NAGEL-Redaktion – Jugendsexualität


Foto: Rainer Deimel

Die Debatte um sexuellen Missbrauch, Führungszeugnisse für Mitarbeiter, aber auch Phänome wie Pornos auf dem Handy Jugendlicher und anderes haben bisweilen dazu geführt, Sexualität trotz ihrer scheinbaren alltäglichen Präsenz in der pädagogischen Arbeit wieder stärker zu tabuieren. Zumindest ist eine gewisse Unsicherheit beim Umgang mit dem Thema in der Praxis nicht zu übersehen.

Und einmal mehr überholt die Realität die vermeintlichen Fakten. Bei Durchsicht der aktuellen Presse (Anfang September 2010) stellt man hingegen eher eine Art Ernüchterung fest: seltener, später, Wunsch nach fester Partnerschaft … Und es wird räsoniert: „Die Jugend ist besser als ihr Ruf!“ Sokrates lässt grüßen!

Die Kinder- und Jugendarbeit ist gefordert, sich dem Thema trotz möglicher Verunsicherungen qualifiziert zu nähern. Dass sie in der Verlautbarung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ausgeblendet wird, ist bedauerlich, aber nicht ungewöhnlich. Die Arbeitsfelder sind gefordert, sich selbst stärker – auch in Beziehung zum Thema „Jugend und Sexualität“ – qualifiziert zu positionieren und entsprechend einzubringen bzw. das Thema angemessen in die Alltagsarbeit zu intergrieren.

Wenn man sich die Ergebnisse der Studie anschaut, wird man auch schnell zu der Einschätzung gelangen, wie wichtig nach wie vor beispielsweise geschlechtsspezifische Angebote in den Einrichtungen sein könnten.

Im Nachfolgenden gibt es die Untersuchungsergebnisse der BZgA.

ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

 

2010: Jugendsexualität heute

Sexuelle Aktivitäten gehen zurück – Verhütung so gut wie nie zuvor

Seit 1980 untersucht die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) regelmäßig Einstellungen und Verhaltensweisen 14- bis 17-jähriger Jugendlicher zu Aufklärung, Sexualität und Verhütung. Keine andere Studie in Deutschland zu diesem Thema kann auf einen so langen Vergleichszeitraum zurückblicken. Für die neue Studie „Jugendsexualität 2010“ wurden insgesamt 3.542 Jugendliche befragt, darunter 1.014 Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund. Die vollständigen Ergebnisse liegen nun vor.

Deutsche Mädchen und Jungen sind verglichen mit der letzten Repräsentativerhebung aus dem Jahr 2005 seltener früh sexuell aktiv. Bei den 14-jährigen Mädchen sank der Anteil derer mit Geschlechtsverkehrerfahrung deutlich von zwölf auf sieben Prozent, bei den gleichaltrigen Jungen sogar von zehn auf vier Prozent. Bei den 17-jährigen Mädchen reduzierte sich der Anteil von 73 auf 66 Prozent, bei den gleichaltrigen Jungen blieb er mit 65 Prozent nahezu konstant. Dies bedeutet zugleich, dass bis zu einem Alter von 17 Jahren mehr als ein Drittel der jungen Frauen und Männer noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt haben. „Annahmen, wonach immer mehr junge Menschen immer früher sexuell aktiv werden, bestätigen sich nicht“, erklärt Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „Die aktuelle Repräsentativerhebung zeigt, dass seit Mitte der neunziger Jahre die sexuelle Aktivität Jugendlicher fast unverändert und jetzt sogar rückläufig ist.“

In der Regel erleben deutsche Jugendliche ihr „erstes Mal“ in einer festen Beziehung. Darüber hinaus ist die Hälfte der sexuell aktiven Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren bislang lediglich eine Partnerbeziehung eingegangen. Für deutsche Jungen trifft das auf 40 Prozent zu.

Jungen aus Migrantenfamilien sind früher und damit insgesamt häufiger sexuell aktiv als deutsche Jungen. Mädchen mit Migrationshintergrund sind deutlich zurückhaltender und begründen das damit, zu jung zu sein. Vor allem bei jungen Frauen muslimischen Glaubens, insbesondere bei türkischen Mädchen, sind nur wenige sexuell aktiv. Die Mehrheit von ihnen findet einen engen Kontakt zum anderen Geschlecht vor der Ehe nicht richtig.

