gewalt Akademie Villigst
● Lehrtrainer der Gewalt Akademie Villigst

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