DIE DIPLOMATEN – IM NOVEMBER

Von Oscar Borkowsky

(Die Diplomaten, das ist der ältere Consul nebst seinem etwas jüngeren Attaché, sitzen wie gewöhnlich im Café „Zur Schönen Aussichtslosigkeit“. Draußen dämmert es bereits, und der Wind verweht das letzte Laub übers Trottoir. Die Herren sind die einzigen Gäste; auf ihrem Tisch stehen zwei gefüllte Gläser und eine angebrochene Flasche Wein. Der Kellner Leopold hantiert an der Kredenz. Im Hintergrund ertönt leise die „Schicksalssinfonie“ von Ludwig van Beethoven.)

Attaché: Tja, draußen dämmert es bereits, der Wind verweht das letzte Laub übers Trottoir, und womöglich …

Consul: Gehn‘S, Attaché! Was soll er schon machen an einem Tag im trostlosesten Monat eines dürftig erhellenden Jahres? Und was bliebe den schuldlosen Blättern auch anderes übrig? In gewisser Weise geht’s uns ja nicht unähnlich. (trinkt)

Attaché: Je nun. Und doch denke ich zuweilen … (trinkt ebenfalls und schenkt nach)

Consul: Danke! (trinkt) Denken, mein Lieber, war schon immer das größte Abenteuer – wenn man’s denn wagte! Ich würd’s, vorzugweise zum Abend hin, bezeichnen als den eigentlichen Spielplatz des Lebens, von dem sich die Stand-by-Generation, getreu der Maxime „Fressen – Ficken – Facebook“ sich selbst vertrieb – übrigens in Unkenntnis der eigenen Unkenntnis. So gesehen ist die verbissene Ernsthaftigkeit, mit der diese den geistigen Ruin der Welt betreibt, nur mehr als lächerlich zu apostrophieren. Denken, besser gesagt, gedacht zu haben, war etwas anderes. Jedenfalls wäre es das gewesen.

Attaché: Sie meinen, von daher …

Consul: Nur von daher. Denn woher kam die Schnapsidee, den jungen Leuten einzureden, sie könnten irgendetwas Außergewöhnliches bewegen, wenn sie nur irgendetwas Belangloses wüssten?

Attaché: Ich verstehe. Sie meinen den desaströsen Einfluss der Neuen Medien.

Consul: Ich meine einen bestimmten Kontext. Zunächst einmal liegt zwischen dem Verständnis und dem Wissen von etwas allermindestens eine halbe Welt. Will sagen: Eine separierte Betrachtung der Neuen Medien sowie der dazugehörigen Jeunesse dorée verkennte die Verzahnung ihrer jeweiligen Produktions- und Reproduktionsbedingungen. Nota bene: Was nutzen alle Informationen über eine Welt, die als sinnvoller Zusammenhang längst untergegangen ist?

Attaché: Das aber gerade ist doch die Schwierigkeit! Was sollten sie denn auch Konstruktives tun angesichts des großen gesellschaftlichen Wandels?

Consul: Sie könnten sich ihres eigenen Verstandes – so dieser noch nicht vollends destruiert ist – ohne die getwitterte Anleitung der Anderen bedienen. Leider wünschen die jungen Leute, vom Falschen überzeugt zu werden; das ist ihr Problem. Und unser Problem, lieber Attaché, fasste der französische Philosoph E.M. Cioran einmal so zusammen: „Wenn man über das Alter der Revolte hinaus ist und dennoch tobt, so kommt, so kommt man sich selber vor wie ein vertrottelter Luzifer.“

Attaché: Hierbei wäre allerdings der Umstand ins Treffen zu führen, dass es kein leichtes Unterfangen ist, wenn man in Permanenz von bewegten Bildern sich umstellt sieht.

Consul: Das ist sehr statisch gesehen und trifft es nur zur Hälfte. Ich möchte Ihnen die Erkenntnis folgender Differenz nicht vorenthalten: Die Vorstellung, das Leben sei ein leichtes Unterfangen, ist bereits ein falsches Bild.

