Ganztagsangebote bedarfsgerecht weiter ausbauen – Flexibilisierung an weiterbildenden Schulen ermöglichen

Am 6. April 2011 fand im nordrhein-westfälischen Landtag (Ausschuss für Schule und Weiterbildung) eine Expertenanhörung statt. Erstmalig wurde auch die Offene Arbeit zu einem solchen Thema eingeladen. Um den vor Ort Verantwortlichen Gelegenheit zu geben, sich mit der Stellungnahme zu befassen, kann sie hier in der schriftlich vorgelegten Variante nachgelesen und zur weiteren Arbeit mit der Thematik heruntergeladen werden.

Stellungnahme

Rainer Deimel, ABA Fachverband Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

Im Kontext der von uns vertretenen Zusammenhänge verdienen folgende Fragen besondere Beachtung, nämlich

a) Welche Auswirkungen hat der Ganztag auf außerschulische Bildungs- und Freizeitangebote und welche Möglichkeiten der Verzahnung von Schule und außerschulischen Angeboten gibt es?
b) Wie sollte ein qualitativ hochwertiges und für Eltern bzw. Schüler attraktives Ganztagsangebot aussehen und organisiert sein?
c) Welche Probleme und Hemmnisse bestehen bei der Einbindung der Offenen Jugendarbeit?

Einführung

Grundsätzlich sollte einleitend festgehalten werden, dass die landläufige Anschauung, Schulpolitik synonym als Bildungspolitik zu begreifen, als verhängnisvoll eingestuft werden muss: Die Experten sind sich darüber einig, dass die Schule – der „klassische Unterricht“ – allenfalls zu einem Drittel zur Bildung junger Menschen beiträgt. Dieser These folgend, findet der überwiegende Teil des Bildungserwerbs in anderen Zusammenhängen statt. Eine nicht unerhebliche Rolle spielt dabei die (Offene) Kinder- und Jugendarbeit.

Neben der Bundeswehr und der Kirche ist die Schule eine der letzten weitgehend demokratiefreien Zonen innerhalb unserer demokratisch verfassten Gesellschaft. Dies hat zur Folge, dass den im System „Beschulten“ kein Subjektstatus zugebilligt wird; vielmehr werden sie als zu belehrende Objekte betrachtet. Deutlich wird diese Sachlage auch durch die Definition der Betroffenen als „Schüler“.

Der amerikanisch-österreichische Biophysiker (Kybernetiker, Physiker sowie Kognitions- und Perzeptionsforscher) Heinz von Foester (1911-2002), maßgeblich an der Entwicklung der Erkenntnistheorie des Radikalen Konstruktivismus beteiligt, hat mehrfach auf diesen Umstand hingewiesen. Gern verwandte er dabei unter anderem die Metapher der „Trivialen Maschine“, mit der er die Praxis des Unterrichts verglich. Bei dieser imaginären Maschine stellte er eine unbedingte und unveränderliche – allerdings unhaltbare – Relation zwischen Input und Output fest. (1) In der Schule werden – abhängige – Menschen wie „Triviale Maschinen“ benutzt. Eine Geschichte, die Heinz von Foerster erzählt hat, veranschaulicht dies auf eindrucksvolle Weise: „Ich war einmal bei einer befreundeten Familie zum Mittagessen eingeladen – und der kleine Bub, der von der Schule hätte kommen sollen, kommt und kommt nicht nach Hause. Schließlich erscheint er doch, er weint und sagt: ‚Ich musste nachsitzen! Die Lehrerin hat mich in der Ecke stehen lassen!’ Wir wollten natürlich von ihm wissen, was denn passiert sei. Er erzählte, dass die Lehrerin ihm gesagt habe, er sei frech gewesen, er habe freche Antworten gegeben. Der kleine Bub: ‚Sie hat mich gefragt, wie viel ist 2 x 3?’ Und ich habe ihr gesagt: ‚Das ist 3 x 2! Alles hat gelacht – und die Lehrerin hat mich in der Ecke stehen lassen.’ Ich habe diesen kleinen Bub gefragt: ‚Deine Antwort ist völlig richtig, aber kannst du sie beweisen?’ Da nimmt er Papier und Bleistift, zeichnet zwei Punkte und – darüber – drei Punkte. Er sagt: ‚Das ist 3 x 2!’ Und dann dreht er das Papier um 90 Grad und meint: ‚Siehst du, Heinz, das ist 2 x 3!’ Dieser kleine Bub, der sieben Jahre alt war, hat auf die ihm eigene Weise das kommutative Gesetz der Multiplikation bewiesen: A x B ist B x A. Dass die Lehrerin diese Einsicht nicht als großartig erkannte, ist traurig. Sie hatte von ihm erwartet, dass er auf ihre Frage, was ist 2 x 3 ‚sechs’ sagt. Da er dies nicht tat, schien seine Antwort als falsch, frech und aufsässig. Das nenne ich Trivialisierung junger Menschen.“ (2) Heinz von Foerster wird gefragt, ob Lehrer mit der ‚prinzipiellen Nichttrivialität’ ihrer Schüler zu rechnen hätten. Er entgegnet: ‚Selbstverständlich. Und wenn die Trivialisierung schon erfolgt ist, dann heißt die Aufgabe für die Pädagogik: Enttrivialisierung, auf andere Antworten aufmerksam machen, zu einer Vielfalt der Lösungen und Sichtweisen anregen. Man könnte diesem kleinen Bub zum Beispiel zeigen, dass sich eine Zahl auf äußerst vielfältige Weise beschreiben lässt. Wenn die Lehrerin die gewünschte Antwort ‚sechs’ erhalten hätte, könnte sie weiterfragen: ‚Was ist sechs?’ Mögliche Antworten sind: Sechs ist die Wurzel aus 36, sechs ist 5 + 1 und 8 – 2, 6 ist 2 x 3 und 3 x 2.“ (3)

Bestätigt wird diese grundsätzliche Kritik von der gegenwärtigen Hirnforschung. So bewertet der Forscher Gerhard Roth (4) aktuell die Didaktik des Unterrichts als „unwissenschaftlich“; der Lehrer unterrichte nach eigenen Gesichtpunkten. Damit werden unmissverständlich die Thesen von Foersters bestätigt. Des Weiteren schlägt er u.a. vor, weniger „Stoff durchzunehmen“. Der bekannte Schulexperte und -kritiker Reinhard Kahl macht sich in diesem Zusammenhang dafür stark, „Stoff“ in der Schule vollends zu eliminieren. Auch seiner Meinung nach ist das Hauptritual in der Schule die Belehrung. Die Lehrer sollten aufhören, „Stoff“ einzufüllen oder zu vermitteln. Er scheut sich nicht, in diesem Zusammenhang den Begriff des „Dealers“ zu verwenden, denen der „Stoff“ eher überlassen sein sollte. (5) Roth zählt zu einer „hirngerechten Didaktik“ das exemplarische Lernen, die Abschaffung der 45-Minuten-Takte sowie fächerübergreifende Lernsituationen.

