„Bildung ist mehr als Schule!“. Im November 2007 machte sich der Deutsche Städtetag diese Aussage in seiner Aachener Erklärung per Beschluss zueigen. Dieses inzwischen geradezu geflügelte Wort verdient eine genauere Betrachtung.
Bestätigung findet diese These bei Wiebken Düx in ihrem Beitrag „‚Aber so richtig für das Leben lernt man eher bei der freiwilligen Arbeit’ – Zum Kompetenzgewinn Jugendlicher im freiwilligen Engagement“. (1) Sie weist darauf hin, Wissenschaft, Politik und die Organisationen, in denen freiwilliges Engagement praktiziert wird, gingen davon aus, das Engagement junger Leute fördere Lern- und Bildungsprozesse. Dies beziehe sich insbesondere auf soziales Lernen sowie das Hineinwachsen in demokratische Umgehensweisen. Sie gibt zu bedenken, dieses sei kaum empirisch nachgewiesen.
Einer Faustregel zufolge trägt die Schule – großzügig gerechnet – zu einem Drittel zur allgemeinen Bildung junger Menschen bei. Der übergroße Rest wird anderen Sozialisationsinstanzen zugeschrieben, etwa dem Elternhaus oder der (Offenen) Kinder- und Jugendarbeit.
Die Leitgedanken und Paradigmen der Offenen Arbeit
- Partizipation
- Emanzipation und
- Integration
sind feste Bestandteile der Offenen Arbeit. Ohne diese kann ihre Qualität nicht mehr zeitgemäß und den Interessen junger Menschen entsprechend belegt werden. Ihre praktische Umsetzung muss als Voraussetzung sinnvoller und erfolgreicher Arbeit betrachtet werden. Seit Veröffentlichung des 8. Jugendberichts der Bundesregierung (1990) gelten sie als Paradigmem einer verantwortungsbewussten Kinder- und Jugendarbeit. Gern ergänzt werden sie noch durch das „Paradigma der Prävention“. Dieses Ansinnen wurde vor dem Hintergrund einer primär fachlich intendierten Verabschiedung, des neuen Kinder- und Jugendhilferechts – ebenfalls 1990 – nicht nachvollzogen.
Dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ist an keiner Stelle, an der es um die Kinder- und Jugendarbeit geht, zu entnehmen, dass Prävention ein gesetzlicher Auftrag ist – wohl aber die anderen genannten Paradigmen (vgl. hierzu u.a. §§ 1, 8, 9 und 11).
Dass Kinder- und Jugendarbeit präventiv wirkt, wird von keiner ernstzunehmenden Seite bestritten. Festgehalten werden soll in diesem Zusammenhang, worum es nicht geht, nämlich Kinder und Jugendliche an die Gesellschaft und ihre erwachsenen Akteure anzupassen. Vielmehr heißt es, ihre Suche von Wegen erfolgreich zu unterstützen. Es geht hierbei um das Entdecken von Strategien, viable Chancen für sich selbst und den solidarischen Zusammenhalt in der Gesellschaft zu entwickeln. Dabei spielen ihre eigenen Vorstellungen, ihre Visionen zur Zukunft eine ebenso große Rolle wie die Reflexion über das, was sich lohnt zu erhalten. Es geht um eine mündige Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschaft. Die Auffassung über gesellschaftliche Werte wird häufig verwechselt mit einem bequemen Festhalten an tradierten Ideologien, mit deren Hilfe man sich oft gemütlich eingerichtet hat. Entwicklungen – zumal solche, die junge Leute anstoßen – sind dabei störend. Kinder- und Jugendarbeit als verlängerter ordnungspolitischer Arm hat – so deutlich muss es wohl gesagt werden – keine plausible Existenzberechtigung.
