NAGEL-Redaktion – Welche Bildung leistet die Offene Arbeit?

Von Rainer Deimel

Bildung ist keineswegs das Privileg von Schulen. Die Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verfügt nicht selten über geeignetere Möglichkeiten und Methoden zum Bildungserwerb. Ein wesentliches Merkmal in der Offenen Arbeit ist, dass Bildung im Transfer stattfindet; Kinder und Jugendliche eignen sich Erfahrungen durch aktive Auseinandersetzung und Handeln an.

 

Dass „Bildung“ seit Jahrhunderten etwas sehr Kreatives beschreibt , belegt auch der Blick in das Wörterbuch:

 

bilden, Verb, ‚formen, gestalten, hervorbringen, darstellen, sein‘, übertragen ‚erziehen, die geistigen Anlagen entwickeln‘, althochdeutsch biliden ‚formen, gestalten, zum Beispiel geben, nachahmen‘ (9. Jahrhundert) und bilidon ‚abbilden, nachahmen, Vorbild sein, gestalten‘ (8./9. Jahrhundert, vom 10. Jahrhundert an vorherrschend), postnominale Ableitungen von althochdeutsch bilidi (Bild), fallen zusammen in mittelhochdeutsch bilden ‚mit Bildern verzieren, gestalten, nachbilden, vorstellen‘ (gleichbedeutend mittelniederdeutsch belden, bilden und niederländisch beelden ‚bilden, abbilden, malen‘). Das bis heute ein Formen realer Gegenstände, namentlich ein Gestalten visuell erfassbarer Kunstwerke (bildende Kunst, 18. Jahrhundert, anfangs im Plural) bezeichnende Verb findet im Sprachgebrauch der Mystiker auch Anwendung auf den geistig-seelischen Bereich; von der Mitte des 18. Jahrhunderts an und besonders in der Klassik wird bilden zum Ausdruck für die Bestrebungen der bürgerlich-humanistischen Pädagogik; gleichzeitig werden daher auch das Partizipialadjektiv gebildet, das das Erziehungsergebnis kennzeichnet, und dessen Substantivierung der Gebildete üblich. Sich anschließende Präfixbildungen sind abbilden, Verb ‚im Bilde darstellen‘ (16. Jahrhundert; dazu Abbildung für ‚bildliche Wiedergabe‘, 2. Hälfte 16. Jahrhundert); ausbilden, Verb, ‚mit bestimmten Kenntnissen und Fertigkeiten versehen‘, auch ‚entwickeln, formen‘, mittelhochdeutsch uzbilden ‚eine Nachbildung zeigen‘ (dazu Ausbildung für ‚Schulung, Entwicklung‘, 1. Hälfte 17. Jahrhundert); einbilden, Verb, reflexiv ’sich der Wirklichkeit widersprechende Vorstellungen machen, sich etwas in den Kopf setzen‘, mittelhochdeutsch inbilden ‚einprägen, in der Seele abbilden‘ (bei den Mystikern), im älteren Neuhochdeutsch (reflexiv) noch allgemein ’sich etwas vorstellen‘, dann ’sich falsche Vorstellungen machen‘ (auch hinsichtlich des eigenen Wertes); dazu gehören Einbildung für ‚falsche Vorstellung , Überheblichkeit‘, mittelhochdeutsch inbildunge ‚das Einbilden, in die Seele senken‘, das Kompositum Einbildungskraft für ‚Phantasie‘ (1. Hälfte 17. Jahrhundert, vereinzelt im 16. Jahrhundert) sowie das in jüngerer Zeit sich verselbstständigende eingebildet, Partizipialadjektiv ‚überheblich‘ (17. Jahrhundert). Bildner ‚Gestalter, Former‘, althochdeutsch bilidari, bilideri ‚Bildner, Gestalter, Schöpfer‘ (9. Jahrhundert), mittelhochdeutsch bildaere, bildenaere ‚Bildner, Schöpfer‘, auch ‚Vorbild, Muster‘, mittelhochdeutsch Bilder ‚Schöpfer‘ noch bis ins 18. Jahrhundert neben sich schließlich durchsetzendem Bildner, das jetzt auf die gehobene Ausdrucksweise beschränkt ist oder als zweites Kompositumsglied z.B. in Bühnen-, Kostüm-, Maskenbildner vorkommt; bildsam Adjektiv ‚formbar‘, übertragen auch ‚für Lehren empfänglich, erziehbar‘, vereinzelt spätmittelhochdeutsch bildsam ‚vorbildhaft‘, neuhochdeutsch in den heutigen Verwendungen seit Mitte des 18. Jahrhunderts Bildung für ‚der Vorgang des Entfaltens der geistigen Anlagen, des Erziehens sowie dessen Ergebnis‘, auch ‚Schaffung, Formung‘ und ‚Gestalt‘, althochdeutsch bilidunga ‚Widerschein, Abbild‘ (11. Jahrhundert), bei Notker (für lateinisch imaginatio) ‚Vorstellung, Vorstellungskraft‘ (vgl. altsächsisch unbilidunga ‚Unförmigkeit‘, 11. Jahrhundert), mittelhochdeutsch bildunge ‚Bildnis, Gestalt, Muster‘, in der Mystik ‚Phantasie‘, neuhochdeutsch zunächst vor allem ‚bildliche Darstellung, Abbild‘ und (sehr verbreitet im 18. Jahrhundert) ‚Gestalt‘, seit Mitte des 18. Jahrhunderts (dem Verb bilden entsprechend) auch ‚geistig-seelische Formung des Menschen, Erziehung‘.

