NAGEL-Redaktion – Beschneidung – Schnipp-schnapp die Vierte oder: Wie man ein schlechtes Gesetz macht

Von Heinrich Schmitz

Es war zu befürchten, dass die Politik in der Beschneidungsdebatte keine „Lösung“ finden würde. Jetzt liegt der Gesetzesentwurf vor und sein Inhalt löst – völlig unabhängig, welche Position man in der Beschneidungsfrage selbst vertritt – nur erstauntes Kopfschütteln aus. Dass der Bundestag, angetrieben von der Kanzlerin und allen Religionsgemeinschaften, wild entschlossen war, die Beschneidung von nicht zustimmungsfähigen Kindern unmissverständlich zu erlauben, war seit der eiligen Resolution des Bundestages klar. (1) 

Das hatten sie dem noch diskutierenden Volk ja sofort deutlich gemacht: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Herbst 2012 unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechtes der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist.“ Und wenn man sich grundsätzlich die Gesetzgebungsarbeit auch anders vorstellen mag, so ungewöhnlich ist das nicht, dass eine offene Debatte nicht so erwünscht ist und ein Thema schnell vom Tisch soll. Kennen wir ja z.B. auch bei Diätenerhöhungen. Hauptzweck des Gesetzentwurfes war daher von Anfang an, die Debatte über die Rechtmäßigkeit von Beschneidungen möglichst zu beenden, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat. So was geht auch – wenn man es richtig anpackt.

Und jetzt ist er da. Der lange erwartete Entwurf. Und so sollte er zuerst aussehen:

(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird.
(2) Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet ist.

Klingt unspektakulär.

Fand das Kabinett wohl auch und änderte noch munter dran rum. Die Kabinettsvorlage brachte dann dies hier zustande: 

㤠1631d
Beschneidung des männlichen Kindes
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgemeinschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.“

Das Ganze soll als neuer § 1631d ins BGB eingeführt werden. Und dann? Dann dürfte aus meiner Sicht das ganze Problem wieder bei der Justiz landen und die ganze Diskussion von vorne beginnen. Das hat verschiedene Gründe. Die Zustimmungsberechtigung zu einer Beschneidung im Bereich der Personensorge zu regeln, war zunächst einmal ein vernünftiger gesetzestechnischer Ansatz. Die Personensorge liegt regelmäßig bei beiden Eltern, solange sie nicht aus irgendwelchen Gründen auf einen sorgeberechtigten Elternteil übertragen wurde. Solange also beide Eltern einer medizinisch nicht erforderlichen Beschneidung zustimmen würden, wäre sie zunächst einmal nicht mehr rechtswidrig.
Tja, und da haben wir schon das erste Problem. Das Gesetz sagt leider nichts darüber, was denn geschehen soll, wenn sich die Eltern in dieser Frage nicht einig sind. Das kommt in den besten Familien vor, jedenfalls häufiger als in den schlechten, dass Eltern sich unterschiedliche Vorstellungen darüber machen, was gut für ihr Kind ist.

Es sollte auch so sein, dass man das Für und Wider abwägt und dann eine gemeinsame Entscheidung trifft. Klappt aber nicht immer – und dann? Müsste ein Familienrichter einem der beiden Elternteile die Entscheidungsbefugnis in dieser Frage übertragen. Ja, da wird’s dann wieder lustig. Nach welchen Kriterien sollte er das denn bitte tun? Da er ja nicht einfach willkürlich entscheiden kann, müsste er sich wieder mit diesen lästigen Grundrechten auseinandersetzen, die Kinder hier nun mal auch haben. Das könnte dazu führen, dass er eine ähnliche rechtliche Einschätzung vornimmt wie das „böse“ Landgericht Köln; oder auch nicht.

Dass der Familienrichter diese Entscheidung innerhalb der bei jüdischen Kindern erforderlichen 8 Tage nach der Geburt treffen würde oder auch nur könnte, ist aber ausgeschlossen. So schnell kann der schnellste Familienrichter und auch die schnellste Familienrichterin nicht über die Sinnhaftigkeit einer ja immer noch tatbestandsmäßigen Körperverletzung entscheiden. Er/sie könnte höchstens einen Euro werfen, da weiß man ja auch nie, was man hat.