Kommen wir zu den gestellten Fragen:

a) Welche Auswirkungen hat der Ganztag auf außerschulische Bildungs- und Freizeitangebote und welche Möglichkeiten der Verzahnung von Schule und außerschulischen Angeboten gibt es?

Der zunehmende (sogenannte) „Ganztag“ zeitigt seine Auswirkungen verständlicherweise in den außerschulischen Bildungs- und Freizeitangeboten. Augenblicklich kann die Situation überwiegend so eingeschätzt werden, dass wir es beim „offenen Ganztag“ vor allem mit einer quantitativen Dimension zu tun haben; dies ist nach wie vor einer der Hauptkritikpunkte aus pädagogisch-professioneller Sicht. Bezogen auf ihr Zeitbudget nimmt der „offene Ganztag“ in nicht unerheblichem Maße Zugriff auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen. Ihre Gelegenheit, an anderen Angeboten teilzuhaben, wird deutlich reduziert. Aus einem pädagogisch-qualitativen Blickwinkel heraus kann man konstatieren, dass die Angebote des „offenen Ganztags“ häufig nicht im Sinne der betroffenen Kinder organisiert werden. Nicht selten findet die vormittägliche Rhythmisierung des Tagesablaufs der jungen Leute am Nachmittag ihre Fortsetzung. Inhaltlich werden die Interessen der Kinder und Jugendlichen bei der Organisation des Nachmittags häufig nicht bzw. nur peripher berücksichtigt. Kritiker führen darüber hinaus an, der offene Ganztag sei eine Billigvariante der Beaufsichtigung von Kindern; er könne auch nicht mit dem Niveau der früheren Arbeit in Horten verglichen werden. Außerdem entspreche er eher den Interessen der Eltern und weniger denen der Kinder. Versäumt wurde zumeist, Konzepte, die sich beispielsweise in der Kinder- und Jugendarbeit bewährt haben, angemessen in den Schulbetrieb zu integrieren.

Dass dies nicht geschieht, sollte fachliche Aufmerksamkeit erregen. Unterstellt sei hier, dass dies nicht wider besseres Wissen geschieht; vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass hilfreiche Konzepte, die den Interessen der Kinder und Jugendlichen entsprechen, in der Schule häufig völlig unbekannt sind. Auffallend ist ebenso das dortige Unvermögen, zwischen Jugendhilfe und Jugendarbeit fachlich zu differenzieren.

Vor dem Hintergrund des SGB VIII, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, ist Jugendarbeit Teil der im Gesetz beschriebenen „Leistungen der Jugendhilfe“. Nicht zufällig wird die Jugendarbeit im Paragraphen 11 als erstes hinter den „Allgemeinen Vorschriften“ aufgeführt. Jugendarbeit gehört zu den allgemein fördernden Aufgaben, die sich generell auf alle Kinder, Jugendlichen und Familien beziehen und auf die diese einen gesetzlichen Anspruch haben. Entgegen immer wieder kolportierter Vorstellungen ist Jugendarbeit nämlich keine „freiwillige Leistung“, sondern verpflichtend.

Das SGB VIII kennt darüber hinaus auch direkt helfende Aufgaben, wie etwa Beratung, Einzelbetreuung und Inobhutnahme. Angesichts des festgestellten Nichtwissens zur Kinder- und Jugendarbeit ist es Aufgabe der Politik, diese Differenzierung fachlich mit Nachdruck zu vertreten und dafür Sorge zu tragen, dass diese auch in der Schule „ankommt“. Dazu ist vor allem ein entsprechend hohes Maß an Fachlichkeit zu entwickeln, das über Kompetenzen unterrichtlicher Praxis hinausgeht. Vor diesem Hintergrund könnten in zahlreichen Zusammenhängen sinnvolle Verzahnungen von Schule und außerschulischen Angeboten entwickelt werden. Als unbedingte Voraussetzung hierfür sind die Interessen von Kindern und Jugendlichen in besonderem Maße zu berücksichtigen. Eine künftige Schulentwicklung ist – so gesehen – sowohl ein fachlicher Diskurs als auch ein Demokratisierungsprozess.

Perspektivisch muss für gleichwertige Teams in diesen neu zu schaffenden pädagogischen Handlungsfeldern gesorgt werden. Die Kluft zwischen Landesbediensteten – in der Regel Beamten – und Beschäftigten in kommunaler oder freier Trägerschaft ist auf Dauer einem erfolgreichen Tätigwerden abträglich. Sinnvoll wäre es – trotz erheblicher gesetzlicher Hürden –, die Schulen perspektivisch – vergleichbar der Struktur der Jugendarbeit – zu kommunalisieren.

Die Kinder- und Jugendarbeit hat über die Jahrzehnte eine Fülle von Programmen und Angeboten entwickelt und angeboten, die in besonderer Weise auf die Interessen junger Menschen treffen. Die Reduktion der Jugendarbeit auf „Jugendhilfe“ dokumentiert den Versuch, Kinder und Jugendliche ausschließlich fit für unterrichtliche Belange zu machen. Aus gesellschaftlicher, politischer und administrativer Sicht genießt die Schule nach wie vor ein höheres Ansehen und verfügt dementsprechend über eine größere Dominanz. Jugendarbeit wird unberechtigterweise eher als „Reparaturbetrieb“ eingestuft. In gleichberechtigten Teams wüsste man, was man voneinander hat, und würde sich gegenseitig nicht als Handlanger, sondern als sich fruchtbar ergänzende Partner betrachten. Infragezustellen wären vor diesem Hintergrund so zweifelhafte Instrumentarien wie Lehr- und Unterrichtspläne, Zensuren und schließlich auch die Schulpflicht, was mit einer Neuverortung des Aspekts der Freiwilligkeit einhergeht. Auszubauen wären regelmäßige Fortbildungen des pädagogisch tätigen Personals sowie sinnvolle Verknüpfungen von Theorie und Praxis.

