NAGEL-Redaktion – Fernsehen 2006

Fernsehen 2006

Dieser Tage schlage ich meine Fernsehzeitschrift auf und lese folgendes Programm

5.15   Stuart Stupid – Eine Familie zum Kotzen
6.50   
talk talk talk
7.45   
Teenage Werewolf
8.15    Keine Gnade für Davis (Comedyserie)
9.40    Liebe auf den ersten Schrei
11.35  Switch
12.10  Die Sketch Show
12.40  Comedy Club
15.15  Charmed
16.10  Charmed
17.05  What’s up, Dad?
17.30  Sarah & Marc in Love
19.00  talk talk talk
20.00  Newstime
20.15  Nix wie raus aus Orange County
21.50  Blind Horizon (Thriller)
23.50  RoboCop3 (Actionfilm)
1.40    Suspicous Minds (Thriller)

Da fragt man sich ja schon: Hat das Angehen gegen diese Sprachverhunzung überhaupt noch einen Sinn? (1) Und dann lese ich zwei Spalten weiter das Programm eines anderen Senders für denselben Tag:

14.00  Barbara Hirschbichler
14.45  Künstler hautnah
15.15  Der Vater meiner Schwester
16.55  Kaleidoskop
17.20  Absolut
18.45  Mit offenen Karten
19.00  Paläste der Macht
19.50  Info
20.15  Neue Gartenkunst
20.40  Terra X
21.40  360°-Geo-Reportage: SOS auf hoher See
22.10  Die Zauberflöte
0.45    Metropolis
1.35    Kafka geht ins Kino

Was lernen wir daraus? Der erste Sender war Pro 7, also ein typischer Vertreter des von Harald Schmidt einmal so arrogant wie zutreffend benannten „Unterschichtsfernsehens“. Tiefer geht es nicht. Der zweite Sender war Arte, also ein Kanal, in dem Zeitgenossen, deren kultureller Horizont bei McDonalds und Coca-Cola endet, eher selten schwimmen.

Die Anglizitis wandert von oben nach unten. Vor 20-30 Jahren galt es in besseren Kreisen als schick, sich im City Look bei einem Happening zu outen. Heute redet man dort in dieser Sprache im allgemeinen nur noch dann, wenn man, wie der Direktor des Frankfurter Städel-Museums, auch das Pro 7-Publikum erreichen will. Denn heute ist Denglisch die Sprache der Zurückgebliebenen, der Möchte-gern-Erfolgreichen, der Nachmacher und der Verlierer. Wer immer noch zu Meetings einlädt, sich committet und auf deadlines achtet, wird von wahren Tonangebern nicht mehr ernstgenommen – Denglisch-Schwätzer laufen wie mit einem großen Pickel auf der Nase durch die Gegend. Die meisten haben es nur noch nicht gemerkt. (2)

Prof. Dr. Walter Krämer in „Sprachnachrichten“ 28/2005

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(1) Anmerkung der Redaktion: Da fällt uns gerade ein: Etwas kann sinnvoll sein, wie etwas Sinn haben kann. „Sinn machen“ kann übrigens nix! Obwohl wir jeden Tag – mit zunehmender Tendenz – von Dingen hören, die für viele Leute „Sinn machen“. Wieder einmal sind wir einem Anglizismus (dazu noch einem ganz scheußlichen!) aufgesessen! Der Redakteur fängt spätestens nach der zweiten Verwendung mit dem Zählen an: Wie oft kommt es noch? Und während ich zähle, zuhören? Fehlanzeige! Geblubber für den Eimer – gewissermaßen!

(2) Diese Fußnote widmen wir dem 2003 verstorbenen amerikanischen Medienökologen Neil Postman, der uns das „Ende der Kindheit“ prophezeit hat. Schließlich prognostizierte er, wir „amüsierten uns zu Tode“. In diesen Tagen wäre er 75 Jahre alt geworden. Zum Denken hat er uns allemal angeregt. Manche seiner Thesen zweifeln wir inzwischen an, stellen allerdings fest, dass das Fernsehen sehr wohl zur weiteren Verrohung junger Leute beitragen kann, wenn das individuelle Umfeld entsprechend „mitmischt“. Aus meiner Kindheit kenne ich: „dbddhkpukku“ (Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen und keine kalten Umschläge). Diese Abkürzung ging uns flink über die Lippen; noch heute beherrsche ich sie fließend. Eine Generation früher hieß es: „Gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen.“ Es geht auch nicht um Kräuter! Es geht um Bildung! Aber unsere Regierenden verschließen die Augen vor dem, was funktioniert. Es könnte ja auch gefährlich sein, von gebildeten Menschen gewählt werden zu müssen. Und Fernsehen versaut unserer Erkenntnis zufolge immer mehr. Mit Sorge beobachten wir beispielsweise den Wandel des Senders „mtv“: Häufig geht es dort nicht mehr um Musik, sondern um Verrohungsstrategien und fortschreitende Verdummung. Die „Skater“-Kultur zumindest hat inzwischen beträchtlichen Schaden genommen, wie wir beobachten können. „Skater“ hatten ursprünglich tatsächlich so etwas wie Kultur entwickelt: Anteilnahme, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme; diese Tugenden gehen zunehmend unter im Sumpf der morbiden Sendungen von „mtv“.

i-Punkt 4/2006

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