Attaché: Gleichwohl müssen Sie zugeben …

Consul: Wer etwas zugibt, gibt in der Tendenz bereits nach. Kennen’S übrigens die Ergebnisse der neuen Jugendstudien? Eine interessante Zeitanalyse: Für die Generation Y ist Karriere alles, Politik kaum nix mehr. Eine Attitüde nach dem Motto: Hauptsache, die Konkurrenz geht in Konkurs. Die Furcht vor der eigenen Verzwergung lässt sie dabei sinnlos durch die elektronische Gegend lallen. Quintessenz: Der Gegenwartstrottel ist von morscher Eleganz und ruhiger Blödheit. Folglich darf man sich über den Zustand der res publica nicht wundern.

Leopold: (räuspert sich am Buffet)

Attaché: Aber zwingen nicht vielleicht die erschreckenden ökonomischen Verhältnisse die Menschen dazu? (trinkt)

Consul: Durchs bloße Erschrecken gelangt heute niemand mehr zu einer Erkenntnis. Ich weiß: Nahezu jeder Zehnte in diesem Lande gilt als überschuldet; doch wer kann etwas dafür, dass sie etwas dafür können? Die materielle Armut ist der eine Punkt, da personell begrenzt; die geistige ist der andere, da unerschöpflich – und es wird nicht klar, welcher hier wen zum Springen bringt.

Attaché: Aber Sie können doch der Jugend ihre Begabungen nicht abstreiten!

Consul: Das liegt meinem Bestreben venusfern. (trinkt) Ich gebe allerdings zu bedenken: Wo Geistlosigkeit als größte Leidenschaft dominiert, was helfen da vielfältige Talente, wenn man das entscheidende nicht besitzt, nämlich: sie auch zu nutzen? Darf ich Ihnen auftragen, in diesem Falle in höhere Erwägung zu nehmen, durch welche Maßnahmen dem entgegengewirkt werden kann und sodann bei Gelegenheit an mich zu berichten?

Attaché: Der technische Fortschritt und mit ihm die allgemeine Bildung …

Consul: Der Begriff des technischen Fortschritts ist – streng genommen – nur noch in der unzweifelhaften Tatsache des kulturellen Zerfalls zu fundieren.

Attaché: Das behaupten Sie!

Consul: Behauptung? Ich bitt‘ Sie! Tatsachen muss man nicht beweisen – es reicht, wenn man sie zugibt. Nehmen’S nur den ganzen technischen Klimbim. Die Menschen begegnen einem in der Tat als Ergebnis ihrer Erzeugnisse: Der Fern-Seher, der Fern-Sprecher, der Auto-Fahrer … Übrigens erfolgt auch hier die Vermarktung eines Produktes über die Brandmarkung des Konsumenten.

Attaché: Mitunter möchte den Anschein haben, dass …

Consul: Schaun’S sich um, Attaché! Die Anderen sind in unserer Entwicklung ganz einfach stehengeblieben; das rächt sich nun an uns auf ihre Weise. Wir geraten, unaufhaltsam und von vielen womöglich unbemerkt, in einen Zustand kollektiven Schwachsinns. Jedoch: Die Behauptung, die elektronischen Medien führten das Ende der Kultur herbei, ist selbstverständlich eine irrige – sie waren das Ende.

Attaché: Das hieße, dass wir an unseren eigenen Erkenntnissen scheiterten?

Consul: Es war schon immer so: Brennt die bunte Wohnung, freut sich der graue Möbelhändler.

Leopold: (ist mit dem Wein an den Tisch getreten und füllt die Gläser) Bei der Gelegenheit, die Herren, pflegte unser Sigmund Freud zu bemerken: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Menschen gemeinhin mit falschen Maßstäben messen, Macht, Erfolg und Reichtum für sich anstreben und bei anderen bewundern, die wahren Werte des Lebens aber unterschätzen. Und doch ist man bei jedem solchen allgemeinen Urteil in Gefahr, an die Buntheit der Menschenwelt und ihres seelischen Lebens zu vergessen.“

Consul: Sie sagen es, Poldi. Da kann ma halt nix machen. Also: Auf die Erinnerung! (trinkt)

Attaché: Und auf die Jugend! (trinkt ebenfalls)

Consul: Oder so.

Leopold: (im Abgehen) Semper idem …

(Die Musik verklingt – Gong)

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