Eine erfolgreiche Schule würde gezielt die erprobten Angebote der Jugendarbeit integrieren, ohne deren Profil zu absorbieren. So gesehen würde pädagogische Arbeit sowohl innerhalb einer Schule, die sich primär an den Interessen der jungen Leute orientiert, als auch außerhalb stattfinden. Zum Beispiel ist die Organisation von Abenteuerspielplätzen an Grundschulen bzw. die Kooperation mit solchen in der Nähe ohne Schwierigkeiten denkbar. Dies wurde etwa an der Laborschule Bielefeld als sinnvolle Möglichkeit erkannt, wo neben etlichen anderen ein sogenanntes „Lernfeld Bauspielplatz“ existiert. Dem Schulexperten Reinhard Kahl fallen hier beispielsweise noch Küchen, Ateliers, Werkstätten, Labors, Theaterbühnen und Gärten ein – alles Elemente, die in der Kinder- und Jugendarbeit selbstverständliche Alltagbestandteile sind. Ergänzend hinzu kämen noch Natur, Wald, Bäche, Wiesen und Parks – eben Freiflächen jeder Art – sowie ausreichende Gelegenheiten für alle Arten von Sport und Bewegung und schließlich Tierhaltung.

Kinder- und Jugendarbeit ist ein unabdingbarer Bestandteil und Partner von zu entwickelnden „Kommunalen Bildungslandschaften“. Die bisherigen in diese Richtung abzielenden Versuche – etwa bei den meisten kommunalen bzw. regionalen Bildungsbüros – blenden jene hingegen in aller Regel aus. Dieser Zustand ist auf Dauer weder aus fachlicher noch aus politischer Sicht akzeptabel. Offene Kinder- und Jugendarbeit sieht es in der „kommunalen Bildungslandschaft“ als ihre zentrale Aufgabe an, dem erweiterten Bildungsverständnis des 12. Kinder- und Jugendberichts (6) Geltung zu verschaffen und Bildungslandschaften aus der Aneignungsperspektive von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien heraus zu konzipieren. In der Tat haben wir es hier mit einem Perspektivwechsel zu tun: Es geht nicht darum, was die gewachsenen Strukturen – zum Beispiel die Schule – brauchen, sondern was für Kinder und Jugendliche für ein gelingendes Aufwachsen erforderlich ist.

Alle an einer solchen Bildungslandschaft Beteiligten würden im Vergleich zum heutigen System profitieren, die pädagogischen Fachkräfte ebenso wie die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien sowie die Gesellschaft insgesamt. Bisher nebeneinander existierende Systeme würden sich gegenseitig sinnvoll ergänzen. Bisheriges „Beschulen“ könnte zugunsten eines kinder- und jugendgerechten pädagogischen Handelns aufgegeben werden. Viele Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen können sich einbringen. So gesehen könnte einer ganzheitlichen und vielfältigen statt einer separierten und eindimensionalen Entwicklung der jungen Menschen Rechnung getragen werden.

b) Wie sollte ein qualitativ hochwertiges und für Eltern bzw. Schüler attraktives Ganztagsangebot aussehen und organisiert sein?

Gestattet sei der Hinweis unterschiedlicher Interessen bei den Eltern auf der einen und bei Kindern und Jugendlichen auf der anderen Seite. Eltern haben Interesse an einer erfolgreichen Entwicklung ihrer Kinder, darüber hinaus erwarten sie berechtigterweise Unterstützung hinsichtlich ihrer Betreuungsaufgaben; sie sollten deshalb von der schulischen wie der außerschulischen Pädagogik adäquat unterstützt werden.

Innerhalb der Institutionen sollten die Interessen der Kinder und Jugendlichen leitend sein. Der Aspekt der Freiwilligkeit ist in der Kinder- und Jugendarbeit ein einzigartiger Qualitätsindikator; diesen gilt es zu bewahren und nach Möglichkeit auszubauen. Im Forschungsprojekt „Aber so richtig lernt man eher bei der freiwilligen Arbeit“ (Zum Kompetenzgewinn Jugendlicher im freiwilligen Engagement) hat die Dortmunder Wissenschaftlerin Wibken Düx 60 Kompetenzen zusammengetragen, die kaum von formal bzw. mit Zwängen organisierten Curricula übertroffen werden dürften.

Sie führt dort u.a. an „personalen Kompetenzen“ auf: Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit/ Selbstbestimmung, Durchhaltevermögen/ Belastbarkeit, Offenheit/ Flexibilität, Selbstreflexivität/ Selbsterkenntnis, Orientierung (persönlich, politisch, sozial, ökologisch usw.) sowie die Entwicklung von Werten. (7)

Beim Erwerb sozialer Kompetenzen geht es u.a. um Verantwortungsübernahme/ -bereitschaft, Zuverlässigkeit, Kooperationsfähigkeit, Konflikt-/ Kritikfähigkeit, Überzeugungsfähigkeit, Problemlösungsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit, politisch-demokratische Kompetenzen, interkulturelle Kompetenz, pädagogische Kompetenz sowie Gender-Kompetenz. (8)

Unter dem Aspekt sachbezogener Kompetenzen werden kognitive, organisatorische, handwerklich-technische sowie kreativ-musisch-sportliche unterschieden. Hier einige ausgewählte Beispiele: Reflexionsfähigkeit, Allgemeinwissen, technisch-naturwissenschaftliches Wissen, politisches Wissen, Umweltwissen, Mitbestimmung, Organisationsvermögen sowie die kluge Nutzung vorhandener Strukturen/ Verwaltung.(9)

Düx betont, Lernen im genannten Kontext sei kein Selbstzweck; die Jugendlichen verfolgten nicht die Intention zu lernen oder „um für sich selbst Kompetenzen zu erwerben, sondern für ihre Aufgaben im Engagement. Anlass, Medium und Ziel des Lernens ist in der Regel die Tätigkeit. Gegenüber … schulischen Anforderungen, die sich ohne unmittelbaren Handlungsdruck vorrangig auf die Bewältigung intellektuell-kognitiver Aufgaben beziehen, bietet freiwilliges Engagement die Möglichkeit und Herausforderung, sich handelnd zu erfahren und zu bewähren.“ (10) Das, was junge Menschen „selbst handelnd gelernt, erlebt und erfahren haben, wird in weit stärkerem Maße zueigen gemacht als fremdbestimmte, vorgegebene Wissensinhalte.“ (11) Dies bestätigen die eingangs vorgetragenen Erkenntnisse der Hirnforschung.

