NAGEL-Redaktion – Kindheit damals: Ein klein wenig wehmütig

Von Ria Garcia (Mettmann)

Kindheit – geboren 1961 – sah anders aus:

Ich besuchte nie einen Kindergarten. Wir wohnten direkt am Wald und ein „klein wenig abgelegen“. Ich habe nie einen Kindergarten vermisst oder hätte sagen können, dass es mir leid tat keinen besucht zu haben. Mit etwa 10-12 Kindern unterschiedlichen Alters in der Nachbarschaft gab es eigentlich keine Langeweile, und die Kleinen lernten von den Größeren. Wir haben uns noch als Gemeinschaft verstanden, unabhängig von den Altersunterschieden.

Mit stolzen 4 Jahren erkundete ich mit meiner Nachbarsfreundin den Ja- und den Sandberg, während unsere Eltern schon sorgenvoll nach uns suchten. Das hat nichts daran geändert, dass es Wiederholungstouren gab. Mit 5 trug ich Lederhosen und kletterte leidenschaftlich gern auf die Weidenbäume bei den Nachbarn oder sammelte auf sumpfigen Wiesen nahe der Itter riesige Sträuße mit Wiesenschaumkraut oder wilden Margariten, aus denen wir Kränze geflochten haben.

Der kürzeste Weg zum nächsten Schwimmbad ging quer durch den Wald. Wir gingen immer im Verbund hin. Große und Kleine. In der nahe gelegenen Waldkaserne waren noch Engländer stationiert, die uns quer über das Kasernengelände laufen ließen, weil der Weg sicherer und kürzer war und vielleicht einfach auch, weil Kinderlachen eine so herzliche Abwechslung war. Mit 6 hatte ich mein erstes richtiges Taschenmesser, um zu schnitzen, und mein erstes Fahrrad, mit dem ich auch häufig den etwa zwei Kilometer langen Schulweg über eine kleine Landstraße vorbei an Bauernhöfen bewältigte.

Mit 7 befestigte ich die alten Rollschuhe meiner großen Schwester mit Einmachgummis an meinen Schuhen, weil die Riemen gerissen waren, und raste mutig geteerte Garagenabfahrten an einem Hügel herunter. Ich watete barfuß im Naturschutzgebiet durchs Wasser, dass etwa 20 cm hoch zwischen den Bäumen, die dort auf kleinen Inseln wuchsen, stand und erfreute mich an meinem „Märchenwald“, in dem ich oft für mich allein sein konnte. Es war offiziell nicht erlaubt, aber der „Wächter der Vogelskau“ drückte für mich immer beide Augen zu.

Ich durfte sein, wie ich war: Manchmal ein wenig wild und ungebändigt, freiheitsliebend mit Forscherdrang, mal mehr der kleine Junge, mal ganz das kleine Mädchen. Ich durfte alles sein, was ich wollte. Ich durfte Fußball spielen oder Puppenkleider nähen. Ich durfte mir selbst etwas kochen, wenn meine Kreationen meist auch nur für mich essbar waren.

Mit 10 durfte ich mich ein wenig auf der Geburtstagsparty meiner fünf Jahre älteren Schwester tummeln und mich „groß“ fühlen. Mit den älteren Brüdern meiner Freundin entdeckten wir eines Tages eine alte Holzhütte in einem unzugänglichen Waldstück. Wir nahmen uns Vorräte mit und entzündeten den alten Ofen, um uns Brot zu rösten. Mit 12 besuchte ich die Sonntagsdisco im Jugendheim der nahegelegenen Stadt (ohne Mamataxi). Ich war so „angstfrei“, dass ich oft im Dunkeln sogar die Abkürzung über einen Waldweg nach Hause nahm.

Es ist nur ein Erinnerungsausschnitt und es gäbe viel mehr abenteuerliche, kleine Geschichten. Ich war bzw. wir waren weitaus weniger angepasst, als es unsere Kinder heute sind und wir hatten etwas wertvolles: ZEIT. Verglichen mit dem Artikel in der „Zeit“ oder auch mit der Altersspanne bei meinen Kindern, denen ich kaum Termine „aufgedrückt“ habe, die sie aber dennoch innerhalb der gesellschaftlichen Entwicklung hatten, hatte ich ungeheuer viel Freiheit und eine sehr glückliche Kindheit. Kein Wunder, dass die Anzahl psychischer Erkrankungen zunimmt. Ein Kind kann sich heute kaum noch frei entfalten.

Quelle: Facebook-Seite „Spielplatzpaten Mettmann“ vom 20. September 2012

Die Veröffentlichung hier erfolgt mit freundlicher Zustimmung der Autorin.

 

Anmerkung der NAGEL-Redaktion: Die Autorin nimmt Bezug auf den Artikel Kindererziehung Ich will doch nur spielen aus der ZEIT vom 5. September 2012. Die hier angegebenen Örtlichkeiten befinden sich in bzw. in der Nähe von Hilden (Kreis Mettmann). Die NAGEL-Redaktion warnt davor, leichtfertig den Begriff „Nostalgie“ zu verwenden. Gestattet sei ferner ein Hinweis auf unser Internetportal DRAUSSENKINDER.

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