 

aus: Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, 2. Auflage, München 1993

 

 

Welche Bildungs-Komplexe werden in der Offenen Arbeit stimuliert?

     

  • Sensitive Bildung > mit allen Sinnen lernen
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  • Praktische Bildung > manuelles, grob- wie feinmotorisches Lernen
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  • Persönliche Bildung > Erwerb von Kompetenz
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  • Kognitive Bildung > abstraktes Lernen > Lösung von Problemen
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  • Soziale Bildung > Erwerb solidarischen Verhaltens
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  • Politische Bildung > Herstellung gesellschaftlicher Zusammenhänge
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  • Kulturelle/ästhetische Bildung > Schöpferische/künstlerische Befähigung (Theater, Musik, bildnerisches Gestalten, Film, Fernsehen, Computer usw.)
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  • Methodische Bildung > Erwerb spezifischer Fähigkeiten
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  • Emotionale Bildung > Erwerb emotionaler Kompetenz
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  • Korporale Bildung > In der Bewegung (Spannung/Entspannung) wird die Entfaltung menschlicher Intelligenz günstig stimuliert, Essgewohnheiten usw.

 

Rolle der PädagogInnen

PädagogInnen sind weder „Raumwärter“ noch „Betreuer“. PädagogInnen haben einen kind- bzw. jugendgerechten (Lern- und Bildungs-) Rahmen zu organisieren. Pädagogik begreift sich in einem solchen Sinne als Rahmengestalter und Milieukonstrukteur.

Ferner muss seitens der Pädagogik eine Lobbyrolle eingenommen werden. Deren Grundlage fußt auf einer partizipatorischen Haltung: Pädagogik nimmt Bedürfnisse, Anliegen, Problemsituationen u.a. wahr und bemüht sich um eine erfolgreiche Dolmetscherfunktion. Pädagogik transportiert ihr Wissen über ihr Zielgruppen und -personen an hilfreiche Personen, Gremien, Politik usw. Dies geschieht unter dem Motto: „Ich habe wahrgenommen, dass …, schließe daraus … und so weiter“ und nicht: „Ich weiß, was für dich/euch gut ist.“

Pädagogik heißt auch Animation; dies verstanden in dem Sinne, Angebote vorzuhalten und eine Vielfalt an Optionen zu schaffen, die von den Kindern und Jugendlichen als attraktiv erlebt werden können. Pädagogik sorgt somit für Anregungen und Aktivitäten, die auf einer lustvollen und möglichst selbstbestimmten (freiwilligen) Basis angenommen werden.

Die Basis pädagogischen Handeln bildet die „Beziehungs-Arbeit“. Sie ist allerdings keineswegs – wie häufig in der Praxis postuliert – das alleinige Element professionellen Tätigwerdens. Die anderen beschriebenen Faktoren spielen eine ebenso bedeutsame Rolle. Kinder und Jugendliche erfahren persönliche und emotionale Wertschätzung, Bestätigung in ihrem Tun; sie erfahren Solidarität, lernen Unterschiede zu erkennen, zu respektieren und auszuhalten. Eine sich so begreifende pädagogische Haltung hat den Aspekt der Integration konstruktiv verinnerlicht.

Merke: Jedes Kind (jeder Jugendliche, jeder Erwachsene) ist prinzipiell unbelehrbar (nach Prof. Dr. Gerold Scholz, Universität Frankfurt am Main). Junge Menschen können nur lernen. Lernen ist ein Prozess, den Pädagogik mit den jungen Leuten gestaltet. Lernen findet lustvoll statt. Lernen muss Freude machen. „Fehler“ zu machen ist eine der wichtigsten Lernressourcen: Probieren, Fehler machen, nachdenken, erneut probieren, wiederholen … Die Einordnung misslungener Versuche als „Fehler“ ist eine unhaltbare Bewertung Erwachsener. Um zu begreifen, müssen Kinder „das Rad immer wieder neu erfinden“. Und schließlich: Lernen ist kontextabhängig.

 

Vorsicht! Falle! „Betreuung“ => Emanzipationsverhinderung (Motto: Ich weiß, was für dich am besten ist!)

Beschützen, Behüten, Bewahren, Behindern …

 

 

Literatur zum Kontext

 

Eckhard Schiffer:

Der Kleine Prinz in Las Vegas

Warum Huckleberry Finn nicht süchtig geworden ist

Warum Hieronymus B. keine Hexe verbrannt hat

 

Elisabeth C. Gründler/Norbert Schäfer:

Naturnahe Spiel- und Erlebnisräume

 

Jean Liedloff:

Auf der Suche nach dem verlorenen Glück

 

Wilhelm Rotthaus:

Wozu erziehen?

 

 

Angaben zum Autor:

Rainer Deimel, Jahrgang 1953, ist Bildungsreferent beim ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und Systemischer Berater DGSF.

 

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