Regelmäßig kann übrigens in der Alltagspraxis reines Erstaunen bei Lehrerinnen und Lehrern beobachtet werden, wenn sie „ihre“ Kinder – etwa bei Projekten – in der Kinder- und Jugendarbeit erfahren: „So“ haben sie sie zuvor noch nie erlebt – will sagen: Soviel Lernbegierigkeit, Neugier, Interesse und Engagement bei den ihnen Anvertrauten kannten sie bis dahin noch nicht.

Wie sich Schule und Jugendarbeit auf einem theoretischen Hintergrund ergänzen können, zeigt Düx in ihrem Forschungsprojekt ebenso auf: „Lernen ist abhängig vom subjektiven Interesse, der individuellen Motivation sowie den Erfordernissen und Anregungen in der Praxis … Für längerfristiges Lernen, insbesondere abstrakter Inhalte, genügt aber kurzfristiges Interesse häufig allein nicht. Dabei sind auch Phasen unausweichlich, in denen man etwas lernt, was nicht von vornherein und in sich interessant ist. Ein solches Lernen ist im freiwilligen Engagement eher selten.“ (12)

Die Enquete-Kommission „Chancen für Kinder“ des nordrhein-westfälischen Landtags räumt vor diesem Hintergrund der Kinder- und Jugendarbeit den Rang einer „Brückeninstanz“ ein. Ihr Stellenwert sei deutlich zu verstärken. Kinder- und Jugendarbeit sei eine „entscheidende Ressource“ zur Entwicklung der Persönlichkeit junger Menschen. (13)

Ein zukunftsweisender, qualitativ hochwertiger und attraktiver Ort für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern kann nur gelingen, wenn er sich einerseits an den Interessen der direkt oder indirekt Beteiligten orientiert, wenn die Angebote über ein Höchstmaß an Anziehungskraft verfügen und in gleichberechtigten Teams eine Partnerschaft organisiert worden ist, in der es nicht mehr nötig ist, über „Augenhöhe“ zu schwadronieren.

Das Bundesjugendkuratorium zeigt drei Ebenen der Bildung auf:

• informelle
• nichtformale und
• formelle Bildung.

Gleichzeitig wird gefordert, diese drei Ebenen als gleichberechtigt anzuerkennen. (14) Festgestellt wird außerdem, dass Bildung stets ein Prozess des sich bildenden Subjekts sei und immer auf die Selbstbildung abziele. In diesem „eigensinnigen“ Prozess, dem grundlegende Bedeutung für die Entwicklung des Subjekts sowie für sein Hineinwachsen in Kultur und Gesellschaft beigemessen wird, geht es um die Anregung aller Kräfte, nämlich der kongnitiven, sozialen, emotionalen und ästhetischen. Ferner geht es dabei um die Aneignung der Welt: Fremdes wird in Eigenes verwandelt. (15) Eine solche Aneignung entsteht nur durch Handlung und Erfahrung; sie kann nicht unterrichtet werden. (16) Schließlich muss noch auf die Entfaltung der Persönlichkeit hingewiesen werden, die Quelle der Individualitätsentwicklung sowie der emanzipatorischen Tradition der Bildung. (17)

Vor diesem Hintergrund konstatiert die Enquetekommission „Chancen für Kinder“ des nordrhein-westfälischen Landtags, Erziehung, Bildung und Betreuung könnten nur dann optimal wirken, wenn Beiträge der non-formalen und informellen Bildung anerkannt, wertgeschätzt und in den Bildungsprozessen berücksichtigt würden. Insgesamt sei der Zugang zu non-formalen Bildungsangeboten für die Entwicklung der jungen Leute („Schülerinnen und Schüler“) von bedeutendem Einfluss; insbesondere für Kinder aus bildungsfernen Schichten sei dies ein erforderlicher Qualitätsschritt. (18) Die Kommission folgert daraus, Kinder und Jugendliche müssten „auch bei einem Ausbau von Ganztagsangeboten die Möglichkeit haben, außerhalb von Schule am Nachmittag selbstbestimmt non-formale Bildungsangebote zu nutzen“. (19)

Mit Blick auf zu schaffende Bildungslandschaften stellt die Enquetekommission fest, die derzeitige Präsenz der Kinder- und Jugendarbeit reiche nicht aus, wenn sie diese bereichern solle. Erinnert sei hier an den atemberaubenden Abbau der Standards in der Kinder- und Jugendarbeit zwischen 2002 und 2008. So verfügen beispielsweise nur noch 21 Prozent der Beschäftigten über eine Vollzeitstelle. Zu diesem Abbau und dem generellen Rückgang der Maßnahmen in der Kinder- und Jugendarbeit bemerkt die Enquetekommission, es sei zu befürchten, die Struktur des Arbeitsfeldes könne zerbrechen. Somit würde die neue Verbindung von Jugendhilfe und Schule im Sinne einer ganzheitlichen Bildung eine ihrer wichtigsten Grundlagen einbüßen. Hier gelte es, sich neu aufzustellen. (20)

c) Welche Probleme und Hemmnisse bestehen bei der Einbindung der Offenen Jugendarbeit?

Die Stärken der Offenen Arbeit hat Prof. Dr. Franz Josef Krafeld kürzlich auf einer Fachtagung des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie griffig zusammengefasst. (21) Er nennt dort u.a.