So gesehen steht der Präventionsaspekt zwar in einer Reihe mit den Zielen Partizipation, Emanzipation und Integration. Auf die Fahne der Kinder- und Jugendarbeit geschrieben gehört er dennoch nicht, da junge Menschen nun mal nicht an der ihnen angemessenen Weiterentwicklung gehindert werden sollen und dürfen. Prävention betreibt Kinder- und Jugendarbeit en passant. Gerade dies macht einen Teil ihrer Qualität aus.
Dem Bericht der Enquete-Kommission „Chancen für Kinder“ des nordrhein-westfälischen Landtags ist zu entnehmen, dass auf regionaler Ebene flächendeckend „Verantwortungsgemeinschaften für Bildung“ eingeführt bzw. dort, wo sie bereits bestehen, unterstützt werden sollen. Dabei gehe es auch darum, die Koordination und Konsensbildung zwischen den verschiedenen Akteuren des Bildungswesens zu erleichtern. Ausdrücklich wird in diesem Zusammenhang der Kinder- und Jugendarbeit eine „Brückeninstanz“ eingeräumt. Sie soll dabei helfen, eine Begegnung unterschiedlicher Bildungswelten zu leisten. In diesem Kontext wird betont, dass der außerschulischen Bildung in Form der Kinder- und Jugendarbeit gegenwärtig ein verstärkter Stellenwert einzuräumen sei. Erreicht werden solle auf diesem Wege ein verbesserter Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung. Die Kinder- und Jugendarbeit sei hierzu eine entscheidende Ressource. (2)
Dieses Bekenntnis berücksichtigt klar den Umstand, dass die Bedeutung des Arbeitsfeldes gestiegen ist. Diese Feststellung impliziert die Notwendigkeit, für eine Kontinuität hinsichtlich verlorenengegangener Sozialisationserfordernisse zu sorgen. Dabei sollte beispielsweise an das Wachsen und Reifen in sogenannten „informellen Räumen“ gedacht werden. Angesprochen hier wird etwa auch der Umstand, dass die „Eroberung der freien Natur“ inzwischen in der Realität allenfalls noch als organisiertes Angebot durchgeführt wird. Den „informellen Räumen“ als Faktor zum Bildungserwerb wird nach eingangs genannter Faustregel immerhin ein Anteil von mindestens zwei Dritteln eingeräumt.
In der Zwischenzeit wurden unter der Koordination des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Schule und Weiterbildung sogenannte kommunale Bildungsnetzwerk /-büros eingerichtet. Auffallend ist hierbei, dass die Praxis der Kinder- und Jugendarbeit in keinem uns bekannten Fall eingebunden ist. Diese wird allenfalls vielmehr durch die Metaebene kommunal Verantwortlicher berücksichtigt. Auffallend auch, dass regelmäßig von „Jugendhilfe“, die es einzubinden gelte, gesprochen wird. Im Fokus stehen hier offenbar in erster Linie solche Hilfen, die die schulische Praxis vermeintlich günstig zu beeinflussen in der Lage sind.
In der eingangs genannten Dokumentation zu einem Forschungsprojekt „Aber so richtig für das Leben lernt man eher bei der freiwilligen Arbeit“ von Wiebken Düx, heißt es, es ginge um die Frage „was und wie junge Menschen durch Verantwortungsübernahme in Ernst- und Echtsituationen lernen“. Forschungsgegenstände wie
-Ergebnisse lassen sich aus Sicht der AGOT-NRW vor dem Hintergrund zahlreicher vergleichbarer bzw. identischer Inhalte und Methoden auf die Offene Arbeit übertragen. Die in der Studie eruierten – immerhin 60 – Kompetenzen junger Leute umfassen eine breite Palette, die von kaum einer anderen formal bzw. mit Zwängen organisierten Instanz übertroffen werden sollte.
Als personale Kompetenzen werden hier u.a. genannt (3):
- Selbstbewusstsein
- Selbstständigkeit/Selbstbestimmung
- Durchhaltevermögen/Belastbarkeit
- Offenheit/Flexibilität
- Selbstreflexivität/Selbsterkenntnis
- Orientierung – persönlich, politisch, sozial, ökologisch usw.