Diese Problematik hätte man im Entwurf ganz leicht umgehen können, indem man für die Zustimmung zur Beschneidung einfach die Zustimmung beider Elternteile gefordert hätte. Keine Einstimmigkeit in der Frage, keine Beschneidung. War wohl zu simpel. Aber das war ja nur das erste, kleinere Problem. Das zweite Problem ist gravierender. Offenbar weil man sich der Tatsache bewusst ist, dass man bei allen Entscheidungen, die unmündige Kinder betreffen, deren Wohl und Wehe im Auge haben muss, hat man dem Gesetzentwurf in Absatz 1 Satz 2 eine Zeitbombe hinzugefügt. Denn der ganze schöne Absatz 1, der so tut, als wären die Eltern ganz alleine in der Lage, die Zustimmung zur Beschneidung zu geben, wird nun erheblich relativiert. Er gilt nämlich gar nicht, „wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet ist.“ „Guckguck“, ruft da ganz laut die bisherige Debatte und lacht sich kaputt, dass die Regierung geglaubt hat, sie mit diesem Gesetz zu verscheuchen. „Da bin ich wieder!“, ruft die Debatte. Es geht letztlich doch wieder um das Kindeswohl und nicht um den reinen Elternwillen. Die Eltern und der Beschneider können sich also doch nicht so sicher sein, dass nicht wieder eine Anklage kommt, jedenfalls dann, wenn etwas schief geht, was ja vorkommen soll. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Nicht mal ein Gesetz, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer „breiten“ – oder vielleicht sollte man fairerweise sagen: „großen“? – Mehrheit durchgewinkt würde, bekommt man anständig formuliert.

Der Begriff des Kindeswohls ist in der familiengerichtlichen Praxis seit Jahren eine Wundertüte. Er ist an keiner Stelle des Gesetzes definiert, er hat auch durch die Rechtssprechung, also durch sogenanntes Richterrecht, keine rechte Definition erfahren. In jedem Sorge- oder Umgangsrechtsprozess können also die Parteien und das Gericht mehr oder weniger beliebig über diesen entscheidungserheblichen Begriff philosophieren. Ist ja auch schwer. Der Begriff des Kindeswohls oder der der Kindeswohlgefährdung beeinhaltet ja eine Prognose für die Zukunft des Kindes auf der Basis der Vergangenheit und der Gegenwart. Das ist wie bei der Wettervorhersage. Für einen Tag noch ganz gut machbar, aber wenn es um das Wetter in einem halben Jahr geht, wird’s schon unbrauchbar.
Ist es gut, wenn das Kleinkind bei der überbehütenden Mutter bleibt oder zum laisser-faire-Vater zieht? Besser zur berufstätigen Mutter oder zum Hartz-vierenden Vater, der viel mehr Zeit hat? Ist es besser, das Kind geht zum Vater, der ihm ein Pony versprochen hat (was auch für seinen Rücken gut wäre), oder zur Mutter, die eine gehörige Angst vor Pferden hat? Besser mit oder ohne Vorhaut? Diese Entscheidung ist letztlich immer willkürlich, auch wenn ein einigermaßen guter Jurist sowohl die eine wie auch die andere mit guten Argumenten vertreten kann.

Den Begriff des Kindeswohls ausdrücklich mit der Zustimmungsbefugnis der Eltern in einen Paragrafen zu packen, schafft jedenfalls nicht das Ende der Debatte, erfüllt also nicht einmal den eigentlichen Zweck, den die Mehrheit des Bundestages und auch der Regierung beabsichtigt hatte, nämlich aus der inhaltlichen Diskussion auszusteigen. Der vom Kabinett eingefügte Absatz 2, der bei ganz kleinen Jungs auch den Mohel und andere religiösen Beschneider zum Schnitt kommen lässt, weist das ganze Gesetz auch noch als Sondergesetz für Religionen aus. Oh Gott, kann man da nur sagen. Will das Kabinett ein verfassungswidriges Gesetz?

Vielleicht können sie es nicht (wahrscheinlich), vielleicht wollen sie es nicht (unwahrscheinlich), vielleicht hat die Justizministerin ihnen eine Zeitbombe untergejubelt (hätte was) – letztlich wird wohl doch das Bundesverfassungsgericht die Linien ziehen und entscheiden müssen, was verfassungsmäßig an Körperverletzung geht und was nicht. Das ist vermutlich auch besser so!

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt in Euskirchen. Sein Beitrag erschien am 10. Oktober 2012 im Blog „Alexander Wallasch“. Er hat ihn uns zur Weiterverwendung freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

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Fußnote
(1) 
https://www.facebook.com/notes/heinrich-schmitz/die-resolution%C3%A4re-des-schnipp-schnapp-von-ra-heinrich-schmitz/447262585295275

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