• Professionelle Beziehung als Grundlage der Arbeit
• Wertschätzung und Respekt als Selbstverständlichkeit
• Subjektorientierung als Grundprinzip
• Ernstnehmen informeller Alltagswelten
• Förderung jugendkultureller Entfaltung
• Souveränität im Umgang mit unstrukturierten Situationen
• Vielfalt informeller Lernmöglichkeiten
• Förderung sozialer Vernetzung
• Wenig verregelte Räume
• Stützpunkte zur Aneignung bzw. Wiederaneignung von Umwelt
• Expertenkompetenz für das Aufwachsen junger Menschen
• Expertenkompetenz für informelles Lernen, Alltagslernen und soziales Lernen
• Ausrichtung auf die aktuellen Lebensbedingungen junger Menschen
• Eignung für Konfliktmediation im sozialen Umfeld

Ohne die mannigfaltigen Kompetenzen junger Menschen zu würdigen, herrscht in der westlichen Welt nicht selten ein abgrundtiefes Misstrauen der Erwachsenenwelt gegenüber Kindern und Jugendlichen, was besonders am Beispiel der Schule deutlich wird. Vor diesem Hintergrund wird ihnen häufig – allem Partizipationsgerede zum Trotz – kein Subjektstatus zugebilligt, wie man dies in einer demokratischen Gesellschaft erwarten dürfte. Im Denken werden Kinder und Jugendliche als defizitäre und zu formende Objekte betrachtet, als leere Gefäße, die es zu füllen gelte. Interessanterweise greift dieser Unfug auch an einigen Stellen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit um sich; dies vor allem in der Folge des „schlechten Abschneidens“ von Deutschland in den diversen PISA-Studien und mehr noch mit zunehmender Umwandlung von Vormittagsschulen zu offenen Ganztagsschulen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es hier an fachlichem Augenmaß und entsprechender Professionalität mangelt. Mehr jedoch dürfte hier die Angst um die schlichte Existenz der Kinder- und Jugendarbeit als qualitativ hochwertiges Angebot die Triebkraft sein. So erfüllt sich mancherorts ohne aktuell erkennbaren äußeren Grund das mittlerweile geflügelte Wort „Alles, was Schule anpackt, wird zu Schule“ geradezu als sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Aufgabe beim Ausbau von Ganztagsangeboten und Aufbau kommunaler Bildungslandschaften hingegen muss sein, Transparenz herzustellen, einander zuzuhören, gleichberechtigte Partnerschaften aufzubauen sowie die jeweils bislang unterschiedlichen Disziplinen vorbehaltenen Qualitäten zu erkennen und auszubauen. Im Grunde geht es darum, eine völlig neue pädagogische Qualität, ein neues pädagogisches Lebens- und Lernkonzept für Kinder, Jugendliche und ihre Familien zu entwickeln.

Mittlerweile taucht allenthalben in Politik und Fachwelt der Begriff „Inklusion“ auf, dies maßgeblich infolge der UN-Behindertenrechtskonvention (2008) (22), obwohl in der deutschen Übersetzung der Begriff, abweichend von der Originalfassung, fälschlicherweise mit „Integration“ übersetzt wird. Zu beobachten ist, dass der Begriff „Inklusion“ in erster Linie in schulischen Zusammenhängen und im Kontext mit behinderten Menschen benutzt wird und zumeist auch dahingehend verstanden werden will. Diese Zwischenbemerkung sei gestattet, da Inklusion weit mehr erfasst, etwa mit Blick auf Migranten, Hartz IV-Empfänger und anderes mehr, mit anderen Worten: soziale Inklusion ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag bei der Entwicklung eines demokratischen Gemeinwesens. Das Konzept der Offenen Arbeit ist traditionell ein inklusives. Dies gilt es einerseits zu erhalten, andererseits kann Schule hiervon fachlich profitieren.

Zwischen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und der Schule gibt es seit längerer Zeit eine Vielfalt von Kooperation. Verlässliche Erkenntnisse hierzu liefert die Studie „Entwicklung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit durch die Kooperation mit Schule“ von Prof. Dr. Ulrich Deinet und Dr. Maria Icking vom Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften der Fachhochschule Düsseldorf. Ulrich Deinet hat sich darüber hinaus auf vielfache Weise mit dem Thema befasst. Die Etablierung von Offener Arbeit in schulischen Zusammenhängen unterscheidet sich deutlich von Schulsozialarbeit, denn diese steht im Vordergrund, wenn es um problemorientierte Themen geht. (23) In einem solchen Fall sollte die Offene Arbeit der falsche Partner sein. Bezogen auf die Offene Arbeit mit Kindern stellt Ulrich Deinet fest, diese sei nicht-formelle Bildung und stelle entsprechende Räume zur Verfügung, die häufig im Umfeld gegenwärtiger Kinder zum größten Teil verloren gegangen seien. (24) Er zitiert aus der Öffentlichkeitsarbeit des Bauspielplatzes der Ruhrwerkstatt Oberhausen, worum es unter anderem geht: „Hütten bauen, Feuer machen, Freundschaften schließen, klönen und schwatzen, hämmern und sägen, spielen und basteln, matschen und planschen, toben und Krach machen und vieles mehr.“ (25) Und er kommt zu dem Schluss, das ginge auch mit der Schule, wenn diese die Dimensionen sehe und verstehe, „dass die Gestaltung von Schule als Lebensort eine große Bedeutung auch für das Kerngeschäft der Schule hat: die formelle Bildung!“ (26)

Ziel der erwähnten Studie waren repräsentative Ergebnisse bezogen auf die Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Nordrhein-Westfalen. (27) Demnach kooperierten zum Untersuchungszeitraum 2007/2008 mehr als 70 Prozent der Einrichtungen länger als fünf Jahre mit Schulen. Die fortschreitende Entwicklung ist gut zu erkennen, denn länger als zehn Jahre bestand eine Zusammenarbeit „nur“ – aber immerhin! – bei knapp 24 Prozent. Interessant vor allem die Anlässe, aus denen heraus die Zusammenarbeit zustande kam: Die weitaus meisten Nennungen geben an, den Bedarf bei den Kindern und Jugendlichen aufgespürt zu haben (57,6 Prozent), gefolgt von Anfragen aus der Schule (54,5 Prozent), Initiativen des Trägers (44,9 Prozent) und Initiativen bzw. Auftrag des Jugendamtes (34,3 Prozent). Nach entsprechenden Wünschen der Jugendlichen gefragt, werden deutlich weniger Angaben gemacht (13,1 Prozent), ebenso bei solchen der Eltern (10,1 Prozent) sowie bei Anfragen des Schulträgers (10,6 Prozent). Fast die Hälfte der offenen Einrichtungen kooperiert sowohl im Rahmen des Ganztags wie auch außerhalb desselben. 56,3 Prozent engagieren sich im Zusammenhang mit offenen Ganztagsgrundschulen und 35,6 Prozent im normalen Alltagsbetrieb.