- Entwicklung von Werten
Beim Erwerb sozialer Kompetenzen geht es u.a. um (4)
- Verantwortungsübernahme/-bereitschaft
- Kommunikationsfähigkeit
- Zuverlässigkeit
- Kooperationsfähigkeit
- Konflikt-/Kritikfähigkeit
- Überzeugungsfähigkeit
- Problemlösungskompetenz
- Beziehungsfähigkeit
- politisch-demokratische Kompetenzen
- interkulturelle Kompetenz
- pädagogische Kompetenz
- Gender-Kompetenz
Unter dem Aspekt sachbezogener Kompetenzen werden kognitive, organisatorische, handwerklich-technische sowie kreativ-musisch-sportliche unterschieden. Hier einige ausgewählte Beispiele: (5)
- Reflexionsfähigkeit
- Allgemeinwissen
- technisch-naturwissenschaftliches Wissen
- politisches Wissen
- Umweltwissen
- Mitbestimmung
- Organisationsvermögen
- kluge Nutzung vorhandener Strukturen/Verwaltung
Es soll noch einmal betont werden: Mit Fug und Recht kann eine an den Interessen ihrer Nutzerinnen und Nutzer organisierte Offene Kinder- und Jugendarbeit für sich deutliche Parallelen aus den Erkenntnissen genannten Forschungsprojekts reklamieren. Ursächlich hierfür kann vor allem die freiwillige Teilnahme und das freiwillige Engagements in den Einrichtungen benannt werden. Dabei ist „Lernen kein Selbstzweck“. Die „Jugendlichen lernen nicht primär um des Lernens willen oder um für sich selbst Kompetenzen zu erwerben, sondern für ihre Aufgaben im Engagement. Anlass, Medium und Ziel des Lernens ist in der Regel die Tätigkeit. Gegenüber … schulischen Anforderungen, die sich ohne unmittelbaren Handlungsdruck vorrangig auf die Bewältigung intellektuell-kognitiver Aufgaben beziehen, bietet freiwilliges Engagement die Möglichkeit und Herausforderung, sich handelnd zu erfahren und zu bewähren.“ (6) Das, was junge Menschen „selbst handelnd gelernt, erlebt und erfahren haben, wird in weit stärkerem Maße zueigen gemacht als fremdbestimmte, vorgegebene Wissensinhalte.“ (7)
„ … Lernen ist abhängig vom subjektiven Interesse, der individuellen Motivation sowie den Erfordernissen und Anregungen in der Praxis … Für längerfristiges Lernen, insbesondere abstrakte Inhalte genügt aber kurzfristiges Interesse allein häufig nicht. Dabei sind auch Phasen unausweichlich, in denen man etwas lernt, was nicht von vornherein und in sich interessant ist. Ein solches Lernen ist im freiwilligen Engagement eher selten.“ (8)
Diese Feststellung von Wiebken Düx mag nach diesem fachlich-euphorischen Höhenflug – unser Arbeitsfeld betreffend – wieder auf den Teppich holen.
Die bisher vorgetragenen Erkenntnisse legen zwingend nahe, künftig verstärkt über diverse Kooperationsformen nachzudenken und solche zu organisieren. Der Begriff der „kommunalen Bildungslandschaften“ wird inzwischen als pragmatischer Leitbegriff genutzt, wenn es darum geht, unterschiedliche Akteure, Interessen und Konzepte zu bündeln. In einer solchen Landschaft wird es möglich sein, die unterschiedlichen Bildungsangebote und Bildungschancen transparent und zugänglich zu machen.
Seit dem sogenannten Pisa-Schock kursiert die Rede von der notwendigen „Augenhöhe“ zwischen Jugendarbeit und Schule. Leider hat sich diese in den vergangenen Jahren in der Praxis eher als Mär, denn als tatsächlich erreichtes Ziel entpuppt.