Erfahrungen mit sexueller Gewalt sind Jugendlichen nicht unbekannt. So berichten 13 Prozent der deutschen Mädchen und 19 Prozent der Mädchen mit Migrationshintergrund über Situationen, in denen sie sich gegen unerwünschte sexuelle Übergriffe oder Gewalt zur Wehr setzen mussten. Von den Jungen berichten dies ein bzw. drei Prozent.

Verhütungsverhalten wird immer besser – Kondom beliebtestes Verhütungsmittel

Sexuell aktive deutsche Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren verhüten heute bereits beim ersten Mal besser als je zuvor: Nur je acht Prozent der Mädchen und Jungen geben an, keine Verhütungsmittel benutzt zu haben. 1980 lag dieser Anteil mit 20 Prozent bei den Mädchen und 29 Prozent bei den Jungen um ein Vielfaches höher. Die neuen Zahlen zeigen zudem, dass Jungen beim ersten Mal mittlerweile ebenso gut verhüten wie Mädchen.

Auch bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund hat sich das Verhütungsverhalten verbessert. Doch verglichen mit ihren deutschen Altersgenossen verhüten sie noch immer seltener. So geben zwölf Prozent der Mädchen und 18 Prozent der Jungen mit Migrationshintergrund an, beim ersten Geschlechtsverkehr keine Verhütungsmittel benutzt zu haben. Im Jahr 2005 waren es noch mehr als ein Drittel der Jungen und etwa jedes fünfte Mädchen.

Das Kondom ist mit deutlichem Abstand das Verhütungsmittel Nummer eins beim ersten Mal. Drei Viertel der deutschen Jungen und Mädchen wenden es beim ersten Geschlechtsverkehr an. Auch Jugendliche mit Migrationshintergrund greifen beim ersten Mal meistens zum Kondom: 75 Prozent der Mädchen und 59 Prozent der Jungen verhüten auf diese Weise. Mit zunehmender sexueller Aktivität ändert sich das Verhütungsverhalten jedoch. Mädchen mit und ohne Migrations-hintergrund verwenden dann häufiger die Pille.

Eltern und Schule: Starke Partner für Jugendliche 

69 Prozent der deutschen Mädchen und 58 Prozent der deutschen Jungen sprechen heute ausführlich mit ihren Eltern über das Thema Verhütung. Das war vor 30 Jahren noch anders: Nur etwas mehr als ein Drittel der Mädchen und nur jeder vierte Junge hatte damals ein Verhütungsgespräch mit seinen Eltern. Eine ähnliche Situation gilt heute noch für viele Jugendliche mit Migrationshintergrund. Lediglich die Hälfte der Mädchen und nur 41 Prozent der Jungen aus Migrantenfamilien erhalten eine Verhütungsberatung im Elternhaus. Bei der Wissensvermittlung rund um die Themen Liebe, Sexualität und Verhütung wird die Schule immer bedeutender. Für Jungen mit Migrationshintergrund ist sie sogar der wichtigste Ort der Aufklärung.

„Eltern und Schule sind heute starke Partner für Jugendliche“, betont Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der BZgA. “Das einmalige verschämte Aufklärungsgespräch von früher ist endgültig vorbei. Die verantwortungsbewusste Sexualaufklärung durch Elternhaus und Schule, vielfältige Beratungsmöglichkeiten und die Informationsangebote der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu den Themen Liebe, Sexualität und Verhütung haben entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland eine der niedrigsten Teenagerschwangerschaftsraten in Europa hat.“

Aufklärungsmaterialien stehen bei Jugendlichen nach wie vor hoch im Kurs. Das gilt ganz besonders für das Internet. Deswegen entwickelt die BZgA ihre Informationsangebote kontinuierlich weiter. Die BZgA bietet Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund ein immer aktuelles, auf ihre Bedürfnisse abgestimmtes Medium an.

Pressemitteilung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung/BZgA vom 2. September 2010

Studie der BZgA: Jugendsexualität 2010

Die BZgA hat – die Studie begleitend und erläuternd – am 2. September 2010 ein übersichtliches, fünfseitiges Hintergrundpapier herausgegeben.

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Rückblick

Zum Vergleich: Die Vorgängerstudien aus den Jahren 2006 und 2001



Studie der BZgA: Jugendsexualität 2006

 

 

Studie der BZgA: Jugendsexualität 2001

 

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