Wie auch schon anhand einiger zuvor angeführter Zahlen erahnt werden konnte (Bedarf bei Kindern und Jugendlichen, Anfragen aus der Schule), spielte inhaltlich die Schulaufgabenhilfe (Hausaufgabenbetreuung) eine herausragende Rolle (Primarstufe: 33 Prozent; Sekundarstufe: 75,6 Prozent). Hier muss klargestellt werden, dass dies perspektivisch keine originäre Aufgabe der Offenen Arbeit sein kann und darf; als Starthilfe für eine Zusammenarbeit mag sie akzeptiert sein.

Eine ähnlich große Rolle spielt das Mittagsessen; es wird für die Primarstufe zu 27,3 Prozent und für die Sekundarstufe zu 66,7 Prozent genannt. Des Weiteren spielen inhaltlich Sport und Bewegung, musisch-künstlerische Angebote, neue Medien, technisch-naturwissenschaftliche Angebote, soziales und interkulturelles Lernen, geschlechtsspezifische Angebote, Lern- und Sprachförderung und naturgemäß Ferienangebote eine wichtige Rolle. Ein interessantes und vielleicht überraschendes Schlaglicht wirft die Studie auf den normalen Alltag der Offenen Einrichtungen: Immerhin zu 63,6 Prozent bezogen auf die Primarstufe und zu stattlichen 83,3 Prozent bezogen auf die Sekundarstufe wird angegeben, der offene Bereich, z.B. das freie Spielen, sei von inhaltlicher Bedeutung, Zahlen, die die Bereitschaft der Offenen Arbeit, sich in schulische Kontexte einbinden zu lassen, eindrucksvoll bestätigen.

Leider liegen keine Zahlen aus Sicht der Schule vor. Es kann allerdings angenommen werden, dass diese deutlich geringer ausfallen.

Die Kinder- und Jugendarbeit ist gegenwärtig nicht in der Lage, sich flächendeckend in den schulischen Ganztag einzubringen. Dazu fehlen ihr die erforderlichen Ressourcen. Deutlich wird dies etwa schon allein durch die Tatsache, dass hier eine Fachkraft auf 130 Kinder und Jugendliche kommt. In der Schule kommt auf 14 Kinder und Jugendliche ein Lehrer bzw. eine Lehrerin. Abgesehen von fachlichen Sichtweisen und Konzepten, die hier zum Teil bereits thematisiert wurden und die insgesamt auf mittlere Sicht hin zu einem kinder-, jugend- und familiengerechten pädagogischen Gesamtkonzept entwickelt werden müssen, benötigt die Kinder- und Jugendarbeit eigenes Geld, um ihre non-formalen Bildungsangebote durchführen zu können. Wichtig wäre es, dass sie, sofern ihre Angebote in der Schule stärker etabliert werden sollen, eine angemessene Bezuschussung durch das Schulministerium erhalten. Dies bezieht sich auf die Förderung von Personal, Inventar und Projekten. Bedacht werden muss ebenso die zurzeit völlig unzureichende Situation in zahlreichen Schulen. Angesprochen sind hier die Räumlichkeiten sowohl in den Gebäuden als auch häufig im Außenbereich und die ungenügende Ausstattung des Ganztags mit qualifiziertem Fachpersonal, Finanzen und Material. (28) Ein weiteres Problem ergibt sich aus der unterschiedlichen strukturellen Anbindung von Schulen und der Kinder- und Jugendarbeit, wie bereits erwähnt. Perspektivisch würde es sinnvoll sein, die Schulen – der Offenen Kinder- und Jugendarbeit vergleichbar – zu kommunalisieren.

Ulrich Deinet teilt die geäußerten Ansichten seinerseits. Er stellt fest, dass 75 Prozent der Offenen Einrichtungen mit der Schule „ins Geschäft“ kommen wollten, allerdings fehle es an einer verlässlichen finanziellen Förderung. Ferner mangele es an der erforderlichen Flexibilität innerhalb des klassischen Schulbetriebs. Hierbei spricht er insbesondere die zeitliche Dimension an. Als weiteres Hemmnis schließlich führt er eine fehlende Anerkennung und Wertschätzung der Offenen Arbeit an. Offene Kinder- und Jugendarbeit sei unter dem Strich ein idealer Partner von Schule, wenn es um die Neugestaltung von Schulen als Lebensort und um ihre Öffnung in Richtung Sozialraum und Lebenswelten gehe. Erforderlich sei, dass beide Partner die Bedeutung dieser Prozesse erkennt und diese auch gewollt seien. Bei allem müsse die Arbeit mit den Kindern ihr Profil erhalten. (29) Daraus folgt, dass es perspektivisch auch zu einer formalen und strukturellen Gleichberechtigung der bislang unterschiedlichen Ebenen, die in der Schule miteinander agieren, kommen muss.

Wie aufgezeigt, ist mittlerweile ein beachtlichter Teil der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Sachen Schule „unterwegs“. Innerhalb des ABA Fachverbandes gibt es diverse Träger, die Konzeptionen und Programme auf einem hohen Niveau organisieren. Diese werden nicht nur für sich erfolgreich wirksam, sondern sind darüber hinaus geeignet, die eingeforderte Fortentwicklung einer pädagogischen Gesamtkonzeption günstig zu beeinflussen.

Ein Beispiel hierfür ist etwa der im ABA Fachverband organisierte „Evangelische Verein zur Förderung von Schülerinnen und Schülern in Oberhausen“, der mittlerweile sieben Grundschulen im Ganztag organisiert; 635 Kinder werden augenblicklich erreicht. Nach Auskunft des Trägers sind es vor allem die gemeinsamen Erfahrungen, die dazu beitragen, die Qualität der Arbeit sukzessive zu verbessern. Nach wie vor allerdings werden die größten Hemmnisse in einer unzureichenden Förderung gesehen.