Nach wie vor scheint beim „Partner Schule“ vor allem der Wunsch dominant, die Kinder- und Jugendarbeit bzw. die Jugendhilfe als Gaul einzuspannen, der den Karren aus dem Mist ziehen soll. Dummerweise geht es dabei zumeist darum, junge Menschen für eine Praxis zurückzuerobern, die ihnen und ihren Interessen nicht gerecht wird, sie schlimmstenfalls für tradierte unterrichtliche Verfahrensweisen zu begeistern: ein Vorhaben, bei dem beide – Jugendarbeit wie Schule – scheitern müssen. Wie ist beispielsweise erklärbar, dass Jugendliche pünktlich in der Jugendarbeit erscheinen, zum Unterricht aber zu spät kommen oder erst gar nicht erscheinen?
Es soll hier darauf verzichtet werden, zu analysieren, warum die Schule mit ihren Methoden so oft auf verlorenem Posten zu stehen scheint. Nur soviel: Regenerationsprozesse gelingen am ehesten im eigenen Kontext, was wir mit Blick auf die Institution „Schule“ beispielsweise bei den „gelingenden Schulen“ feststellen können. Zum Teil wurden diese von der AGOT-NRW dokumentiert. (9) In solchen Zusammenhängen ist es gar nicht erforderlich, über eine Selbstverständlichkeit wie die der gemeinsamen Augenhöhe zu faseln. In solchen Zusammenhängen weiß man, was man voneinander hat und betrachtet sich gegenseitig nicht als Reparaturhelfer oder notwendiges Übel, sonders als sich fruchtbar ergänzende Partner.
Qualitätsverbesserungen im Sinne junger Menschen erfordern auf mittlere Sicht nicht nur ein fachlichen Umdenken und ein dementsprechendes Handeln. Wir kommen auch nicht umhin, zahlreiche liebgewonnene und gleichsam verhasste Strukturen ernsthaft in Frage zu stellen. (10)
Ein ganz alltägliches Beispiel aus der Praxis: Eine offene Einrichtung – in diesem Fall ein Spielmobil – zeigt im Rahmen einer beabsichtigten Kooperation Präsenz in einer Grundschule. In diesem Zusammenhang wird mit den Kindern auf dem Schulhof ein Feuer gemacht, was kurzerhand den Hausmeister der Schule (11) auf den Plan ruft, der sich empört, die Kinder „zündelten ohne zu grillen“. Als verantwortlicher Hausmeister ruft er die Schulleiterin auf den Plan, die unmissverständlich klar stellt, dass so etwas nicht ginge. Ende der Kooperation! Dieses Beispiel belegt stellvertretend, dass die schlichte Übertragung „schulischer Gesetze“ auf die Kinder- und Jugendarbeit ein erfolgloses Unterfangen darstellt.
Dieses Beispiel steht auch stellvertretend dafür, dass eine unter qualitativen Gesichtspunkten organisierte Kinder- und Jugendarbeit ihre „eigenen Gesetze“ hat, die es in das Netzwerk kommunaler Bildungslandschaften zu integrieren gilt. Dabei kann es nicht darum gehen, noch mehr von dem zu organisieren, was nicht funktioniert. Vor dem Hintergrund mittlerweile eingekehrter (Existenz-)Ängste ist in der Kinder- und Jugendarbeit zum Teil inzwischen ein solcher Trend zu beobachten, mit anderen Worten: Man assistiert dabei, Dinge zu organisieren, die eine an Kindern und Jugendlichen orientierte Pädagogik leider ins Hintertreffen geraten lassen. Wir sind der Auffassung, dass hier eine illegitime Beteiligung stattfindet, die den befürchteten Niedergang der Kinder- und Jugendarbeit noch beschleunigen dürfte.
Der Aspekt der Freiwilligkeit zur Teilnahme ist in der Kinder- und Jugendarbeit ein einzigartiger Qualitätsindikator. Diesen gilt es nicht nur zu bewahren – vielmehr müssen vor dem Hintergrund seines belegbaren Erfolgs im Sinne nachhaltiger Bildung Konzepte realisiert werden, die gerade dies berücksichtigen. Dabei sollte man sich auch neue Formen von Experimentierfreudigkeit nicht verbieten.
