NAGEL-Redaktion – Arbeitszwang: Sklavenmarktgeschrei aus dem Hause von der Leyen

 

Von Lotar Martin Kamm

 

Jeder von uns kennt aus der Beobachtung, was geschieht, wenn bei der Drehbewegung des Schraubstocks unaufhörlich die Backen das festzuklemmende Werkstück sehr kräftig zusammenpressen. Diesem Druck sind tatsächlich all jene ausgesetzt, die, mittels Erpressbarkeit in Arbeitslosigkeit gekommen, sich gefälligst der Bundesanstalt für Arbeit und den Jobcentern bzw. Argen zur Verfügung zu stellen haben.

Nach kurzer Phase der Arbeitslosengeldzahlung mit halbwegs gesichertem Schutz der Menschenwürde folgt die Entrechtung auf dem Hartz-IV-Tablett, wo die „gestrauchelten, unfähigen Versager“, schließlich waren sie nicht in der Lage, einen Job zu ergattern, Zwangsmaßnahmen, Bewerbertrainings, Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit widerstandslos ausüben müssen.

Schlecker-Angestellte, die ohnehin bereits dem Martyrium einer neoliberalen Arbeitsmarktpolitik seitens des inzwischen pleite gegangenen Familienkonzerns sich unterziehen mussten (denken wir nur an interne Videoüberwachung, Dumpinglöhne, die etlichen Raubüberfälle und das Hin- und Her eines möglichen Jobverlusts) befinden sich nunmehr im Visier. Aus dem Hause von der Leyen wird Arbeitszwang per Sklavenmarktgeschrei mit einer neuen Idee salonfähig gemacht. Da auf der einen Seite in strukturschwachen Regionen Erzieher- und Altenpflegerinnen fehlen, benutzt man doch einfach ähnlich wie auf einem Verschiebebahnhof die just arbeitslos gewordenen Schlecker-Frauen, um diese Lücken zu füllen.

Freie Berufswahlentscheidung steht nicht zur Diskussion

Wunderbar einfach schnappt die Falle zu. Die unheimliche Saat der Agenda 2010 scheint in Gänze aufzugehen Gut neun Jahre nach ihrer Verkündung durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder in der bezeichnenden Regierungserklärung verhandeln heute öffentlich fast schon „prangerähnlich“ Regierung und die Gewerkschaften über das Schicksal der Schlecker-Frauen. Die Gewerkschaften haben sich ohnehin längst einer Wirtschaftspolitik untergeordnet, in der nicht die Interessen der Menschen, also der Arbeitnehmer zählen, sondern die Belange der Arbeitgeber bzw. die Finanzinteressen des Großkapitals und der Konzerne.

Müssen wir davon ausgehen, dass sämtliche sozialen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte endgültig zu Grabe getragen werden? Und nicht nur das? Selbst ganz selbstverständliche Grundrechte wie die Menschenwürde (Art. 1 GG) und die freie Berufswahl (Art. 12 GG) werden einfach ausgehebelt, da über die vorgeschobene Gefälligkeit einer Auszahlung des Existenzminimums bei „Verweigerung“ eine Sanktionierung folgt, die sogar den Hungertod der Betroffenen in Kauf nimmt, wie längst schon vorgekommen. Sicherlich werden sich die Schlecker-Frauen breitschlagen lassen und den Vorschlägen willenlos zustimmen, weil die wenigsten den Kampf mit den Zwangsbehörden aufnehmen und durchstehen können und wollen. Das wird von einer ohnehin hämisch gaffenden Bevölkerungsschicht vorausgesetzt, die das Instrument der Hartz-IV-Gesetzgebung eher gutheißen, als die Missachtung der Menschenwürde zu erkennen.

Erzieher und Altenpfleger – keine Berufung per Crashkurs

Möchten Sie Ihre Kinder in die Obhut geben lassen von unfreiwillig und hektisch geschulten Erzieherinnen? Oder die Fortsetzung einer ohnehin dramatisch menschenverachtenden Altenpflege mitverantworten, wenn ehemalige Verkäuferinnen nach einem Crashkurs plötzlich eine Berufung erlangen? Beide Berufe bedingen vor allem eines: Sie können nur dann wirklich erfolgreich ausgeübt werden, wenn dies mit viel Herz und Liebe, starkem Nervenkostüm, der Voraussetzung zur physischen Belastung und mit entsprechender Freude und Elan geschieht. Im übrigen gilt das sowieso für sämtliche Berufe, nicht zufällig gibt es den Artikel 12. Das scheint aber in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, eines Pflegenotstandes und einem Mangel an Erzieherinnen irrelevant zu sein, Hauptsache, sensenartiger Pragmatismus führt zum Erfolg. Es fragt sich nur: für wen? Die Schlecker-Frauen ordnen sich unter, Kinder und Alte werden gleich gar nicht gefragt, und schon geht die Rechnung auf?

Nach Schleckerpleite ein Tor sperrangelweit aufgerissen

Denken wir doch mal weiter und spielen die Möglichkeiten durch, die da noch vor sich hinschlummern. Jetzt war die Schleckerpleite, und Tausende Arbeitslose haben sich zu fügen, wer keinen Job kriegt, wird einfach mal Erzieher oder Altenpfleger. Wenn morgen aber zwei oder drei heftige Weltkonflikte einen Nachschub an Soldaten brauchen, weil die BRD ohnehin zunehmend den Kurs einer Verteidigungsarmee verlassen hat, werden dann in der Logik einer Mangelsituation aus dem Hause von der Leyen mal eben per Crashkurs zumindest Sanitäter und Bereiche in der Logistik ausgebildet, um auszuhelfen? Das einmal sperrangelweit geöffnete Tor dieser sozialrassistischen Politik lässt sich unschwer schließen in einer Erwartungshaltung von Gehorsam, Arbeitszwang und Sanktionierung. Da bedarf es unbedingt einer grundlegenden Änderung der Wirtschaft selbst, die per Lohndumping, neoliberaler Konzernpolitik und Überreichtum die Schere zwischen Armut und Reichtum zu verantworten hat. Solange die gewählten Politiker sich ihr unterordnen und das Volk missachten, sollten wir mit einer Fortsetzung und Steigerung der dramatischen Arbeitszwangpolitik rechnen.

Lotar Martin Kamm ist Lektor, Übersetzer und Journalist bei der Buergerstimme sowie 1. Vorsitzender Vereins Buergerstimme.

 

Anmerkung der NAGEL-Redaktion: Lotar Martin Kamm hat seinen Beitrag zunächst in der Internet-Zeitschrift „BUERGERSTIMME – Zeit für Veränderungen“ veröffentlicht. Er uns ihn uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt, wofür wir ihm herzlich danken. Das engagierte Team der „Buergerstimme“ ist hier zu finden.

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