Ein weiteres erfolgreiches Beispiel ist das der Jugendfarm Bonn e.V., ebenfalls anerkannter freier Träger der Kinder- und Jugendarbeit. Für die Jugendfarm Bonn war die Kooperation mit Schule von Anfang an eine tragende Säule. Bereits im Jahr 1985 – die Jugendfarm hatte gerade ihren Betrieb aufgenommen – bildeten 24 Schüler und Schülerinnen der benachbarten Gesamtschule Bonn-Beuel eine Arbeitsgemeinschaft und leisteten Pionierarbeit zum Ausbau der Jugendfarm. Grundlegender Gedanke bei diesem Kooperationsprojekt war, dass Schule und Jugendfarm viele gemeinsame Ziele im Sozialisierungsprozess der Kinder haben, jedoch die Jugendfarmarbeit so manches bietet, was Schule nicht hat. Besonders die gestaltbaren und veränderbaren Freiräume bieten im Vergleich zum schulischen Kontext mehr sinnliche und Phantasie fördernde Spielanreize.

Mit dem Ziel einer langfristigen Sicherung der Arbeit auf der Jugendfarm wurde bereits 1992 ein Konzept der Ganztagsbetreuung diskutiert. Erste Verhandlungen mit dem Jugendamt im darauf folgenden Jahr führten zu neuen Angeboten für Schulklassen und Kindergärten. Zehn Jahre später entstanden dann die ersten Betreuungsangebote an Schulen (30) und auf dem Spielplatz Finkenweg, einem pädagogisch betreuten Spielplatz in Trägerschaft der Jugendfarm.

Die Betreuungsangebote an den beiden Schulen mündeten 2005 in der Offenen Ganztagsgrundschule; zwischen 2006 und 2008 etablierte sich die Jugendfarm neben diesen beiden Schulen erfolgreich als Träger des Offenen Ganztags an sechs weiteren Grundschulen (31) und an einer Förderschule. (32) 2009 stieg die Jugendfarm auch in die Betreuungsangebote an drei weiterführenden Schulen (33) ein. Zum Schuljahr 2010/11 konnte eine Kooperation mit einem weiteren Gymnasium vereinbart werden. (34)

Die Kooperationsprojekte der Jugendfarm Bonn mit Schulen umfassen aktuell – wie aufgezeigt – verschiedene Angebote an Schulen sowie die Erlebnistage als Angebot außerschulischen Lernens. Die Jugendfarm strebt die Zusammenarbeit mit Schule vorrangig an Standorten an, an denen im Idealfall die Möglichkeit einer Kooperation der Schule mit ihren Einrichtungen bzw. Plätzen der Offenen Arbeit gegeben ist oder die räumlichen Voraussetzungen dafür bestehen, die Angebote der Offenen Arbeit langfristig an der Schule zu integrieren. Letzteres ist von Bedeutung, da nur wenige Schulen – wie etwa die Marktschule in Bonn-Pützchen – in der Nähe der Jugendfarm liegen und damit eine Nutzung des Jugendfarm-Geländes mit seinen besonderen Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten in den schulischen Alltag integrieren können.

Somit engagiert sich die Jugendfarm seit geraumer Zeit für die Einrichtung eines Bauspielplatzes an der Schule. In anderen Kommunen in Nordrhein-Westfalen (35) ist dieses Konzept bereits erfolgreich umgesetzt worden. Zusammen mit einer Mitarbeiterin des Städtischen Gebäudemanagements hat sich die Jugendfarm in Oberhausen Anregungen geholt, wie das Konzept auch unter dem Aspekt der Sicherheitsauflagen der Stadt Bonn möglich gemacht werden könnte. Bereits im Schuljahr 2008/2009 begann die Suche nach einem Platz, der vom öffentlichen Schulhof durch einen entsprechend hohen Zaun abgetrennt ist, keine direkte Nähe zu den anliegenden Nachbarn aufweist und zudem auch keinen unmittelbaren Einblick für vorbeiziehende Passanten bietet.

An der Robert-Koch-Schule in Bonn-Pennenfeld lag es aufgrund des bereits bestehenden Schulgartens auf der Hand, dieses Vorhaben zu realisieren. Die nötige Wiederinstandsetzung der bestehenden Umzäunung verzögert die Umsetzung aktuell noch auf unbestimmte Zeit.

An der Engelsbachschule in Bonn-Ippendorf liegt nach einem längeren Diskussionsprozess ein Votum der Schulkonferenz vor, worin sich die Schule klar für eine Umwandlung der angrenzenden Wiese in einen Natur- und Erlebnisraum ausgesprochen hat. Ein Bauwagen ist bereits organisiert und das Städtische Gebäudemanagement hat dessen Aufstellung bewilligt. Die genaue Gestaltung der Wiese soll maßgeblich von den Interessen der Kinder beeinflusst werden. Dennoch ist dieser Gestaltungsprozess von einem längeren Aushandlungsverfahren mit der Stadt und den direkten Nachbarn abhängig. Und ohne einen Sponsor, der die Aufstellung eines Zauns in vorschriftsmäßiger Höhe finanziert, wird das Projekt ebenfalls scheitern.

Schule funktioniert nach eigenen Regeln. Es wird nicht möglich sein, Schule in einen Abenteuer- und Bauspielplatz zu verwandeln, sehr wohl aber durch einen solchen zu ergänzen, wie auch das erwähnte Beispiel der Laborschule Bielefeld belegt. In Bonn wird die Jugendfarm im anstehenden Aushandlungsverfahren gemäß Karlheinz Thimm, Professor für Soziale Arbeit an der Evangelischen Fachhochschule Berlin, die Rolle eines „produktiven Fremdkörpers an Schule mit Strahleffekten“ (36) übernehmen und damit „zur Überprüfung schulischer Üblichkeiten einladen: den Inhalten, den Zielen, den Methoden, dem Umgang mit Zeit, der Herrichtung von Räumen, der Gestaltung von Beziehungen.“ (37) Dieser Prozess soll im Idealfall über drei Jahre professionell begleitet und im Sinne eines Modelprojektes unter dem Motto „Offene Arbeit gestaltet Räume in der kommunalen Bildungslandschaft“ besonders gefördert werden. Die dafür nötigen Ressourcen sind im Rahmen eines breit angelegten Projektes von der AGOT NRW, der der ABA Fachverband angehört, beim Land beantragt worden.