Die AGOT-NRW will sich auf ein Experiment einlassen, nämlich „kommunale Bildungslandschaften“ zu organisieren mit schulischen und anderen Partnern; dies, wo es bereits erfolgreiche Handlungsansätze gibt. Die AGOT-NRW hält es nicht für sinnvoll, hinter Schulen herzulaufen, um erfolgreiche Elemente der Offenen Arbeit wie Warmbier anzubieten – und sie in einem neu organisierten Kontext gleichzeitig ihrem Untergang preiszugeben.
Die Offene Kinder- und Jugendarbeit hat einen eigenen – auch gesetzlich verbrieften (z.B. § 11 SGB VIII) – Bildungsauftrag. Es gilt, diesen zu erkennen, die damit verbundenen Ziele zu formulieren und umzusetzen. Wesentliches methodisches Instrument dabei ist die Mitbestimmung junger Leute, was etwas völlig anderes ist, als das seinerzeit von Herbert Grönemeyer besungene „Kinder an die Macht“. Es gilt ebenso zu erkennen, dass junge Menschen keine „triviale Maschinen“ – wie es Heinz von Foerster seinerzeit trefflich formulierte (12) – sind, sondern Experten ihrer selbst. Und vor diesem Hintergrund sind sie aktiv in ihre Entwicklung einzubinden. Das betrifft auch – und möglicherweise vor allem – den Aspekt der Bildung.
Verschwiegen werden soll hier abschließend allerdings nicht der Hinweis darauf, dass Bildung – wie sie in Deutschland zumeist verstanden wird – nicht alle Probleme löst. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) sprach kürzlich vom „Mythos Bildung“. (13) Sie stellte dabei fest, dass manche gesellschaftlichen Probleme eben nicht allein mit besserer Bildung, einem besseren Schulabschluss zu lösen seien. Es fehle meist nicht an Bildung, sondern an Hilfen, Betreuungsmöglichkeiten, Kita-Plätzen, Lehrstellen und Arbeitsplätzen. Das Vorstandsmitglied der Sektion der Sozialpolitik der DGS, Prof. Dr. Ute Klammer, sagt hierzu: „Viele junge Menschen landen in der beruflichen Sackgasse. Da hilft Bildung wenig. Der Bildung wird zuviel aufgebürdet.“ (14)
Letztgenannte Gesichtspunkte spielen auch beim experimentellen Vorhaben der AGOT-NRW eine bedeutende Rolle. Die Offene Arbeit hat den Bezug „Bildung – Soziales“ regelmäßig integriert. Und sie erfährt verbale Unterstützung auch von Prof. Dr. Jutta Allmendinger, der Präsidentin des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung in Berlin. Allmendinger stellt fest, Bildung und Soziales seien in Deutschland kurioserweise getrennt – im Gegensatz zu anderen – erfolgreicheren – Ländern. Der politischen Parole „Vorfahrt für Bildung“ erteilt sie eine Absage. Wir leisteten uns ein hochselektives Schulsystem, eine unterentwickelte frühkindliche Bildung sowie ein unterfinanziertes Hochschulsystem. Schließlich investiere Deutschland trotz anderer Verlautbarungen rund 20 Prozent weniger in Bildung als andere vergleichbare Länder. Die vorfindbare Bildungsrethorik sei nicht nachvollziehbar. Die Soziologen kommen zu der Auffassung, wenn Bildung nicht zuviel zugemutet und sie nachhaltig wirksam werden solle, seien Investitionen in den Sozialbereich unabwendbar. (15)
Trotz – noch – unterschiedlicher Vorstellungen über Bildungserwerb wollen wir dieses Experiment „kommunaler Bildungslandschaften“ wagen. Wir sind davon überzeugt, dass die Offene Arbeit dabei eine nicht zu unterschätzende Bereicherung sein wird. Übrigens, ohne in einer Pisa-Schock-Starre zu verharren, haben wir auch Kenntnis davon, dass erfolgreichere Pisa-Länder längst die konstruktiven Elemente, für die hierzulande die Offene Arbeit stehen kann, in ihr Bildungs- und Sozialsystem integriert haben.