Die Erfahrungen, die bislang gemacht wurden, sind – wie aufgezeigt – nicht nur kritikwürdig, sondern machen auch Mut. Bezogen auf die Offene Arbeit konnte Ulrich Deinet diverse Vorteile ausmachen. So geben 64,2 Prozent der Einrichtungen an, durch die Kooperation mit Schulen seien sie im Stadtteil, ergo im Sozialraum, stärker vernetzt. (38) Dieser Aspekt kommt einer Qualitätsentwicklung im Ganztag sehr entgegen, wenn man davon ausgeht, dass es sich dabei nicht um einzelne Schulen handelt, sondern die Angebote im Sozialraum einrichtungs- und auch schulübergreifend angesiedelt sind. Erfolgreiche Konzepte organisieren ein handlungsorientiertes Angebot. Wie das dokumentierte Beispiel aus Bonn aufzeigt, ist es sinnvoll, an möglichst vielen Schulen Abenteuer- und Bauspielplätze zu organisieren. Kultur- und andere Projekte werden perspektivisch gesehen unhinterfragter Alltag in solchen neu zu schaffenden Lebens- und Lerneinrichtungen, in den „Treibhäusern der Zukunft“, wie sie der Schulexperte Reinhard Kahl bezeichnet. Erleben und Aneignen werden zentrale didaktische Elemente – Unterricht wird infolgedessen für alle Beteiligten befriedigender, da er nicht mehr losgelöst vom Alltagshandeln stattfinden muss, sondern dieses sinnvoll ergänzt. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass es sich bei den erwähnten Beispielen nach wie vor um Einzelfälle handelt. Eine flächendeckende Realisierung von „Treibhäusern der Zukunft“ erfordert – wie bereits mehrfach betont – einen gewaltigen personellen Einsatz und massive finanzielle Unterstützung.

Im Sinne von Qualitätsentwicklung ist es mittelfristig erforderlich, auch die Ausbildung künftigen pädagogischen Fachpersonals den geschilderten und weiterhin beabsichtigten Veränderungen verstärkt anzupassen. Dies bezieht auch die Notwendigkeit mit ein, das bislang völlig unterschiedliche Gehaltssystem der pädagogischen Fachkräfte einander stärker anzugleichen. (39)

6. April 2011

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Fußnoten

1. vgl. Rainer Deimel: Über die Unmöglichkeit, objektiv zu urteilen – Zur Klärung eines Paradoxons
2. Heinz von Foerster/Bernhard Pörksen: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 1998, Seite 66
3. ebenda, Seite 67
4. Gerhard Roth: Bildung braucht Persönlichkeit – Wie Lernen gelingt, Stuttgart 2011
5. Reinhard Kahl: Vortrag auf dem Bochumer Bildungskongress am 17. Februar 2011
6. 12. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, München 2005
7. vgl. Wibken Düx: „Aber so richtig für das Leben lernt man eher in der freiwilligen Arbeit“ – Zum Kompetenzgewinn Jugendlicher im freiwilligen Engagement, in: Thomas Rauschenbach/ Wiebken Düx/ Erich Sass (Hg.): Informelles Lernen im Jugendalter, Weinheim und München 2008, 210 ff.
8. vgl. ebenda
9. vgl. ebenda
10. Düx, a.a.O., S. 231
11. ebenda, S. 232
12. ebenda, S. 237
13. vgl. Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen: Chancen für Kinder. Rahmenbedingungen und Steuerungsmöglichkeiten für ein optimales Betreuungs- und Bildungsangebot in Nordrhein-Westfalen. Bericht der Enquetekommission, Düsseldorf 2008
14. Bundesjugendkuratorium: Zukunftsfähigkeit sichern! – Für ein neues Verhältnis von Bildung und Jugendhilfe (2001), in: R. Münchmeier, Hans-Uwe Otto und Ursula Rabe-Kleeberg (Hg.): Bildung und Lebenskompetenz. Kinder- und Jugendhilfe vor neuen Aufgaben, Opladen 2002
15. vgl. ebenda
16. Bundesjugendkuratorium: „Sie meint nicht ein von außen Hineinstopfen vorbestimmter ‚Bildungsinhalte’. Bildung kann nicht erzeugt oder gar erzwungen, sondern nur angeregt und ermöglicht werden.“
17. vgl. Bundesjugendkuratorium, a.a.O.
18. vgl. Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen: Chancen für Kinder, a.a.O., S. 187
19. ebenda
20. ebenda, S. 68
21. Franz Josef Krafeld: Stärken Offener Jugendarbeit, Input beim 19. Forum Jugendarbeit des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie, 4.-6. Januar 2011, Manuskript)
22. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
23. vgl. Ulrich Deinet, in: http://www.lwl.org/lja-download/datei-download2/LJA/jufoe/983524482/070903-05/1212643796_0/Deinet_Witten.pdf
24. vgl. ebenda
25. ebenda
26. ebenda
27. Ulrich Deinet: Vortrag zum Thema
28. Hierauf wurde erst kürzlich erneut in der Sendung Westpol am 6. März 2011 hingewiesen.
29. Mündlicher Vortrag Ulrich Deinet
30. Gartenschule in Bonn-Beuel und Marktschule in Bonn-Pützchen
31. Pleiser Wald Schule in Sankt Augustin-Niederpleis, Robert-Koch-Schule in Bonn-Pennenfeld, KGS Laurentiusschule in Bonn-Lessenich, KGS Engelsbachschule in Bonn-Ippendorf, Gotenschule in Bonn-Plittersdorf und EGS/KGS in Sankt Augustin-Hangelar
32. Gutenbergschule in Sankt Augustin-Ort
33. Realschule in Bonn-Beuel, Theodor-Litt-Schule in Bonn-Kessenich und Beethoven-Gymnasium in Bonn-Zentrum
34. Friedrich-Ebert-Gymnasium in Bonn-Kessenich
35. vgl. genanntes Beispiel der Evangelischen Jugend in Oberhausen
36. Karlheinz Thimm: Jugendarbeit im Ganztag der Sek.I-Schule (Arbeitshilfe 1 in der Reihe der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen von „Ideen für mehr! Ganztägig lernen.“, Berlin 2005, S. 18
37. ebenda
38. Des Weiteren werden an Veränderungen unter anderem genannt: Neue Zielgruppen, höhere Anerkennung der Arbeit durch die Eltern, Stärkung der jugendpolitischen Bedeutung sowie höhere Arbeitszufriedenheit.
39. Dies fordert zum Beispiel auch der bekannte Erziehungswissenschaftler Prof. (em.) Peter Struck (Universität Hamburg).

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