Die hier geschilderten Vorstellungen gehen von einer ganzheitlichen Sichtweise aus, die alle Systeme, die die Sozialisation junger Leute betreffen, zusammenbringt. Vor diesem Hintergrund bleibt auch die Familienbildung nicht außen vor. Im Gegenteil ist sie gegenwärtig und vor allem zukünftig integraler Bestandteil einer aktiv auftretenden und gewinnbringenden Offenen Kinder- und Jugendarbeit, einer schöpferischen Arbeitsform, ohne die kommunale Bildungslandschaften nicht sinnvoll zu entwickeln sind.
Aus diesen hier vorgetragenen Gründen appelliert die AGOT-NRW an Sie und Euch: Bringen Sie sich, bringt Euch als Vertreterinnen und Vertreter der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in die Entwicklung der kommunalen Bildungslandschaften bzw. der regionalen Bildungsnetzwerke ein, damit unser Bildungsauftrag von Öffentlichkeit und Politik deutlicher wahrgenommen und realisiert werden kann – dies in erster Linie im Interesse der Rechte von Kindern und Jugendlichen.
AGOT-NRW, im November 2009
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Fußnoten
(1) vgl. Wiebken Düx: „‚Aber so richtig für das Leben lernt man eher bei der freiwilligen Arbeit’ – Zum Kompetenzgewinn Jugendlicher im freiwilligen Engagement, in: Thomas Rauschenbach/Wiebken Düx/Erich Sass (Hg.): Informelles Lernen im Jugendalter, Weinheim und München 2006 (Juventa Verlag)
(2) vgl. Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen (Hg.): Chancen für Kinder. Rahmenbedingungen und Steuerungsmöglichkeiten für ein optimales Betreuungs- und Bildungsangebot in Nordrhein-Westfalen. Bericht der Enquetekommission 2008
(3) vgl. Düx, a.a.O., S. 210 ff.
(4) vgl. ebenda
(5) vgl. ebenda
(6) ebenda, Seite 231
(7) ebenda, Seite 232
(8) ebenda, Seite 237
(9) AGOT-NRW: Auf dem Weg zur gelingenden Schule – Eine bildungspolitische Streitschrift aus Sicht der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, Düsseldorf 2006
(10) Als Fußnote sollen hier einige wenige Beispiele genannt werden: Lehr- und Unterrichtspläne, Schulpflicht, Kopf- und andere Noten, neue Verortung des Aspekts der Freiwilligkeit, regelmäßige Fortbildungen für pädagogisch tätiges Personal, sinnvolle Verknüpfungen von Theorie und Praxis
(11) Hier gilt es zusätzlich zu bedenken, dass der Einstellungsträger des Hausmeisters ein völlig anderer, als dies beim pädagogisch tätigen Personal der Fall ist.
(12) vgl. Rainer Deimel: Demokratische Grundschule, in: Axel Backhaus/Simone Knorre/Hans Brügelmann/Elena Schiemann (Hg.): Demokratische Grundschule – Mitbestimmung von Kindern über ihr Leben und Lernen, Arbeitsgruppe Primarstufe am Fachbereich 2 der Universität Siegen, Siegen 2008; auch: Rainer Deimel: Über die Unmöglichkeit, objektiv zu urteilen – Zur Klärung eines Paradoxons, bisher unveröffentlichtes Skript als Beitrag für ein geplantes Buchprojekt
(13) Jahrestagung der Sektion Sozialpolitik der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vom 8. bis 9. Oktober 2009 in Essen (Universität Duisburg-Essen)
(14) derWesten.de vom 8. Oktober 2009
(15) ebenda